Pressemitteilung vom 25. Juli 2024
Wie die Carbon Management Strategie weiterentwickelt werden sollte!
Ein Standpunkt von Umweltjurist Dr. Till Markus, Soziologe Dr. Danny Otto und Bioenergieexpertin Prof. Daniela Thrän
Das Eckpunktepapier der Bundesregierung für eine Carbon Management Strategie sowie der Gesetzesvorschlag zur Änderung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes setzen die Abscheidung und Speicherung von CO2 wieder auf die tagespolitische Agenda. Um die Technologieimplementierung erfolgreich im Sinne des Klimaschutzes zu gestalten, sind klare Zielvorgaben, eine enge Verzahnung mit der Langfriststrategie Negativemissionen sowie pragmatische Diskussionen im Lichte bestehender energiepolitischer Weichenstellungen nötig.
Die Bundesregierung veröffentlichte am 26.02.2024 ihr Eckpunktepapier für eine "Carbon Management Strategie" (CarbMS) und am 29.05.2024 den Gesetzesvorschlag für ein "Gesetz zur dauerhaften Speicherung und zum Transport von Kohlendioxid - KTSpG". Beide Initiativen markieren zusammen den Beginn eines zweiten Anlaufs der Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS) in Deutschland. Die bisherigen politischen, rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen ließen den systematischen Einsatz von CCS zum Zwecke des Klimaschutzes nicht zu.
Insbesondere das Eckpunktepapier zeigt und begründet, dass die Bundesregierung ihre Haltung zu CCS geändert hat. Unter Berufung auf den aktuellen IPCC-Bericht und den Evaluierungsbericht zum derzeit noch geltenden Kohlenstoffspeichergesetz (KSpG) aus 2023 wird erklärt, dass Deutschland sein Ziel der Klimaneutralität im Jahre 2045 nur erreichen könne, wenn "relevante Mengen" von CO2 "abgeschieden und gespeichert" oder "weitergenutzt" werden (CCS bzw. CCU). Derartige Verfahren seien insbesondere wichtig für den Umgang mit den "schwer vermeidbaren Emissionen" aus Industrieprozessen. Darüber hinaus sei die Speicherung ein zentraler Baustein für die großskalige Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre durch technische Verfahren wie etwa Direct Air Capture and Storage (DACCS) oder Bioenergy with Carbon Capture and Storage (BECCS). Weiterhin geht die Bundesregierung davon aus, dass CCS und CCU für den Übergang zu einem klimaneutralen Stromsystem nötig sein werden, insbesondere mit Blick auf Gaskraftwerke (Erdgas oder Gas aus Biomasse). Vor diesem Hintergrund plane sie, insbesondere CCS-Technologien durch entsprechende politische, finanzielle und regulatorische Maßnahmen zu fördern.
CCS wird bereits seit gut zwei Jahrzehnten diskutiert. Um die Implementierung nun erfolgreich zu gestalten, bedarf es einer klima- und energiepolitischen Einordnung und Bewertung. Ein Blick in die Vergangenheit sowie auf den bisher geltenden Rechtsrahmen kann hier helfen.
Eine kurze Geschichte von CCS in Deutschland
Seit über 20 Jahren werden in Deutschland CCS-Technologien erforscht. Ein bedeutendes wissenschaftliches Speicherprojekt startete 2004 in Ketzin, 50 km westlich von Berlin, als erstes onshore CO2-Speicherprojekt Europas. Zwischen 2008 und 2013 wurden dort erfolgreich 67.000 Tonnen CO2 sicher in Sandsteinschichten gespeichert. Öffentliche Opposition gegen dieses Projekt blieb weitgehend aus. Dies lag an der geringen Speichermenge, der Nutzung eines alten Erdgasspeicherstandorts, umfassenden öffentlichen Partizipationsstrategien und dem rein wissenschaftlichen Zweck der Projekte.
Der Erfolg dieser Studie weckte Interesse bei Energieunternehmen an industriellem CCS, insbesondere als vermeintlich einfacher Weg zur Dekarbonisierung von Kohlekraftwerken. Diese Initiativen scheiterten jedoch an öffentlicher und politischer Opposition, Finanzierungsproblemen und rechtlichen Unsicherheiten.
