Wir trauern um Prof. Dr. Andreas Zehnsdorf - ein Nachruf


Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) trauert um seinen langjährigen Mitarbeiter Prof. Dr.-Ing. Andreas Zehnsdorf, der in der letzten Woche völlig unerwartet verstorben ist. 


Prof. Dr. Andreas Zehnsdorf Prof. Dr.-Ing. Andreas Zehnsdorf Andreas Zehnsdorf ist ein Urgestein des UFZ, dessen gesamte berufliche Karriere mit dem UFZ seit dessen Gründung 1992 verwoben ist. Nach seinem Studium der Verfahrenstechnik in Köthen und seiner Promotion am UFZ und der RWTH-Aachen wurde er 2011 zum Honorarprofessor an der Berufsakademie Riesa ernannt. Prof. Andreas Zehnsdorf hat durch seine wissenschaftlichen Arbeiten und seine Persönlichkeit das UFZ in vielen Bereichen mit geformt und geprägt.

Als leidenschaftlicher Ingenieur mit einer großen Liebe zur Natur hat er reale Probleme angefasst, konkrete Lösungen gesucht und diese mit Kreativität, Sorgfalt und Pragmatismus in die Praxis überführt. Sein wissenschaftliches Interesse galt insbesondere anwendungsorientierten Forschungsthemen, die nicht immer im Mainstream lagen, aber diesen oft vorwegnahmen.

Die von ihm und seinen Mitstreiter*innen entwickelten umwelt- und biotechnologischen Verfahren sind durch eine Vielzahl an Patenten geschützt, durch Preise ausgezeichnet und in Fachjournalen publiziert. In seiner Anfangszeit am UFZ hat er sich über viele Jahre mit der Sanierung von belasteten Böden beschäftigt und dabei Lösungen auch für schwierige Probleme – wie etwa die Entfernung von Schwermetallen aus Sedimenten – gefunden und in die Praxis überführt. Ein Teilgebiet des Bioleachingverfahrens – die Konditionierung durchnässter Sedimente mit Phalaris arundinacea – erforschte er umfassend im Rahmen seiner Dissertation. Frühzeitig hat er auf konkrete Probleme beim Betrieb von Biogasanlagen hingewiesen und mit seiner Arbeitsgruppe praktische Lösungen zur Detektion und Vermeidung von Schaumbildung im Prozess der anaeroben Vergärung entwickelt. Ein weiteres ihm wichtiges Thema war das Wasserpflanzenmanagement. Seine Arbeiten zur ungebremsten Ausbreitung der Wasserpest in Deutschland haben nicht bei der Analyse Halt gemacht – er hat mögliche Lösungen des Problems gleich mitgeliefert: Ein Ernteboot entworfen, Entsorgungs- und Verwertungswege gesucht und dazu beigetragen, diese in einem Rahmenwerk zu verankern. In den letzten Jahren widmete sich Andreas als anerkannter Spezialist den Gründächern und dem Stadtklima. Er hat den Bau einer Forschungsplattform mit vier Gründächern am UFZ initiiert, die in den kommenden Wochen an den Start gehen sollte.

Wie ernst er es mit der Umweltforschung meinte, zeigte er auch mit seinem Engagement für ein innerbetriebliches Umweltmanagement am UFZ: Andreas Zehnsdorf hat maßgeblich dazu beigetragen hat, dass bereits im Jahr 2002 ein anspruchsvolles Umweltmanagementsystem (EMAS) am UFZ eingeführt werden konnte.

