Im Fokus | Juni 2024
21. Juni 2024: Zur Hochwasserlage im Juni 2024 in Süddeutschland
Antworten von Expert:innen des Helmholtz-Zentrums Potsdam, Deutsches Geoforschungszentrum (GFZ) und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) / Helmholtz-Forschungsbereich Erde und Umwelt
Der Auslöser des Hochwassers in Süddeutschland in den letzten Tagen waren die großen Regenmengen infolge der Vb-Wetterlage. Ein Vb-Zyklon zieht vom Mittelmeer nach Norden und reichert heiße Luft aus der Sahara über dem Mittelmeer mit viel Feuchtigkeit an. Vb-Zyklone sind zwar selten (nur 5 % aller mitteleuropäischen Zyklone können diesem Bahntyp zugeordnet werden), verursachen jedoch häufig großflächige Niederschlagsextreme in Mitteleuropa. Die Vb-Wetterlage war beispielsweise bereits für zwei große Elbehochwasser 2002 und 2013 im östlichen Teil Deutschlands in den letzten Jahrzehnten verantwortlich (Schröter et al., 2015, Tarasova et al., 2020).
So summierte sich in 4 Tagen verbreitet eine Niederschlagssumme von 100 bis 200 l/m², am Alpenrand lokal um 300 l/m². Zur Einordnung: In den Niederschlagsschwerpunkten entsprachen die Niederschlagsmengen einem Ereignis, wie es statistisch seltener als einmal in hundert Jahren vorkommt; teilweise fiel die doppelte Monatssumme innerhalb weniger Tage.
Zusätzlich waren der vergangene Herbst (2023) und auch das Frühjahr (2024) sehr feucht, wodurch der Boden oft gesättigt war (www.ufz.de/duerremonitor). Wenn der Boden sehr feucht ist, kann er keinen zusätzlichen Niederschlag mehr aufnehmen. Während bei normaler Durchfeuchtung des Bodens meist über 90 % der Regenmenge zunächst im Boden gespeichert wird (Tarasova et al., 2018 a, b) und nur langsam in die Bäche und Flüsse fließt, kann die Abflussmenge bei hoher Bodenfeuchte und großen Niederschlagsmengen stark ansteigen. Dadurch fließt plötzlich der Großteil des Niederschlags sofort ab und kann zu Hochwasser führen. Die Kombination von hohen Niederschlagsmengen der Vb-Wetterlagen und bereits feuchten Böden verursachte somit in den letzten Tagen in vielen Orten Süddeutschlands sehr hohe Hochwasserabflüsse. Einzelne Scheitelabflüsse lagen weit über den bisher gemessenen Ereignissen oder den HQ100-Abflüssen, d.h. dass sie statistisch seltener als einmal in 100 Jahren auftreten. Diese hohen Hochwasserabflüsse sowie mehrere Dammbrüche haben zu schweren Überflutungen geführt.
Publikationen
Schröter, K., Kunz, M., Elmer, F., Mühr, B., & Merz, B. (2015): What made the June 2013 flood in Germany an exceptional event? A hydro-meteorological evaluation. Hydrology and Earth System Sciences, 19(1), 309–327. doi: 10.5194/hess-19-309-2015
Tarasova, L., Basso, S., Zink, M., Merz, R. (2018a): Exploring controls on rainfall‐runoff events: 1. Time series‐based event separation and temporal dynamics of event runoff response in Germany, Water Resour. Res. 54 (10), 7711 - 7732 doi: 10.1029/2018WR022587
Tarasova, L., Basso, S., Poncelet, C., Merz, R. (2018b): Exploring controls on rainfall‐runoff events: 2. Regional patterns and spatial controls of event characteristics in Germany, Water Resour. Res. 54 (10), 7688 - 7710. https://doi.org/10.1029/2018WR022588
Tarasova, L., Basso, S., Wendi, D., Viglione, A., Kumar, R., Merz, R. (2020): A process‐based framework to characterize and classify runoff events – the event typology of Germany, Water Resour. Res. 56 (5), https://doi.org/10.1029/2019WR026951
Verschiedene Kombinationen aus Niederschlagsmengen bzw. -intensitäten, der Wasseraufnahmefähigkeit des Bodens und der Topographie des Einzugsgebiets können zu Hochwasserereignissen führen, die sich in ihrer räumlichen Ausdehnung sowie in der Höhe, Dauer und Dynamik der Überflutungen deutlich unterscheiden können (Merz, Tarasova & Basso, 2020).