Der politische Streit um CCS beeinflusste die Umsetzung der 2009 erlassenen EU-Richtlinie zur geologischen Speicherung von CO2. Diese schuf Vorgaben für die Erprobung von CCS, ohne die Mitgliedstaaten zur Einführung zu verpflichten, verlangte jedoch bei Zulassung die Einhaltung bestimmter Anforderungen. Die CDU/CSU- und SPD-geführte Bundesregierung legte im April 2009 einen Gesetzentwurf vor, der nach Änderungen im Bundesrat angenommen wurde. Bundesländer mit Speicherkapazitäten, insbesondere Niedersachsen und Schleswig-Holstein, forderten eine Verbotsoption auf Landesebene. Nach langwierigen Verhandlungen wurde im August 2012 das KSpG verabschiedet.
Das seitdem weitgehend unverändert geltende KSpG ist ein vergleichsweise kurz gefasstes Gesetz. Es ist strukturell eng an die EU CCS-Richtlinie angelehnt, schafft also im Kern einen Rechtsrahmen für die Einführung der CCS-Technik. Sein Ziel ist zunächst beschränkt auf die Regelung der Erforschung, Erprobung und Demonstration von CCS. Im Zentrum des KSpG stehen die Genehmigungsverfahren für die Erkundung von Speichern (auch Forschungsspeichern), für die Speicher selbst sowie für deren Stilllegung. Zulassungsfähig sind nach wie vor nur Speicher zu Demonstrations- und Erprobungszwecken. Das Gesetz begrenzte die Zulassung allerdings auf einen bestimmten Zeitraum und eine bestimmte Menge: Anträge mussten bis zum 31.12.2016 gestellt werden und waren begrenzt auf 1,3 Mio Tonnen CO2 pro Speicher und auf nicht mehr als 4 Mio Tonnen CO2 pro Jahr. Des Weiteren ermöglicht das Gesetz den Bundesländern, die Einrichtung von CCS-Speichern auf ihren Gebieten auszuschließen. Darüber hinaus regelt das KSpG hinsichtlich der Speicher Betreiberpflichten sowie Fragen der Aufsicht und Haftung. Nicht zuletzt normiert es die Genehmigungsverfahren für Transportleitungen. Die Genehmigung von Abscheideanlagen richtete sich nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz.
Insbesondere die im Gesetz bestimmten temporären und quantitativen Einschränkungen stellten jeglichen CO2-Speicherinitiativen ein starres regulatorisches Hindernis in den Weg. Die Einschränkungen galten insbesondere völlig unabhängig davon, ob sie zu industriellen oder wissenschaftlichen Zwecken durchgeführt werden sollten, und ungeachtet der Abscheidungsvorgänge (z. B. Umgang mit Restemissionen, CO2-Entnahme mit Bioenergie mit CCS oder Direct Air Capture mit CO2-Speicherung).
Der Gesetzesvorschlag zur Änderung des KSpG
Wie oben erwähnt, plant die Bundesregierung CCS durch politische, finanzielle und regulatorische Maßnahmen zu fördern. Eine ganz zentrale Maßnahme ist insoweit die Novellierung des KSpG. Der Gesetzesentwurf zielt darauf ab, den regulatorischen Rahmen für die CCS-Technik grundlegend zu verändern. Er verfolgt im Wesentlichen drei strategische Ziele: Die Schaffung eines klaren Zulassungsregimes für CO2-Leitungen, die Öffnung des Anwendungsbereichs des KSpG für die industrielle Nutzung von CCS (nicht nur zu Forschungs- und Erprobungszwecken) und die Erlaubnis von Speichervorhaben auf dem Gebiet des Festlandsockels und der Ausschließlichen Wirtschaftszone (sowie an Land zu Forschungszwecken und für den Fall, dass die Bundesländer es auf ihrem jeweiligen Gebiet zulassen wollen - opt-in-Klausel). Dabei werden dem Ausbau von CCS drei zentrale umwelt- und energiepolitische Grenzen gesetzt: Erstens dürften keine mit der Speicherung assoziierte Aktivitäten in Meeresschutzgebieten durchgeführt werden (und im näheren Umkreis). Zweitens wären Speicheraktivitäten nur dort zulässig, wo sie den Ausbau erneuerbarer Energien nicht einschränken (z. B. Offshore-Windenergieanlagen). Auch Seeschifffahrts-, Forschungs- und Fischereiaktivitäten sollen möglichst nicht beeinträchtigt werden. Drittens dürfte CO2 aus der Kohleverstromung nicht in das CO2-Netz aufgenommen werden (was die großskalige Speicherung des so generierten CO2 de facto unmöglich macht).
