Pressemitteilung vom 14. April 2010
Chytridpilz bedroht Amphibien in höheren Lagen offenbar stärker
Erste Ergebnisse aus dem EU-Projekt RACE
London/ Moulis/ Leipzig. Geburtshelferkröten im Gebirge leben gefährlich. Ihr Risiko, an der Amphibienseuche Chytridiomykose, die durch den Chytridpilz ausgelöst wird, zu erkranken und zu sterben, ist wesentlich höher als bei ihren Artgenossen im Flachland. In den höheren Lagen seien bis zu 100 Prozent der Kröten an dieser Krankheit verendet, schreibt ein internationales Wissenschaftlerteam im Fachblatt Ecology Letters. Ob der Chytridpilz besser an kältere Regionen angepasst ist oder ob das Immunsystem der Kröten dort empfindlicher reagiert, ist jedoch noch ungeklärt.
Wissenschaftler der Station d’Ecologie Expérimentale du CNRS bei der Probenahme an einem Bergsee in den französischen Pyrenäen.
Ort: in der Nähe des Hochtales Bassies, Vicdessos, Ariege.
Foto: Dr. Dirk Schmeller/CNRS
Mit Hilfe eines Wattebäuschchens wird ein Abstrich genommen, der später im Labor analysiert wird. Auf diese Weise kann festgestellt werden, ob ein Tier bereits befallen ist oder nicht.
Foto: Dr. Dirk Schmeller/CNRS
Männchen der Geburtshelferkröte (Alytes obstetricians) mit Eiern
Foto: Dr. Dirk Schmeller/CNRS
Fünf Jahre lang hatten die Forscher die Verbreitung des Chytridpilz-Erregers bei der Gemeinen Geburtshelferkröte (Alytes obstetricians) in Frankreich, Spanien und Portugal untersucht. Dabei sammelten sie Hautproben von über 3000 Kaulquappen und Kröten von 126 Stellen aus verschiedenen Höhenlagen auf der Iberischen Halbinsel. Geburtshelferkröten haben ihren Namen von einer Besonderheit bei der Fortpflanzung: Die Männchen tragen den Laich mehrere Wochen mit sich herum. Zur Gattung der Geburtshelferkröten gehören mehrere Arten, die von Nordwestafrika bis ins östliche Harzvorland verbreitet sind.
Auch in Europa sind Amphibien mittlerweile durch die Infektionskrankheit Chytridiomykosis bedroht, die durch den Chytridpilz-Erreger (Batrachochytrium dendrobatidis - kurz Bd) verursacht wird, der sich in der Haut der Amphibien einnistet. Da Amphibien zu großen Teilen über die Haut atmen, ist diese Erkrankung - neben der Vernichtung von Feuchtgebieten - eine der Ursachen für den schnellen Artenrückgang und das Aussterben von Amphibien auf fünf Kontinenten. Es ist klar, dass der Erreger bereits knapp ein Drittel der Populationen und Arten quer über Europa infiziert hat. Inzwischen zeichnet sich auch ab, dass die Folgen ähnlich katastrophal sein könnten wie in Nord- und Südamerika: von einem starken Rückgang der Amphibien bis hin zur lokalen Ausrottung. Trotz dieser Anzeichen werden die Auswirkungen dieser Seuche auf die biologische Vielfalt immer noch verkannt.
Die Ende Januar veröffentlichte Publikation über die Verbreitung der Amphibienseuche Chytridiomykose bei Geburtshelferkröten auf der Iberischen Halbinsel ist eines der ersten Ergebnisse aus dem EU-Projekt RACE (Risk Assessment of Chytridiomycosis to European amphibian biodiversity). "Chytridiomykose ist ein ernstes Problem für Amphibien weltweit. Um zu verhindern, dass die Seuche auf gesunde Populationen überspringt, müssen potentielle Ausbreitungswege aufgezeigt werden und in Zusammenarbeit mit betroffenen Interessengruppen soll geklärt werden, welche Maßnahmen auf deren Unterstützung aufbauen können", erklärt Dr. Klaus Henle vom Department Naturschutzforschung des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig. Am RACE-Projekt beteiligt sind auch das Zoologische Institut und das Imperial College in London, das CNRS und die Universität Savoyen aus Frankreich, das Naturhistorische Museum aus Spanien sowie die Universität Zürich aus der Schweiz.
