Essay
UmweltPerspektiven 04/2018
Systemwechsel – von erdölbasiert zu biobasiert
Prof. Hauke Harms
Leiter des Themenbereiches Umwelt- und Biotechnologie und des Departments Umweltmikrobiologie
Die Energiewende ist nur der Beginn einer umfassenden Transformation unseres derzeitigen globalen Wirtschaftssystems, in deren Kern es um die Abkehr von fossilen Rohstoffen und die ausschließliche Nutzung dauerhaft verfügbarer Ressourcen geht. Diese Prognose klingt zugegebenermaßen mutig – vor allem mit dem Wissen um die Schwierigkeiten der Energiewende. Aber es gibt keine verantwortbare Alternative, wenn wir an die Lebensbedingungen kommender Generationen denken. Immerhin hat das nicht nachhaltige Wirtschaften weniger Generationen unser Klima aus dem Lot gebracht, die fossilen Energiereserven ausgebeutet und viele Rohstofflagerstätten bis auf klägliche Restposten erschöpft.
Mut macht, dass alle notwendigen Zutaten für eine umfassende Transformation vorhanden sind: Sonnenenergie, die dem Planeten Erde ständig zugeführt wird und deren Menge jegliche Prognosen zukünftiger Energiebedarfe übersteigt. Dazu Pflanzen und Mikroorganismen, die es gelernt haben, Sonnenenergie in stofflicher Form zu konservieren. Durch Millionen Generationen von Mikroorganismen und Pflanzen ist der fossile Akku in Form von Öl, Gas und Kohle aufgeladen worden, den wir seit dem Beginn der Industrialisierung anzapfen.
Mikroorganismen haben in vier Milliarden Jahren Fähigkeiten hervorgebracht, die jenseits menschlicher Erfahrung liegen.
Der Natur ist es also ohne unser Zutun gelungen, in erdgeschichtlichen Zeiträumen Sonnenenergie in eine unüberschaubare Vielfalt organischer Verbindungen mit hohem Gebrauchs- und Brennwert zu überführen. Dann sollte es uns heute, mit all unserem Wissen und unseren Möglichkeiten doch gelingen, mit den dauerhaft verfügbaren Zutaten unseren Energie- und Stoffbedarf in Echtzeit zu decken und den Rückgriff auf fossile Reserven entsprechend zu reduzieren. Stück für Stück kommen wir auf diesem Weg voran: Wir verstehen die biologischen, chemischen und physikalischen Prozesse immer besser und es gelingt uns, Sonnenenergie umzuwandeln und zu speichern – stofflich und energetisch. Die Grundlagen der Wende hin zu einer Bioökonomie, die wirtschaftlich nachhaltig sowie ressourcen- und klimaneutral ist und sich mit Ökosystemen und Landschaftsfunktionen verträgt, sind also vorhanden. Das tangiert nahezu alle Bereiche unserer Wirtschaft – von der Energieversorgung über die Land- und Forstwirtschaft bis hin zur Textil- und Chemieindustrie.
Die technologische Abteilung der Bioökonomie wird sich zunächst auf Pflanzen als natürliche Solaranlagen und deren Biomasse stützen. Die Biomasse ist das Rohmaterial für verschiedenste Produktionsverfahren, die durch Mikroorganismen angetrieben werden. Schon heute werden so eine ganze Reihe alternativer Energieträger wie Biogas und Industriechemikalien hergestellt und vertrieben. Unzählige Produktideen warten in den Laboren auf geeignete ökonomische Rahmenbedingungen. Die rein biologischen Prozessketten werden mehr und mehr mit chemischen und physikalischen Komponenten verbunden werden. Manche von ihnen vollziehen die Erfindungen der Natur technisch nach und machen sie effizienter. Künstliche Varianten der Photosynthese sind dafür nur ein Beispiel.
Die Entdeckung elektroaktiver Bakterien ist nur eine der vielen Überraschungen, die die Mikrobiologie in den vergangenen drei Jahrzehnten zu einer der dynamischsten Wissenschaftsdisziplinen gemacht hat.