Was bleibt zu tun?
Der Gesetzgeber adressiert mit seinen Maßnahmen die seit Jahren bestehenden Barrieren für CCS und reagiert auf die veränderte klima- und energiepolitische Sachlage. Unserer Auffassung nach gibt es dabei weiteren Steuerungs- und Klärungsbedarf in fünf zentralen Themenfeldern:
- In der Diskussion um die Rolle von CCS und CCU zur Erreichung der Treibhausgasreduktionsziele gilt es klare und voneinander unterscheidbare Ziele für Emissionsreduktion, schwer vermeidbare Emissionen, Restemissionen, CO2-Speichermengen und die CO2-Entnahme zu definieren. Diese Ziele sind entscheidend, um sicherzustellen, dass Reduktionsanstrengungen nicht zugunsten des Einsatzes von CCS oder CCU aufgeschoben und ggf. fossile Anlagen trotz alternativer Möglichkeiten weiterbetrieben werden. Hierzu bedarf es transparenter Verfahren des Monitorings und der Zertifizierung, um den Fortschritt und die Permanenz bei der CO2-Entnahme zu überwachen, Doppelanrechnung zu vermeiden und sicherzustellen, dass die gesetzten Ziele erreicht werden.
- Weiterhin ist die Verzahnung von CCS mit der Negativemissionsstrategie von zentraler Bedeutung. Die CarbMS erkennt bereits an, dass es Unterschiede und Überschneidungen zwischen CCS, CCU und CO2-Entnahmeverfahren gibt, jedoch gilt es, diese Verbindungs- und Trennlinien weiter zu schärfen, insbesondere in Bezug auf staatliche Förderstrukturen. Beispielsweise kann CCU die Nutzung fossiler Rohstoffe reduzieren und zur Entwicklung weniger klimaschädlicher Kohlenstoffmärkte beitragen. Die damit verbundenen Entnahme- und Transport-Infrastrukturen sind grundsätzlich auch für CO2-Entnahmeverfahren nutzbar. Die Speicherung als ein Teilelement von CCS ist auch eine Voraussetzung für die Verfahren der "Bioenergie mit Abscheidung und Speicherung von CO2" oder "Direct Air Capture mit CO2-Speicherung". In der Konkurrenz um Fördermittel ist eine sich dynamisch anpassende Förderlandschaft nötig, die den unterschiedlichen Anreizbedarfen der Verfahren im Zeitverlauf gerecht wird (das gilt insbesondere mit Blick auf Direct Air Capture and Storage im Verhältnis zu CCS).
- "Bioenergie mit Abscheidung und Speicherung von CO2" oder "Direct Air Capture mit CO2-Speicherung" sind mit Risiken behaftet: Biomasse ist eine limitierte Ressource, die nur bei nachhaltiger Bereitstellung einen Beitrag zur CO2-Entnahme leistet und auf die künftig verschiedene Sektoren für ihren Fortschritt in der Defossilisierung Anspruch erheben (Chemiesektor, Holzbauinitiative, Torfersatzstrategie u.v.a.m.). Die CarMS und auch die Langfriststrategie Negativemissionen sind daher mit der gegenwärtig ebenfalls in der Erarbeitung befindlichen Biomassestrategie so zu verzahnen, dass es hier nicht zu ungewollten Nebeneffekten auf die Landnutzung kommt, die den Beitrag der CO2-Entnahme durch BECCS (Bioenergy with Carbon Capture and Storage) infrage stellen. Bei DACCS (Direct Air Carbon Capture and Storage), das eher erst in der Mittelfrist, also wahrscheinlich ab 2035, großtechnisch einsetzbar sein dürfte, ergibt sich ein zusätzlicher Energiebedarf; hier ist sicherzustellen, dass dieser regenerativ und klimaneutral bereitgestellt wird, denn ansonsten wäre der Beitrag zur CO2-Entnahme ebenfalls ungewiss.
