UFZ-Thema des Monats Februar
Biodiversität und Verkehr
"Via est vita" - der Weg ist Leben - werben die Straßenbauer und lassen damit vergessen, dass Verkehr für den Menschen eine ambivalente
Bedeutung hat. Einerseits ermöglicht er den Menschen hohe Mobilität, andererseits ist er mit Risiken verbunden und schafft neue Probleme.
Die breite Mehrheit versteht die bauliche Erschließung der Landschaft als Zeichen wirtschaftlicher Entwicklung, Wohlstands, Wachstums und
technischen Fortschritts.
Erst in den letzten Jahren mehrten sich kritische Stimmen über die Schattenseiten: Landschaftsverbrauch, Zersiedelung, Zerschneidung,
Verschmutzung der Landschaft (Abfälle, Chemikalien/Abgase, Licht, Lärm), Verinselung und Fragmentierung von Lebensräumen von Tieren und
Pflanzen, Störungen des Verhaltens von Tieren und Auswirkungen auf der Populationsebene bis hin zu durch den Güter- und Personenverkehr
absichtlich oder unabsichtlich eingeschleppten Tier- und Pflanzenarten.
Der Waschbär (Procyon lotor) ist ursprünglich in Nordamerika heimisch. Ausgesetzt oder aus Gehegen entkommen, breitet er sich seit
Mitte des 20. Jahrhunderts als Neozoon auch in Europa, Japan und dem Kaukasus aus. Das nachtaktive Raubtier lebt bevorzugt in gewässerreichen
Laub- und Mischwäldern. Dank seiner Anpassungsfähigkeit fühlt er sich zunehmend in urbanen Gebieten wohl. Seinen Namen verdankt der Waschbär
der englischen Bezeichnung raccoon, was so viel wie "der mit seinen Händen reibt, schrubbt und kratzt" bedeutet.
Foto: André Künzelmann/UFZ
Biologische Invasionen - Ungebetene Gäste
Zunehmende Mobilität und Verkehr haben es dem Menschen erlaubt, immer mehr Teile der Welt eng miteinander zu vernetzten, insbesondere im Zeitalter des Automobils und von Flugzeugen. Verkehr schaffte den Zugang zu fremden Regionen, jede mit einer ihr eigenen biologischen Vielfalt. Immer wieder haben Entdecker in der Geschichte der Menschheit exotische Pflanzen und Tiere aus fernen Ländern mitgebracht, damit sie in Naturkundemuseen, wissenschaftlichen Sammlungen und Wunderkammern, Menagerien, botanischen und zoologischen Gärten und Parks bestaunt werden können. Was sie nicht wussten: Ihre "Mitbringsel" machten sich in der neuen Heimat bisweilen selbstständig, breiteten sich teilweise invasionsartig aus und be- oder verdrängten einheimische Arten. Andere Arten - darunter Pflanzenschädlinge - reisten unbemerkt mit Handelswaren durch die Welt und eroberten neue Gebiete oder wurden ursprünglich zur biologischen Schädlingsbekämpfung eingeführt (z.B. der Asiatische Marienkäfer). Besonders auf Inseln kann die Pflanzen- und Tierwelt durch eingewanderte oder eingeschleppte Arten vollkommen auf den Kopf gestellt werden.
Das kann ein Fluch sein für Länder, in denen intakte Ökosysteme mit vielfältigen und charismatischen Arten wichtige Einnahmequellen für diese Regionen sind. Biologische Invasionen können auch direkte Kosten verursachen, wenn sie beispielsweise regelmäßig bekämpft werden müssen wie der aus Japan als Zierpflanze eingeführte Staudenknöterich, der an Bahndämmen ein Sicherheitsrisiko ist, oder die aus Nordamerika stammende Beifuß-Ambrosie, die zu den aggressivsten Allergieauslösern zählt. Arten wie die Herkulesstaude haben nicht nur gesundheitsgefährdendes Potenzial (die in ihren Haaren enthaltene Flüssigkeit kann "Verbrennungen" auslösen), sondern können auch naturnahe Ökosysteme völlig überformen. Doch die Auswirkungen vieler Eindringlinge bleiben unbemerkt. Die Datenlage über die ökonomischen Folgen ist bisher sehr dünn. Und ob eine Art nett oder bösartig ist, entscheiden oft nur Nuancen. Manch Gartenbesitzer betrachtet eine Pflanze, die seinen Garten bereichert, ganz anders als derjenige, der an Bahnstrecken für den sicheren Schienenverkehr zuständig ist.
