Biodiversität und Anpassungstrategien; Wiesenknopf; Foto: André Künzelmann/UFZ

Klimawandel und Biodiversität


Der Klimawandel wird die Ökosysteme deutlich verändern und birgt vor allem zwei Risiken für die Artenvielfalt: Zum einen läuft er schneller ab, als sich viele Arten genetisch anpassen oder mit den Temperaturverschiebungen wandern können. Zum anderen drohen vielfältige Interaktionen zwischen den Arten aus dem Rhythmus zu geraten. Das kann ökonomische Folgen haben, wenn beispielsweise die Landwirtschaft Verluste bei Produkten verzeichnet, die auf Bestäuber angewiesen sind.

Aber auch gesundheitliche Folgen, wenn Krankheitsüberträger wieder dort heimisch werden, wo sie schon lange als ausgerottet galten. Neu eingewanderte Arten müssen einerseits die Funktionen von Arten übernehmen, denen es zu warm oder zu trocken geworden ist. Sie bringen aber andererseits durch mangelnde Konkurrenten auch das Risiko mit, sich zu invasiven Arten zu entwickeln, die die bestehenden Ökosysteme noch weiter belasten. Insgesamt bedroht die Erwärmung vor allem kälteresistente Arten und solche, die unter Trockenstress leiden. Im Vorteil sind Arten, die mit diesen Bedingungen besser zurechtkommen.

Auf dieser Seite finden Sie Informationen zu den Auswirkungen des Klimawandels auf Flora und Fauna sowie Lösungsansätze aus der UFZ-Forschung, um diese Folgen zu minimieren.


Drastischer Wandel – für viele Arten zu schnell

Tagfaltermonitoring; Foto: André Künzelmann/UFZ Beim Tagfalter-Monitoring-Deutschland (TMD) gehen Freiwillige bundesweit regelmäßig auf Schmetterlingssuche. Foto: André Künzelmann/UFZ Um die Zusammenhänge zwischen dem Klimawandel und den Folgen für die biologische Vielfalt zu erkennen, sind Langzeitbeobachtungen eine unverzichtbare Grundlage. Daten, die von ehrenamtlichen Naturbeobachtern wie etwa beim Tagfaltermonitoring Deutschland regelmäßig und über viele Jahre zusammengetragen werden, spielen dabei eine große Rolle. Daten aus 1,5 Millionen Beobachtungsstunden halfen, erstmals mit dem Klima in Zusammenhang stehende Verschiebungen der Artengemeinschaften von Tagfaltern und Vögeln auf großer Skala auszuwerten.

Ein internationales Forscherteam mit UFZ-Beteiligung veröffentlichte Anfang 2012 im Fachmagazin „Nature Climate Change“ Zahlen, die den Schluss zulassen, dass Vögel und Tagfalter offenbar mit dem Klimawandel nicht mithalten können. Die Temperaturen haben sich in den letzten beiden Jahrzehnten in Europa schneller erhöht als beide Tiergruppen sich anpassen konnten. Sie sind langsamer nach Norden „gewandert“, als es ihre klimatischen Erfordernisse nötig erscheinen lassen. Im statistischen Mittel lagen demnach Schmetterlinge 135 und Vögel sogar 212 Kilometer gegenüber der Temperaturerhöhung und der Nordwärts-Verschiebung ihrer Lebensräume zurück. Gerade für Vögel, die immer als sehr mobil gelten, sind diese Ergebnisse überraschend. Dass Schmetterlinge dabei weniger schlecht abschneiden, liegt vor allem an ihren kurzen Reproduktionszyklen, die Insekten insgesamt eine schnellere Anpassung als anderen Artengruppen erlauben.

EvolutionMegalab

Dass Schnecken durch Veränderungen von Lebensräumen und Fressfeinden zu schnellen evolutionären Anpassungen gezwungen werden, konnte das Citizen-Science-Projekt "Evolution MegaLab" zeigen. Die in Europa weit verbreitete Schwarzmündige Bänderschnecke (Cepaea nemoralis) ist ein Meister der Anpassung: Sie kommt in den verschiedensten Lebensräumen vor.

