BIOKONCHIL
Bewertung biologischer Vielfalt unter der Perspektive des Ökosystemansatzes der Biodiversitätskonvention, am Beispiel der südchilenischen Insel Navarino (Feuerland, Kap Hoorn Archipel)
Projektleitung: Prof Dr. Kurt Jax
Bearbeitung: Uta Berghöfer, Sanja Fistric, Dr. Elke Schüttler
Förderung durch: BMBF im Rahmen des BioTEAM-Programmes (FKZ 01LM0208)
Kooperationen: Institut für Agrarökonomie, Universität Göttingen, Unabhängige Stiftung Omora, Puerto Williams, Chile
Projektlaufzeit: Juli 2003 bis Mai 2007
Projektbeschreibung
Die Untersuchungsregion und ihre Bedingungen
Das Projekt hatte zum Ziel, die Umsetzung von Maßnahmen des Naturschutzes und der sozioökonomischen Entwicklung im Sinne der Biodiversitätskonvention (CBD), speziell unter der Perspektive des sogenannten Ökosystemansatzes der Konvention, anhand einer Beispielregion in Südchile (Insel Navarino, Kap Hoorn-Archipel) bewerten. Diese Region ist eines der wenigen nicht fragmentierten und wenig überformten gemäßigten Waldgebiete der Erde. Sie zeichnet sich zum einen durch eine hohe biologische Vielfalt (vor allem Habitatvielfalt, aber auch von bislang häufig vernachlässigten Artengruppen wie Moose und Flechten) und Naturnähe sowie auch eine hohe kulturelle Vielfalt aus. Auf der anderen Seite bedrohen in jüngster Zeit Planungen für ökonomische Projekte wie Lachsfarmen, intensiver Tourismus sowie der Ausbau von Straßen und anderer Infrastruktur Funktion, Struktur und Zusammensetzung der biologischen Vielfalt im äußersten Süden Amerikas. Menschliche Einflüsse auf lokaler, regionaler und globaler Skala, verbunden mit einem rapiden sozialen und ökonomischen Strukturwandel, werden in naher Zukunft das Schicksal der dortigen biologischen Vielfalt dramatisch beeinflussen.
BIOKONCHIL sollte einen substantiellen Beitrag zur Formulierung einer Anzahl von Entwicklungs- und Naturschutzstrategien leisten, und zwar im Anschluss an und in Erweiterung von lokalem Wissen und laufenden innovativen Projekten in der Region. Ziel war es, naturwissenschaftliche Erkenntnisse, (sozio-)ökonomische und umweltethische Bewertungsverfahren zu koppeln und aufbauend darauf Entscheidungshilfen für die künftige Entwicklung der Region zu geben. Diese Verknüpfung hat ökologische Theorien, vor allem das Ökosystemkonzept, für die Strukturierung interdisziplinärer Forschungsprojekte des Naturschutzes und der nachhaltigen Entwicklung nutzbar gemacht. Dabei wurde großer Wert auf eine enge Einbindung der unterschiedlichen betroffenen Akteure und Interessengruppen gelegt. Alle Parteien, welche die natürlichen Ressourcen beeinflussen oder von ihnen profitieren, sollten in die Planung und Umsetzung der Entwicklungsstrategien für die Insel Navarino in vollem Maße involviert werden.
Zu diesem Zweck wurden die Konsequenzen verschiedener Entwicklungsoptionen für die biologische Vielfalt dargestellt und in ihren Rückwirkungen auf die Wertesysteme der Akteure diskutiert. Damit sollten, in einem Wechselspiel zwischen den empirischen Gegebenheiten, den (auch) sozial determinierten Naturvorstellungen der Akteure und den ökonomischen und moralischen Wertvorstellungen derselben Handlungsempfehlungen für die künftige Entwicklung der Region im Sinne der in der CBD geforderten Verknüpfung von Schutz, Nutzung und benefit sharing erarbeitet werden.
