Essay

UmweltPerspektiven 06/2021

Wasser - Segen und Fluch für eine zukunftsfähige Quartiersentwicklung

Prof. Roland Müller, UFZ. Foto:Sebastian Wiedling/UFZ

Prof. Dr. Roland Müller
Leiter des Departments Umwelt- und Biotechnologisches Zentrum

Der Biologe leitet das Department Umwelt- und Biotechnologisches Zentrum (UBZ) am UFZ Standort in Leipzig. Er ist berufener Honorarprofessor für Integriertes Abwasser-Ressourcen Management in der Fakultät Bauwesen der HTWK Leipzig. Seine Forschungsinteressen liegen in umwelt- und biotechnologischen Fragestellungen zu dezentralen (Ab-)Wasserinfrastrukturen in nationaler („Zukunftsstadt“) und internationaler Perspektive („Wasserressourcenmanagement“) sowie der Entwicklung ressourceneffizienter biologischer Verfahren.

Sein besonderes Anliegen liegt in der Implementierung von Forschungsergebnissen in potentiellen nationalen und internationalen Anwendungs- und Zielregionen. Für diese Arbeiten erhielt er mehrere Auszeichnungen und Preise. So erhielten er und zwei seiner Mitarbeiter 2018 den Deutschen Umweltpreis für Pionierarbeiten zur Implementierung dezentraler Abwassersystemlösungen in Deutschland und im Nahen Osten.

Er ist tätig in unterschiedlichen Gremien wie der DWA, in der er im Beirat des Bundesverbandes, im Fachausschuss „Internationale Zusammenarbeit in der Wasserwirtschaft“, als Sprecher der AG „Dezentrale Abwassersysteme für Entwicklungs- und Schwellenländer“ und Mitglied der AG „Systemintegration“ aktiv ist. Er ist berufenes Mitglied im Nationalen Jordanischen Komitees (NICE) zur Implementierung zukunftsfähiger Abwasserkonzepte in Wassermangelgebieten. Er ist einer der Gründer des BDZ e.V., eines nationalen Zentrums für dezentrale Infrastrukturen, dessen stellvertretenden Vorstandsvorsitz er wahrnimmt.

Schwämme bestehen aus feinen, wasserdurchlässigen Poren. Sie haben kein Gehirn, keine Nervenzellen, keine Organe, keine Muskeln. Normalerweise sind sie fest mit ihrem Untergrund verwachsen und bewegen sich nicht vom Fleck. Trotz dieser unscheinbaren Eigenschaften stehen sie derzeit für ein Konzept der Zukunftsstadt, das sogar nach ihnen benannt ist: Die Schwammstadt.

Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Städten. Bereits heute geht man davon aus, dass es 2050 fast 70 Prozent sein werden. Städte sind damit die Orte, an denen sich entscheidet, wie der Großteil der Menschen zukünftig leben wird. Mit der Agenda 2030 hat die Weltgemeinschaft dafür im Jahr 2015 einen ehrgeizigen Fahrplan für die Zukunft verabschiedet: Alle Menschen sollen menschenwürdig leben können, und gleichsam sollen die natürlichen Lebensgrundlagen dauerhaft bewahrt werden. Mit dem globalen Nachhaltigkeitsziel 11 richtet die Agenda ihren Fokus auf Städte und verpflichtet sich, Städte inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig zu machen – vor dem Hintergrund des prognostizierten Wachstums urbaner Gebiete eine riesige Herausforderung, die nicht ohne eine substanzielle Umgestaltung gemeistert werden kann. Der Klimawandel verschärft die Situation deutlich und bringt zusätzliche Anpassungszwänge mit sich, vor allem im Hinblick auf den effizienten Umgang mit den Ressourcen Wasser und Energie.


Zum einen nimmt die Häufigkeit und Intensität von Niederschlägen vielerorts zu und führt immer öfter zu lokalen Überflutungen. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: Städte beeinflussen den natürlichen Wasserkreislauf direkt durch den Anteil ihrer versiegelten Oberflächen. Bei starker Versiegelung kann der Niederschlag deswegen nicht mehr natürlich versickern. Der Oberflächenabfluss nimmt zu und überfordert bei Starkregen oft die zentralen Abwasserinfrastrukturen. Als Folge können Überflutungen große Schäden verursachen. Sorge macht, dass die Bevölkerungszunahme in vielen Städten die Tendenzen einer Nach- und Neuverdichtung der Oberflächen stark fördert. Aus diesem Grund wird für kommunale Regenwasserkonzeptionen mittlerweile häufiger ein „100 - jähriger Modellregen“ berücksichtigt, damit die zu erwartenden Wassermengen durch angepasste Infrastrukturen bewältigt werden können. Neue Regelwerke der Siedlungswasserwirtschaft betonen in dieser Perspektive zunehmend die Bedeutung eines naturnahen, lokalen Wasserhaushalts: Regenwasser nur noch über die Kanalisation abzuleiten, ist kein zukunftsfähiger Ansatz mehr.