Besonders am Herzen lag dem Dozenten Andreas Zehnsdorf die Aus- und Weiterbildung des studentischen Nachwuchses. Aber auch darüber hinaus ließ er gern ein größeres Publikum an seinem umfangreichen Wissens- und Erfahrungsschatz teilhaben. Das konnte er verständlich und gut und war deshalb nicht nur bei vielen Kolleginnen und Kollegen ein gern gesehener Gesprächsgast, sondern auch bei den Journalist*innen. Scheinbar mühelos und mit der ihm eigenen Ruhe und Gelassenheit schaffte er es immer, seine Zuhörer von Jung bis Alt in den Bann seiner Geschichten zu ziehen – und davon hatte er als extrem vielseitig interessierter Mensch so viele, dass es für mehrere Leben gereicht hätte. Auch in seiner Freizeit standen oft Forschungsfragen im Mittelpunkt – meistens sehr spezielle: So beschäftigten ihn in den 1990er Jahren Insekten als mögliche Proteinquelle, um den Welthunger einzudämmen. In Kindergärten, der Kinderuni und Radiobeiträgen erzählte er Geschichten über Tausendfüßler, Kellerasseln, Nacktschnecken, Bäume und die Wasserpest, weil er überzeugt war, dass Neugier und Begeisterung für die Umwelt ansteckend sind. In den letzten 15 Jahren interessierten ihn vor allem Bäume – insbesondere die sogenannten „Tanzlinden“. Durch seine Recherchen vor Ort, im Bundesarchiv und in historischen Quellen gehören seine Veröffentlichungen zur Standardliteratur in diesem Bereich. Er wurde häufig zu Eröffnungen von Museen, Neupflanzungen und zum „Tanz in den Linden“ als Gastredner geladen. Seine umfassenden und detaillierten kulturhistorischen Arbeiten, die mit vielen skurrilen und witzigen Anekdoten gespickt sind, haben wesentlich dazu beigetragen, diese alte Tradition der Tanzlinden vor allem im Osten Deutschland zu dokumentieren und wieder mit neuem Leben zu füllen. Als er bei seinen Recherchen zu den Tanzlinden im Eichsfeld die Schwester eines Thüringer Priesters kennenlernte, der in den 1960er Jahren als Missionar nach Paraguay auswanderte, sammelte Andreas Zehnsdorf anhand von Erzählungen, Briefen, Recherchen und auf einer Reise nach Paraguay Unmengen an Informationen – und schrieb ein Buch über Pater Manfredo.

Sein neues Buchprojekt, das sich mit dem „Leben in Bäumen“ befasste, wird nun wohl unvollendet bleiben.

Andreas Zehnsdorf wird vielen von uns als starke Persönlichkeit, als Freigeist und Universalgelehrter alter Schule in Erinnerung bleiben, mit klaren Ansichten, offenem Denken, Neugier und Wissensdrang – sowie einer außergewöhnlich großen Portion Bodenhaftung. Ihn zog es oft in ferne Länder, kein Berg war ihm zu hoch, keine Pampa zu weit und keine Dschungel zu wild. Er hat als Agnostiker Freunde im Vatikan und im tiefsten Gran Chaco in Paraguay, wo er auf den Spuren der ersten Missionare wandelte. Wir werden seine Erzählungen vermissen und seine Tatkraft, seinen Humor, seine Hilfsbereitschaft und seine Zuverlässigkeit immer bewundern.

Sein Tod hat uns alle schwer getroffen und erfüllt uns mit Fassungslosigkeit und tiefer Trauer. Er hinterlässt eine große Lücke in seinem Department Umwelt- und Biotechnologisches Zentrum (UBZ) und dem ganzen UFZ. Mit den Ergebnissen seiner Forschungsarbeiten wird er noch lange präsent sein. Nicht nur deswegen werden wir ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Wir werden Prof. Dr.-Ing. Andreas Zehnsdorf voller Anerkennung, Freundschaft und Dankbarkeit in Erinnerung behalten.

Die Geschäftsführung, seine Kolleginnen und Kollegen des Departments Umwelt- und Biotechnologisches Zentrum (UBZ) und viele Kolleginnen und Kollegen sowie Freunde aus dem UFZ.


Die Linde

Oft fühl ich mich einsam im Lärm meiner Stadt
zwischen Mauern und Herzen aus Stein,
wo kaum jemand Zeit für den anderen hat
und fast jeder lebt für sich allein.

Da wird über alles und jeden geklagt,
zu viel wird geredet, zu wenig gesagt -
eine Sehnsucht in mir wird unsagbar groß,
und meine Seele fliegt einfach los.

Dann schließ ich die Augen und sitze im Traum
auf der Bank vor dem Haus unterm Lindenbaum,
mein Herz ruht von Trubel der lauten Welt aus
und ist endlich wieder zu Haus


Text: frei nach Christian Malkommes