So waren aufgrund der erheblichen Niederschlagsmengen im Herbst, insbesondere im November 2023, die Böden gegen Ende des letzten Jahres kaum noch in der Lage, zusätzlichen Niederschlag aufzunehmen. Die Kombination aus Niederschlägen und Schneeschmelze um die Weihnachtszeit 2023 führte dann zu erheblichen Abflussmengen in vielen deutschen Flüssen und der daraus resultierenden Hochwasserlage. Im Unterschied zur Hochwassersituation in Süddeutschland in den vergangenen Wochen im Juni 2024 waren jedoch die Niederschlagsintensitäten zum Jahreswechsel 2023/24 geringer, so dass in zahlreichen Flüssen keine extremen Hochwasserabflüsse auftraten und der Hochwasserschutz extreme Schäden verhindern konnte (https://climxtreme.net/index.php/en/component/content/article/33-news/47-hochwasserlage-dezember-23-januar-24).
Die Schäden waren dennoch erheblich. Allein in Niedersachsen werden die Reparaturkosten für Straßen, Eisenbahnlinien und Deiche mit 170 Mio. Euro beziffert.
Das Hochwasser in Süddeutschland ist nicht mit dem Ahr-Hochwasser 2021 vergleichbar. Zwar lagen die Niederschlagsmengen innerhalb von 48 Stunden beim Hochwasser im Ahrtal mit 100 bis 150 l/m², lokal bis zu 200 l/m² in einer ähnlichen Größenordnung wie beim Hochwasser in Süddeutschland, jedoch führten die Niederschläge aufgrund des im Vergleich deutlich kleinräumigeren Niederschlagsschwerpunktes und der Enge des Tals zu einer riesigen, schnell abfließenden Hochwasserwelle im Ahrtal. Das schnelle Einsetzen des Hochwassers, die hohen Fließgeschwindigkeiten, die großen Wassertiefen und die große Überflutungsfläche waren außergewöhnlich extrem (Apel et al., 2022). Die Überschwemmung übertraf deutlich die im Juli 2021 vorliegende amtliche Gefahrenkarte für das Extremhochwasserszenario (Vorogushyn et al., 2022). Dieses Extremhochwasser hatte im Ahrtal katastrophale Folgen mit 134 Todesopfern und verursachte einen wirtschaftlichen Schaden von rund 20 Milliarden Euro (Rhein und Kreibich, 2024). Das Hochwasser 2024 in Süddeutschland forderte sechs Todesopfer und weitere Vermisste und verursachte einen vorläufig geschätzten versicherten Schaden von rund zwei Milliarden Euro.
Publikationen
Apel, H., Vorogushyn, S., Merz, B. (2022): Brief communication: Impact forecasting could substantially improve the emergency management of deadly floods: case study July 2021 floods in Germany. NHESS, 22, 9, 3005-3014, https://doi.org/10.5194/nhess-22-3005-2022
Rhein, B., Kreibich, H (2024) Ursachen für die außergewöhnlich hohe Zahl der Todesfälle beim Hochwasser 2021 im Ahrtal. Forum für Hydrologie und Wasserbewirtschaftung Heft 45.24, 55-61, https://de.dwa.de/de/publikationen-7094.html
Merz, R., Tarasova, L., and Basso, S. (2020). The flood cooking book: ingredients and regional flavors of floods across Germany. ERL, 15(11), 114024. https://doi.org/10.1088/1748-9326/abb9dd
Vorogushyn, S., Apel, H., Kemter, M., & Thieken, A. H. (2022). Analyse der Hochwassergefährdung im Ahrtal unter Berücksichtigung historischer Hochwasser. Hydrologie Und Wasserbewirtschaftung, 66(5), 244–254. https://doi.org/10.5675/HyWa_2022.5_2
Aus dem Eintrag von fäkalen Keimen ins Hochwasser – u. a. aus Kleinkläranlagen – können sich regionale Problemfälle von einigen Wochen bis Monate ergeben. Keimbelastetes Trinkwasser als Nahrungsmittel ist in diesen Fällen abzukochen, wie im Bereich der Wasserversorgung Unteres Schussental bekanntgegeben, und / oder durch die Trinkwasserwerke zu chloren. Eine Keim- bzw. Schadstoffbelastung von überfluteten öffentlichen Spielplätzen ist nicht auszuschließen, wie in Lauffen, wo eine Nutzung behördlich untersagt wurde. Eine Nutzung sollte deshalb erst erfolgen, wenn diese Plätze durch kommunale Behörden freigegeben wurden.
