Schwerpunktthema Juli 2013

Allergien durch Chemikalien

Allergien sind der Preis, den wir für unseren westlichen Lebensstil zahlen müssen. Schätzungen zufolge leiden weltweit über 300 Millionen Menschen an Allergien. Allein in den letzten beiden Jahrzehnten hat sich die Zahl der registrierten Fälle in Westeuropa verdoppelt. Ein Zusammenhang mit Lebensstil und Umwelt ist naheliegend. Wurde früher das Immunsystem von Kindern z.B. durch Infektionen trainiert, so fehlt ihm dieses Training heute vielfach – das Immunsystem ist quasi unterbeschäftigt. Deshalb kann es passieren, dass es auf eigentlich harmlose Stoffe wie Gräserpollen überreagiert.

Renovieren in der Schwangerschaft

Schon vor der Geburt, noch während der Entwicklung im Mutterleib, kann die Reifung des Immunsystems durch äußere Einflüsse beeinträchtigt werden. In freudiger Erwartung ihres Nachwuches renovieren Eltern häufig die Wohnung ohne zu berücksichtigen, dass Chemikalien in Lacken, Farben und Bodenbelägen einen Einfluss auf das embryonale Immunsystem haben können.
Foto: André Künzelmann/UFZ

Kommen Chemikalien dazu, die in unserem Lebensumfeld frei gesetzt werden aus Farben, Lacken, Bodenbelägen, Möbeln oder auch Reinigungsmitteln, ist der Weg in Richtung Allergie vorprogrammiert. Dabei ist der Effekt umso stärker, je früher im Leben Chemikalien auf unser Immunsystem treffen.

Schon vor der Geburt, noch während der Entwicklung im Mutterleib, kann die Reifung des Immunsystems durch äußere Einflüsse beeinträchtigt werden. Selbst bei völlig gesunden Neugeborenen können sich im Nabelschnurblut Zellen finden, deren Funktion bereits gestört ist. Und irgendwann später schießt das aus dem Gleichgewicht gebrachte (irritierte) Immunsystem weit über das Ziel – den Schutz des Körpers vor Krankheitserregern und schädigenden Fremdstoffen – hinaus. Die Folge sind z.B. Allergien wie Heuschnupfen, Asthma bronchiale oder Neurodermitis.

Die UFZ-Immunologin Dr. Irina Lehmann und ihr Team schauen daher besonders auf den weit zurückliegenden Zeitpunkt in der Schwangerschaft, an dem das unreife Immunsystem bereits beeinflusst wird. Dabei geht es darum, die „Irritation“ des Immunsystems schon vor den ersten Symptomen einer Allergie zu erkennen und möglicherweise sogar gegenzusteuern, so dass eine Erkrankung gar nicht erst ausbricht.

LINA

Um zu untersuchen, was sich da im Mutterleib genau abspielt, müssen eine Reihe grundlegender Fragen beantwortet werden: Welche Faktoren beeinflussen schon vor der Geburt das Immunsystem? Über welche Mechanismen ist das Immunsystem der Mutter mit dem des Embryos verbunden? Und in welchem Maße unterscheidet sich die Sensibilität des Immunsystems von Kindern und Erwachsenen?

LiNA

Lebensstil und Umweltfaktoren und deren Einfluss auf das Neugeborenen-Allergierisiko

Partner:
UFZ und Städtisches Klinikums "St. Georg" Leipzig

Rekrutierungsphase:
2006-2008

Beteiligte:
622 werdende Mütter und ihre 629 geborenen Kinder

Untersuchte Belastungen:
Rauchen, Chemikalienbelastungen, Schimmelpilze, Verkehr, Lärm, Stress

Beginnend in der 34. Schwanger-schaftswoche und im Nabelschnurblut wurden Blutanalysen durchgeführt um den Einfluss von Umweltbelastungen auf das Immunsystem der Mütter und deren Kinder zu erfassen und deren Allergiestatus zu untersuchen. Die Elternbeantworteten jährlich einen Fragebogen zu Erkrankungen ihres Kindes. Zusätzlich werden die Kinder einmal pro Jahr in der Kinderklinik des Klinikums "St. Georg" untersucht. Die während der Schwangerschaft erfassten Umweltbelastungen werden mit den gemessenen Immunparametern im Blut verglichen und deren Bedeutung für Erkrankungen der Kinder im späteren Leben analysiert.