Ein anderes Beispiel steht im Fokus des nachfolgenden Titelthemas. Darin erfahren Sie, wie Bakterien aus Abfall elektrischen Strom produzieren und wie sie durch die Zufuhr elektrischer Energie zu Syntheseleistungen bewegt werden, die rein biologisch so nicht möglich sind. Dadurch eröffnen sich neben umweltfreundlichen Alternativen zur chemischen Produktion auch neue Möglichkeiten, um überflüssigen Strom flexibel zu nutzen. Viele Prozessschritte zukünftiger Biotechnologien werden also aus dem unerschöpflichen Arsenal mikrobiologischer Funktionen entnommen. Mikroorganismen haben in vier Milliarden Jahren Evolutionsgeschichte Fähigkeiten hervorgebracht, die jenseits menschlicher Erfahrung liegen. Die Entdeckung elektroaktiver Bakterien ist nur eine der vielen Überraschungen, die die Mikrobiologie in den vergangenen drei Jahrzehnten zu einer der dynamischsten Wissenschaftsdisziplinen gemacht hat. Beispiele für die Exklusivität bestimmter Mikroorganismen sind
- ihre Unabhängigkeit vom Sauerstoff,
- eine schier unglaubliche Robustheit gegenüber Temperaturen, Drücken, Strahlungen und pH-Werten, die einen Menschen auf der Stelle töten würden,
- Generationszeiten, die von wenigen Minuten bis zu Jahrtausenden variieren können,
- die Fähigkeit, miteinander zu kommunizieren und koordiniert zu handeln und
- ein Nahrungsspektrum, das ziemlich genau dem entspricht, was unser Planet an chemischen Verbindungen hervorbringt, einen Großteil der industriellen Produktion eingeschlossen.
Diese und weitere Entdeckungen haben dazu geführt, dass die globalen Kreisläufe zentraler Bioelemente wie des Stickstoffs in den vergangenen Jahren völlig neu geschrieben werden mussten – kaum etwas ist derzeit vergänglicher als ein Lehrbuch der Mikrobiologie.Und so ist es nicht verwunderlich, dass das weite und spannende Feld der Mikrobiologie mit seinen vielen Facet-ten von zahlreichen Forschungsgruppen weltweit beackert wird. Viele unserer Kolleginnen und Kollegen konzentrieren sich darauf, aus Mikroorganismen gewonnene Enzyme zu praxistauglichen Katalysatoren weiterzuentwickeln, die dann komplizierte Teilschritte von Synthesen ermöglichen – zum Beispiel bei der Kunststoffproduktion. Die Mikrobiologen und Biotechnologen am UFZ hingegen setzen darauf, komplette Mikroorganismen oder sogar ganze komplexe mikrobielle Lebensgemeinschaften zu erforschen. Schließlich sind sie es, die in offenen technischen Systemen wie Biogasreaktoren oder Kläranlagen zum Einsatz kommen. Ihr Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft. Auch die produzierende Biotechnologie sollte mehr auf leistungsfähige und robuste mikrobielle Lebensgemeinschaften setzen, etwa um Grundchemikalien herzustellen. Im Erfolgsfall sind die Verfahren dann so selbstregulierend, verlässlich und pflegeleicht wie natürliche Ökosysteme.
Am UFZ wird damit eine Kette wissenschaftlicher Wertschöpfung etabliert, die beim Auffinden und Verstehen der biologischen Funktion beginnt und über deren technologische Nutzbarmachung bis hin zur Einpassung in umweltverträgliche Produktionssysteme von morgen reicht. Damit helfen wir dabei, den Verbrauch fossiler und anorganischer Rohstoffe zu reduzieren und Stoffkreisläufe zu schließen – im Sinne einer umfassenden Transforma-tion unserer globalen Wirtschaft, die sich bald aus einer unerschöpflichen Quelle nachhaltiger Ressourcen speist.
Zum Titelthema der Umweltperspektiven 04/2018:
Systemwechsel – von erdölbasiert auf biobasiert