Pressemitteilung vom 18. Juni 2008

Stress in der Kindheit erhöht Allergierisiko

Leipzig. Ein Umzug oder die Trennung der Eltern kann bei Kindern das Risiko deutlich erhöhen, später an einer Allergie zu erkranken. Das geht aus einer Langzeitstudie über Zusammenhänge zwischen Lebensstil, Immunsystem und Allergien hervor, die vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig (UFZ), vom Helmholtz Zentrum München und vom Institut für umweltmedizinische Forschung (IUF) in Düsseldorf geleitet wird. Die Forscher hatten Blutproben von 234 sechsjährigen Kindern untersucht und im Zusammenhang mit Umzug oder Trennung der Eltern erhöhte Blutkonzentrationen des Stresspeptides VIP (Vasoaktives intestinales Peptid) gefunden. Der Botenstoff VIP aus der Gruppe der Neuropetide könnte eine Vermittlerrolle zwischen Stressereignissen im Leben und der Immunregulation einnehmen, schreiben die Forscher im Fachblatt Pediatric Allergy and Immunology. Dass Stressereignisse einen Einfluss auf die Entwicklung von allergischen Krankheiten haben können, war bereits länger bekannt. Die zugrunde liegenden Mechanismen galten aber lange Zeit als ungeklärt. In der jetzt veröffentlichten Studie wurden erstmals Stressereignisse in den frühen Lebensjahren innerhalb einer großen epidemiologischen Studie mit Hilfe von Immunmarkern und Neuropeptiden untersucht.

Klinik-Schwester Annett Bergner mit einem Kindergartenkind beim Prick-Test

Klinik-Schwester Annett Bergner mit einem Kindergartenkind beim Prick-Test in der umweltmedizinischen Sprechstunde der Kinder- und Jugendambulanz des Städtischen Klinikums "St. Georg" in Leipzig. Der Prick-Test dient zum Nachweis einer sogenannten Typ-I-Allergie, wie zum Beispiel einer Sensibilisierung gegenüber Pollen oder Tierhaaren.
Foto: André Künzelmann/UFZ

download als jpg (1,2 MB)
Nutzungsbedingungen Bildmaterial

Stressereignisse in der Kindheit stehen zunehmend im Verdacht, eine große Rolle bei der späteren Entwicklung von Asthma, Hautkrankheiten oder allergischen Sensibilisierungen zu spielen. Dramatische Lebensereignisse wie der Tod eines Angehörigen, schwere Erkrankungen eines Familienmitgliedes oder die Trennung der Eltern, aber auch harmlose Ereignisse wie beispielsweise ein Umzug stehen im Verdacht, das Allergie-Risiko bei betroffenen Kindern zu erhöhen. Offenbar spielt das Immunsystem eine Vermittlerrolle zwischen Stress auf der einen Seite und allergischen Krankheiten auf der anderen Seite. Da diese Mechanismen bisher kaum verstanden worden sind, versuchten die Forscher im Rahmen einer epidemiologischen Studie (LISA), stressbedingte Faktoren mit Einfluss auf das Immunsystem zu identifizieren. Parallel zu Blutuntersuchungen analysierten die Forscher gemeinsam mit Kollegen vom Institut für Sozialmedizin der Universität zu Lübeck auch verschiedenste soziale Faktoren im Umfeld der Kinder, um auslösende Faktoren für stressbedingte Fehlregulationen des Immunsystems herauszufinden.

Bei Kindern, deren Eltern sich innerhalb des letzten Jahres getrennt hatten, fanden die Forscher erhöhte Blutkonzentrationen des Neuropetides VIP (Vasoaktives intestinales Peptid) sowie erhöhte Konzentration von Immunmarkern, die mit der Auslösung allergischer Reaktionen verbunden sind, wie das Zytokin IL-4. Schwere Krankheiten oder der Tod von nahen Verwandten führten dagegen zu keinen auffälligen Veränderungen. Auch Arbeitslosigkeit der Eltern war nicht mit erhöhten Stresspeptidkonzentrationen im Blut der Kinder assoziiert. So tragisch diese Ereignisse auch sind, offenbar sind sie jedoch für die Stressreaktionen von Kindern von geringerer Bedeutung als beispielsweise eine Trennung oder Scheidung der Eltern, schlussfolgern die UFZ-Forscher. Wie bereits in einer frühen Arbeit aus der gleichen Studie gezeigt wurde, können auch nach einem Umzug (ebenso wie bei Trennung der Eltern) erhöhte Konzentrationen des Stresspeptides VIP im Blut der Kinder nachgewiesen werden. Vorangegangene Untersuchungen in LISA zeigten, dass es einen Zusammenhang zwischen einer erhöhten Konzentration u.a. des Neuropeptides VIP und allergischen Sensibilisierungen bei sechsjährigen Kindern gibt.

