Naturschutzfachliche bundesweite Waldpotenzialkarte für die vorgelagerte Planung

Erstellung einer bundesweiten Karte beziehungsweise GIS-Anwendung, die auf der Basis von Fernerkundungsdaten und einer darauf beruhenden Baumartenerkennung eine naturschutzfachliche Bewertung von Wäldern für die vorgelagerte Planung bereitstellt

Laufzeit:
01.11.2023 - 31.10.2026
Projektleitung:
Dr. Maximilian Lange
Arbeitsgruppenleitung:
Dr. Daniel Doktor
Doktorandin:
Elisabeth Rahmsdorf
Unterauftrag:
Ulrike Faude (IVL)
Fachbetreuung:
Dr. Klaus Follner (BfN)

Zusammenfassung

Nationale Planungsverfahren, wie der Ausbau des Stromnetzes in Deutschland, verfügen derzeit nicht über räumlich explizite Informationen über die naturschutzfachliche Bewertung von Waldökosystemen. Solch eine Bewertung erfordert flächendeckende Daten über die Zusammensetzung und Struktur von Wäldern. Das hier vorgestellte Projekt nutzt Copernicus-Satellitendaten und Methoden des maschinellen Lernens bzw. der künstlichen Intelligenz, um aktuelle Methoden zur Erkennung von Baumartengruppen zu verbessern.


Eine solche wurde im Vorgängerprojekt “Wakanaka” entwickelt. Die Baumartenklassifizierung wird hier mit ergänzenden Umweltinformationen wie Topografie, Wasserverfügbarkeit und Klima kombiniert und verbessert. Die Ergebnisse werden nachfolgend im Hinblick auf Naturschutzmerkmale bewertet. Dabei werden auch fernerkundlich abgeleitete Informationen zur Waldstruktur einbezogen, deren Zusammenhang mit Biodiversitätsindikatoren im Projekt analysiert wird. Die resultierenden, räumlich expliziten Informationen über das Naturschutzpotenzial von Wäldern können anschließend zur Unterstützung nationaler Planungsverfahren genutzt werden.

Hintergrund und Motivation

Großräumige Planungsverfahren, wie etwa der nationale Stromnetzausbau, benötigen eine bundeseinheitliche Datengrundlage. Im Rahmen der Bundeskompensationsverordnung (BKompV) wurden naturschutzrechtliche Eingriffsregelung länderübergreifend vereinheitlicht. Ein besonderer Bedarf besteht hierbei für Informationen über die naturschutzfachliche Bewertung von Waldökosystemen. Solch eine Bewertung erfordert flächendeckende Daten über die Zusammensetzung und Struktur von Wäldern. Fernerkundungsdaten bieten die Möglichkeit, Waldökosysteme in hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung abzubilden. Im Vorgängerprojekt “Wakanaka” (Preidl & Faude 2020, FKZ 3517860800) ist es gelungen, einen prototypischen Ansatz zur Klassifikation von Baumarten mittels Copernicus Sentinel-2A-Daten zu entwickeln. Dabei wurden zehn Baumartenklassen ausgewiesen und eine Genauigkeit von etwa 77% erzielt. Anschließend wurde eine darauf basierende naturschutzfachliche Bewertung von Wäldern durchgeführt. Die Natürlichkeit der Baumartenzusammensetzung wurde mittels einer Karte der potentiell natürlichen Vegetation bestimmt. In Kombination mit Kronenhöhenmodellen wurde die Baumartenkarte in Waldeinheiten untergliedert und deren Naturschutzwert anhand ihrer Natürlichkeit ermittelt.


Im Rahmen von Nawapoka soll nun der prototypische Ansatz zur Klassifikation sowie die naturschutzfachliche Bewertung ausgebaut werden. Hierfür werden i) weitere Forstinventurdaten zum Trainieren des Klassifikationsmodells akquiriert, ii) weitere Umweltdaten, wie Topographie-, Boden- und Klimainformationen in die Klassifikation einbezogen, sowie iii) Biodiversitätsinformationen in die naturschutzfachlichen Bewertung integriert werden, die aus Strukturmerkmalen, wie etwa Texturen oder Höhenvarianzen der Wälder gewonnen werden können.

