UFZ-Thema des Monats September
Biodiversität und Wasser
Kaum ein anderes Ökosystem Mitteleuropas hat mehr unter dem Einfluss des Menschen gelitten als Fließgewässer und Seen - und mit ihnen deren natürliche Lebensgemeinschaften und damit die biologische Vielfalt. Ihr heutiger Zustand ist das Ergebnis zahlreicher Eingriffe durch den Menschen über einen langen Zeitraum. Im Mittelalter begann die Entwaldung und mit ihr die Bodenerosion. Mit fortschreitender Industrialisierung und rapide ansteigender Bevölkerungsdichte erreichte die Gewässerbelastung im 19. Jahrhundert ein vorher nicht gekanntes Ausmaß. Verantwortlich waren vor allem die Einleitungen ungeklärter Abwässer und die Flurbereinigung mit Grundwasserabsenkungen und Gewässerausbau. Wasserwirtschaftliche Maßnahmen waren über mehr als ein Jahrhundert technisch orientiert: Oberflächengewässer, insbesondere Fließgewässer, waren Vorfluter. Sie hatten die Schmutz- und Schadstoffe der flächendeckend errichteten Schwemmkanalisationen aufzunehmen. Sie dienten als Abflüsse, um Kulturlandschaften zu entwässern und Nutzflächen zu gewinnen. Inzwischen befinden sich die Wasserressourcen und Gewässer vieler Länder der Welt in einem historisch vergleichbaren Zustand.
Oberflächengewässer als Hotspots der Biodiversität
Beispiel Mikrofauna
Biofilm in einem Fließgewässer. Oberflächengewässer weisen eine sehr hohe Artenvielfalt auf. Obwohl sie nur ein Zehntausendstel des Wasservolumens der Erde beinhalten, leben in ihnen 12 Prozent aller bekannten Arten. Beispielsweise weisen Biofilme häufig verschiedene Arten von Mikroorganismen auf, die sich auf Grenzflächen ansieldeln. Der Biofilm schützt die darin lebenden Mirkoorganismen vor äußeren Umweltfaktoren.
Foto: Margarete Mages/UFZ
Beispiele Meiofauna
Bryozoen ("Moostierchen"; Bild oben) und der Geweihschwamm Spongilla lacustris (Bild unten) sind Filtrierer, die Mikroorganismen aus dem Wasser filtrieren. Bei Schwämmen sind
es vor allem Bakterien und kleine einzellige Algen, bei den Bryozoen sind es einzellige Algen und Zooplankton. Beide Gruppen können das unerwünschte massenhafte Auftreten von Algen und Bakterien unterbinden.
Fotos: Andreas Vohmann
Beispiel Makrofauna
Die vom Aussterben bedrohte Flussperlmuschel in einem Fließgewässer im Bayerischen Wald.
Foto: André Künzelmann/UFZ
Obwohl die Stand- und Fließgewässer nicht einmal ein Zehntausendstel des Wasservolumens der Erde beinhalten, leben in ihnen 12 Prozent aller bekannten Arten. Zirka 41 Prozent der Fischarten und 25 Prozent aller Wirbeltierarten sind mehr oder minder direkt von Süßwasserökosystemen abhängig, wobei die Binnengewässer der Erde wiederum nur einen proportional sehr geringen Teil der Erdoberfläche bedecken.
Die Biodiversität in Gewässern wurde bisher aufgrund mangelnder Daten allerdings nicht in ihrer Gesamtheit beschrieben. Es gibt jedoch deutliche Hinweise, dass Fließgewässer Hotspots der Biodiversität sind. Eines der am intensivsten untersuchten Fließgewässer ist der Breitenbach im Hessischen Bergland bei Schlitz. Er wurde über 50 Jahre von Wissenschaftlern der Limnologischen Flussstation der Max-Planck-Gesellschaft bearbeitet und in dieser Zeit wurden über 1.000 wirbellose Tierarten nachgewiesen, mehr als die Hälfte davon Wasserinsekten.