Schimmelbefall überfluteter Gegenstände, der auch längerfristig anhalten kann, kann gesundheitsschädigende Wirkungen aufweisen. Ggf. ist eine Schutzmaske zu tragen; Hautkontakte sollten vermieden werden (1).
Langfristige, lokale Schäden durch Schadstoffeinträge sind durch ausgetretenes Heizöl aus Heizöltanks / Ölbrennern zu erwarten und u. a. in Nordendorf aufgetreten. Präventionsmaßnahmen sind im Internet u.a. durch das Ministerium für Umwelt im Saarland (2) und das Bayerische Landesamt für Umwelt (3) im Internet veröffentlicht.
Inwieweit weitere Schadstoffe lokal von in Unterführungen überschwemmten Fahrzeugen ausgetreten sind, ist nicht bekannt. Oftmals wird die Watfähigkeit von PKW´s, SUV´s und Kleintransportern überschätzt. Wassertiefen von mehr als 20 cm sind mit einem gewöhnlichen PKW kaum passierbar.
Unterschätzt werden auch ge- oder überflutete Kleingartenhäuser oder Keller, in denen oft u. a. Pestizide, Farben und Lösungsmittel gelagert werden. Treten Behälter in den Kontakt mit Wasser, sind lokale Schadstoffbelastungen nicht auszuschließen. Aufklärungskampagnen wie unter SWR Wissen (4) sind hilfreich.
Als eine wesentliche Präventions- und Sicherheitsmaßnahme im Zusammenhang mit hochwasserbedingten Schadstoffaus- bzw. -einträgen sind die Hygieneregeln zu nennen. So rät das Robert Koch-Institut: „sich nach Überschwemmungsgeschehen bei der Reinigung von Häusern und Wohnungen durch Gummistiefel, wasserdichte Handschuhe und wasserabweisende Kleidung vor dem Kontakt mit möglicherweise mit Krankheitserregern verunreinigtem Wasser zu schützen und sich vor der Zubereitung und dem Verzehr von Lebensmitteln sowie dem Rauchen sorgfältig die Hände mit hygienisch einwandfreiem Wasser zu waschen.“ (5) Diese Maßnahmen schützen auch vor Kontakten mit anderen Schadstoffen.
Weitere mögliche hochwasserbedingte Schadstoffeinträge aus dem Bergbau, der Landwirtschaft sowie von Altlasten aus der Industrie und dem Gewerbe sind oftmals sehr regional und so spezifisch, dass keine allgemeingültigen Aussagen getroffen werden können. Einerseits sind die Eigentümer verpflichtet, solche Schadstoffausträge zu melden. Andererseits haben staatliche Behörden Kenntnis von möglichen Belastungsquellen. Bei Verdachtsfällen sind im Nachgang des Hochwasserereignisses notwendige Untersuchungen entsprechend der Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung erforderlich, aus denen sich ggf. Sanierungsmaßnahmen ableiten.