Tausende Freiwillige hatten an dem Projekt in 15 Ländern Europas teilgenommen, um Daten zu Gehäusefarben und -mustern von über einer halben Million Exemplaren zu sammeln und auszuwerten. So gelang die größte Datenerhebung dieser Art. Während Biologen fast ein Jahrhundert brauchten, um Daten von rund 6.000 Populationen der Art zu sammeln, gelang es mithilfe von Freiwilligen, innerhalb von zehn Jahren Daten über rund 3.000 Populationen zu sammeln. Die Mehrzahl davon wurde im Darwin-Jahr 2009 auf der Internetplattform www.evolutionmegalab.org eingetragen. Auf diese Weise entstand ein einzigartiger Einblick in die Anpassung an den Klimawandel und die schnelle Evolution bei einer Art, die gemeinhin als eher „langsam“ gilt.


Dennoch hinken auch sie dem Klimawandel hinterher, so eines der vielen Ergebnisse, die im Rahmen des EU-Projektes ALARM (Assessing Large-scale environmental Risks for biodiversity with tested Methods) entstanden sind. Dabei wurden vier Bereiche, die für den Rückgang der biologischen Vielfalt verantwortlich gemacht werden, genauer untersucht: der Verlust an Bestäubern wie Bienen, Hummeln und Schmetterlingen, Schadstoffe in der Umwelt, gebietsfremde Arten und der Klimawandel. Im „Climatic Risk Atlas of European Butterflies“ haben UFZ-Wissenschaftler zusammen mit weiteren Kollegen drei Szenarien zukünftiger Klimaentwicklungen für europäische Tagfalter mit Modellen durchgespielt. Im Worst-Case-Szenario, bei dem angenommen wird, dass die Durchschnittstemperatur in Europa bis 2080 um 4,1°C ansteigt und die Tiere mit dem Wandel nicht Schritt halten können, würden beispielsweise über 50 Prozent der derzeit geeigneten Lebensräume für 230 der 294 untersuchten Schmetterlingsarten zu warm oder zu trocken sein, um dort ihr Überleben zu ermöglichen. Ein relativ optimistisches Szenario, das von nur 2,4°C Temperaturerhöhung ausgeht, würde immerhin noch den Verlust von über 50 Prozent der derzeit geeigneten Areale für 140 Schmetterlingsarten nach sich ziehen. Selbst wenn die Arten uneingeschränkt mobil wären und dem Klimawandel folgen könnten, würden bei einem Temperaturanstieg von 4,1°C bis 2080 noch 36 Prozent der Arten über die Hälfte ihres Areals verlieren während nur knapp 18 Prozent davon profitierten, also ihr Areal ausdehnen könnten. Egal welches Szenario letztendlich eintreten wird, viele Schmetterlingsarten werden wohl bedingt durch klimatische Änderungen einen erheblichen Teil ihres Lebensraumes verlieren, wenn es nicht gelingt, effektiv gegenzusteuern.


Gewinner und Verlierer

Die Art und Weise, wie Schmetterlinge betroffen sind, liefert gute Anhaltspunkte darüber, wie auch viele andere Insekten reagieren dürften. Und Insekten machen nicht nur zwei Drittel aller Arten weltweit aus. Sie sind auch unverzichtbar für eine erfolgreiche Landwirtschaft – beispielsweise als Bestäuber. Etwa drei Viertel der Wildpflanzen und ein Drittel der weltweiten Agrarproduktion hängen davon ab, dass die Blüten der Pflanzen von Tieren bestäubt werden. Die Bestäubung von Agrarpflanzen bringt weltweit einen ökonomischen Nutzen von etwa 150 bis 300 Milliarden Euro pro Jahr. Selbst, wenn die Erwärmung geringer ausfällt, besteht dennoch die Gefahr, dass durch ungleiche Verschiebungen im Lebensraum oder im jahreszeitlichen Ablauf die eingespielten Interaktionen (Räuber-Beute oder Bestäuber-Blütenpflanzen) durcheinander geraten, also asynchron werden. Kommen Ökosysteme aus dem Takt, dann kann dies also auch handfeste wirtschaftliche Folgen haben. Für die Gruppe der Bestäuber ergab 2010 eine Auswertung von über 200 Einzelstudien, dass Klimawandel und gebietsfremde Arten zu neuen Lebensgemeinschaften führen werden, bei denen Generalisten im Gegensatz zu Spezialisten im Vorteil sein werden.

