Essay

UmweltPerspektiven 12/2019

Umweltbeobachtung – aufwendig, aber unverzichtbar

Prof. Peter Dietrich

Prof. Peter Dietrich
Leiter des Departments Monitoring- und Erkundungstechnologien

Der Geophysiker leitet das Department Monitoring- und Erkundungstechnologien am UFZ-Standort in Leipzig und ist Professor für Umwelt- und Ingenieurgeophysik an der Universität Tübingen. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Weiterentwicklung und Evaluierung von Mess- und Monitoringmethoden aus Geophysik, Hydrogeologie und Geotechnik zur verlässlichen hochauflösenden Erkundung des Untergrundes. Aufbauend auf seiner Expertise im Bereich der Geophysik und der Direct Push-Technologie entwickelt und testet er mit seinem Team neuartige Messansätze zur Erkundung des oberflächennahen Raumes. Um Prozesse in der Landschaftsskala untersuchen zu können, liegt sein Forschungsinteresse auch bei Fernerkundungsverfahren und ad hoc-Sensornetzwerken.

Wer den Zustand der Umwelt beurteilen will, wer verstehen will, wie sie sich in der Vergangenheit verändert hat und warum, wer mithilfe von Computermodellen prognostizieren will, wie sie sich unter den Bedingungen des Klima- und Landnutzungswandels künftig entwickeln wird, muss die Umwelt beobachten, braucht Daten. Die gibt es bereits reichlich, und dank neuer Satellitenmissionen, einer global vernetzten Infrastruktur (Internet of Things) oder der Einbindung von Citizen Science werden es mit rasanter Geschwindigkeit mehr. Doch wenn Fragestellungen konkreter werden und wir komplexe Umweltsysteme detaillierter analysieren wollen, stellen wir oft fest, dass die Daten noch immer nicht ausreichen, um plausible Antworten zu geben. Etwa weil Daten fehlen, zum Beispiel aus weit entlegenen und schwer zugänglichen Regionen, oder nicht das gemessen wurde, was im konkreten Fall benötigt wird. So können mit Fernerkundungsmethoden Ökosysteme zwar flächendeckend beobachtet werden. Doch wenn es darum geht, Prozesse in Ökosystemen zu analysieren und zu beurteilen, können ihre Aussagekraft begrenzt und die Unsicherheiten bei der Interpretation groß sein. Dann sind zusätzliche Messungen direkt in den Systemen erforderlich – im Boden, an Bäumen, in Flüssen oder in Städten.


Doch wenn Fragestellungen konkreter werden und wir komplexe Umweltsysteme detaillierter analysieren wollen, stellen wir oft fest, dass die Daten noch immer nicht ausreichen.

Um die Herausforderungen und Komplexität von Umweltbeobachtungen deutlich zu machen, kann ein Vergleich mit der Diagnostik in der Medizin helfen. Da steht der Mensch im Mittelpunkt. In der Umweltbeobachtung sind es die Umweltkompartimente Boden, Luft oder Wasser und ihre Wechselwirkungen. Und wie in der Medizin tragen auch in der Umwelt die Untersuchungen am gesunden Objekt ganz wesentlich zum grundlegenden Verständnis darüber bei, wie verschiedene Funktionen und Prozesse miteinander zusammenhängen – und helfen am Ende, Krankheiten vorzubeugen oder sie zu heilen.


Es gibt zwar deutliche Unterschiede zwischen medizinischer Diagnostik und Umweltbeobachtung bezüglich der Größe und Zugänglichkeit des Objektes. Was aber die Untersuchungskonzepte und -methoden betrifft, sind sie sehr ähnlich. Die visuelle Inspektion eines Patienten ist vergleichbar mit der Fernerkundung in der Umwelt. Reicht diese äußere Betrachtung nicht aus, geht es mit verschiedenen physikalischen Verfahren weiter in die Tiefe. Lässt sich auch mit diesen nichtinvasiven Methoden nicht alles abklären, müssen mithilfe invasiver Methoden Proben entnommen und analysiert werden.


Im direkten Vergleich hat die medizinische Diagnostik den Vorteil, dass der generelle Aufbau des Untersuchungsobjektes (der Mensch), seine Organe und deren Funktionen zumindest grundsätzlich gleich und sehr gut bekannt sind. Außerdem können Befunde aufgrund tausender bereits durchgeführter Studien oft sehr gut interpretiert werden. Methodische Vorgehensweisen und Interpretationsansätze von einem Ökosystem auf ein anderes zu übertragen, ist da durchaus schwieriger.