Quellen:
(1) Häufige Fragen bei Schimmelbefall. https://www.umweltbundesamt.de/themen/gesundheit/umwelteinfluesse-auf-den-menschen/schimmel/haeufige-fragen-bei-schimmelbefall#haufige-fragen-bei-schimmelbefall, abgerufen 13.06.2024
(2) Hochwasser und Heizölverbraucheranlagen. https://www.saarland.de/mukmav/DE/portale/wasser/informationen/heizoelverbraucheranlagen/heizoelverbr-hochwasser, abgerufen 13.06.2024
(3) Sichere Heizöllagerung im Überschwemmungsgebiet, abgerufen 13.06.2024
(4) Hochwasser birgt gesundheitliche Risiken. https://www.swr.de/wissen/hochwasser-in-sueddeutschland-gesundheit-risiko-100.html, abgerufen 13.06.2024
(5) Infektionsrisiken in Überschwemmungsgebieten in Deutschland. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/U/Ueberschwemmung/Infektionsrisiken.html, abgerufen 13.06.2024
Die zahlreichen Hochwasserereignisse der letzten Monate, das großräumige Hochwasser im Dezember und Januar 2023/2024, das Hochwasser im Saarland im Mai 2024 und das Hochwasser in Süddeutschland sind beunruhigend und haben erneut zur Diskussion einer Versicherungspflicht geführt. Der hessische Ministerpräsident Boris Rhein in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz hat die Bundesregierung aufgefordert, eine Versicherungspflicht gegen Elementarschäden einzuführen. Die von der Ampel vorgeschlagene Angebotspflicht reicht den Ministerpräsidenten nicht aus. Forderungen nach einer Pflichtversicherung gegen Hochwasser wurden bisher abgelehnt. Auch am 20. Juni 2024, als der Bundeskanzler und die Länder über eine Pflichtversicherung für Elementarschäden beraten haben, konnten sich Bund und Länder nicht auf eine Hochwasser-Versicherungspflicht einigen (ZDF, 21. Juni 2024; Schäden durch Extremwetter:Bund lehnt Pflichtversicherung weiter ab / https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/pflichtversicherung-hochwasser-bund-laender-treffen-100.html).
Insbesondere das Hochwasser 2002 hatte eine politische Diskussion über eine Hochwasser-Pflichtversicherung ausgelöst, die schließlich 2004 vor allem an der mangelnden Bereitschaft scheiterte, eine staatliche Garantie für extreme Schäden zu übernehmen (Schwarze & Wagner, 2004). Die Diskussion wurde nach dem Hochwasser 2013 wieder aufgenommen, führte aber letztlich zum gleichen Ergebnis. Angesichts der durch den Klimawandel zu erwartenden Zunahme von immer extremeren Hochwasserereignissen (Merz et al. 2021) und der Schwierigkeiten bei der Bewältigung noch nie dagewesener Ereignisse (Kreibich et al. 2022) wird jedoch eine Versicherungslösung zur Abdeckung des Restrisikos immer dringlicher.
Versicherungen können nach einem Hochwasser die Kosten zur Beseitigung des Schadens übernehmen. Sie tragen aber auch aktiv zur Schadensreduktion bei, indem kostengünstige Maßnahmen im Zuge von Vor-Ort-Inspektionen identifiziert werden und somit kleine und häufige Schäden gar nicht erst auftreten. Dazu zählt etwa, Kellerschächte abzudichten, durch die Wasser eindringen könnte.
Publikationen
Kreibich, H., Loon, A. F. V., Schröter, K., et al. (2022): The challenge of unprecedented floods and droughts in risk management. - Nature, 608, 80-86, https://doi.org/10.1038/s41586-022-04917-5
Merz, B., Blöschl, G., Vorogushyn, S., Dottori, F., Aerts, J. C. J. H., Bates, P., Bertola, M., Kemter, M., Kreibich, H., Lall, U., Macdonald, E. (2021): Causes, impacts and patterns of disastrous river floods. - Nature Reviews Earth & Environment, 2, 592-609, https://doi.org/10.1038/s43017-021-00195-3
Schwarze, R., Wagner, G.G. (2004). In the aftermath of Dresden: New directions in German flood insurance. Geneva Papers on Risk and Insurance—Issues and Practise, 29(2), 154–168.