Insbesondere endemische Arten, die nur an einem Ort vorkommen und über sehr lange Zeiträume unter konstanten Umweltbedingungen gelebt haben, gelten durch gravierende Umweltveränderungen wie den gegenwärtigen Klimawandel als besonders gefährdet. Deshalb untersucht ein russisch-deutsches Wissenschaftlerteam im Projekt LabEglo (Lake Baikal and biological effects of global change) zurzeit Wasserorganismen im Baikalsee, dem größten und ältesten Süßwassersee der Welt. In der Studie erfolgte am Bachflohkrebs Eulimnogammarus verrucosus die erste großskalige Untersuchung zum Genom einer endemischen Art im Baikalsee. Daneben wurden auch noch andere Arten untersucht und es zeigte sich, dass nicht alle endemischen Krebsarten im See empfindlicher auf Hitzestress reagieren als potenzielle einwandernde Arten. Dies zeigt: Allgemeine Vorhersagen sind schwierig, jede Art reagiert unterschiedlich stark.

Blauer Eisenhut (Bild oben links, Foto: emer – Fotolia.com) und die Sumpf-dotterblume (Bild unten links, Foto: Rainer Tagwercher – Fotolia.com) sind zwei Beispiele von Pflanzenarten, die durch den Klimawandel potenziell stark gefährdet sind. Wenngleich weit geringer, wird es nach den Computermodellen auch Pflanzenarten geben, die ihre Verbreitungsgebiete ausdehnen. Ein Beispiel ist die Echte Walnuss (Bild rechts, Foto: Georg Teutsch/UFZ) Blauer Eisenhut (Bild oben links, Foto: emer – Fotolia.com) und die Sumpfdotterblume (Bild unten links, Foto: Rainer Tagwercher – Fotolia.com) sind zwei Beispiele von Pflanzenarten, die durch den Klimawandel potenziell stark gefährdet sind.
Wenngleich weit geringer, wird es nach den Computermodellen auch Pflanzenarten geben, die ihre Verbreitungsgebiete ausdehnen. Ein Beispiel ist die Echte Walnuss (Bild rechts, Foto: Georg Teutsch/UFZ)
Gewinner und Verlierer wird es auch in der Vegetation geben. Während beispielsweise die Fichte (Picea abies) immer weniger mit den Temperaturen in Deutschland zurechtkommen wird, liebt es die Echte Walnuss (Juglans regia) wärmer und wird sich daher weiter ausbreiten können. Bei einem extremen Temperaturanstieg von über 4°C könnte bis 2080 jede fünfte Pflanzenart über 80 Prozent ihres Verbreitungsgebietes verlieren. Vor allem für den Südwesten und die tiefen Lagen im Nordosten von Deutschland rechnen Modellsimulationen mit einer großen Fluktuation an Pflanzenarten. Die Forscher hatten dazu die Verbreitungsgebiete von insgesamt 845 Europäischen Pflanzenarten in drei verschiedenen Zukunftsszenarien modelliert und erfasst, wie sie sich in Deutschland verschieben. Dieser Wandel wird sich in wenigen Jahrzehnten auch in den Wäldern bemerkbar machen und ist eine Motivation, die Wälder Schritt um Schritt von Monokulturen an Nadelhölzern zu Mischwäldern umzubauen. Dies erfordert jedoch ein Umdenken, weil so das Holz zwar zum Teil langsamer wächst, aber die Risiken von Totalverlusten verringert werden.