Die Biodiversität in Süßgewässern lässt sich nur erahnen. Aufgrund der Isolation vieler Oberflächengewässer sind im Laufe der Evolution sehr viele endemische Arten entstanden, das heißt, sie kommen nur in ganz bestimmten Gewässern vor. So leben rund 10.000 (also 40 Prozent) der weltweit 25.000 Fischarten in Binnengewässern. Umgerechnet auf das jeweilige Wasservolumen, macht das eine Art auf 100 000 km3 Wasser in den Ozeanen bzw. eine Art auf 15 km3 Wasser in den Binnengewässern. Berechnet auf das Volumen, kommen in Süßgewässern ungefähr siebentausendmal mehr Arten vor. Und wenn man bedenkt, dass in Gewässern vor allem mikroskopisch kleine Organismen wie Pilze, Bakterien, Algen und Vertreter der Mikro- (Protozoen, kleine Nematoden) sowie Meiofauna (große Nematoden, kleine Insekten) maßgeblich für die Artenvielfalt sind, dann lässt sich die Bedeutung der Oberflächengewässer als Hotspots der Biodiversität annähernd erahnen.
Grundwasser: Biodiversität im Verborgenen
Dass auch das Grundwasser eine wichtige Ressource ist, ist vielen nicht bewusst. In Deutschland werden beispielsweise 76 Prozent des Trinkwassers aus Grundwasser gewonnen. Noch weniger bekannt ist, dass das Grundwasser auch ein wichtigen eigenständigen Lebensraum bietet. Darin lebt eine hochgradig spezialisierte und adaptierte Fauna - die so genannte Stygofauna. Sie besteht aus Organismen unterschiedlicher Größe und man findet praktisch alle taxonomischen Gruppen der Oberflächengewässerfauna auch im Grundwasser: Krebstiere, Milben, Schnecken, Würmer und sogar Amphibien sowie Fische. Da dieser Lebensraum ständig dunkel ist und dort keine Photosynthese bzw. Primärproduktion stattfinden kann, haben sich die Organismen an die nährstoffarmen und chemisch extremen Grundwasserlebensräume morphologisch und physiologisch in vielfältiger Weise angepasst.
Der Kenntnisstand über die Grundwasserfauna ist noch geringer als in den Oberflächengewässern. In Europa sind etwa 2.000 Metazoen (mehrzellige Arten) und weltweit etwa 7.700 Arten bekannt. Es gibt Schätzungen, dass es weltweit zwischen 50.000 und 100.000 stygobionte - also im Grundwasser lebende - Arten geben könnte. Noch weniger als über die Artenzusammensetzung ist aber über die ökologischen Funktionen dieser Fauna bekannt, etwa in welchem Maße sie die Durchlässigkeit des Untergrundes und die Wasserqualität bestimmt.
Der Rhein - Ein drastisches Beispiel
Der Rhein bei Basel.
© Udo Ingber - Fotolia.com
Der Rhein ist ein drastisches Beispiel für vom Menschen verursachte Veränderungen und Einflüsse im Laufe der Zeit. Er wurde begradigt, Chemikalien und häusliche Abwässern belasteten seine Wasserqualität und sein Wasser nutzten die Menschen für Industriebetriebe.
Auen: der Übergang zwischen Wasser und Land
Wenn von Fluss- oder Seengebieten gesprochen wird, dann ist damit mehr gemeint als der Wasserkörper, dessen Wasserqualität oder Sedimente. Die Auen, der Übergang zwischen Wasser und Land, spielen beim Management von Flüssen und Seen, beim Hochwasser- und Naturschutz, eine ganz wesentliche Rolle. Die Fauna von Auengebieten umfasst eine sehr unterschiedliche Mischung von Arten: Es gibt Arten, die nur terrestrisch leben, und Arten, die nur im Wasser vorkommen. Auch in ihrer Größe unterscheiden sich die Arten erheblich: Im Lückensystem von Sedimenten (dem so genannten Hyporheos) leben sehr kleine Arten, wie Nematoden und kleine Insekten. Und natürlich trifft man in Auengebieten auf Vögel und Säugetiere. So leben etwa 80 Prozent der in der Schweiz vorkommenden Tierarten in Flussauen, und fast 50 Prozent der in Uferzonen lebenden Arten gelten als gefährdet. In Europa haben die eingangs besprochenen anthropogenen Veränderungen der Flusssysteme die seitlichen Querverbindungen der Flusssysteme mit dem angrenzenden Land unterbrochen und zum Verschwinden von 90 Prozent der aktiven Auen geführt. Neben diesem Verlust und der Schädigung von Auenlebensräumen tragen organische und chemische Belastungen sowie invasive Arten wesentlich zum Rückgang der Biodiversität auch in den Auen bei. Einer der umfassendsten Datensätze über den abnehmenden Trend bei Populationen von Süßwasserarten stammt aus der Studie des "Millennium Ecosystem Assessment" (2005). In den 30 Jahren von 1970 bis 2000 gingen die Populationen von über 300 Süßwasserarten weltweit um etwa 55 Prozent zurück, während die von Arten aus terrestrischen und marinen Systemen jeweils um nur ungefähr 32 Prozent abnahmen. In Anbetracht unseres unvollständigen und bruchstückhaften taxonomischen Wissens über die Süßwasserfauna und -flora ist davon auszugehen, dass die Biodiversität in Süßgewässern und deren Rückgang gegenwärtig noch unterschätzt werden.
Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen
Auf einem Großteil der Erdoberfläche gibt es Zielkonflikte, wenn es darum geht, die Güter und Dienstleistungen von Süßwasser-Ökosystemen zu nutzen und die biologische Vielfalt zu erhalten.
Grundwasserökosysteme stellen eine der wichtigsten Lebensgrundlagen bereit, nämlich Trinkwasser. Fließgewässer und aktive Auen funktionieren als Filter für Sedimente und gelöste Schadstoffe (Selbstreinigung), leisten Hochwasserrückhaltung und dienen als natürliche Lebensräume für hoch spezialisierte Pflanzen- und Tierarten. Sie werden für die Wasserkraft, Schifffahrt und Fischerei genutzt. Und sie gewinnen eine immer größere Bedeutung für Freizeit und Erholung.
Die Anfälligkeit der menschlichen Gesellschaft gegenüber natürlichen oder von Menschen verschuldeten Gefahren ist gestiegen. Das zeigen die Schäden der extremen Hochwasserereignisse in den letzten zehn Jahren in Europa beispielhaft. Es wird damit gerechnet, dass die Häufigkeit von Extremereignissen (Überflutung und Trockenheit) in Zusammenhang mit Phänomenen des Klimawandels zunehmen wird. Obwohl ökologische Prozesse in Fließgewässern und Auen hauptsächlich durch den Wechsel zwischen hydrologischen Extremen bestimmt werden, wird das veränderte Abflussverhalten weitreichende Auswirkungen auf intakte Funktionen der Lebensräume und die damit verbundenen Ökosystemdienstleistungen haben. Wenn wir also wollen, dass Gewässerökosysteme solche möglichen Veränderungen abpuffern und sich ohne schwerwiegende Rückkopplungen nachhaltig an die Wandelprozesse anpassen, müssen wir dafür sorgen, dass ihre ökologischen Funktionen gesichert werden.
Die Zusammenhänge zwischen der Biodiversität und den ökologischen Funktionen der Gewässerökosysteme sind dabei noch nicht ausreichend verstanden und quantifiziert. Die Gewässerforschung ist deshalb am UFZ ein wesentlicher Forschungsschwerpunkt.
Publikationen:
Borchardt, D. and Pusch, M. (eds.) (2009):
The ecology of the hyporheic zone of running waters. Advances in Limnology (61), 224 S.
Borchardt, D., Bosenius, U., Dörr, R.-D., Ewens, H.-P., Friedl, C., Irmer, U., Jekel, H., Keppner, L., Mohaupt, V., Naumann, S., Rechenberg, B., Rechenberg, J., Richter, S., Richter, S., Rohrmoser, W., Stratenwerth, T., Willeke, J. & R. Wolter (2005):
Water Framework Directive -Summary of River Basin District Analysis 2004 in Germany. Federal Ministry for the Environment, Nature Conservation and Nuclear Safety (BMU). Public Relations Division, Berlin.
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU)(Hrsg.) (2010).
Die Wasserrahmenrichtlinie. Ergebnisse der Bewirtschaftungsplanung 2009 in Deutschland. Berlin.
EEA - European Environmental Agency (2003): Europes water: an indicator based assessment. EEA Copenhagen. 124 pp.
Federal Ministry for the Environment, Nature Conservation and Nuclear Safety (Publ.) (2009).
Biodiversity of surface waters, floodplains and groundwater. Public Relations Division, Berlin.
Maltby, E. (Ed.) (2009):
The functional assessment of wetlands: Towards evaluation of ecosystem services. Woodhead Publishing Ltd., Cambridge, 724 pp.
Millennium Ecosystem Assessment (2005). Ecosystems and Human Well-being: Synthesis. Island Press, Washington, DC.
Tittizer, T. & F. Krebs (eds.) (1996).
Ökosystemforschung: Der Rhein und seine Auen - eine Bilanz. Berlin, Heidelberg.
Tockner K., Uehlinger U. & Robinson C.T. (Eds.) (2009).
Rivers of Europe. Elsevier ⁄Academic Press, San Diego, USA.