Daten

Der Kern des Projekts besteht somit aus der Inwertsetzung von Daten verschiedener Quellen. Als Satellitendaten finden Satellitendaten der Copernicus-Satelliten Sentinel-2 A und B mit 20 m räumlicher Auflösung Anwendung. Sie bieten einen guten Kompromiss aus spektraler, zeitlicher und räumlicher Anwendung und sind kostenfrei und flächendeckend für Deutschland verfügbar. In Kombination mit dem digitalen Landschaftsmodell (Basis-DLM) des Amtlichen Topographisch-Kartographischen Informationssystems (ATKIS) des Bundesamts für Kartographie und Geodäsie (BKG) wird in einem ersten Schritt eine jährliche Karte der bewaldeten Fläche Deutschlands erstellt, um als Basis für weitere Berechnungen zu dienen.


Die Modelle zur Ableitung der Baumartenzusammensetzung werden mittels Forsteinrichtungs- und Biotopdaten der Länder trainiert und validiert. Erstere liegen dem UFZ bereits aus Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Hessen, Sachsen, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Thüringen vor. Biotopdaten ergänzen die Datengrundlage für besonders wertvolle Arten und wurden aktuell für Brandenburg akquiriert. Daten für Rheinland-Pfalz befinden sich gerade in der Beschaffung. Die deutschlandweite Anwendung der Modelle könnte von Daten der Bundeswaldinventur profitieren. Das Projektteam befasst sich aktuell mit der Beschaffung der Daten.

Die Baumartenklassifizierung wird im Projekt durch Umweltinformationen erweitert. Diese bestehen aus Topographie, Boden- und Klimainformationen. Topographische Daten werden hierbei aus dem digitalen Geländemodell des BKGs gewonnen. Dies sind unter anderem Höhe, Hangneigung, Hangausrichtung und die reliefbedingte Bodenfeuchte. Bodeninformationen stammen aus dem Geoportal der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Hierbei werden vor allem die Bodenübersichtskarte
(BÜK1000) und die Karte der Bodenart verwendet.

Klimainformationen werden aus dem Downloadportal (Climate Data Center, CDC) des Deutschen Wetterdiensts (DWD) bezogen. Hierbei werden monatliche Mittelwerte der täglichen Lufttemperaturen von 1981-2023, der monatlichen Niederschlagssumme von 1981-2023 und der pflanzenverfügbaren Bodenfeuchte von 1991-2023 verwendet. Die Analyse von Strukturmerkmalen von Wäldern erfolgt hauptsächlich durch die Analyse von Kronenhöhenmodellen, die aus der Differenz von digitalen Oberflächenmodellen (basierend auf LiDAR-Daten oder bildgebenden Verfahren) und dem digitalen Geländemodell hervorgehen (s. Abb. 1).

Prinzip zur Erstellung des Kronhöhenmodells aus digitalem Oberflächenmodell (DSM) und digitalem Geländemodell (DTM) Abb. 1: Prinzip zur Erstellung des Kronhöhenmodells (CHM) aus digitalem Oberflächenmodell (DSM) und digitalem Geländemodell (DTM).


Die naturschutzfachliche Bewertung greift auf die Karte der potentiellen natürlichen Vegetation Deutschlands zurück.

Methoden

Die Arbeiten des Projekts gliedern sich grob in drei große Themenbereiche: i) die fernerkundliche Klassifizierung von Baumarten unter Einbeziehung von Umweltinformationen, ii) die Ermittlung der strukturellen Heterogenität von Wäldern und iii) die naturschutzfachliche Bewertung von Wäldern auf Basis der Klassifikation und der ermittelten Strukturparameter.


Fernerkundliche Baumartenklassifikation unter Einbeziehung von Umweltinformationen

Die Baumartenzusammensetzung wird mittels Methoden des maschinellen Lernens bzw. der künstlichen Intelligenz aus verschiedenen Datensätzen abgeleitet. Satellitendaten und Umweltinformationen dienen als Prädiktoren, Forsteinrichtungsdaten als Zielvariable. Das Modell wird dabei mit einem Teil der  Forsteinrichtungsdaten trainiert und mit einem anderen Teil validiert. Schlussendlich wird das Modell auf die flächig zur Verfügung stehenden Satelliten- und Umweltdaten angewendet, um jährliche, flächendeckende Karten zu erzeugen. Dabei wird die im jeweiligen Jahr bewaldete Fläche Deutschlands ebenfalls aus den Satellitendaten gewonnen. Zusätzlich zu den Baumarteninformationen werden Modellunsicherheiten ausgegeben und ausgewertet.