Ein relevantes angewandtes Ziel war es zudem, den Ökosystemansatz der CBD mit einem geplanten Projekt chilenischer Behörden und lokaler Akteure zur Einrichtung eines UNESCO- Biosphärenreservats zu verbinden, wodurch auch die internationale Bedeutung dieses Gebiets als Naturerbe der gesamten Menschheit betont wurden. Das Biopshärenreservat wurde 2005 von der UNESCO anerkannt. Ein wichtiges Teilziel war dabei auch, solche Entscheidungshilfen trotz vorhandener Unsicherheiten zu entwickeln. Derartige Unsicherheiten betreffen sowohl die der empirischen Datenlage auf biologischem wie auf sozioökonomischen Gebiet, wie sie besonders in Entwicklungsländern gegeben sind, als auch inhärente Unsicherheiten aufgrund ökologisch-theoretischer oder erkenntnistheoretischer Begrenzungen. Anhand der Fallstudie sollte auch ein auf andere Regionen übertragbares Verfahren für die Anwendung des Ökosystemansatzes der Konvention im Zusammenhang mit Bewertungsverfahren entwickelt werden und dessen hohe integrative Stärke methodisch nutzbar gemacht werden
Die untersuchte Region ist die chilenische Insel Navarino, Teil der Region des Kap Hoorn-Archipels im Süden Feuerlands. Die Insel ist großenteils wenig anthropogen beeinflußt und sie verfügt über eine extrem hohe Lebensraumvielfalt (z.B. immergrüne und sommergrüne Nothofagus-Wälder, Sumpf- und Moorgebiete, Gletscher, alpine Zonen, Fließgewässer, Seen, Teiche, Fjorde, Buchten u.a. Küstenformen) und auch über eine hohe Vielfalt bei einigen Artengruppen (besonders Moose und Flechten). Die Bevölkerung beläuft sich auf ca. 2300 Einwohner, unter Einschluss einer kleinen Gemeinschaft des indigenen Yamana- bzw. Yaghan- Volkes. Die Ursachen anthropogener Einflüsse liegen -mit einer Konzentration auf die Küstengebiete- sowohl auf lokaler Ebene (Holznutzung, Fischerei, Weidewirtschaft) als auch auf regionaler (Fischerei, Tourismus) und globaler Ebene (invasive Arten, Ozonloch, Fischerei).
Bis Ende der 1990er Jahre war der Zugang zu der Insel aus militärischen Gründen stark eingeschränkt. Seither werden viele der südlichen Militärgebiete allmählich geöffnet. Zur gleichen Zeit wächst der Druck auf die biologische Vielfalt dieser Gebiete aufgrund diverser regionaler ökonomischer Ansprüche (u.a. Planungen für Lachsfarmen und intensiven Tourismus), verstärkt und beschleunigt durch den geplanten teilweisen Rückzug des Hauptarbeitgebers, der chilenischen Marine, sowie durch nationale Entwicklungspläne. Daher ist in den nächsten Jahren ein starker Umbruch in den sozialen und ökonomischen Strukturen zu erwarten, dessen Richtung aber noch weitgehend offen ist.
Eine wichtige Option besteht hierbei im Ökotourismus, für den die biologische Vielfalt der Region ein wichtiges "Kapital" darstellt. Unter Leitung der chilenischen Wissenschaftler R. Rozzi, F. Massardo (beide Stiftung Omora, Puerto Williams, Chile und University of Connecticut, USA) und O. Dollenz (Universidad de Magallanes, Punta Arenas, Chile) fand zuvor schon ein Forschungsprojekt zur Vermittlung von Naturschutz und sozioökonomischer Entwicklung auf der Insel statt, dem der Projektleiter Dr. K. Jax assoziiert war. Dadurch bestanden bereits gut etablierte Kooperationen mit den verschiedenen lokalen und regionalen Institutionen (Gobernacion der Provincia Antárctica Chilena, Gemeinde Navarino/Cabo de Hornos, örtliche Schule, Ethnologisch-naturkundliches Museum "Martin Gusinde", Universidad de Magallanes, Punta Arenas, Regionalbüros der staatlichen chilenischen Umweltbehörden CONAMA und CONAF, regionale Militärverwaltung) und den Bevölkerungsgruppen auf der Insel, darunter der indigenen Yaghan-Gemeinschaft. Auch verschiedene internationale Organisationen (z.B. Earthwatch, Audobon Society) arbeiten bereits zusammen mit R. Rozzi and F. Massardo in dem Gebiet und sollen für eine Zusammenarbeit im Sinne des geplanten Projekts gewonnen werden.