Artenhandel und Artenschutz
Dank Verkehr, Mobilität und Tourismus blühte auch der Handel mit Naturprodukten und seltenen und unter Schutz gestellten Arten. Dieser Handel mit Naturprodukten hat in der Vergangenheit globale Verkehrsströme gesteuert sowie Reichtum und selbst Kriege erzeugt. Ein berühmtes Beispiel ist die Seidenstraße, die Jahrhunderte lang für den Handel Europas mit China entscheidend war und die ihren Namen dem Handel mit Seide verdankt (Seide ist ein sehr feiner Faden, den die Raupen des Seidenspinners, einer chinesischen Schmetterlingsart, produzieren, um sich bei der Verpuppung eine schützende Hülle, den Kokon, zu spinnen). Die tropische Stadt Manaus in Brasilien verdankte ihren Reichtum dem Kautschuk und dieser Reichtum führte zur Ausweitung von Verkehrswegen: wöchentlich wurde Wäsche nach Europa verschifft, um dort blütenweiß gewaschen und zurücktransportiert zu werden. Die Bedeutung des Kautschuks war so hoch, dass auf die Ausfuhr der Kautschuk-Pflanze die Todesstrafe stand, damit sie nicht in anderen Regionen angebaut werden konnte.
Der internationale Handel mit Arten und aus ihnen gewonnenen Teilen (z.B. Reptilleder, Elfenbein) und Erzeugnissen (z. B. Naturmedikamente, Lebensmittel) kann jedoch auch Arten gefährden. Daher wurde 1973 das Washingtoner Artenschutzübereinkommen (CITES) unterzeichnet. Das internationale Abkommen regelt den Handel mit vom Aussterben bedrohten oder gefährdeten Tier- und Pflanzenarten sowie den aus ihnen produzierten Erzeugnissen. Rund 8.000 Tier- und 40.000 Pflanzenarten stehen unter Schutz. Deshalb sollte auch jeder Tourist gut informiert sein, welche Andenken er sich von seinen Reisen mitbringen darf. Es könnte unangenehm und teuer werden.
Straßen sind Zeichen wirtschaftlicher Entwicklung, Wohlstands, Wachstums und technischen Fortschritts. Ihre Schattenseiten sind
Landschaftsverbrauch, Zersiedelung, Zerschneidung, Verschmutzung, Verinselung und Fragmentierung von Lebensräumen von Tieren und Pflanzen,
Störungen des Verhaltens von Tieren und Auswirkungen auf der Populationsebene bis hin zu durch den Güter- und Personenverkehr absichtlich oder
unabsichtlich eingeschleppten Tier- und Pflanzenarten.
Foto: André Künzelmann/UFZ
Der Fischotter (Lutra lutra) kommt in fast ganz Europa vor. Der an das Wasserleben angepasste Marder wird zwischen 8 und 13 Jahre alt,
in Gefangenschaft sogar bis zu 22 Jahre. Feinde des Fischotters sind Wolf, Luchs, Seeadler und wilde Hunde. Sein gefährlichster Feind ist
allerdings der Mensch. Lebensraumzerstörung, Straßenverkehr, knappe Nahrung, Fischreusen und die Verschmutzung der Gewässer sind die
Hauptursache dafür, dass Fischotter kein hohes Lebensalter erreichen.
Foto: Dr. Reinhard Klenke/UFZ
Zerschneidung, Störungen, Straßenopfer
Die infrastrukturelle Erschließung von Regionen ist Mittel und Zweck eines tief greifenden landschaftlichen Struktur- und Nutzungswandels. Infrastruktur und Siedlungstätigkeit (Flächenverbrauch) dringen nicht nur in empfindliche Lebensräume vor - zunächst ohne sich der ökologischen Wirkungen bewusst zu sein oder diese richtig abschätzen zu können. Sie machen auch andere und in Zukunft vielleicht lebenswichtige Nutzungen unmöglich.
Landschaften werden durch Verkehrsadern in immer kleinere Teilräume zerschnitten, die ihrer Funktion als Lebensraum nicht mehr gerecht werden. Zuerst fallen die großen und die störungsempfindlichen Arten aus, später auch die kleinen und die wenig mobilen oder wenig ausbreitungsfähigen. Um zu fliehen oder um von einer Teilfläche in die andere zu kommen, müssen sie immer häufiger Straßen überqueren. Ein hohes Risiko, wie jeder Fußgänger weiß, nur für Tiere gibt es weder Ampel noch Zebrastreifen.