RACE bewertet die Gefahren, die der Chytridpilz für die Amphibien in Europa darstellt. Einer der Schwerpunkte liegt in der Region Pyrenäen - also im Grenzgebirge zwischen Frankreich und Spanien. Die Untersuchungen dort werden von Dr. Dirk S. Schmeller koordiniert, der früher am UFZ ein EU-Projekt zu Monitoring-Verfahren betreute und jetzt an der Station für Experimentale Ökologie (SEEM) des französischen Forschungszentrum CNRS in Moulis (Department Ariège) arbeitet. Zusammen mit Wissenschaftlern am UFZ wird er im Frühjahr beginnen, die Akzeptanz von verschiedenen Artenschutzmaßnahmen bei Bewohnern und Besuchern der Pyrenäen zu untersuchen. "Die Gewässer in den Pyrenäen, in denen wir besonders viele erkrankte Tiere gefunden haben, liegen an Wanderwegen und werden oft von Touristen aufgesucht. Es könnte also sein, dass Besucher die Seuche ungewollt an ihren Schuhen von Gewässer zu Gewässer verbreiten", fürchtet Dirk S. Schmeller. Das Aussetzen von Fischen durch Angler könnte ähnliche Folgen haben. "Bevor wir jedoch Naturschutzmaßnahmen den zuständigen Behörden vorschlagen, müssen wir ein genaueres Bild zur Akzeptanz haben", fügt Schmeller hinzu.
Die Daten und Ergebnisse von RACE sollen verwendet werden, um ein einheitliches EU-weites Überwachungssystem zu schaffen, Kooperationen
anzuregen und Informationen über die Chytridiomykose weiter zu verbreiten. Auf diese Weise wird RACE Hinweise liefern, wo Schutzmaßnahmen
am nötigsten sind, um die Auswirkungen des Chytridpilzes zu verringern und die Vielfalt an Amphibien zu schützen. Das Projekt wird von der EU
im Rahmen von BiodivERsA bis Anfang 2013 mit insgesamt 2,2 Millionen Euro gefördert. Bei den Geburtshelferkröten auf der Iberischen
Halbinsel war ein Viertel der Populationen bereits an der Seuche erkrankt. Über die Situation in Deutschland kann momentan nur spekuliert
werden. In den nächsten Monaten wollen die Forscher, zusammen mit Kollegen an der Universität Trier und des Naturhistorischen Museums in Berlin,
daher einen Überblick zur Verbreitung des Chytridpilzes hierzulande erstellen. Das Team am UFZ wird hierzu auch Vorschläge für Politik und
Naturschutz erarbeiten, und dazu beitragen, dass RACE Ergebnisse möglichst schnell in Naturschutzrecht und -maßnahmen umgesetzt werden können.
