Essay

UmweltPerspektiven 12/2018

Wassersicherheit bis 2030 – Utopie oder realistisches Ziel?

Prof. Dietrich Borchardt

Prof. Dietrich Borchardt
Leiter des Themenbereichs Wasserressourcen und Umwelt sowie des Departments Aquatische Ökosystemanalyse und Management

Dietrich Borchardt ist ausgebildeter Hydrobiologe und ordentlicher Professor für Aquatische Ökosystemanalyse und -management an der TU Dresden, Leiter des Themenbereichs "Wasserressourcen und Umwelt" und Departmentleiter "Aquatische Ökosystemanalyse" am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ. Er ist Sprecher des Topics "Nachhaltiges Wasserressourcen-Management" im Forschungsprogramm "Erde und Umwelt" der Helmholtz-Gemeinschaft von 2014–2019.

Schwerpunkt seiner Forschung ist die funktionale Ökologie aquatischer Systeme, fortschrittliche Beobachtungs- und Überwachungssysteme und innovative Modellierungswerkzeuge, um anthropogene Belastungen und ihre Auswirkungen in Bezug auf die Degradation und Regeneration aquatischer Ökosysteme kausal zu verstehen. Weitere Schwerpunkte sind Konzepte zur hydro-ökologischen Synthese und zur Implementierung des integrierten Wasserressourcenmanagements. Seine Forschungsprojekte decken nationale, europäische und globale Kontexte ab, wobei der Schwerpunkt auf der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik liegt.

Beispiele seiner Rolle als wissenschaftspolitischer Berater sind das Schweizerische Nationale Forschungsprogramm "Nachhaltige Wassernutzung", er ist gewähltes Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der "Partnerschaft für Forschung und Innovation im Mittelmeerraum (PRIMA)" und des deutschen Büros "Internationales Hydrologisches Programm" der UNESCO.

Im August 2019 wurde Prof. D. Borchardt als Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des Internationalen Zentrums für Wasserressourcen und Globalen Wandel (ICWRGC) und dem deutschen Sekretariat für das Internationale Hydrologische Programm (IHP) der UNESCO und dem Hydrologischen Wasser-Ressourcen Programm (HWRP) der WMO bestellt.

„Wasser, Wasser, überall, aber kein Tropfen zu trinken.“ Dieses Zitat stammt aus dem „Reim eines alten See­fahrers“ von Samuel Taylor Coleridge (1772–1834). Der wahre Kern, obwohl es im 18. Jahrhundert noch keine globalen Wasserbilanzen gab: Wasser ist auf der Erde im Überfluss vorhanden, aber der Mensch kann nur einen geringen Anteil nutzen. In genaueren Zahlen: Von den 1,4 Milliarden Kubikkilome­tern Wasser, die global vorhanden sind, sind 97,5 Prozent versalzen, weitere 2 Prozent sind in Eis und Schnee gebunden. Bleibt weniger als 1 Prozent Süßwasser auf den Konti­nenten, wovon die Weltbevölkerung gegenwärtig etwa 4.000 Kubikkilo­meter pro Jahr nutzt. Das entspricht einem Drittel der sich erneuernden Süßwasserressourcen, Tendenz steigend.


Bis 2050 werden sich die globalen Abwasserströme verdoppeln.

Doch Wassersicherheit braucht auch Qualität. Denn Wasser kann aufgrund natürlicher Bedingungen für den Gebrauch nicht geeignet oder durch menschliche Ein­flüsse belastet sein. Das ist an sich nicht schlimm, denn das Wasser hat die erstaunliche Fähigkeit, sich über den Wasserkreislauf von der Atmosphäre, über den Boden, das Grundwasser und in den Oberflächengewässern immer wieder zu regenerieren – solange diese natürliche „Selbstreinigung“ nicht überstrapaziert wird. Bevölke­rungswachstum und Industrialisierung ab dem 19. Jahr­hundert brachten Mitteleuropa an diesen Punkt. Technik musste zunehmend helfen, das Trink­ und Abwasser­problem zu lösen.


Im Laufe der Zeit haben wir gelernt, dass Trinkwasserver­sorgung, sanitäre Entsorgung, Abwasserreinigung und die Gewässer gemeinsam betrachtet werden müssen. Aber nicht selten wird das ignoriert. So lautete eines der „Millenniums­Entwicklungsziele“ der Vereinten Nationen im Jahr 2000, den Anteil der Menschen ohne gesicherten Zugang zu hygie­nisch einwandfreiem Trinkwasser und basaler Sanitärversorgung bis 2015 zu halbieren – ein aus humanitären Gründen notwendiger und sinnvol­ler Schritt, aber nicht ohne Folgen für die Wasserqualität. Denn in den UN­Zielen fehlte die adäquate Reini­gung der Abwässer. So zeigte eine im Auftrag des UN­Umweltprogramms vom UFZ koordinierte Studie, dass die Abwässer derzeit in Afrika, Asien und Lateinamerika weitgehend ungeklärt in die Oberflächengewässer geleitet werden und Fließgewässer bereits bis zu einem Drittel ihrer Länge hygienisch kritisch belasten.