Computermodelle ermöglichen Aussagen über die zukünftigen Verbreitungsgebiete von Pflanzenarten. Quelle: verändert nach Pompe et al. 2008. Biology Letters. Computermodelle ermöglichen Aussagen über die zukünftigen Verbreitungsgebiete von Pflanzenarten. Hier eine Modellierung für das Jahr 2080 bei einem Temperaturanstieg von + 4°C. Diese zeigt, dass Gebiete im Südwesten und Osten Deutschlands tendenziell Arten verlieren werden, während vor allem in den Mittelgebirgen ein Zuwachs an Pflanzenarten zu erwarten ist. Quelle: verändert nach Pompe et al. 2008. Biology Letters.

Einblicke, wie Bäume unter veränderten Bedingungen reagieren werden, erhofft sich die Wissenschaft auch vom DFG-Projekt TrophinOak, bei dem Eichensetzlinge im Klimaschrank unterschiedlichen Klimaszenarien ausgesetzt werden. Wie werden diese mit wärmeren und trockeneren Sommern zurechtkommen? Was wird sich an den Interaktionen mit Mikroorganismen, Pilzen und Insekten ändern? Regelmäßige RNA-Analysen sollen diese Fragen beantworten.

Solche Experimente sind ein wichtiger Bestandteil der Forschung. Zusammen mit den Beobachtungen in den Biodiversitätsexploratorien helfen sie, die Veränderungen in der Natur zu verstehen. Da viele Veränderungen sehr langsam ablaufen, können sie oft nur durch ein Langzeitmonitoring zuverlässig erfasst werden, wie das zum Beispiel im LTER-Netzwerk (Long Term Ecological Research) geschieht. Allein in Deutschland besteht dieses Netzwerk mittlerweile aus 17 Gebieten, die quer über das ganze Land verschiedene Ökosysteme – vom Gebirge bis zum Wattenmeer – umfassen.

GCEF

Die GCEF (Global Change Experimental Facility) ist ein Langzeitexperiment, das im Sommer 2013 in Bad Lauchstädt bei Halle/S. gestartet wurde und ein wichtiger Baustein nationaler und internationaler Observatorien ist. Es besteht aus 25 überdachbaren und weiteren 25 nicht überdachbaren Experimentalflächen, in denen künftige Veränderungen simuliert werden. Zu jeweils fünf Parzellen, in denen der Klimawandel in der konventionellen und ökologischen Landwirtschaft, bei intensiver und extensiver Graslandnutzung sowie auf Weideflächen simuliert wird, sind zum Vergleich genau identische Parzellen ohne Veränderungen von Temperatur und Niederschlag angelegt. Das ist notwendig, um zu sehen, wie sich die nicht manipulierten Flächen entwickeln.

Die Versuchsanlage mit einer Gesamtfläche von rund sieben Hektar, die etwa zehn Fußballfeldern entsprechen, wird mindestens fünfzehn Jahre laufen und dürfte somit in naher Zukunft eines der weltweit größten Langzeitexperimente dieser Art darstellen.


Was für Deutschland im Kleinen gilt, betrifft Europa im Großen. Ein Fünftel der Lebensräume und jede zehnte Art sind durch den Klimawandel gefährdet, rechnet die 2012 veröffentlichte Studie „Klimawandel, Auswirkungen und Gefährdung in Europa“ der Europäischen Umweltagentur (EEA) vor. Das ist vor allem dort der Fall, wo die Landschaft fragmentiert wurde und Lebensräume nicht mehr miteinander verbunden sind, so Kernaussagen des Kapitels „Terrestrische Ökosysteme und Biodiversität“, für das die Leitautorenschaft am UFZ lag. Feuchtgebiete wie Moore und Sümpfe sind inzwischen nicht nur durch die Landnutzung, sondern auch durch den Klimawandel die am stärksten gefährdeten Lebensraumtypen.