Kommentar von Reimund Schwarze, Franz Sinabell (Der Standard, 10. Juni 2024) https://www.derstandard.at/story/3000000223235/land-unter-und-wer-zahlt-danach
Die Maßnahmen zum technischen Hochwasserschutz wie der Bau von Deichen, Dämmen und Retentionsräumen reichen mehrere Jahrzehnte zurück. Nach dem Hochwasser 2013 im Elb- und Donaugebiet, das ebenfalls wie das aktuelle Hochwasser durch ein Vb-Zyklon ausgelöst wurde, beschloss die Umweltministerkonferenz die Erarbeitung und Umsetzung des Nationalen Hochwasserschutzprogramms (NHWSP), um den Hochwasserschutz weiter zu verstärken. Das Programm umfasst insgesamt 242 Einzelmaßnahmen an Donau, Elbe, Rhein, Oder und Weser, darunter 33 Deichrückverlegungen und 61 gesteuerte Hochwasser-Retentionsräume. Das geschätzte erforderliche Investitionsvolumen beträgt 6,7 Milliarden Euro. Beispielsweise sollte im Donaugebiet ein zusätzliches Hochwasser-Rückhaltevolumen von 255 Mio. m3 geschaffen werden (LAWA, 2023). Die Wirksamkeit der geplanten Maßnahmen wurde in einer umfassenden modellbasierten Studie der Bundesanstalt für Gewässerkunde im Auftrag vom Umweltbundesamt untersucht und positiv bewertet. Allerdings wurden bisher (Stand November 2022) nur 9 Maßnahmen umgesetzt. Die meisten Maßnahmen befinden sich in der Konzeptions-, Planungs-, Genehmigungs- oder Bauphase.
Quellen
https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/untersuchungen-zur-ermittlung-der-wirkungen-von
https://www.lawa.de/documents/230531-broschuere-10-jahre-nhwsp-barr_1685951529.pdf
LAWA (2023): 10 Jahre Nationales Hochwasserschutzprogramm (NHWSP). Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA).
Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass Hochwasser, bei denen gleichzeitig mehrere Einzugsgebiete und Flussabschnitte betroffen sind, zunehmen (Kemter et al., 2020, Fang et al., 2024). Das Weihnachtshochwasser 2023/2024 war das ausgedehnteste Hochwasser seit über 10 Jahren und auf Rang 9 in den letzten 70 Jahren. Diese zunehmende Ausdehnung ist auf die Veränderung der Hochwasserprozesse zurückzuführen, die mit den aktuellen Klimaänderungen im Einklang gesehen werden können. Solche Ereignisse stellen den Hochwasserschutz vor große Herausforderungen. Eine grenzüberschreitende Kooperation wird zunehmend wichtiger – sowohl bei der Bewältigung von Hochwasserlagen als auch für den koordinierten Hochwasserschutz und Vorsorgemaßnahmen. Zum Beispiel wird die flächendeckende Stärkung von Einsatzkapazitäten, technischer Ausrüstung und Logistik nötig sein, um innerhalb eines kurzen Zeitraums in mehreren Kommunen und Gemeinden die Hochwasserfolgen bewältigen zu können.
Publikationen und Quellen
Fang, B., Bevacqua, E., Rakovec, O., and Zscheischler, J. (2024).: An increase in the spatial extent of European floods over the last 70 years, EGUsphere [preprint], https://doi.org/10.5194/egusphere-2023-2890
Kemter, M., Merz, B., Marwan, N., Vorogushyn, S., & Blöschl, G. (2020). Joint Trends in Flood Magnitudes and Spatial Extents Across Europe. Geophysical Research Letters, 47(7), e2020GL087464. doi:10.1029/2020gl087464
https://climxtreme.net/images/climxtreme/general/ClimXtreme_weihnachtshochwasser23.pdf
Eine Studie hat europaweit Veränderungen in Hochwasserabflüssen während der letzten Dekaden untersucht. Für Mitteleuropa und Nordwesteuropa ergaben sich überwiegend statistisch signifikante Zunahmen, d.h. die Hochwasserstände haben in den letzten Jahrzehnten großräumig zugenommen. Wir sehen in den Beobachtungsdaten auch, dass Extremniederschläge zunehmen.