Ermittlung der strukturellen Heterogenität von Wäldern

Zusätzlich zur Baumartenkarte werden fernerkundlich gewonnene Strukturinformationen von Wäldern in Wert gesetzt (s. auch Abb. 2).

Abgeleitete Baumkronenhöhe für Teile des Pflälzer Waldes (  © GeoBasis-DE / BKG 2016 / 2020) Abb. 2: Abgeleitete Baumkronenhöhe für Teile des Pflälzer Waldes (© GeoBasis-DE / BKG 2016 / 2020)


Strukturelle Komplexität von Ökosystemen ist mit dem Vorhandensein vielfältiger Nischen und Ressourcen verknüpft (z.B. MacArthur & MacArthur, 1961; Stein et al., 2014). Strukturreichtum, wie z.B. variable Baumkronenhöhen, unterschiedliches Baumalter und mehrere Schichten, führt u.a. auch zu Habitatdiversität und ist ein potentieller Hinweis auf das Vorhandensein kleinräumiger Sonderstandorte, wie Lichtungen, Totholz, Quellen, Moore, Sümpfe, Rinnsale, Steine, Felsen und Schutthalden. Dies leistet einen Beitrag zur Artenvielfalt (Kriebitzsch et al., 2013). Somit besteht in der Theorie ein Zusammenhang zwischen Strukturreichtum und Biodiversität (Zenner und Hibbs, 2000). Eine erhöhte strukturelle Vielfalt von Wäldern fördert zudem die Bereitstellung vielfältiger Ökosystemfunktionen (z.B. Felipe-Lucia et al., 2018; LaRue et al., 2019).

Im Projekt werden Kronenhöhenmodelle als Differenz aus fernerkundlich erfassten digitalen Oberflächenmodellen und digitalen Geländemodellen generiert. Strukturelle Informationen, wie die Baumhöhe und die Variation der Höhe des Kronendachs, werden anschließend aus diesen abgeleitet. Zudem wird untersucht, ob aus dem Kronenhöhenmodell Strukturinformationen gewonnen werden können, die in direktem Bezug zur Baumartenvielfalt stehen. Solche Informationen können nachfolgend genutzt werden, um die naturschutzfachliche Bewertung von Wäldern zu verbessern und zu untermauern. Darüber hinaus können die Ergebnisse zur Weiterentwicklung von Methoden des Biodiversitätsmonitorings beitragen. Da eine erhöhte Baumartendiversität die Gesamtbiodiversität von Wäldern fördert (Ampoorter et al., 2020) und zur Resilienz bei Störereignissen beitragen kann (Jactel et al. 2017, Messier et al., 2022), ist das Monitoring hier von großer Bedeutung.


Naturschutzfachliche Bewertung von Wäldern

Wälder bieten Lebensraum für viele Tier-, Pilz- und Pflanzenarten. Daher sind die Kriterien für eine naturschutzfachliche Bewertung von Wäldern äußerst komplex und miteinander verknüpft. Einige wichtige Merkmale naturschutzfachlicher relevanter Wälder sind z.B.:

I.       Anteil lebensraumtypischer Arten, Klimawandel-Anpassungsfähigkeit,
II.      Strukturreichtum, als Indikator für den Artenreichtum,
III.     Anteil Totholz, positiv für die Artenvielfalt,
IV.     Anteil älterer Bäume: Biotopbäume mit hohen Naturschutzwert,
V.      Vorhandensein vielfältiger kleinräumiger Sonderstandorte,
VI.     Vorkommen von seltenen, bedrohten oder geschützten Arten,
VII.    Vernetzung von Biotopen zur Artverbreitung und Überleben,
VIII.   Standortkontinuität, Ausbreitungsquelle von Arten,
IX.     Mindestausdehnung für standortspezifische  Eigenschaften.

Die Verbindung von Baumarten-, Umwelt- und Strukturinformationen ermöglicht die Bewertung von Wäldern anhand einiger dieser Kriterien.