Wärme bringt Krankheiten

Während es viele kälteangepasste Arten zunehmend schwerer haben und versuchen, nach Norden oder in höher gelegene Gebiete auszuweichen, werden vor allem wärmeliebende Insekten zu den Gewinnern zählen – mit potenziellen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Krankheitsüberträger wie die Asiatische Tigermücke (Dengue-Fieber) oder die Anopheles-Mücke (Malaria) werden vermutlich (wieder) in Deutschland und anderen Regionen der Welt heimisch, in denen diese Krankheiten längst als ausgerottet galten.

Die Beifuß-Ambrosie. Foto: André Künzelmann/UFZ Die Beifuß-Ambrosie stammt ursprünglich aus Nordamerika und hat sich bereits in weiten Teilen Europas ausgebreitet. Ihre Pollen sind aggressive Allergie-Auslöser. Foto: André Künzelmann/UFZ Die Pollensaison wird länger und stellt sich 10 Tage früher ein als vor 50 Jahren. Die Temperaturerhöhung begünstigt auch die Ausbreitung der Beifuß-Ambrosie (Ambrosia artemisifolia), deren Pollenflugsaison sich in den Herbst verschiebt und die Heuschnupfenzeit um bis zu zwei Monate verlängern kann. Die Kosten, die allein durch dieses neue Allergen in Deutschland entstehen, hat eine Studie 2012 auf etwa 200 Millionen bis über eine Milliarde Euro pro Jahr beziffert. Auch auf die Land- und Forstwirtschaft wird sich die verlängerte Brutzeit von wärmeliebenden Insekten auswirken. So werden beispielsweise Insekten wie Borkenkäfer (Scolytinae) zusätzliche Generationen innerhalb eines Jahres bilden können. Es wird davon ausgegangen, dass der stärkeren Ausbreitung von Schädlingen mit mehr Insektiziden begegnet wird. UFZ-Forscher haben 2011 eine Risikokarte für Europa veröffentlicht, die zeigt, dass ein solcher erhöhter Insektizideinsatz wiederum negative Folgen für die Gewässer nach sich ziehen würde.

Die borealen Regionen der Erde betrifft ein weiterer Aspekt des Klimawandels: Großen Waldregionen Kanadas steht offenbar ein sprunghafter Wandel bevor. Anhand von Modellen konnten Wissenschaftler des UFZ und der University of Michigan zeigen, dass es bei Waldbränden Schwellenwerte gibt in den klimatischen Faktoren, die die Brandwahrscheinlichkeit in Wäldern bestimmen. Große Gebiete Kanadas bewegen sich anscheinend auf diesen Schwellenwert zu und könnten diesen künftig durch den Klimawandel überschreiten. Dann würden sowohl die jährlich abgebrannten Flächen als auch die durchschnittliche Größe der Feuer steigen. Die Wissenschaftler empfehlen deshalb, die Strategien zur Bekämpfung von Waldbränden in solchen Regionen zu überdenken.


Managementstrategien fürs Überleben

Verändern sich die klimatischen Rahmenbedingungen, dann müssen auch die Schutzgebiete angepasst werden, damit diese als Lebensräume erhalten werden können. Die Ergebnisse zur Geschwindigkeit, mit der Arten der Temperaturveränderung hinterherziehen, legen nahe, dass es viele Arten aus eigener Kraft nicht schaffen werden. Aus Sicht der Wissenschaftler sollte daher über eine aktive Unterstützung besonders gefährdeter Arten beim Wandern nach Norden oder in höher gelegene Regionen nachgedacht werden. Weitgehend unumstritten, aber schwer durchzusetzen, ist die Forderung nach der Vernetzung von Lebensräumen (Biotopverbund), um Arten das Wandern zu erleichtern. In diesem Zusammenhang ist auch eine Ausweitung von Schutzgebieten notwendig.

Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling, Maculinea nausithous. Foto: André Künzelmann/UFZ Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling, Maculinea nausithous, Paarung auf der Blüte des Wiesenknopfs, Foto: André Künzelmann/UFZ Die aktive Umsiedlung ist bei vielen Naturschützern noch weitgehend Tabu. Weniger umstritten ist dagegen ein anderer Lösungsansatz: Durch angepasste Landnutzung kann die Temperaturerhöhung teilweise abgepuffert werden. Beispielsweise zeigten Untersuchungen an einer seltenen Schmetterlingsart, dem Thymian-Ameisenbläuling (Maculinea arion), dass längeres Gras auf der Wiese die Temperatur in Brutkammern von Ameisen direkt unter der Bodenoberfläche senkt. Da diese Schmetterlingsart von einer bestimmten Ameisenart abhängig ist, kann damit die Höhe des Grasbestandes – gesteuert über die Häufigkeit und den Rhythmus der Mahd – zum Erhalt der Ameise und des Falters beitragen, so eines der Ergebnisse aus den EU-Projekten CLIMIT (CLimate change impacts on Insects and their MITigation) und MACIS (Minimisation of and Adaptation to Climate change Impacts on biodiversity).

Die Ergebnisse aus der UFZ-Forschung fließen in Handlungsempfehlungen ein, so zum Beispiel für den Naturschutz. Weiden und Wälder sollten aktiv gepflegt und so vielfältig wie möglich gestaltet werden, um Europas am stärksten gefährdete Tagfalter vor dem Aussterben zu bewahren. Diese und weitere Empfehlungen für 29 bedrohte Schmetterlingsarten hatte ein Team von Wissenschaftlern 2012 unter Leitung der „Butterfly Conservation Europe“ veröffentlicht. Vier UFZ-Forscher haben 2014 auch einen einmaligen Datensatz zu den Klima-Nischen von knapp 400 europäischen Schmetterlingsarten veröffentlicht (CLIMBER: Climatic niche characteristics of the butterflies in Europe). Diese Daten umfassen nahezu alle Tagfalterarten Europas. Sie sollen künftig helfen, die Bedrohung der Populationen besser einzuschätzen, denn diese Arten könnten als wirksamer Indikator für den Zustand von Ökosystemen dienen, zumal zu vielen von ihnen ausreichend zuverlässiges Wissen über ihre ökologischen Ansprüche vorhanden ist. Auf einer solchen Grundlage hatten Wissenschaftler im EU-Projekt CLIMIT Lebensräume untersuchen und Managementszenarien entwerfen können. Neben dem „Climatic Risk Atlas of European Butterflies“ und dem „Distribution Atlas of Butterflies in Europe“ liegt mit CLIMBER ein weiteres Produkt aus den in den letzten Jahren zusammengetragenen Daten vor.

Managementstrategien können helfen, die Risiken für die Artenvielfalt zu reduzieren. Bei allen Risiken, die der Klimawandel für die Biodiversität birgt, darf nicht vergessen werden, dass er nur ein Faktor von mehreren ist. Beispielsweise konnte ein internationales Team mit UFZ-Beteiligung 2010 im Fachjournal PNAS zeigen, dass Wohlstand und Bevölkerungsdichte einen sehr zentralen Einfluss auf biologische Invasionen haben. Im selben Journal konnte 2013 ein ähnliches Forscherteam zeigen, dass sich Umweltzerstörungen oft mit langer Verzögerung auf die biologische Vielfalt auswirken: Demografische und wirtschaftliche Daten vom Anfang des 20. Jahrhunderts erklären die Gefährdung von Arten in Europa sehr viel deutlicher als aktuelle Daten.

Änderungen in der Landnutzung und andere Umweltbelastungen wirken sich oft unmittelbar (Flächenverbrauch), mitunter aber auch mit vielen Jahren Verzögerung (Akkumulation von Chemikalien, Landschaftszerschneidung, Etablierung invasiver Arten) auf die Biodiversität aus. Mit „noch längerem Atem“ macht sich der Klimawandel bemerkbar – seine Auswirkungen treten erst mit starker Verzögerung zutage und sind umso schwieriger wieder rückgängig zu machen. Hauptbedrohung für die Artenvielfalt ist gegenwärtig immer noch der Verlust an Lebensräumen durch eine veränderte Landnutzung. Die Bedeutung klimatischer Veränderungen wird aber in Zukunft zunehmen.