Eine Studie hat beispielsweise die Anzahl von Rekordniederschlägen von tausenden von Klimastationen ausgewertet. Es zeigt sich, dass in den letzten Jahren die Anzahl von Rekordniederschlägen, also Niederschlägen, die bisher an diesen Stationen noch nicht gemessen wurden, weltweit um 30 Prozent höher liegen, als man in einer Welt ohne Klimawandel erwarten würde.
Publikationen
Blöschl, G., Hall, J., Viglione, A., Perdigão, R. A. P., Parajka, J., Merz, B., . . . Živković, N. (2019). Changing climate both increases and decreases European river floods. Nature, 573(7772), 108-111. doi:10.1038/s41586-019-1495-6
Robinson, A., Lehmann, J., Barriopedro, D., Rahmstorf, S., & Coumou, D. (2021). Increasing heat and rainfall extremes now far outside the historical climate. Npj Climate and Atmospheric Science, 4(1), 3–6. https://doi.org/10.1038/s41612-021-00202-w
Der Klimawandel verändert die Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten von extremen Wetterereignissen und damit von Überschwemmungen. Diese Veränderungen sind aber regional und für verschiedene Hochwassertypen unterschiedlich (Kemter et al., 2020; Tarasova et al., 2023). Eine sehr direkte Verbindung zwischen Klimawandel und Hochwasser besteht bei lokalen Überschwemmungen, ausgelöst durch kurze und heftige Regenfälle, wie zum Beispiel durch Gewitter. Durch die Erderwärmung erhöhen sich insbesondere die lokalen Starkniederschläge, und wir sehen in Deutschland eine Tendenz zu mehr konvektionsträchtigen Wetterlagen.
Die Auswirkungen des Klimawandels auf Flusshochwasser sind weniger eindeutig. Hier kommt es auf das Zusammenspiel von Starkniederschlag und Wassergehalt im Einzugsgebiet (z.B. im Boden und Grundwasser) an. Außerdem spielen in Gebirgsregionen die Auswirkungen des Klimawandels auf Schneefall und Schneeschmelze eine Rolle. Insgesamt werden wir aber öfter als bisher in eine Situation kommen, in der die bisherigen Schutzmaßnahmen überlastet sind.
Insofern braucht es neben technischen Schutzmaßnahmen wie Deichen und Rückhaltebecken eine bessere Vorbereitung auf solche Extremereignisse. Eine sinnvolle Maßnahme ist die Verbesserung der Warnsysteme und der Reaktion der Bevölkerung bei Extremsituationen (Najafi et al., 2024). Nur wenn die Menschen informiert sind und wissen, was zu tun ist, können sie im Notfall gut reagieren (Kreibich et al., 2021).
Eine weitere Maßnahme ist es, unsere kritische Infrastruktur (z.B. Energie- und Wasserversorgung, Krankenhäuser) und unsere sensible Infrastruktur (z.B. Pflegeheime) Stresstests zu unterziehen, neuralgische Punkte zu identifizieren und dafür zu sorgen, dass in solchen Fällen die Schäden und Ausfälle weitgehend reduziert werden können.
Publikationen
Husain Najafi, Pallav Kumar Shrestha, Oldrich Rakovec, Heiko Apel, Sergiy Vorogushyn, Rohini Kumar, Stephan Thober, Bruno Merz, and Luis Samaniego: High-Resolution Impact-based Early Warning System for Riverine Flooding. Nature Communications, https://doi.org/10.1038/s41467-024-48065-y
Kreibich, H., Hudson, P., & Merz, B. (2021). Knowing What to Do Substantially Improves the Effectiveness of Flood Early Warning. Bulletin of the American Meteorological Society, 102(7), E1450-E1463. https://doi.org/10.1175/BAMS-D-20-0262.1
Kemter, M., Merz, B., Marwan, N., Vorogushyn, S., & Blöschl, G. (2020). Joint Trends in Flood Magnitudes and Spatial Extents Across Europe. Geophysical Research Letters, 47(7), e2020GL087464. https://doi.org/10.1029/2020GL087464
Tarasova, L., Lun, D., Merz, R., Blöschl, G., Basso, S., Bertola, M., Miniussi, A., Rakovec, O., Samaniego, L., Thober, S., Kumar, R. (2023): Shifts in flood generation processes exacerbate regional flood anomalies in Europe, Commun. Earth Environ. 4, doi:10.1038/s43247-023-00714-8
Aus hydrologischer Sicht sprechen wir nicht von Jahrhunderthochwasser, sondern von 100-jährlichem Hochwasser. Dieser Begriff drückt aus, dass wir durchschnittlich einmal in 100 Jahren mit einem solchen Ereignis an einem bestimmten Ort rechnen müssen. Das bedeutet aber nicht, dass ein solches Ereignis alle 100 Jahre eintritt, denn Extremhochwasser treten nicht regelmäßig auf. Es bedeutet, dass wir in einem bestimmten Jahr eine 1-Prozent-Wahrscheinlichkeit für ein solches Ereignis haben. Es können auch mehrere solche Ereignisse in wenigen Jahren auftreten.