- In der CarbMS wird betont, dass sie im Rahmen eines "breit angelegten Stakeholderdialogs" entstanden ist. Am Beispiel des erfolgreichen Speicherprojekts in Ketzin wird deutlich, dass auch bei der Umsetzung konkreter CCS-Vorhaben sowie beim Ausbau der nötigen Infrastruktur für CO2-Speicherung und -Entnahme Kommunikations- und Beteiligungsformate von großer Bedeutung sind. Zahlreiche wissenschaftliche Studien weisen deutlich aus, dass Möglichkeiten zur vielfältigen Partizipation in Entscheidungsprozessen wichtig für die faire und erfolgreiche Implementierung von Technologien sind. Die CarbMS sollte daher nicht nur auf etablierte Dialogformate zielen, sondern bereits Partizipation auf regionaler und lokaler Ebene mitdenken. Das ist insbesondere für CO2-Transportinfrastrukturen relevant, die auch bei der offshore-Speicherung von CO2 in großen Teilen an Land liegen werden. Eine klare und verständliche Kommunikation der klima- und energiepolitischen Ziele, die mit CCS, CCU und CO2-Entnahme verbunden sind, ist dabei ebenso wichtig wie eine nachvollziehbare Einbettung dieser Maßnahmen in bestehende Bestrebungen zur Emissionsreduktion.
- Nicht zuletzt ist die energiepolitische und -rechtliche Relevanz von CCS und CCU zu bedenken. Beispielsweise ist es für die politische Debatte wichtig, die CarbMS als an bereits existierende energiepolitische Weichenstellungen gekoppelt zu betrachten. Das ist insbesondere für die Abscheidung von CO2 aus Gaskraftwerken relevant, die gegenwärtig in Politik und Öffentlichkeit kritisch kommentiert wird. Hierzu zählt die Positionierung von Erdgas als Brückentechnologie (siehe Kraftwerkstrategie der Bundesregierung), das bestehende Brennstoffemissionshandelsgesetz sowie die Wasserstoffstrategie, einschließlich blauem Wasserstoff (Wasserstoff aus der Dampfreduzierung von Erdgas, CO2-Emissionen werden mit CCS abgefangen). Insoweit ergibt sich die Möglichkeit, Gaskraftwerke an CO2-Pipelines anzuschließen - als Konsequenz bestehender politischer und ökonomischer Entscheidungen zur Vermeidung von Emissionen und zur Sicherung der Energieversorgung. Dabei muss allerding sichergestellt werden, dass die Verstromung gasförmiger Energieträger nicht unnötig unterstützt und ihr Brückentechnologiecharakter gesetzlich fest verankert wird.
PD Dr. Till Markus ist Jurist und stellvertretender Leiter des Departments für Umwelt- und Planungsrecht am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Er befasst sich u.a. mit den rechtlichen Fragen des Klimaschutzes und der Energiewende und ist beteiligt an Projekten wie DACStorE, GONASIP und Zukunftsfähiges Umweltrecht im Anthropozän.
Dr. Danny Otto ist Soziologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Er forscht zu Fragen der gesellschaftlichen Wahrnehmung und Bewertung von negativen Emissionstechnologien bzw. Technologien zu CO2-Speicherung - aktuell etwa in den Projekten BioNET und RamonCO.
Prof. Daniela Thrän ist Ingenieurin für technischen Umweltschutz, Professorin für Bioenergiesysteme an der Universität Leipzig und leitet das Department Bioenergie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Sie befasst sich mit der Analyse und Bewertung von biobasierten negativen Emissionen in net zero Energiesystemen und nachhaltiger Bioökonomie wie z.B. dem BioNET-Projekt. Von 2012 bis Ende 2023 war sie Mitglied und zudem von 2019 bis 2023 Co-Vorsitzende im Nationalen Bioökonomierat.
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Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt und erarbeiten Lösungsoptionen. In sechs Themenbereichen befassen sie sich mit Wasserressourcen, Ökosystemen der Zukunft, Umwelt- und Biotechnologien, Chemikalien in der Umwelt, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg circa 1.100 Mitarbeitende. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.
www.ufz.deDie Helmholtz-Gemeinschaft identifiziert und bearbeitet große und vor allem drängende Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Ihre Aufgabe ist es, langfristige Forschungsziele von Staat und Gesellschaft zu erreichen. Damit sollen die Lebensgrundlagen der Menschen erhalten und sogar verbessert werden. Helmholtz besteht aus 19 naturwissenschaftlich-technologischen und medizinisch-biologischen Forschungszentren.
www.helmholtz.de