Pressemitteilung vom 24. September 2012
Zusatzkosten in Millionenhöhe durch Beifuß-Ambrosie
Vorsorgemaßnahmen heute wichtig, um Allergiekosten in Zukunft zu vermeiden
Leipzig/München. Die Beifuß-Ambrosie ist eine aus Nordamerika eingeschleppte Pflanze, die sich zunehmend in Europa und auch in Deutschland ausbreitet. Ihre Pollen enthalten aggressive Allergene und bereiten betroffenen Allergikern durch ihren späten Pollenflug auch nach der Beschwerdesaison durch heimische Pflanzen weitere Krankheitssymptome. Die Verlängerung der Beschwerdesaison für Pollenallergiker durch die Beifuß-Ambrosie verursacht hohe Kosten, die direkt z.B. durch Therapiekosten oder indirekt durch krankheitsbedingte Fehlzeiten entstehen. Eine Studie des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und des AllergieZentrums der Ludwig-Maximilians-Universität München schätzt die Kosten, die durch die Ausbreitung des neuen Allergens entstehen, jetzt erstmalig auf etwa 200 Millionen bis über eine Milliarde Euro pro Jahr. Dazu hatten die Wissenschaftler Pollenallergiker in Süddeutschland befragt und die daraus gewonnenen Ergebnisse auf Deutschland hochgerechnet. Die möglichen Kosten und der hohe Leidensdruck der betroffenen Patienten unterstreichen die Notwendigkeit von konzertierten Vorsorgemaßnahmen in Deutschland wie auch in Europa, schreiben die Wissenschaftler im Fachblatt "Umweltmedizin in Forschung und Praxis".
Allergische Atemwegserkrankungen treten in Deutschland bisher vor allem zwischen März und Juli auf – also in der Hauptblütezeit von Bäumen und Gräsern. Durch das verstärkte Auftreten der aus Nordamerika stammenden Beifuß-Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia), die von August bis Oktober blüht und stark allergen wirkt, kann es zu einer Verlängerung der Beschwerdesaison bei Pollenallergikern kommen. Laut Statistik ist zurzeit jeder fünfte Deutsche gegen einzelne Pollenallergene sensibilisiert. Das entspricht rund 17 Millionen Betroffenen.
Ambrosia-Pollen werden durch Luftmassenverschiebungen über weite Wege aus Süd- und Osteuropa verfrachtet, doch auch in Deutschland finden sich bereits größere Ansammlungen der Pflanzen. Wie viele Krankheitsfälle durch Ambrosia in Deutschland tatsächlich verursacht werden, ist momentan noch unklar. Die Wissenschaftler rechnen daher in ihrer Studie mit zwei Szenarien: Das konservative Szenario geht von der eher geringen Belastungssituation in Nord- und Westeuropa aus. Geschätzt wird, dass ein Zehntel der Pollenallergiker gegen Ambrosia sensibilisiert ist und bei weiterem Kontakt zu den Pollen erkrankt. Das Worst-Case-Szenario orientiert sich hingegen an der Belastungssituation, wie sie heute in Ungarn auftritt, wo die Pflanze in manchen Regionen bereits flächendeckend vorkommt. Das dort für Ambrosia günstige trockene und warme Klima und der vermehrte Anbau von Sonnenblumen, deren Saatgut häufig mit Samen der Beifuß-Ambrosie verunreinigt ist, begünstigen deren Wachstum. Für dieses Szenario wird angenommen, dass die Hälfte der Pollenallergiker gegen Ambrosia-Allergene sensibilisiert ist und bei Kontakt mit den Pollen erkrankt. Auf Basis dieser Annahmen wären von der weiteren Ausbreitung dieser invasiven Pflanzenart in Deutschland demnach zwischen zwei und über acht Millionen Menschen potenziell betroffen. Im Extremfall könnten, wenn die Entwicklung der Belastung durch Ambrosia-Pollen deutschlandweit der aktuellen Situation im trockenen Süden Brandenburg entspräche, bis zu zehn Prozent der Gesamtbevölkerung erkranken.
„Kosten von Ambrosia-Allergien abzuschätzen, ist auch deshalb bedeutsam, weil Maßnahmen gegen die Verbreitung der Ambrosia ebenfalls Kosten verursachen. Gesundheitsökonomische Analysen können die Notwendigkeit solcher Maßnahmen beurteilen und die hierfür nötigen Aufwendungen in Relation zu den alternativ anfallenden Gesundheitskosten setzen“, erläutert die Potsdamer Umweltökonomin Dr. Wanda Born, die diese Studie zu den Kosten invasiver Arten am UFZ geleitet hat. Um herauszufinden, welche Kosten bei Allergikern entstehen können, wurden Patienten des AllergieZentrums München befragt, die an einer Pollenallergie leiden und die nachweislich gegen Ambrosia sensibilisiert sind. Die Mehrzahl der Patienten gab an, allergiebedingt regelmäßig einen Arzt – im Durchschnitt fünfmal pro Jahr – zu besuchen. Ein Drittel der Befragten muss jährlich etwa fünf Tage stationär behandelt werden. Ein Fünftel ist durchschnittlich 14 Tage pro Jahr arbeitsunfähig. Neben den daraus resultierenden Kosten für die Krankenversicherungen sowie den volkswirtschaftlichen Kosten müssen die Patienten auch beträchtliche Aufwendungen privat tragen. So gibt ein Drittel der Befragten durchschnittlich über 200 Euro pro Jahr für Zuzahlungen und Gegenmaßnahmen wie Pollenfilter oder -gitter aus. Hinzu kommt die Einschränkung der Lebensqualität der Betroffenen: „Die Tatsache, dass mehr als ein Drittel der Befragten eine Bekämpfung von Ambrosia finanziell unterstützen würde, verdeutlicht den starken Leidensdruck der Patienten. Die Ergebnisse zeigen, dass fast die Hälfte der Betroffenen während der Beschwerdesaison bei einfachen körperlichen Tätigkeiten eingeschränkt ist“, erklärt Professor Franziska Ruëff von der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Hochgerechnet auf ganz Deutschland bedeutet dies, dass je nach Entwicklung der Ambrosia-Belastung die durchschnittlichen Behandlungskosten bei Pollenallergikern um 10 - 25 Prozent ansteigen könnten. Das würde jährliche Mehrkosten von ca. 1.300 bis 2.100 Euro pro Patient bedeuten.