UFZ-Publikationen (Auswahl):


Devictor, V. et al. (2012): Differences in the climatic debts of birds and butterflies at a continental scale. Nature Climate Change 2: 121-124.
http://dx.doi.org/10.1038/nclimate1347

Settele, J. et al. (2008): Climatic Risk Atlas of European Butterflies. Biorisk 1 (Special Issue). ISSN 1313-2652 (online), ISSN 1313-2644 (print)
www.ufz.de/index.php?en=17472

Schweiger, O. et al. (2014): CLIMBER: Climatic niche characteristics of the butterflies in Europe. ZooKeys 367: 65-84.
http://dx.doi.org/10.3897/zookeys.367.6185

Dullinger, S. et al. (2013): Europe’s other debt crisis caused by the long legacy of future extinctions. Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS). 110: 7342-7347.
http://dx.doi.org/10.1073/pnas.1216303110

Pompe, S. et al. (2011): Modellierung der Auswirkungen des Klimawandels auf die Flora und Vegetation in Deutschland. BfN-Skripten 304: 1-98 + Appendices.
www.bfn.de/fileadmin/MDB/documents/service/skript304.pdf

Zinck, R. D.; Pascual, M.; Grimm, V.; (2011): Understanding Shifts in Wildfire Regimes as Emergent Threshold Phenomena. The American Naturalist. Vol. 178, No. 6.
http://dx.doi.org/10.1086/662675

Kattwinkel, K. et al. (2011): Climate change, agricultural insecticide exposure, and risk for freshwater communities. Ecological Applications, 21(6), 2011, pp.2068-2081
http://dx.doi.org/10.1890/10-1993.1

Schweiger, O. et al. (2010): Multiple stressors on biotic interactions: how climate change and alien species interact to affect pollination. Biological Reviews 85: 777-795.
http://dx.doi.org/10.1111/j.1469-185X.2010.00125.x

European Environment Agency: Climate change, impacts and vulnerability in Europe 2012. ISBN 978-92-9213-346-7. doi:10.2800/66071
www.eea.europa.eu/publications/climate-impacts-and-vulnerability-2012

Settele, J. et al. (2010): Atlas of Biodiversity Risk. Pensoft. Sofia. ISBN 978-954-642-446-4.
www.pensoft.net/book/12/atlas-of-biodiversity-risk

Pyšek, P. et al. (2010): Disentangling the role of environmental and human pressures on biological invasions. - Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS).
http://dx.doi.org/10.1073/pnas.1002314107


Weiterführende Links 

Biodiversität und Klimawandel
www.ufz.de/index.php?de=19771

Tagfalter-Monitoring Deutschland
www.tagfalter-monitoring.de

ALARM - Assessing Large scale environmental Risks with tested Methods (EU FP 6, Integrated Project, 2004-2009)
www.alarmproject.net/alarm/

Evolution MegaLab
www.evolutionmegalab.org/de_DE

TrophinOak (Multitrophic interactions with Oaks)
www.ufz.de/trophinoak/index.php?de=19337

GCEF (Global Change Experimental Facility)
www.ufz.de/exploratories/index.php?en=21240
www.ufz.de/export/data/1/49707_UFZ_Newsletter_Jun13_WEB_geschuetzt.pdf


LTER-D - Netzwerk für ökologische und ökosystemare Langzeitforschung
www.ufz.de/lter-d/

CLIMIT - CLimate change impacts on Insects and their MITigation (EU FP 6, ERA-Net project BiodivERsA)
www.climit-project.net

MACIS - Minimisation of and Adaptation to Climate change Impacts on biodiverSity (EU FP 6, Scientific support to policies project, 2006 - 2008)
www.macis-project.net

Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv)
www.idiv-biodiversity.de