Pressemitteilung vom 23. November 2020

Harzer Stausee drohen italienische Wassertemperaturen

Der Klimawandel stellt die Trinkwasserversorgung vor neue Herausforderungen

Die Rappbodetalsperre im Harz ist die größte Trinkwassertalsperre in Deutschland und beliefert rund 1 Mio. Menschen mit Trinkwasser, unter anderem in den Regionen Halle und dem südlichen Sachsen-Anhalt. Der Klimawandel könnte nun dafür sorgen, dass die Wassertemperaturen in dem Stausee deutlich steigen. Sollte die durchschnittliche Erderwärmung bis zum Jahr 2100 zwischen 4 und 6 Grad liegen, was der aktuellen Entwicklung entspricht, wird die Rappbodetalsperre Temperaturverhältnisse bekommen, die vergleichbar sind mit denen des Gardasees und anderer Seen südlich der Alpen. Die Talsperrenbetreiber könnten die Auswirkungen auf die Trinkwasserversorgung teilweise auffangen, schreibt ein vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) geführtes Forscherteam in der Zeitschrift Science of the Total Environment. Dafür müssten sie die Bewirtschaftung ändern.

Die Rappbodetalsperre im Harz ist die größte Trinkwassertalsperre Deutschlands Foto: André Künzelmann / UFZ
Die Rappbodetalsperre im Harz ist die größte Trinkwassertalsperre Deutschlands
Foto: André Künzelmann / UFZ

Schon jetzt wirkt sich der Klimawandel auf die Rappbodetalsperre aus: Um rund 4 Grad hat sich die Temperatur in den vergangenen 40 Jahren an der Wasseroberfläche des Stausees in den Sommermonaten erwärmt. Diese Entwicklung könnte sich weiter fortsetzen, wie ein vom UFZ-Seenforscher Dr. Karsten Rinke geleitetes Forscherteam nun zeigen konnte. Auf Basis eines von US-Forschern entwickelten Seenmodells prognostizierten sie unter Berücksichtigung möglicher Strategien zur Talsperrenbewirtschaftung die Auswirkungen des Klimawandels auf die Wassertemperatur und auf die physikalische Struktur, die die Schichtung und die jahreszeitliche Durchmischung des Wasserkörpers steuern. Sie bezogen sich dabei auf drei Szenarien künftiger Treibhausgasemissionen. Die sogenannten "Repräsentativen Konzentrationspfade" (RCPs) beschreiben, ob der Ausstoß von Treibhausgasen bis zum Jahr 2100 gestoppt wird (RCP 2.6), weiter ansteigt (RCP 6.0) oder sich gar ungebremst fortsetzt (RCP 8.5). Im letzten Fall würde laut des Weltklimarats IPCC bis Ende des Jahrhunderts die Erwärmung im weltweiten Durchschnitt mehr als vier Grad betragen.

Für das RCP 2.6- und das RCP 6.0-Szenario modellierten die Autoren der Studie, dass sich an der Rappbodetalsperre die Durchschnittstemperatur an der Wasseroberfläche bis zum Jahr 2100 um 0,09 Grad beziehungsweise um 0,32 Grad pro Jahrzehnt erhöht. Dies würde bis zum Ende des Jahrhunderts ein Anstieg um insgesamt rund 0,7 Grad (RCP 2.6) und rund 2,6 Grad (RCP 6.0) bedeuten. Am höchsten fällt erwartungsgemäß der Temperaturanstieg beim RCP 8.5-Szenario aus: Dabei steigt die Wassertemperatur um 0,5 Grad pro Jahrzehnt, also um rund 4 Grad bis zum Jahr 2100.
Gravierender für die Trinkwassernutzung ist aber, was in tieferen Schichten des Stausees, also in 50 Meter Tiefe und darunter passiert, da hier das Rohwasser für die Trinkwasseraufbereitung entnommen wird. Zwar bleiben beim RCP 2.6- und beim RCP 6.0-Szenario bis zum Jahr 2100 die Auswirkungen verhältnismäßig gering, da die Wassertemperatur weiterhin ganzjährig rund 5 Grad Celsius beträgt. Allerdings werden die Wassertemperaturen beim RCP 8.5-Szenario deutlich zulegen - und zwar um nahezu 3 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts. Dadurch erwärmt sich das Tiefenwasser der Talsperre auf rund 8 Grad Celsius. "Damit wird aus einem Stausee im nördlichsten Mittelgebirge Deutschlands ein Gewässer vergleichbar dem Lago Maggiore oder dem Gardasee", sagt UFZ-Wissenschaftler Karsten Rinke. Diese Temperaturerhöhung hat Folgen, weil sich dadurch die Geschwindigkeit biologischer Stoffumsetzungen stark beschleunigt. "Bei einer Temperaturzunahme auf 8 Grad Celsius verdoppelt sich nahezu die Sauerstoffzehrung, also der Sauerstoffverbrauch durch Atmungs- und Abbauprozesse von Organismen", sagt Erstautor Chenxi Mi, der am UFZ über die Klimaauswirkungen auf die Rappbodetalsperre promoviert. Weil sich die Dauer der Sommerstagnation - das ist die Phase der stabilen Temperaturschichtung der Seen, in denen das Tiefenwasser von der Sauerstoffversorgung aus der Atmosphäre abgeschlossen ist - durch den Klimawandel ohnehin verlängert, bedeutet die erhöhte Sauerstoffzehrung eine zusätzliche Belastung für den Sauerstoffhaushalt des Gewässers. Hinzu kommt, dass wärmeres Wasser auch weniger Sauerstoff aufnehmen kann. Eine verstärkte Rücklösung von Nährstoffen und gelösten Metallen aus dem Sediment, Algenwachstum und die Zunahme von Blaualgen wären mögliche Folgen. 