Ein weiterer Aspekt ist, dass der Begriff 100-jährliches Hochwasser von einer konstanten Umwelt ausgeht. Durch den Klimawandel und Eingriffe in unsere Landschaften und Flüsse verändert sich aber die Wahrscheinlichkeit, mit der ein bestimmtes Hochwasser auftritt. Was gestern ein 100-jährliches Hochwasser war, kann heute beispielsweise ein 20-jährliches Ereignis sein.
Aus diesen Gründen, aber auch aus psychologischen Gründen ist der Begriff Jahrhunderthochwasser problematisch. Er kann leicht interpretiert werden als das schlimmste Hochwasser, was in einem Jahrhundert passieren kann. Und wenn ein solches Jahrhunderthochwasser eingetreten ist, klingt es, als ob das nächste vergleichbar schwere Ereignis erst weit in der Zukunft passieren kann. Beides ist aber nicht der Fall. Auch wenn es für Bürger:innen nicht so gut eingängig ist wie der Begriff Jahrhunderthochwasser, wäre es wohl besser, mit Wahrscheinlichkeiten zu arbeiten. Und zu vermitteln, dass sich diese Wahrscheinlichkeiten vor allem durch den Klimawandel verändern können.
Wie gut Hochwasser regional vorhergesagt werden können, hängt unter anderem davon ab, wie gut die Niederschlagsvorhersagen sind. Beim aktuellen Ereignis traten großräumige Starkniederschläge kombiniert mit gewittrigen Einlagerungen auf. Während Großwetterlagen mit einigen Tagen Vorlauf relativ sicher vorhergesagt werden können, erschweren Gewitter die genaue Vorhersage erheblich. Kombinationen aus Landregen und Gewitter bereiten daher beim Warnmanagement große Probleme (1). Als beispielsweise in Sachsen Ende Mai erste Hochwasser-Vorwarnungen herausgegeben wurden, bestanden laut DWD noch Unsicherheiten bezüglich der räumlichen Ausdehnung und Menge des Niederschlags (2).
Quellen
(1) Jahrhunderthochwasser in Süddeutschland - eine Nachlese. https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2024/6/4.html, abgerufen 14.06.2024
(2) Hochwasser – Vorwarnung für weite Teile Sachsens. https://www.medienservice.sachsen.de/medien/news/1076076, abgerufen 14.06.2024
Die Expert:innen:
Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches Geoforschungszentrum (GFZ)
https://www.gfz-potsdam.de/
Dr. Sergiy Vorogushyn
Priv. Doz. Dr. Heidi Kreibich
M.Sc. Elena Macdonald
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
https://www.ufz.de
Prof. Dr. Ralf Merz
Prof. Dr. Sabine Attinger
Dr. Andreas Marx
Dr. Larisa Tarasova
Dr. Wolf von Tümpling
Prof. Dr. Reimund Schwarze
Die FAQ des GFZ von Januar 2024:
https://www.gfz-potsdam.de/presse/meldungen/detailansicht/fragen-und-antworten-zur-aktuellen-hochwasserlage-in-deutschland
https://www.ufz.de/index.php?de=51222
Kontakt Pressestellen
GFZ / Kommunikation & Medien / presse@gfz-potsdam.deUFZ / Presse- und Öffentlichkeitsarbeit / presse@ufz.de