Ins öffentliche Bewusstsein kamen die negativen Wirkungen von Verkehrswegen vor allem durch direkte Mortalität: Straßenopfer, seien es Amphibien oder Vögel und Säugetiere wie Dachs, Fischotter, Luchs. Doch auch der Mensch kann direkt betroffen sein, wenn Wildschweinrotten und in Skandinavien Elche die Straßen queren oder Rehe und Hirsche beim nächtlichen Grasen am Straßenrand aufgeschreckt werden und Kollisionen verursachen. Diesen Konflikten versucht man heute auszuweichen, indem man empfindliche Landschaftsbereiche bei der wirtschaftlichen Entwicklung verschont (was jedoch aufgrund anderer Interessen nur sehr begrenzt gelingt) oder Querungshilfen wie Amphibientunnel oder Grünbrücken über Autobahnen für Wildtiere baut.
Straßen und Siedlungen haben aber noch weitere Nebenwirkungen: Störeffekte z.B. entlang dieser Zerschneidungselemente, die auf der Verhaltensebene vieler Arten wirken, sei es Flucht aus Lebensräumen, Rast- und Nahrungsflächen (Kraniche, Nordische Gänse), die Meidung bestimmter Areale (Schreiadler überfliegen ungern Straßen und Siedlungen - im Gegensatz zum Seeadler) oder Randeffekte durch den Verlust an Lebensraum (z.B. Verteilung von Greifvogelhorsten). Straßen, Trassen und andere Bebauung verringern auch die Durchlässigkeit von Landschaften. In Deutschland sind die meisten Straßen nur weniger als 40 Kilometer von der nächsten vierspurigen Straße entfernt. Es entstehen Barrieren, die dazu führen, dass Teilpopulationen isoliert werden, genetisch verarmen und - wenn sie in diesem Ökosystem aussterben - eine Neuansiedlung kaum möglich sein wird. Welche Faktoren zum Tragen kommen, hängt von den biologischen Eigenschaften der Arten ab: Generalisten überleben, Spezialisten verschwinden - die Vielfalt nimmt ab. Gegenmaßnahme: Ökosysteme wieder vernetzen, Biotopverbundsysteme schaffen. Die FFH-, Natura-2000- und die Vogelschutzgebiete bilden dafür ein wichtiges Rückgrat.
Ganz abgesehen von den Beeinträchtigungen für die Tier- und Pflanzenwelt, die uns zunächst "nur" indirekt betrifft, gräbt sich der Mensch mit dem ungebremsten Flächenverbrauch, der Zersiedelung und Versiegelung selbst eine wichtige Lebensgrundlage ab: Ob in Mitteleuropa (z.B. Halle/Leipzig) oder der Ukraine - der Kornkammer Europas - werden systematisch beste Schwarzerdeböden zerstört, auf denen unsere Nahrung wächst.
Department Naturschutzforschung
Publikationen:
AMLER, K., A. BAHL, K. HENLE, G. KAULE, P. POSCHLOD & J. SETTELE: Populationsbiologie in der Naturschutzpraxis. Isolation, Flächenbedarf und Biotopansprüche von Pflanzen und Tieren. Ulmer, Stuttgart.
BAIER, H.; ERDMANN, F.; HOLZ, R.; WATERSTRAAT, A. (2006, HRSG.): Freiraum und Naturschutz Die Wirkungen von Störungen und Zerschneidungen in der Landschaft. 692 S. Springer. Berlin, Heidelberg, New York.
FRANK, K., M. DRECHSLER & K. HENLE (1996): Biotopverbundsysteme als Naturschutzstrategie - Bewertung aus theoretischer Sicht. S. 52-60 in UFZ-Umweltforschungszentrum-Leipzig-Halle: Jahresbericht ‘92-´95. UFZ, Leipzig.
FRANK, K., J. SETTELE & K. HENLE (2000): Faustregeln und Computer-Modelle vereinfachen Entscheidungen im Naturschutz. UFZ-Jahresbericht 98-99: 74-81.
FRANK, K., P. EULBERG, K. HERTWECK & K. HENLE (2002): A simulation model for assessing otter mortality due to traffic. IUCN Otter Specialist Group Bull. 19A: 64-68.
HENLE, K. & K. FRANK (2001): Überleben von Arten in fragmentierten Landschaften - vom Fallbeispiel zur Faustregel. Laufener Seminarbeitr. 2/00: 109-119.
