UFZ-Thema des Monats Dezember

Biodiversität und Boden

Die Geburtsstunde unserer heutigen Böden liegt 460 Millionen Jahre zurück. Davor bestanden die Böden vorwiegend aus verwittertem Gesteinsmaterial. Die Oberfläche der Kontinente war lediglich mit dünnen biologischen Krusten aus Bakterien, Pilzen und Algen bedeckt. Vegetation gab es noch keine. Als dann die ersten Landpflanzen unsere Kontinente besiedelten, begann eines der faszinierendsten Biodiversitätsexperimente. Einerseits ermöglichte die Eroberung der terrestrischen Habitate die Entstehung einer Vielfalt von Pflanzen und Tieren. Andererseits entwickelten sich die Böden zu einem immer komplexeren Lebensraum mit einer ganz eigenen Lebenswelt, deren Vielfalt diejenige ihres oberirdischen Pendants weit übertrifft.

Die arbuskuläre Mykorrhiza. Pilzmyzel und Sporen um eine Wurzel Der Pilz bildet Vesikel und Arbuskeln in der Wurzel Die Vesikel und Arbuskeln dienen dem Nährstoffaustausch zwischen Pilz und Pflanze

Eine der ältesten Symbiosen zwischen Landpflanzen und Bodenpilzen: die arbuskuläre Mykorrhiza. Pilzmyzel und Sporen um eine Wurzel (oben). In der Wurzel bildet der Pilz Vesikeln (Mitte) und Arbuskeln (unten), um Nährstoffe mit der Pflanze auszutauschen. Sporen von arbuskulären Mykorrhizapilzen wie diese wurden in 460 Millionen Jahre alten Fossilgesteinen gefunden.
Fotos: Stephan König/UFZ

Die biologische Vielfalt hat sich von Anfang an ober- und unterirdisch in enger Verzahnung entwickelt. Schon die ersten terrestrischen Pflanzen kamen in Begleitung von symbiotischen Pilzen aus dem Wasser ans Land. Die Pilze halfen ihnen dabei, die notwendigen Nährstoffe zu gewinnen. Solange sie im Wasser sind, baden Pflanzen in einer Nährlösung mit allen notwendigen Mineralien. Ihre Energie und organischen Bausteine produzieren sie selbst durch die Photosynthese. Auf dem Boden angekommen, ist die Photosynthese effizienter, weil die Sonnenenergie nicht durch Wasserschichten abgeschwächt wird. Dafür sind aber die Mineralien im Boden weniger verfügbar als im Wasser. Dieses Problem konnten Pflanzen - bis auf wenige Ausnahmen - bis heute nie richtig allein lösen: Die Pflanzenwurzeln sind ohne fremde Hilfe nicht in der Lage, sich aus den zahlreichen mikroskopischen Bereichen im Boden Wasser und Mineralien zu erschließen. Schon die ersten Landpflanzen vor 460 Millionen Jahren waren auf eine Lebensgemeinschaft (Symbiose) mit Pilzen angewiesen, deren Nachfahren an den Wurzeln von etwa 125 000 der heutigen Pflanzenarten so genannte arbuskuläre Mykorrhizen bilden. Bei dieser Symbiose dringt der Pilz in Wurzelzellen der Pflanzen ein. Dort gibt er mineralische Nährstoffe (insbesondere Phosphor) an die Pflanze ab und erhält dafür im Austausch Pflanzenzucker.

Alle Pilzpartner von arbuskulären Mykorrhizen gehören der kleinen Gruppe der Glomeromycota an, die erst seit Anfang des 21. Jahrhunderts aufgrund genetischer Untersuchungen eine eigene Abteilung innerhalb der echten Pilze bildet. Bisher wird dieser Pilzgruppe eine geringe Vielfalt von weltweit nur etwa 200 Arten zugerechnet. Molekularanalysen deuten aber bereits auf eine grobe Unterschätzung hin. Sicher ist jedoch, dass jede Art von arbuskulär mykorrhizalen Pilzen sich mit vielen Pflanzenarten einlassen kann. Das wiederum mindert die Konkurrenz zwischen Pflanzenarten und begünstigt die hohe Pflanzenartenvielfalt in tropischen Regenwäldern oder mageren Trockenrasen.

