Pressemitteilung vom 1. April 2015

Vielfalt verhindert Resistenzen

In artenreichen Lebensräumen lassen sich Schädlinge deshalb leichter bekämpfen

Leipzig. Eine vielfältige und artenreiche Agrarlandschaft nützt auch den Landwirten. Und zwar nicht nur, weil es dort reichlich blütenbestäubende Insekten, krabbelnde Schädlingsbekämpfer und andere nützliche Helfer gibt. Wissenschaftler vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig sind einem weiteren, bisher unbekannten Effekt auf die Spur gekommen: In artenreichen Lebensräumen werden Schädlinge nicht so schnell resistent gegen chemische Bekämpfungsmittel, berichten die Forscher im Fachjournal Proceedings of the Royal Society B.

Blumenwiese. Foto: André Künzelmann, UFZ

In artenreichen Lebensräumen werden Schädlinge nicht so schnell resistent gegen chemische Bekämpfungsmittel.
Foto: André Künzelmann, UFZ

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Die Gegner scheinen immer einen Schritt voraus zu sein. Zwar haben Schädlingsbekämpfer inzwischen zahlreiche chemische Präparate zur Verfügung, mit denen sie gegen unerwünschte Insekten vorgehen können. Doch die anvisierten Arten entwickeln in rasantem Tempo Resistenzen gegen die verschiedenen Wirkstoffe. Oft genügt dazu eine einzige Veränderung im Erbgut der Organismen. So kennen Wissenschaftler weltweit mittlerweile mehr als 500 Plagegeister, die insgesamt 300 unterschiedlichen Insektiziden widerstehen können. Viele krankheitsübertragende Mücken trotzen den Bekämpfungsversuchen ebenso hartnäckig wie Kartoffelkäfer und andere Landwirtschaftsschädlinge.

Viel stärker haben dagegen andere Arten gelitten, die eigentlich gar nicht im Fadenkreuz standen. Schließlich bleiben Schädlingsbekämpfungsmittel nicht nur auf dem Acker, sondern gelangen auch in angrenzende Feldraine, Wälder und Gewässer. Die dort lebenden Insekten aber entwickeln bei weitem nicht so starke Resistenzen. „Diese Arten werden im Laufe der Zeit vielleicht zwei- bis viermal unempfindlicher gegen das eingesetzte Pestizid“, sagt System-Ökotoxikologe Prof. Matthias Liess. Schädlinge dagegen schaffen es durchaus, zwischen zehn- und tausendmal resistenter zu werden.

Die Forscher wollten herausfinden, wie diese Diskrepanz zustande kommt. „Das ist sowohl für die Landwirtschaft als auch für den Naturschutz interessant“, betont Matthias Liess. Denn wer diese Prozesse besser versteht, kann möglicherweise die Ausbreitung von Resistenzen bremsen. Dann könnten Schädlinge nicht nur wirksamer bekämpft werden. Man bräuchte dazu auch weniger Pestizide, die für andere Arten gefährlich sind.

Was also macht ausgerechnet die Schädlinge zu so anpassungsfähigen Überlebenskünstlern? Typischerweise handelt es sich um Organismen, die sehr schnell neue Lebensräume besiedeln und sich rasant vermehren können. Auf eine solche Massenvermehrung von Schädlingen folgt dann allerdings bald eine intensive Rivalität zwischen diesen Tieren. Und genau dieser Konkurrenzkampf könnte die Entwicklung von Resistenzen fördern. Denn Pestizide töten nicht nur einen Teil der Insekten, sie schwächen auch die Überlebenden. „Das gilt allerdings nicht für resistente Tiere“, erklärt Biologe Jeremias Becker. „Die sind daher nun gegenüber ihren geschwächten Artgenossen im Vorteil und können ihnen wertvolle Ressourcen wegnehmen." Bei starker Rivalität können resistente Schädlinge daher ihre empfindlichen Artgenossen schneller verdrängen.

Anders ist die Situation dagegen für viele Insekten, die statt auf dem Acker in den angrenzenden Feldrainen oder Gewässern leben. Sie sind Teil einer vielfältigeren Gemeinschaft, in der sie auch noch andere Herausforderungen zu meistern haben. Räuber und konkurrierende Arten begrenzen die Vermehrung und damit die Rivalität innerhalb einer Art. Davon profitieren die nicht-resistenten Tiere nach dem Motto „der Feind meines Feindes ist mein Freund“. In einer vielfältigen Gemeinschaft können resistente Tiere den Vorteil gegenüber ihren empfindlichen Artgenossen daher nicht so gut ausspielen. „Dadurch könnte die Schere immer weiter aufgehen“, erklärt Matthias Liess. „Die Schädlinge auf dem Acker werden immer unempfindlicher gegen Pestizide, ihre Nachbarn in den Feldrainen oder Gewässern aber nicht."