KLENKE, R.; SCHULTZ, A. & LUTZE, G. (2006): Mathematisch-kybernetische Habitatmodellierung und Analyse von Landschaftszerschneidungen - In: Baier, H.; Erdmann, F.; Holz, R. & Waterstraat, A. [Hrsg.]: Freiraum und Naturschutz - Die Wirkungen von Störungen und Zerschneidungen in der Landschaft. Springer. Berlin, Heidelberg, New York. S. 162-169.
ROTH, M.; WATERSTRAAT, A. & KLENKE, R. (2006): Ökologische und evolutionsbiologische Wirkungen der Segmentierung in Landschaften und der Zerschneidung in Habitaten. - In: Baier, H.; Erdmann, F.; Holz, R. & Waterstraat, A. [Hrsg.]: Freiraum und Naturschutz - Die Wirkungen von Störungen und Zerschneidungen in der Landschaft. Springer. Berlin, Heidelberg, New York. S. 143-150.
KLENKE, R. & ULBRICHT, J. (2000): Beeinflussen Zerschneidungen die Verteilung von Greifvögeln im Raum? - In: Stubbe, M. [Hrsg.]: Populationsökologie von Greifvögeln und Eulen 4: 69-99.
ROTH, M., WALLISER, G., HENLE, K., HERTWECK, K., BINNER,U., WATERSTRAAT, A., KLENKE, R. & HAGENGUTH, A. (2000): Habitatzerschneidung und Landschaftsstruktur - Auswirkungen auf populationsökologische Parameter und das Raum-Zeit-Muster marderartiger Säugetiere. - Laufener Seminarbeiträge 2/00: S.47-64.
KLENKE, R.; ROTH, M.; FRIEDRICH, P. & BINNER, U. (1996): Analyse der großräumigen Dispersion, Dismigration sowie anthropogen bedingten Mortalität von Säugern und Vögeln zur Bewertung der Wirkung von Zerschneidungen. - In: Die Bedeutung unzerschnittener, störungsarmer Landschaftsräume für Wirbeltierarten mit großen Raumansprüchen. Schriftenreihe des Landesamtes für Umwelt und Natur Mecklenburg-Vorpommern 1: 71-78.
SETTELE, J., C.R. MARGULES, P. POSCHLOD & K. HENLE (1996): Species Survival in Fragmented Landscapes. Kluwer, Dordrecht.
Links:
SCALES - Securing the Conservation of biodiversity across Administrative Levels and spatial, temporal, and Ecological Scales - Ein Projekt zur Auswirkung von Zerschneidung, zur Sicherung von regionale Vernetzung und zu Netzwerken von Schutzgebieten:
www.scales-project.net
Lebensraumfragmentierung und Populationsbiologie - verschiedene Projekte zu Auswirkungen der Lebensraumfragmentierung (durch Verkehr und andere Ursachen) auf Biodiversität:
www.ufz.de/index.php?de=5433
Wiedervernetzung:
www.ufz.de/index.php?de=19303
UZLAR:
www.freiraum-und-naturschutz.de
Department Biozönoseforschung
Publikationen
Winter, M.,Schweiger, O., Klotz, S., Nentwig, W., Andriopoulos, P., Arianoutsou, M., Basnou, C., Delipetrou, P., Didziulis, V., Hejda, M., Hulme, P.E., Lambdon, P., Pergl, P., Pyšek, P., Roy, D., Kühn, I. 2009. Plant extinctions and introductions lead to phylogenetic and taxonomic homogenization of the European flora. Proceedings of the National Academy of Sciences 106: 21721-21725.
www.pnas.org/content/106/51/21721 (open access).
Pyšek, P., Lambdon, P.W., Arianoutsou, M., Kühn, I., Pino, J., Winter, M. 2009. Aliens vascular plants of Europe. In DAISIE (eds.), The handbook of alien species in Europe, 43-61. Springer, Dordrecht.
Küster, E. C., Kühn, I., Bruelheide, H., Klotz, S. 2008. Trait interactions help explain plant invasion success in the German flora. Journal of Ecology 96: 860-868.
Kühn, I. and Klotz, S. 2007. From Ecosystem invasibility to local, regional and global patterns of invasive species. In Nentwig, W. (ed.), Biological invasions. Ecological Studies 193: 181-196. Berlin, Heidelberg, New York: Springer.
Links:
DAISIE - Delivering Alien Invasive Species Inventories for Europe:
www.europe-aliens.org
ALARM - Assessing LArge-scale environmental Risks with tested Methods:
www.alarmproject.net
INVASIONS - Das Invasionspotential gebietsfremder Arten:
www.ufz.de/index.php?de=2773