Die Eroberung der Unterwelt

Safrangelbe Hautrindenpilz (Piloderma croceum) Safrangelbe Hautrindenpilz (Piloderma croceum)

Der Safrangelbe Hautrindenpilz (Piloderma croceum) kann als Myzel (links) sowohl aus Steinen als auch aus Streu mit hohem Holzanteil Nährstoffe gewinnen, die nach Bildung von Ektomykorrhizen (unten) mit Wurzeln an ihren symbiotischen Baumpartner gegen Zucker ausgetauscht werden.
Fotos: Dr. Sylvie Herrmann/UFZ

Dank dieser Symbiose mit arbuskulären Mykorrhizen konnten die Landpflanzen Kontinente erobern, und aufgrund unterschiedlicher klimatischer Bedingungen und Höhenlagen entstanden die vielfältigsten Arten. Da sie dabei tendenziell immer größer und höher wurden, entwickelten sie komplexes Stützgewebe. Pflanzen produzierten also immer größere Mengen an Stoffen wie Zellulose, Holz oder schwer abbaubare aromatische Moleküle, die nach Ihrem Tod im Boden als Streu landeten. Weil in der Natur keine Ressource vom Leben unerobert bleibt, passte sich eine unterirdische Lebenswelt an diese neuen Nahrungsquellen an. Eine der wichtigsten ökologischen Funktionen von Bodenorganismen wurden der Abbau und die Verwertung der Streubestandteile abgestorbener Pflanzen. So lässt sich auch erklären, warum die unterirdische Lebensgemeinschaft so vielfältig ist: Der Streuumsatz ist langsam und für manche Bestandteile wie Lignin, den Grundbaustein von Holz, sogar nur partiell. Es reichert sich daher eine Vielfalt von Zwischenprodukten an, die vom Regenwasser in tieferen Schichten mehr oder weniger schnell transportiert werden. Dort reagieren sie mit mineralischen Komponenten, um am Ende eine chemisch betrachtet sehr komplexe organische Bodenfraktion zu produzieren, den Humus. Letztendlich entstehen Bodenprofile mit bis zu mehreren Metern Tiefe und Gradienten von Schichten mit variablen Anteilen an Humus und Mineralien. Böden sind somit sehr heterogen und kleinräumig strukturiert und bieten eine Vielfalt von Habitaten mit verschiedensten Wasser- und Sauerstoffressourcen, pH-Verhältnissen sowie Formen und Konzentrationen von Nährstoffen. Genau hier liegt der Grund für die Vielfalt der Bodenorganismen. Die Faustregel lautet: Je diverser die ökologischen Nischen, umso größer die biologische Vielfalt.

Diese Vielfalt wird noch dadurch erhöht, dass die komplexen Stoffab- und -umbauprozesse in Böden nicht von einzelnen Arten, sondern von Lebensgemeinschaften aus Tieren und Mikroorganismen realisiert werden, die oft in Symbiose leben. Termiten können nur mithilfe von symbiotischen Hefen und Bakterien in ihrem Darmtrakt Holz abbauen. Regenwürmer verdauen nur einen Bruchteil der Streu, die sie einnehmen, aber scheiden sie in zerkleinerter Form wieder aus, angereichert mit Schleim und Bakterien, die den Abbau und die Transformation meist nach weiteren Passagen durch den Darmtrakt kleinerer Bodentiere fortsetzen.

Von Riesen und Zwergen

Durch eine zweite Form von mykorrhizalen Symbiosen fanden Bäume vor zirka 65 Millionen Jahren einen Weg, nicht bis zur kompletten Mineralisierung ihrer Streu abzuwarten, um die eigenen Ressourcen wieder nutzen zu können. Ihre Wurzeln assoziierten sich mit Schlauch- und Ständerpilzen, die zu den Abteilungen der Asco- und Basidiomycota gehören und vormals als Zersetzer oder Parasiten lebten. Diese liefern den Bäumen im Austausch gegen Pflanzenzucker Ressourcen wie Proteine direkt aus der Streu. Diese zweite Wurzelsymbiose wird Ektomykorrhiza genannt. Dabei bildet der Pilz einen Mantel um die Wurzelspitze und besiedelt den Zwischenzellenraum ihrer Peripherie. Man schätzt ein, dass 5.000 bis 15.000 Pilzarten von der Trüffel bis hin zum Fliegenpilz Ektomykorrhizen bilden. Diese Biodiversität lässt sich durch die Vielfalt der Substrate erklären, die Ektomykorrhizapilze nutzen. Unter ihnen befinden sich auch so genannte Stein fressende Pilze ("rock eating fungi") wie der Safrangelbe Hautrindenpilz (Piloderma croceum).

