Pressemitteilung vom 15. Dezember 2014

Neuer Fußboden kann zu Atemproblemen bei Babys führen

Schadstoffbelastung vor der Geburt offenbar entscheidender als danach

Leipzig. Neuer Fußboden im Wohnumfeld von Schwangeren erhöht deutlich das Risiko von Kleinkindern, im ersten Lebensjahr an Atemwegsbeschwerden zu leiden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und des Städtischen Klinikums "St. Georg", die Auswirkungen von flüchtigen organischen Verbindungen in den Monaten vor und nach der Geburt auf Atemprobleme in der frühesten Kindheit nachweisen konnte. Die Wissenschaftler empfehlen daher, zumindest während der Schwangerschaft und im ersten Lebensjahr nicht zu renovieren. Grob geschätzt könnten so allein in Deutschland pro Jahr zirka 20.000 Fälle von pfeifender Atmung (Giemen) bei Kleinkindern, die eine ärztliche Behandlung erfordert, vermieden werden, schreiben die Wissenschaftler im Fachblatt Environment International.

Embryo. Foto: zven0/ fotosearch.de

Nirgendwo scheint der Mensch so geschützt wie im Mutterleib. Doch schon hier muss das Immunsystem seine ersten Kämpfe absolvieren, etwa mit Chemikalien, die über die werdende Mutter aufgenommen werden.
Foto: zven0/ fotosearch.de

Ursache dieser Gesundheitsbelastungen können erhöhte Konzentrationen von flüchtigen organischen Verbindungen (kurz: VOC) wie Styrol oder Ethylbenzol in den Wohnräumen sein, die aus den neuen Fußböden ausdünsten und dann über die Atemluft aufgenommen werden. „Wir raten daher davon ab, in Wohnungen von Schwangeren Laminat, Teppichboden oder Fußbodenbelag neu zu verlegen. Zwar sind die Konzentrationen dieser flüchtigen Chemikalien geringer, wenn kein Kleber beim Verlegen verwendet wird, aber selbst dann reichen die Konzentrationen immer noch aus, um das Risiko der Kleinkinder, in den ersten Monaten an Atemwegsbeschwerden zu leiden, deutlich zu erhöhen“, erklärt Dr. Ulrich Franck vom UFZ. Besonders gefährdet sind Kinder, deren Mutter oder Vater bereits unter Asthma, Heuschnupfen oder anderen allergischen Erkrankungen gelitten haben. Bei diesen Kindern verfünffacht sich das Risiko.

Frühere Studien aus Leipzig hatten bereits gezeigt, dass die Schadstoffe aus den Wohnungsrenovierungen zu Veränderungen im Immunsystem der Schwangeren führen. „So konnten wir zum Beispiel eine verstärkte Typ 2-Immunantwort feststellen, die eine wichtige Rolle bei der Entstehung allergischer Reaktionen spielt. Das Design unserer Langzeitstudie mit einer umfangreichen Bewertung von Umweltbelastungen vor und nach der Geburt bietet uns die einmalige Chance, die Auswirkungen dieser Belastungen auf Erkrankungen der Kinder zu erforschen. Unseren Ergebnissen zufolge scheinen Belastungen mit flüchtigen Chemikalien in der Schwangerschaft bedeutsamer zu sein als im ersten Lebensjahr“, schlussfolgert Dr. Irina Lehmann vom UFZ, die die LiNA-Studie zu Lebensstil und Umweltfaktoren und deren Einfluss auf das Neugeborenen-Allergierisiko leitet. Bei der Auswertung der Daten zeigte sich, dass Renovierungen nach der Geburt des Kindes viel geringere Auswirkungen auf Atemwegsprobleme hatten als während der Schwangerschaft. Daher die Empfehlung, mit neuen Fußböden bis weit nach der Geburt zu warten.

Die Untersuchungen wurden im Rahmen der LINA-Studie durchgeführt, die Mutter-Kind-Paare seit der Schwangerschaft beobachtet, um die Auswirkungen von Umwelteinflüssen und Lebensgewohnheiten auf Gesundheit und Wohlbefinden zu erforschen. Die LINA-Studie schließt sowohl regelmäßige Fragebogenerhebungen als auch Schadstoffmessungen in den Wohnungen und deren Umfeld sowie Labor- und ärztliche Untersuchungen ein. In die jetzt veröffentlichte Studie flossen Daten von insgesamt 465 Leipziger Müttern und deren Kindern ein. Die Renovierungen in den Wohnungen wurden per Fragebogen ermittelt und die Schadstoffbelastung per Passivsammler gemessen. Über zwei Drittel der Familien renovierten bereits während der Schwangerschaft die Wohnung. In jeder sechsten Wohnung wurde dabei auch der Fußboden erneuert. Tilo Arnhold

Publikation

Ulrich Franck, Annegret Weller, Stefan W. Röder, Gunda Herberth, Kristin M. Junge, Tibor Kohajda, Martin von Bergen, Ulrike Rolle-Kampczyk, Ulrike Diez, Michael Borte, Irina Lehmann (2014): Prenatal VOC exposure and redecoration are related to wheezing in early infancy. Environment International, Volume 73, December 2014, Pages 393–401.
http://dx.doi.org/10.1016/j.envint.2014.08.013
Die Untersuchungen der LiNA-Studie wurden der Helmholtz-Gemeinschaft unterstützt.

Weitere Informationen

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Dr. Ulrich Franck, ulrich.franck@ufz.de
Telefon: z.Z. via UFZ-Pressestelle
http://www.ufz.de/index.php?de=1585

und

Dr. Irina Lehmann, irina.lehmann@ufz.de
Telefon: 0341-235-1216
http://www.ufz.de/index.php?de=4384

oder über

Susanne Hufe, Tilo Arnhold
Pressestelle des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ)
Telefon: 0341-235-1630, -1635

Weitere Links

Schwerpunktthema „Allergien durch Chemikalien“:
http://www.ufz.de/index.php?de=17142

LiNA-Studie (Lebensstil und Umweltfaktoren und deren Einfluss auf das Neugeborenen- Allergierisiko):
http://www.ufz.de/index.php?de=10309

Umwelt- und Lebensstilfaktoren & Immunregulation:
http://www.ufz.de/index.php?de=20052

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Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg über 1.100 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie, Verkehr und Weltraum. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit fast 36.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 18 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 3,8 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894).