Tilo Arnhold
Die Vereinten Nationen haben 2010 zum internationalen Jahr der biologischen Vielfalt erklärt. Ziel ist es, dass Thema biologische Vielfalt mit seinen vielen Facetten stärker in das öffentliche Bewusstsein zu rücken. Mit seiner Expertise trägt das UFZ dazu bei, die Folgen und Ursachen des Biodiversitätsverlustes zu erforschen sowie Handlungsoptionen zu entwickeln. Mehr dazu erfahren Sie unter:
Die Biodiversitätsforschung in Deutschland ist auf zahlreiche Institutionen wie Hochschulen, außeruniversitäre Einrichtungen und Ressortforschung bis hin zu Naturschutzverbänden und Firmen verteilt. Das Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung, ein Projekt im Rahmen von DIVERSITAS-Deutschland, möchte der Forschungs-Community deshalb eine gemeinsame institutionsunabhängige Kommunikationsstruktur und -kultur anbieten. Mehr dazu erfahren Sie unter:
Publikation:
Susan F. Walker, Jaime Bosch, Virgilio Gomez, Trenton W. J. Garner, Andrew A. Cunningham, Dirk S. Schmeller, Miguel Ninyerola, Daniel A. Henk, Cedric Ginestet, Christian-Philippe Arthur and Matthew C. Fisher (2010). Factors driving pathogenicity vs. prevalence of amphibian panzootic chytridiomycosis in Iberia. Ecology Letters. (Early View, 27 Jan 2010)
http://dx.doi.org/10.1111/j.1461-0248.2009.01434.x
Weitere Informationen
PD Dr. Klaus Henle, Dr. Mark Auliya, Dr. Henning Steinicke
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Tel. 0341-235-1270, -1646, -1652
Dr. Klaus Henle
Dr. Henning Steinicke
Dr. Dirk Schmeller
Station d’Ecologie Expérimentale du CNRS à Moulis (Frankreich)
Tel.: +33 5 61 04 03 73
Dr. Dirk Schmeller - CNRS
Dr. Dirk Schmeller - UFZ
Dr. Matthew Fisher, Projektkoordinator RACE
Imperial College London
Dr. Matthew Fisher
oder
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Pressestelle
Doris Böhme
Telefon: (0341) 235 1269
presse@ufz.de
Weiterführende Links
EU-Project RACE (Risk Assessment of Chytridiomycosis to European amphibian biodiversity):
EU-Project RACE
EU-Project RACE
Press release Imperial College London, 25 January 2010:
Living the high life is risky business for toads under threat from fungus
Studie könnte tödliche Infektionsgefahr für Kröten mindern
Blog "Batrachochytrium dendrobatidis":
spatialepidemiology.blogspot.com
Chytridpilz-Erreger (Batrachochytrium dendrobatidis / Bd):
de.wikipedia.org/wiki/Chytridpilz
Save the Frogs Day - 30. April 2010:
www.savethefrogs.com
International Year of Biodiversity 2010:
www.cbd.int/2010/welcome
Konstant als eine der besten Universitäten der Welt bewertet, ist das Imperial College London eine wissenschaftlich orientierte Institution
mit exzellenten Ruf, die 14.000 Studenten und 6.000 Mitarbeiter der höchsten internationalen Qualitätsstandards anzieht. Innovative Forschung an
der Hochschule untersucht die Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Medizin, Technik und Wirtschaft und liefert praktische Lösungen, die die
Lebensqualität und die Umwelt verbessern - unterstützt durch eine dynamische Unternehmenskultur. Seit seiner Gründung im Jahr 1907 lieferte das
Imperial College wichtige Beiträge für die Gesellschaft: die Entdeckung des Penicillins, die Entwicklung der Holographie und die Grundlagen der
Lichtleiteroptik. Dieser Einsatz für die Anwendung der Forschungsergebnisse zum Nutzen aller setzt sich bis heute fort. Der derzeitige Schwerpunkt
beinhaltet interdisziplinäre Zusammenarbeit zur Verbesserung der Gesundheit in Großbritannien und weltweit, die Bekämpfung des Klimawandels
sowie die Entwicklung sauberer und nachhaltiger Energiequellen.
www.imperial.ac.uk
Die Station d'Ecologie Experimentale in Moulis (SEEM) ist eine neu gegründetes Forschungs-und Serviceabteilung des Centre Nationale de
la Recherche Scientifique (CNRS). Die interdisziplinäre Forschungsgruppe vereint Populationsökologen, Verhaltensbiologen, Evolutionsbiologen und
Genetiker, um alle Aspekte der Verbreitung von Tieren untersuchen zu können. SEEM kooperiert dabei mit verschiedenen Instituten in anderen
europäischen Ländern und den USA. Die Station in der Region Arige am Fuße der Pyrenäen wird zur Zeit ausgebaut und erhält dabei neue Labors und
Gewächshäuser.
www.ecoex-moulis.cnrs.fr
Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg über 900 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.
Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie, Verkehr und Weltraum. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit fast 28.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 16 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 2,8 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894).