Deshalb wurde im Frühjahr 2006 mit einer groß angelegten Mutter-Kind-Studie (LINA → siehe Infokasten) begonnen, in die im Laufe von zwei Jahren mehrere hundert schwangere Frauen einbezogen wurden. Während der Schwangerschaft wurden, deren Belastungen im Wohnumfeld ganz intensiv erfasst und später mit Immunparametern von deren Neugeborenen und deren Erkrankungen später im Leben korreliert.

Regulatorische T Zellen

Sehr aufschlussreich waren die Ergebnisse der Blutuntersuchungen aus dem Nabelschnurblut der LINA-Kinder. Die Untersuchung der Immunantwort der neugeborenen Kinder zeigte, dass je nach Lebensstil und Belastung der Mutter die Reaktion des kindlichen Immunsystems in Richtung Entzündung oder Allergie verschoben sein kann. Die Kontrolle von „überschießenden“ Immunreaktionen wird unter anderem durch regulatorische T Zellen (Treg) gewährleistet. Verschiedene Erkrankungen sind mit erhöhten (Tumorerkrankungen) oder verringerten Zahlen (Autoimmunerkrankungen, Allergien) dieser regulatorischen T-Zellen assoziiert. Das heißt, es ist von großer Bedeutung herauszufinden, wodurch die Anzahl regulatorischer T Zellen - besonders in der sensiblen Prägungsphase des Immunsystems - vor und nach der Geburt beeinflusst werden kann. Gibt es zu wenig dieser Zellen oder arbeiten diese nicht richtig, steigt das Risiko für Allergien. „Und genau das konnten wir bereits im Nabelschnurblut beobachten“, sagt Dr. Gunda Herberth. Die UFZ-Forscherin und ihr Team fanden im Nabelschnurblut von Neugeborenen, deren Mütter während der Schwangerschaft rauchten oder einer Chemikalienbelastung ausgesetzt waren, geringere Zahlen dieser so wichtigen regulatorischen T-Zellen. Kinder mit diesen Veränderungen entwickelten später viel häufiger eine Allergie.

Regulation auf Stammzellebene

Neben den T regulatorischen Zellen untersucht die Arbeitsgruppe um Dr. Kristin Junge eine weitere Zellpopulation, welche an der Entstehung allergischer Erkrankungen beteiligt ist: im Blut nachweisbare periphere Stammzellen.

Stammzellen sind nicht spezialisierte Zellen, die sich unbegrenzt vermehren und in verschiedene Zelltypen differenzieren können. Aus ihnen entstehen die verschiedenen Zell- und Gewebetypen des menschlichen Organismus, u.a. das Allergiegeschehen fördernde eosinophile Granulocyten (eine spezielle Familie der weißen Blutkörperchen). Als Bindeglied zwischen unspezialisierten Stammzellen und spezialisierten Gewebe- oder Organzellen fungieren Vorläuferzellen, z.B. eosinophile/basophile Vorläuferzellen, die im Knochenmark heranreifen und dann in die Blutbahn, die sogenannte Peripherie, ausgeschwemmt werden. Ob und wieweit Umweltschadstoffe diesen Reife– und Entsendeprozess beeinflussen, wurde bislang nicht untersucht.

Zigarettenrauch

Bei Kindern besteht ein Zusammenhang zwischen der Zigarettenrauchexposition und allergierelevanten Stammzellen. Das konnten UFZ-Wissenschaftler im Rahmen der Kohortenstudie LINA zeigen.
Foto: Dr. Kristin Junge/UFZ

VOC-Sammler

Mit VOC-Sammlern sind flüchtige organische Verbidnungen (VOC) in Gebäuden nachweisbar.
Foto: Dr. Kristin Junge/UFZ