Zum anderen führt der Klimawandel zu wärmeren und heißeren Sommern mit zunehmender Trockenheit und Dürre im urbanen Raum. Auch dieser Effekt wird nicht nur vom Klimawandel, sondern etwa durch einen hohen Flächenversiegelungsgrad beschleunigt. Gebäude, Straßen und Plätze begünstigen ein spezifisches Mikroklima mit sehr hohen Temperaturen, sogenannte Wärmeinseln. Durch Dürre und Wassermangel verliert das Stadtgrün seine Existenzgrundlage: Leipzig hat zum Beispiel in den Dürresommern 2019 und 2020 ca. 1.600 Stadtbäume wegen des Wassermangels verloren. Und auch die Stadtbevölkerung leidet unter den sich aufheizenden Siedlungen.

Die Gefährdung von städtischen Strukturen durch zu viel oder zu wenig Wasser stellt allerdings nur eine Seite der Medaille dar. Denn Wasser kann gleichzeitig auch helfen, die negativen Auswirkungen des Klimawandels zu mildern, ja es kann sogar zur Lösung der angesprochenen Probleme beitragen. Möglich wird das durch eine flexiblere Gestaltung des Wassermanagements, das nicht mehr exklusiv auf zentrale Entwässerungsinfrastrukturen setzt, sondern das Niederschlagswasser ortsnah speichert – wie ein Schwamm. Umsetzen können dies sogenannte „blau - grüne“ Wasserinfrastrukturen, mit denen örtliche Wasserkreisläufe geschlossen, Regenwasser gespeichert, lokale Hitzerisiken reguliert, umweltschädliche Entlastungsüberläufe vermieden und nicht zuletzt die Lebensqualität in der Stadt verbessert werden können. Schließlich bieten diese dezentralen Lösungen auch wertvolle Handlungsoptionen, zum Beispiel die Bewässerung städtischer Grünflächen in den Sommermonaten. Damit behält das Stadtgrün seine wichtigen Funktionen für das Stadtklima, das auf unterschiedliche Art und Weise genutzt werden kann. Es trägt über ihre Verdunstung zur Kühlung der Städte bei, verbessert die Luftqualität und erhöht so die Lebensqualität in der Stadt.


Leipzig ist Modellstadt in der Forschungsinitiative „Ressourceneffiziente Stadtquartiere“

Am UFZ arbeitet ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Themenbereichs „Umwelt und Biotechnologie“ daran, diese „blau - grünen“ Wasserinfrastrukturen zu entwickeln und sie sowohl in bestehende städtische Siedlungen zu implementieren als auch neue Stadtquartiere damit auszustatten. Die Mitarbeit bei Planung und Konzeption des neuen Leipziger Innenstadtquartiers „Leipzig 416“ ist ein interessantes Beispiel für eine gelungene Kooperation zwischen Wissenschaftlern, städtischen Akteuren und Investoren. Wie das Konzept der Schwammstadt dort, wo in wenigen Jahren rund 3.700 Einwohner leben werden, umgesetzt wird, können Sie in der folgenden Titelgeschichte lesen.

Bei Projekten wie diesen können die Forscherinnen und Forscher auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen, den sie überwiegend im Ausland aufgebaut haben. Schon viele Jahre befassen sie sich in wasserarmen Regionen der Erde wie der arabischen Halbinsel mit flexiblen dezentralen Abwassertechnologien zum Schutz knapper und sensibler Grundwässer. Modellhaft entwickelten sie etwa für Jordanien ein Konzept, das zentrale Kanalnetze mit dezentralen Lösungen flexibel ergänzt und so den Schutz des Grundwassers vor Schadstoffen und Krankheitskeimen deutlich verbessert. Mit diesen Forschungsarbeiten, die 2018 mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet wurden, gelang es, die Grenzen zwischen Natur-, Ingenieur- und Sozialwissenschaften zu überwinden und konkrete Lösungen in die Anwendung zu bringen. Diese Erfahrungen kommen den Forschenden jetzt in den urbanen Räumen Europas zugute.

Auch in den nächsten Jahren werden sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlichster Fachrichtungen am UFZ immer wieder mit Fragen der Zukunftsstadt beschäftigen. Etwa, um im Co - Design mit städtischen Akteuren Konzepte für klimaresiliente Städte zu entwickeln. Leipzig spielt dabei weiterhin eine besondere Rolle – als UFZ - Standort und Modellstadt der deutschen Forschungsinitiative „Ressourceneffiziente Stadtquartiere“, aber auch als Namensgeberin eines wichtigen europäischen Rahmenwerks zur politischen Umsetzung der Agenda 2030 – der Leipzig Charta.

Zum Titelthema der Umweltperspektiven 06/2021:
Ressourceneffiziente Stadtquartiere