Und dieses Problem wird sich schnell verschärfen, denn bis 2050 werden sich die Abwasserströ­me durch das globale Bevölkerungswachstum verdoppeln. Die gute Botschaft dieser Studie war, dass immerhin noch zwei Drittel der Gewässer auf diesen Kontinenten eine gute bis sehr gute Wasserqualität haben und auch ökolo­gisch noch weitgehend intakt sind. Mit den Erfahrungen, dem vorhandenen Wissen und der Vielzahl verfügbarer Technologien sind alle Voraussetzungen gegeben, diesen Stand zumindest zu halten. Was fehlt, sind regional angepasste und integrierte Lösungskonzepte, die zudem die sozialen, ökonomischen und rechtlichen Bedingungen berücksichtigen und die tatsächlich umgesetzt werden.


Ganz anders ist die Situation in Deutschland und Europa. Hier ist nahezu die gesamte Bevölkerung an funktionierende Trinkwasser­ und Abwasserinfrastrukturen angeschlossen. Dafür sind aber über 90 Prozent der Oberflächengewässer in Deutschland und immerhin noch 60 Prozent in Europa in einem „mäßigen“ bis „schlechten ökologischen Zustand“. Und daran hat sich bislang nichts geändert, obwohl die EU­Wasserrahmenrichtlinie seit dem Jahr 2000 verbindlich fordert, alle Gewässer bis 2027 in einen „guten Zustand“ zu bringen. Die mit großem Aufwand geplanten Maßnahmen­programme sind offensichtlich nicht wirksam und müssen grundlegend überdacht werden.


Soll Wassersicherheit wirklich umfassend und nachhaltig erreicht werden, müssen der mengenmäßige Wasser­gebrauch, die stofflichen Belastungen und die Gewässer­ökosysteme als Ganzes so bewirtschaftet werden, dass die Regenerationsfähigkeit des Wasserkreislaufs und die ökologische Funktionsfähigkeit langfristig erhalten bleiben. Das erfordert einen neuen Systemansatz in der Wasserforschung und Wasserwirtschaft.


90% der Oberflächengewässer in Deutschland und immerhin noch 60% in Europa in einem „mäßigen“ bis „schlechten ökologischen Zustand“.

Viele universitäre Arbeitsgruppen und Institute arbeiten daran – größtenteils hoch spezialisiert und auf Einzelaspektefokussiert. Es fehlen aber Lösungen für den gesamten Wasserkreislauf, die alle Nutzungen in den Blick nehmen und Maßnahmen bis zur Umsetzung führen. Dass das gelingen kann, zeigt das nachfolgende Titelthema „Wasser­management in der Mongolei“. Unter Federführung des UFZ haben deutsche und mongolische Forschende in den vergangenen zwölf Jahren einen wissenschaftsbasierten Managementplan für das Flussgebiet des Kharaa entwickelt und umgesetzt – und damit eine Blaupause geschaffen. Die in einem ähnlichen Projekt in Jordanien vom UFZ entwickelten und umgesetzten Systemlösungen im Bereich der dezentralen Abwasserbewirtschaftung waren so erfolgreich, dass sie in diesem Jahr mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet wurden (siehe Seite 14).


Wie kann auf diesen Erfahrungen aufgebaut werden und worauf kommt es zukünftig an? Fest steht: Durch den globalen Wandel und den Anstieg der Weltbevölkerung hat der Druck auf die Wasserverfügbarkeit und die damit zusammenhängenden Ökosystemleistungen ganz erheblich zugenommen – und wird weiter ansteigen. Die heutigen und zukünftigen Herausforderungen müssen deshalb als komplexe Probleme der Wasserverfügbarkeit begriffen werden, die aus einer Kombination von Mengen­ und Qualitätslimitierungen resultieren und bei unterschiedli­chen Nutzungsinteressen erhebliches Konfliktpotenzial enthalten. Ungelöste Fragen reichen dabei von der Wasserversorgungs­ und ­entsorgungssicherheit, der Ernährungssicherheit, dem Schutz vor Extremereignissen wie Dürren und Fluten über die Gesundheitsvorsorge und die Energieversorgung bis zum Erhalt der Biodiversität.


Wassersicherheit, die wir alle brauchen und die durch die UN­Agenda 2030 ein politisches Mandat der Völker­gemeinschaft bekommen hat, wird nur mit Systemlösungen erreichbar sein. Denn Sanitärversorgung und sauberes Wasser in ausreichender Menge sind Grundvorrausetzun­gen, dass praktisch alle weiteren 16 Nachhaltigkeitsziele erreicht werden. Die Aufgabe einer zukunftsweisenden Wasserforschung ist dabei, in einem holistischen Ansatz die Probleme der Wasserverfügbarkeit in ihrer Komplexität zu analysieren und zu verstehen. In transdisziplinärer Zusammenarbeit mit Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft muss sie darüber hinaus Lösungsoptionen entwickeln, testen und bis in die Umsetzung führen. Bis zum Jahr 2030 warten darf dabei niemand.

Zum Titelthema der Umweltperspektiven 12/2018:
Wassersicherheit bis 2030 – Utopie oder realistisches Ziel?