Im Rahmen der Kohortenstudie LINA konnte nun gezeigt werden, dass eine erhöhte Anzahl an allergierelevanten eosinophilen/basophilen Vorläuferzellen mit einem erhöhten Risiko für spätere Hauterkrankungen des Kindes im ersten Lebensjahr einhergeht. Außerdem erwiesen sich die eosinophilen/basophilen Vorläuferzellen jener Kinder, die im ersten Lebensjahr erkrankten als besonders sensitiv gegenüber flüchtigen organischen Verbindungen (VOC). Das heißt, Kinder die mehr aus Zigarettenrauch stammenden VOCs in ihrem Zuhause ausgesetzt waren, haben mehr der krankheitsrelevanten blutzellbildenden (hämatopoietischen) Stammzellen. Eine wesentliche Erkenntnis war, dass diese schadstoff-sensitive Phase hauptsächlich auf das kindliche unreife Immunsystem beschränkt ist. Denn in weiterführenden Untersuchungen an Mutter-Kind-Paaren im zweiten Lebensjahr fand die Gruppe heraus, dass der Zusammenhang „mehr Zigarettenrauchexposition - mehr allergierelevante Stammzellen“ konsequent nur für die Kinder, kaum jedoch für die entsprechenden Mütter beobachtet werden konnte. Diese Ergebnisse verweisen einmal mehr auf das hoch sensible Zeitfenster um die Geburt bis in die frühe Kindheit, in welchem das unreife kindliche Immunsystem anfällig ist gegenüber Umwelteinflüssen und bereits entscheidend geprägt wird im Hinblick auf spätere Erkrankungen.

Ausblick

Ziel der LINA-Studie ist es, kritische Veränderungen auf Ebene des Immunsystems frühzeitig zu erkennen und damit Risikokinder zu identifizieren. Dies könnte dann zum Beispiel spezielle Vorsorgemaßnahmen oder Therapien begründen. „Und wir helfen den Eltern, die Umwelt ihres Kindes zu beeinflussen, also beispielsweise während Schwangerschaft und im Säuglingsalter kritische Belastungen zu vermeiden“, so Irina Lehmann. Gleichzeitig geht es ihr darum, den Gesetzgeber dafür zu sensibilisieren, dass sich das Immunsystem eines Menschen bereits im Mutterleib entwickelt und auch dort schon geschädigt werden kann. Denn möglicherweise sind in Räumen, in denen sich Schwangere und Säuglinge aufhalten, andere Belastungsgrenzwerte relevant.

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Referenzen (Auswahl)

Cord blood immune status: predicting health or allergy?
Lehmann I, Herberth G. Allergy. 2012 Apr;67(4):445-8. doi: 10.1111/j.1398-9995.2012.02800.x.

Cord blood Tregs with stable FOXP3 expression are influenced by prenatal environment and associated with atopic dermatitis at the age of one year.
Hinz D, Bauer M, Röder S, Olek S, Huehn J, Sack U, Borte M, Simon JC, Lehmann I, Herberth G; LINA study group. Allergy. 2012 Mar;67(3):380-9. doi: 10.1111/j.1398-9995.2011.02767.x. Epub 2011 Dec 22.

Reduced maternal regulatory T cell numbers and increased T helper type 2 cytokine production are associated with elevated levels of immunoglobulin E in cord blood.
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Maternal immune status in pregnancy is related to offspring's immune responses and atopy risk.
Herberth G, Hinz D, Röder S, Schlink U, Sack U, Diez U, Borte M, Lehmann I.
Allergy. 2011 Aug;66(8):1065-74. doi: 10.1111/j.1398-9995.2011.02587.x. Epub 2011 Mar 28.

Renovation activities during pregnancy induce a Th2 shift in fetal but not in maternal immune system.
Herberth G, Herzog T, Hinz D, Röder S, Schilde M, Sack U, Diez U, Borte M, Lehmann I. Int J Hyg Environ Health. 2012 Aug 1.

The LINA cohort: indoor chemical exposure, circulating eosinophil/basophil (Eo/B) progenitors and early life skin manifestations.
Weisse K, Lehmann I, Heroux D, Kohajda T, Herberth G, Röder S, von Bergen M, Borte M, Denburg J. Clin Exp Allergy. 2012 Sep;42(9):1337-46. doi: 10.1111/j.1365-2222.2012.04024.x.

Maternal and newborn vitamin D status and its impact on food allergy development in the German LINA cohort study.
Weisse K, Winkler S, Hirche F, Herberth G, Hinz D, Bauer M, Röder S, Rolle-Kampczyk U, von Bergen M, Olek S, Sack U, Richter T, Diez U, Borte M, Stangl GI, Lehmann I. Allergy. 2012 Dec 18. doi: 10.1111/all.12081.

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