Lebenselexier Stickstoff

Die ober- und unterirdische Biodiversität hat eine weitere wichtige Verlinkung: Die Stickstoffversorgung. In Böden liefert verwittertes Grundgestein alle notwendigen Nährstoffe - bis auf Stickstoff. Doch ohne Stickstoff gibt es keine Proteine, keine Enzyme, keine Erbsubstanz, kein Leben. Primäre Stickstoffquelle ist die Luft, die zu fast 80 Prozent aus Stickstoffmolekülen besteht. Diese Moleküle bestehen wiederum aus zwei Stickstoffatomen mit einer so stabilen Verbindung, dass nach dem Haber-Bosch-Verfahren 560 °C und ein Druck von 20 Atmosphären notwendig sind, um daraus Ammonium für Stickstoffdünger zu produzieren. Diese Transformation des Luftstickstoffs zu einer für Organismen brauchbaren Form erledigen in der Natur Bodenbakterien - entweder allein oder in Knöllchensymbiosen mit Wurzeln von Hülsenfruchtpflanzen oder Bäumen wie Akazien oder Erlen. Die biologische Stickstofffixierung ist in der Natur der einzige Eintragspfad von Stickstoff in Böden. Danach werden die Stickstoffressourcen aus der Streu durch zahlreiche Bodenbakterien und Bodenpilze in einem ewigen Recycling regeneriert. Wenn sich nach dem Rückzug von Gletschern oder nach Vulkanausbrüchen über viele Jahre wieder Pflanzengemeinschaften ansiedeln und Böden entwickeln, spielt diese primäre "Einspritzung" von Stickstoff aus der Luft eine entscheidende Rolle. Aber die Vielfalt der Mikroorganismen lässt auch zwei Tore zum Entweichen von Stickstoff aus Böden zu. Eine Transformationsform des Stickstoffs im Laufe des Streuabbaus, Nitrat, wird nicht von Böden gehalten, sondern leicht mit dem Sickerwasser in das Grundwasser ausgewaschen. Vom Verlust einer kostbaren Ressource einmal abgesehen, ist Nitrat toxisch für Menschen und Tiere. Eine andere Gruppe von Bakterien ist in der Lage, Nitrat in Stickoxide und Lachgas umzuwandeln, die als Ozonkiller und Treibhausgase aus Böden in die Atmosphäre entweichen. Diese negativen Prozesse hat der Mensch durch die intensive Bewirtschaftung von Böden unter massivem Einsatz von Stickstoffdünger seit der landwirtschaftlichen Revolution stark begünstigt.

Bodenökologie: Vom Stiefkind zum festen Familienmitglied der Biodiversitätsforschung

Die hier nur kurz angerissene Komplexität des Bodens als Lebensraum lässt erahnen, vor welchen Aufgaben die bodenökologische Forschung steht. Wie hoch die Vielfalt der Bodenorganismen ist, kann nur geschätzt werden, denn man sieht sie meist nicht. Viele sind einfach zu klein und lassen sich außerhalb der Böden nicht isolieren oder kultivieren. Den Löwenanteil der Biodiversität in Böden stellen die Mikroorganismen mit schätzungsweise 30.000 Bakterienarten, 60.000 Arten von Algen und über 1,5 Million Arten von Pilzen.

In Böden leben auch sehr viele Tiere - von Einzellern wie Amöben bis hin zu Säugetieren wie Maulwürfen. Die moderne Wissenschaft bietet verschiedene Möglichkeiten, die Biodiversität, Prozesse und Regulationsfunktionen in Böden zu studieren. Oft wird die mikrobiologische Diversität nur grob und quantitativ über Messungen von Atmung und enzymatischen Aktivitäten erfasst. Auch werden Bestandteile der Zellmembranen (Phospholipidfettsäuren) aus Böden extrahiert und dosiert, um den Anteil von großen Gruppen wie Pilzen und Bakterien an der Bodenbiomasse zu berechnen. Im Zusammenhang mit Aktivitätsmerkmalen wie Stofftransformationen oder Isotopenfraktionierung liefert die Bestimmung der Biomasse wertvolle Hinweise über die Funktion und Gesundheit von Böden. Eine Schwermetallkontamination erzeugt beispielsweise Stress und verringert die Biomasse bei erhöhter Atmung. Heute erfährt die bodenökologische Forschung einen Aufschwung durch den Einsatz molekularbiologischer Methoden. Erbsubstanz, Transkriptionsprodukte und Proteine lassen sich aus Böden extrahieren und analysieren. Die Vielfalt und Funktionen der Organismen können inzwischen mit modernen Hochdurchsatzsequencern sehr genau erfasst werden. Nach Jahrzehnten der Vernachlässigung spielt der Boden in modernen Biodiversitätsstudien eine immer größere Rolle. So haben Mitarbeiter des Departments Bodenökologie am UFZ vor kurzem im Rahmen einer interdisziplinären Studie zeigen können, dass ein Verlust der Artenvielfalt von Pflanzen nicht nur die oberirdische Nahrungskette beeinträchtigt, sondern auch die Vielfalt und Funktion der Bodenorganismen und damit das gesamte ökosystemare Gleichgewicht. Ein Hektar Boden beinhaltet mehr als 20 Tonnen Bakterien und Pilze (Trockengewicht). Unter einem Quadratmeter Boden verlaufen etwa ein Kilometer Regenwurmgalerien und mehrere Tausend Kilometer Pilzfäden. Diese dunkle Welt ist artenreicher als der schönste Regenwald, sie ernährt unsere Pflanzen und darüber hinaus unsere Tiere und uns selbst. Sie regeneriert unser Wasser direkt und indirekt unsere Luft. Sie entgiftet unsere Ökosysteme und bietet unerschlossene Ressourcen für die Medizin und die Biotechnologie.

Genügend Gründe, die unterirdische Biodiversität genauso zu schätzen und zu schützen wie die oberirdische.

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Referenzen (Auswahl)

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