Auch wenn die Ergebnisse wegen der vergleichsweise geringen Anzahl an betroffenen Kindern vorsichtig interpretiert werden sollten, so geben sie doch wertvolle Hinweise darauf, was genau durch Stress im Körper passiert.

Den Untersuchungen liegen Daten 6-jähriger Kinder der LISA-Studie zugrunde. LISA steht für "Lifestyle - Immune - System - Allergy" und untersucht Einflüsse des Lebensstils auf das Immunsystem und die Entstehung allergischer Erkrankungen bei Kindern. Neben dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig (UFZ), dem Helmholtz Zentrum München und dem Institut für umweltmedizinische Forschung (IUF) in Düsseldorf sind weitere universitäre und klinische Partner beteiligt, unter anderem das städtische Klinikum "St. Georg" in Leipzig. Für die LISA-Studie wurden zwischen Ende 1997 und Anfang 1999 über 3000 neugeborene Kinder in den Städten München, Leipzig, Wesel und Bad Honnef rekrutiert. Die Eltern wurden wiederholt zu verschiedenen familiären und gesundheitlichen Parametern befragt. Zusätzlich erfolgten Blutuntersuchungen zu verschiedenen Zeitpunkten. Im sechsten Lebensjahr wurden insgesamt 565 Kinder in Leipzig untersucht, bei 234 Teilnehmern wurden Blutanalysen zu Neuropeptiden und Immunparametern durchgeführt. Im Laufe der 6-Jahres-Untersuchung war fast ein Drittel der Leipziger Studienfamilien von Arbeitslosigkeit betroffen. Bei etwa der Hälfte aller Familien traten schwere Erkrankungen naher Angehöriger auf. Todesfälle bei Angehörigen oder die Trennung der Eltern betrafen dagegen nur jedes sechste bzw. zehnte Kind.

Weitere fachliche Informationen:

Dr. Irina Lehmann, Dr. Gunda Herberth
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Telefon: 0341-235-1216 /-1547
Department Umweltimmunologie

oder über

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ
Pressestelle
Tilo Arnhold (UFZ-Pressestelle)
Telefon: +49 (0)341 235 1269
presse@ufz.de

Publikationen

Herberth G, Weber A, Röder S, Elvers H-D, Krämer U, Schins R PF, Diez U, Borte M, Heinrich J, Schäfer T, Herbarth O, Lehmann I. Relation between stressful life events, neuropeptides and cytokines: an epidemiological study.
Pediatric Allergy and Immunology 2008, [Epub ahead of print]
doi:10.1111/j.1399-3038.2008.00727.x

Herberth G, Weber A, Röder S, Krämer U, Diez U, Borte M, Lehmann I. The stress of relocation and neuropeptides: an epidemiological study in children.
Journal of Psychosomatic Research 2007, 63, 451-452
doi:10.1016/j.jpsychores.2007.06.012

Herberth G, Daegelmann C, Weber A, Röder S, Giese T, Krämer U, Schins R PF, Behrendt H, Borte M, Lehmann I. Association of neuropeptides with Th1/Th2 balance and allergic sensitization in children.
Clinical Experimental Allergy 2006, 36, 1408-1416
doi:10.1111/j.1365-2222.2006.02576.x

Links

Umweltbedingte Störungen der Gesundheit aufdecken (UFZ-Magazin 2006):
download Kapitel aus dem Magazin

Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ wurde 1991 gegründet und beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle/S. und Magdeburg rund 900 Mitarbeiter. Es erforscht die komplexen Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt in genutzten und gestörten Landschaften, insbesondere dicht besiedelten städtischen und industriellen Ballungsräumen sowie naturnahen Landschaften. Die Wissenschaftler des UFZ entwickeln Konzepte und Verfahren, die helfen sollen, die natürlichen Lebensgrundlagen für nachfolgende Generationen zu sichern.
Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie, Verkehr und Weltraum. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit 25.700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 15 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 2,3 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des großen Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894).