Umweltbeobachtungen zu konzipieren, ist vergleichsweise einfach, wenn deren Ziel klar definiert ist und geeignete Modelle existieren, welche die Zustände und Funktionen der zu untersuchenden Systeme beschreiben. Sensitivitätsanalysen etwa können ermitteln, auf welche Veränderungen das System besonders sensibel reagiert – eine wichtige Information, um festzulegen, worauf die Beobachtungen zu fokussieren sind und welche räumliche und zeitliche Auflösung benötigt wird. Ob sich das Untersuchungskonzept technisch realisieren lässt, muss dann anhand des Standes der Technik und einer Kosten-Nutzen-Analyse beurteilt werden. Besteht eine Diskrepanz zwischen Konzept und praktischer Realisierbarkeit, kann dies auch Antrieb für neue technologische Entwicklungen sein.


Kontinuierliche, langfristig betriebene Messprogramme sind unerlässlich, um zwischen außergewöhnlichen Einzeleffekten und bedeutsamen Trends zu unterscheiden.

Schwieriger ist es, wenn Zusammenhänge und Prozesse identifiziert oder quantifiziert werden sollen, die bisher nur unzureichend verstanden sind. So gibt es, getrieben durch die Limitierung materieller und personeller Ressourcen, seit Jahren einen intensiven wissenschaftlichen Diskurs darüber, welche Beobachtungsparameter denn nun die richtigen seien und über welche Zeiträume sich die Beobachtungen erstrecken sollten. Denn Umweltsysteme reagieren oft mit starker zeitlicher Verzögerung auf sich ändernde Umweltbedingungen, was in vielen Fällen für eine langfristige Beobachtung spricht.


Eines der bekanntesten Beispiele für die Bedeutung langfristiger Umweltbeobachtung ist die Messung des CO2-Gehalts der Atmosphäre am Vulkan Mauna Loa auf Hawaii, die 1958 von Charles David Keeling initiiert wurde. Welche Bedeutung diese Messung einmal haben würde, war damals nicht zu erahnen. Doch Mitte der 1970er Jahre lieferten die jahrelang gesammelten Daten das erste messtechnische Indiz dafür, dass der Mensch das weltweite Klimageschehen beeinflusst. Keeling und seine Nachfolger konnten die Messungen bis heute fortsetzen. Die daraus resultierende Datenreihe des CO2-Gehalts in der Atmosphäre und ihre grafische Darstellung – die Keeling-Kurve – zählt ohne Zweifel auch über die Grenzen der Naturwissenschaft hinaus zu den bekanntesten Grafiken der neueren Wissenschaftsgeschichte.Kontinuierliche und langfristig betriebene Messprogramme sind also unerlässlich, um zwischen außergewöhnlichen Einzeleffekten und bedeutsamen Trends zu unterscheiden, Entwicklungen von Ökosystemen sicherer vorherzusagen und Anpassungs- oder Vermeidungsoptionen zu prüfen. Das UFZ betreibt deshalb seit vielen Jahren eigene Forschungsinfrastrukturen (TERENO, GCEF) zur langfristigen Umweltforschung und ist mit diesen auch in verschiedenen internationalen Forschungsnetzwerken (ICOS, LTER) involviert.


Vor Herausforderungen ganz anderer Art steht die Umwelt-forschung jedoch, wenn es darum geht, die langfristigen Auswirkungen kurzfristiger Extremereignisse wie Hitzewellen, Dürren oder Hochwasser vorherzusagen, bei denen sowohl der Zeitpunkt als auch der Ort des Eintretens selten langfristig vorhersehbar sind. Die messtechnische Untersuchung solcher Ereignisse erfordert eine deutlich größere Flexibilität, als sie fest installierte, kontinuierlich betriebene Messsysteme wie bei der langfristigen Umweltbeobachtung bieten können. Eine solche flexible, modulare und mobile Infrastruktur soll bis zum Jahr 2022 unter dem Dach der Helmholtz-Gemeinschaft entstehen. Mehr über dieses ambitionierte Vorhaben, das den Namen MOSES trägt – Modular Observation Solutions for Earth Systems – können Sie im nachfolgenden Titelthema lesen.

Zum Titelthema der Umweltperspektiven 12/2019:
Umweltbeobachtung – aufwendig, aber unverzichtbar