Zielstellung

Das Ziel des Projekts ist eine flächendeckende, räumlich explizite Charakterisierung unserer Wälder in Hinblick auf Baumarten, Struktur und dem daraus abgeleiteten Naturschutzwert. Dafür wird die Methodik zur Baumartenklassifizierung mit Umweltinformationen und zusätzlichen Forstinventurdaten erweitert und verbessert. Im Projekt wird exploriert, wie Strukturinformationen genutzt werden können, um die Artenvielfalt der Wälder abzubilden.

Die naturschutzfachliche Bewertung erfolgt dann durch die Integration von fernerkundlich erfassten Baumarten, Expertenwissen, Strukturinformationen, potentiell natürlicher Vegetation und zusätzlicher Umweltinformationen. Die finale Ausweisung der Schutzwürdigkeit von Wäldern kann damit als eine wichtige Entscheidungsgrundlage für politische und planerische Entscheidungsprozesse dienen, mit der ein Beitrag zum Erhalt der biologischen Vielfalt und zum Klimaschutz geleistet werden kann.

Literatur

Ampoorter, E., Barbaro, L., Jactel, H., Baeten, L., Boberg, J., Carnol, M., Castagneyrol, B., Charbonnier, Y., Dawud, S. M., Deconchat, M., Smedt, P. D., Wandeler, H. D., Guyot, V., Hättenschwiler, S., Joly, F.-X., Koricheva, J., Milligan, H., Muys, B., Nguyen, D., … Allan, E. (2020). Tree diversity is key for promoting the diversity and abundance of forest-associated taxa in Europe. Oikos, 129(2), 133–146.

Felipe-Lucia, M. R., Soliveres, S., Penone, C., Manning, P., van der Plas, F., Boch, S., Prati, D., Ammer, C., Schall, P., Gossner, M. M., Bauhus, J., Buscot, F., Blaser, S., Blüthgen, N., de Frutos, A., Ehbrecht, M., Frank, K., Goldmann, K., Hänsel, F., … Allan, E. (2018). Multiple forest attributes underpin the supply of multiple ecosystem services. Nature Communications, 9(1), 4839.

Jactel, H., Bauhus, J., Boberg, J., Bonal, D., Castagneyrol, B., Gardiner, B., Gonzalez-Olabarria, J. R., Koricheva, J., Meurisse, N., & Brockerhoff, E. G. (2017). Tree Diversity Drives Forest Stand Resistance to Natural Disturbances. Current Forestry Reports, 3(3), 223–243.

Kriebitzsch, W.-U., Bültmann, H., von Oheimb, G., Schmidt, M., Thiel, H. & J. Ewald (2013). Forest-specific diversity of vascular plants, bryophytes, and lichens. In: Kraus D., Krumm F. (Hrsg.). Integrative approaches as an opportunity for the conservation of forest biodiversity. European Forest Institute. 284 S. 158-169.

LaRue, E. A., Hardiman, B. S., Elliott, J. M., & Fei, S. (2019). Structural diversity as a predictor of ecosystem function. Environmental Research Letters, 14(11), 114011. MacArthur, R. H., & MacArthur, J. W. (1961). On Bird Species Diversity. Ecology, 42(3), 594–598.

Messier, C., Bauhus, J., Sousa-Silva, R., Auge, H., Baeten, L., Barsoum, N., Bruelheide, H., Caldwell, B., Cavender-Bares, J., Dhiedt, E., Eisenhauer, N., Ganade, G., Gravel, D., Guillemot, J., Hall, J. S., Hector, A., Hérault, B., Jactel, H., Koricheva, J., … Zemp, D. C. (2022). For the sake of resilience and multifunctionality, let’s diversify planted forests! Conservation Letters, 15(1), e12829.

Preidl, S. & Faude, U. (2020). Abschlussbericht: Baumartenklassifizierung und naturschutzfachliche Bewertung von Wäldern mit Fernerkundungsdaten - Entwicklung eines prototypischen Ansatzes, BfN. FKZ: 3517860800

Stein, A., Gerstner, K., & Kreft, H. (2014). Environmental heterogeneity as a universal driver of species richness across taxa, biomes and spatial scales. Ecology Letters, 17(7), 866–880. 

Zenner, E.K. & D. E. Hibbs (2000): A new method for modeling the heterogeneity of forest structure. Forest Ecology and Management 129: 75-87