Diese ersten Ergebnisse zu den Gesundheitskosten der Ambrosia basieren auf einer stichprobenartigen Befragung von Pollenallergikern in Süddeutschland, die sich wegen ihrer Beschwerden an einer Universitätsklinik vorstellten. Belastbarere Kostenschätzungen würden einerseits umfangreichere Untersuchungen in unterschiedlich belasteten Regionen Deutschlands erfordern und andererseits mehr Wissen über die Ausbreitung der Ambrosia in den nächsten Jahrzehnten voraussetzen. Die Pilot-Studie ist daher nur eine erste Annäherung an diese Thematik. „Auch wenn die Zuordnung von Kosten, die durch ein spezifisches Allergen verursacht werden, kaum möglich ist, da die von einer Ambrosia-Allergie betroffenen Patienten oftmals bereits gegen andere Allergene sensibilisiert sind, so vermittelt die Studie doch einen ersten Eindruck der Kostendimension des Ambrosia-Problems. Vor dem Hintergrund des Klimawandels, der eine Ausbreitung der Ambrosia auch in Deutschland zusätzlich begünstigt, ist die Annahme plausibel, dass sich der Beschwerdezeitraum von 12 Prozent aller Pollenallergiker durch die zunehmende Verbreitung der Ambrosia um bis zu zwei Monate verlängert. Die Ergebnisse der Studie sind daher von großem gesundheitspolitischen Interesse“, betont Ökonom Oliver Gebhardt vom UFZ. Bei einem Viertel bis der Hälfte all derjenigen, die gegen das Ambrosia-Allergen sensibilisiert sind, kommt es später tatsächlich zu einer allergischen Reaktion. Der effektivste Weg anfallende Kosten zu begrenzen, wäre also die Pollenkonzentration zu verringern, indem die Ausbreitung der Pflanze eingedämmt wird. Voraussetzung hierfür sind aus Sicht der Wissenschaftler ein höheres Problembewusstsein und eine intensive Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen und Institutionen auf europäischer Ebene. Eine Kombination aus präventivem Management im Straßenbau, in der Landwirtschaft aber auch im privaten Bereich und flächendeckendes Monitoring könnte helfen, größere Vorkommen mit der gebotenen Eile zu bekämpfen. Gelingt dies nicht, dann könnten Deutschland Verhältnisse wie in Ungarn drohen, wo bereits seit einigen Jahren ein Zehntel der Gesamtbevölkerung sensibilisiert ist.
Tilo Arnhold
Publikation:
Wanda Born, Oliver Gebhardt, Jennifer Gmeiner, Franziska Ruëff (2012): Gesundheitskosten der Beifuß-Ambrosie in Deutschland. Umweltmed Forsch Prax 17 (2) 201280 (2012)
http://www.ecomed-medizin.de/sj/ufp/abstract/ArtikelId/11588
Die Studie wurde im Rahmen des BMBF-Projektes "INVASION: Evolutionäre, ökologische und gesellschaftliche Konsequenzen biologischer Invasionen" gefördert.
Weitere fachliche Informationen:
Dr. Wanda Born
born to consult - Büro für Umweltpolitik und Umweltökonomie, Potsdam
Telefon: 0160 -977 88 326
born@borntoconsult.de
Oliver Gebhardt
und
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Leipzig
Telefon: 0341-235-1477
http://www.ufz.de/index.php?de=30129
und
Prof. Franziska Ruëff
AllergieZentrum der Ludwig-Maximilians-Universität, München
Telefon: 089-5160-6010
http://allergiezentrum.klinikum.uni-muenchen.de/
oder über
Tilo Arnhold (UFZ-Pressestelle)
Telefon: 0341-235-1635
Weiterführende Links:
INVASIONS
http://www.ufz.de/index.php?de=16302
Ungebetene Gäste (UFZ-Newsletter September 2009, S.1-3):
http://www.ufz.de/export/data/1/26515_ufz_newsletter_sep_09_.pdf
Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg über 1.000 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.
Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie, Verkehr und Weltraum. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit über 31.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 18 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 3,4 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894).