Wichtige Optionen für die künftige mit dem bevorstehenden Strukturwandel auf der Insel verbundene Entwicklung sind: Lachsfarmen in den zahlreichen Buchten der Inseln, lokal begrenzte Fischerei durch Ortsansässige, Ökotourismus, sowie eine Vielzahl von kleinteiligen Aktivitäten, die z.T. wieder in Beziehung zum (Öko)tourismus stehen: Entwicklung der regionalen Küche und Gastronomie, Viehwirtschaft, Gartenbau, Kunsthandwerk u.a. Lokal betriebene Fischerei und die unterschiedlichen, mit einem Ökotourismus verbundenen Aktivitäten sind hochgradig kompatibel. Im Gegensatz dazu scheint die Einrichtung von Lachsfarmen mit solchen Aktivitäten zu konfligieren, und es gibt sowohl aus Chile selbst als auch aus anderen Regionen der Welt zahlreiche Berichte negativer Auswirkungen auf Umwelt und Sozialsystem. Eine Bewertung potentieller zukünftiger ökonomischer Szenarios mit den o.g. und ggf. anderen Entwicklungsoptionen ist daher dringend erforderlich.
Ausgewählte Produkte (Publikationen u.a.)
Berghöfer, U., Rozzi, R. and Jax, K. 2008. Diversity of perspectives on nature at the world’s southernmost town. - Environmental Ethics 30: 273-294
Berghöfer, U., Rozzi, R. and Jax, K. 2010. Many eyes on nature – diverse perspectives in the Cape Horn Biosphere Reserve and their relevance for conservation. - Ecology and Society 15(1): 18. [online] URL: http://www.ecologyandsociety.org/vol15/iss1/art18/.
Haider, S. and Jax, K. 2007. The application of environmental ethics in biological conservation: a case study from the southernmost tip of the Americas. - Biodiversity and Conservation 16: 2559-2573.
Jax, K. 2010. Ecosystem functioning. - Cambridge University Press. 272 pp. (see especially Chapter 2)
Jax, K. and Rozzi, R. 2004. Ecological theory and values in the determination of conservation goals: examples from the temperate regions of Germany, USA and Chile. - Revista Chilena de Historia Natural 77: 349-366.
(also reprinted in: Nelson, M. P. and Callicott, J. B. (eds.), The wilderness debate rages on. University of Georgia Press, pp. 664-691.)
Jax, K., Schüttler, E. and Berghöfer, U. 2011. Von Bibern und Menschen auf Feuerland. - Geographische Rundschau 63: 28-32.
Rozzi, R., Armesto, J. J., Goffinet, B., Buck, W., Massardo, F., Silander, J., Arroyo, M. T. K., Russell, S., Anderson, C. B., Cavieres, L. A. and Callicott, J. B. 2008. Changing lenses to assess biodiversity: patterns of species richness in sub-Antarctic plants and implications for global conservation. - Frontiers in Ecology and the Environment 6: 131-137.
Schüttler, E., Cárcamo, J. and Rozzi, R. 2008. Diet of the American mink Mustela vison and its potential impact on the native fauna of Navarino Island, Cape Horn Biosphere Reserve, Chile. - Revista Chilena de Historia Natural 81: 585-598.
Schüttler, E., Ibarra, J. T., Gruber, B., Rozzi, R. and Jax, K. 2010. Abundance and habitat preferences of the southernmost population of American mink: implications for managing a recent island invasion. - Biodiversity and Conservation 19: 725-743.
Schüttler, E., Klenke, R., McGehee, S., Rozzi, R. and Jax, K. 2009. Vulnerability of ground-nesting waterbirds to predation by invasive American mink in the Cape Horn Biosphere Reserve, Chile. - Biological Conservation 142: 1450-1460.
Schüttler, E., Rozzi, R. and Jax, K. 2011. Towards a societal discourse on invasive species management: a case study of public perceptions of the mink and beavers in Cape Horn -Journal for Nature Conservation in press.
Werner, R., Jax, K. and Böhmer, H. J. 2009. Vegetationsdynamik verlandeter Biberteiche auf der Insel Navarino (Feuerland-Archipel, Chile). - Tuexenia 29: 277-296.