Ob diese Theorie stimmt, haben die UFZ-Forscher in Laborversuchen mit der Mückenart Culex quinquefasciatus getestet. Die Verwandten der Gemeinen Stechmücke leben in den Tropen und Subtropen und übertragen dort für Mensch und Tier gefährliche Krankheiten von der Vogel-Malaria bis zum Westnil-Fieber. „Im Labor kann man diese Tiere besonders gut halten“, erklärt Matthias Liess. „Deshalb verwendet man sie oft als Stellvertreter für andere Mückenarten." Zu Beginn des Versuchs schwammen in den Becken der Forscher jeweils 400 Larven dieser Tiere. Bei drei Vierteln davon enthielt das Erbgut eine oder sogar zwei Kopien eines Pestizid-Resistenzgens namens ace-lR. Das restliche Viertel musste ohne eine solche Erbinformation auskommen und war daher nicht resistent. Die einzelnen Populationen wurden regelmäßig mit dem Insektizid Chlorpyrifos behandelt und waren zusätzlich mit unterschiedlichen Lebensbedingungen konfrontiert. Vier von ihnen mussten ihr Becken mit Wasserflöhen teilen, die ihnen Konkurrenz machten. Bei vier weiteren haben die Forscher zweimal pro Woche zehn bis zwanzig Prozent der Larven herausgefangen, um den Einfluss von Fressfeinden zu simulieren. Die überlebenden Mücken in diesen Populationen lebten in einem Schlaraffenland, ohne sich mit anderen Organismen auseinandersetzen zu müssen. In den letzten vier Populationen durften sich die Insekten ungestört vermehren. Über sechs Mückengenerationen haben die Forscher dann jeweils beobachtet, wie sich die Häufigkeit des Resistenzgens veränderte – ein Prozess, den Biologen als „Mikro-Evolution“ bezeichnen.

Den schnellsten Wandel erlebten dabei die Populationen ohne feindliche Arten. Bei ihnen stieg der Anteil der Mücken mit einem Resistenzgen im Laufe des Versuchs von 75 auf 95 Prozent an. „In diesen Populationen mussten sich die Tiere nur gegen die Konkurrenz aus den eigenen Reihen durchsetzen“, erklärt Matthias Liess. Vor allem, wenn die Ressourcen knapp werden, können dabei schon kleine Unterschiede im Erbgut entscheidende Vorteile bringen. Rivalität unter Artgenossen beschleunigt deshalb die Mikro-Evolution. Ganz anders sieht die Situation dagegen aus, wenn Konkurrenten anderer Arten wie die Wasserflöhe oder Fressfeinde wie die larvenfangenden Forscher ins Spiel kommen. In beiden Fällen breitete sich das Resistenz-Gen unter Pestizid-Einfluss deutlich langsamer in den Populationen aus.

Befand sich hingegen kein Insektizid im Wasser, sorgten die gleichen Mechanismen dafür, dass die Populationen ohne feindliche Arten ihr Resistenzgen auch schnell wieder verloren. Wenn sie gar nicht mit dem giftigen Präparat konfrontiert waren, brachte ihnen diese Erbeigenschaft schließlich keinen Nutzen, sondern nur Nachteile. Denn die Widerstandsfähigkeit hat ihren Preis. So müssen resistente Tiere zum Beispiel in zusätzliche Enzyme investieren, die das Pestizid abbauen können. Die dafür benötigte Energie aber fehlt dann für andere Aufgaben. Das führt zum Beispiel oft dazu, dass resistente Tiere schlechter wachsen. Bei starker Rivalität besaßen nach sechs Generationen daher statt 75 nur noch 40 Prozent der Mücken das Resistenzgen. Wasserflöhe oder Fressfeinde aber verzögerten auch diese Entwicklung. Tatsächlich scheinen solche zusätzlichen Herausforderungen also die Mikro-Evolution zu bremsen.

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass diese Effekte ein grundlegendes Prinzip darstellen und daher für alle Lebensräume und Arten gelten. „Möglicherweise lassen sich daraus neue Ansätze für die Schädlingsbekämpfung ableiten“, sagt Matthias Liess. So wird die Erhöhung der Biodiversität mit Konkurrenten und Räubern der Schadorganismen eine Resistenzbildung verringern. Wenn Schadorganismen auf Felder vorzudringen versuchen, könnte man sie daher leichter und mit geringem Pestizideinsatz in den Griff bekommen. „Ob das in der Praxis klappt, müsste allerdings erst noch untersucht werden“, betont Matthias Liess. An einem aber hat er keinen Zweifel: Artenvielfalt hat nicht nur große ökologische Vorteile. Sie erleichtert auch die Schädlingsbekämpfung.

Publikation

Becker JM, Liess M. 2015
Biotic interactions govern genetic adaptation to toxicants. Proc. R. Soc. B 20150071.
http://dx.doi.org/10.1098/rspb.2015.0071

Weitere Informationen

Prof. Dr. Matthias Liess, Jeremias Becker
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Department System-Ökotoxikologie
Telefon: +49 (0)341-235-1578 / -1494
Prof. Dr. Matthias Liess
Jeremias Becker

oder über

Tilo Arnhold, Susanne Hufe (UFZ-Pressestelle)
Telefon: +49-(0)341-235-1635, -1630

Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg über 1.100 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie, Verkehr und Weltraum. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit fast 36.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 18 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 3,8 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894).