Das Eintreten des 8.5-Szenarios hätte somit Auswirkungen auf die Trinkwasserversorgung. Die Talsperrenbetreiber entnehmen das Rohwasser aus guten Gründen aus der untersten Schicht, da das Wasser dort kalt ist und einen geringen Gehalt an Trübstoffen, gelösten Metallen, Algen, Bakterien und potenziell pathogenen Mikroorganismen aufweist. Nimmt nun dort aufgrund zunehmender Wassertemperatur der Sauerstoffanteil schneller ab, erhöht das die Gefahr von Verunreinigungen, etwa durch Rücklösungen aus dem Sediment und einem verstärktem Bakterienwachstum. Für die Betreiber würde dies den Aufbereitungsaufwand erhöhen und sie vor höhere Ansprüche an die vorzuhaltende Aufbereitungskapazität stellen. "Es lohnt sich daher auch mit Blick auf die Trinkwasserversorgung, die Erwärmung des Tiefenwassers zu vermeiden, idealerweise durch eine ambitionierte Klimapolitik, welche die Erwärmung begrenzt", sagt Rinke. 

Ganz machtlos stehen die Talsperrenbetreiber der Erwärmung des Tiefenwassers aber nicht gegenüber. Die Modellsimulationen des Teams um Karsten Rinke zeigen, dass ein Teil der Wärme durch ein geschicktes Wasserentnahmeregime abgeführt werden könnte. Dies betrifft die Wasserabgabe an den Unterlauf, also die Wasserentnahme, die in das darunter liegende Fließgewässer entwässert, um dort die Abflussverhältnisse stabil zu halten. Diese sogenannte Unterwasser-Abgabe müsste nicht wie bisher aus den tieferen Schichten, sondern oberflächennah entnommen werden. "Damit wird die zusätzliche Wärme, die durch den Klimawandel verursacht wird, wieder abgegeben", sagt Rinke. Bei einer Erwärmung der Luft über 6 Grad hinaus lasse sich allerdings das Aufheizen des Tiefenwassers nicht mehr verhindern. "Auch wenn die Betreiber infolge der sehr trockenen Jahre in jüngster Vergangenheit eher mit dem Wassermangel zu kämpfen haben, ist es genauso wichtig, sich Gedanken um die Wasserqualität zu machen. Wir haben durchaus Potenziale in der Talsperrenbewirtschaftung, auf die Veränderungen durch den Klimawandel  zu reagieren und somit bestimmte negative Auswirkungen im Sinne einer Klimaanpassung abzupuffern."

Die Betreiber der Rappbodetalsperre im Talsperrenbetrieb Sachsen-Anhalt sind sich dessen bewusst. Sie stehen mit den UFZ-Forschern um Karsten Rinke seit etlichen Jahren in engem Austausch, um die Auswirkungen des Klimawandels gemeinsam zu bewerten und Möglichkeiten der Anpassung an der Rappbodetalsperre auszuloten. So hat der Talsperrenbetrieb bereits neue Infrastrukturen in der Planung, welche die Implementation der neuen Bewirtschaftungsstrategien erlauben werden.

Publikation:
Chenxi Mi, Tom Shatwell, Jun Ma,Yaqian Xu, Fangli Su, Karsten Rinke: Ensemble warming projections in Germany's largest drinking water reservoir and potential adaptation strategies. Science of the Total Environment https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2020.141366


Weitere Informationen

Dr. Karsten Rinke
Leiter des UFZ-Departments Seenforschung
karsten.rinke@ufz.de

UFZ-Pressestelle

Susanne Hufe
Telefon: +49 341 235-1630
presse@ufz.de


Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt und erarbeiten Lösungsoptionen. In sechs Themenbereichen befassen sie sich mit Wasserressourcen, Ökosystemen der Zukunft, Umwelt- und Biotechnologien, Chemikalien in der Umwelt, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg circa 1.100 Mitarbeitende. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

www.ufz.de

Die Helmholtz-Gemeinschaft identifiziert und bearbeitet große und vor allem drängende Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Ihre Aufgabe ist es, langfristige Forschungsziele von Staat und Gesellschaft zu erreichen. Damit sollen die Lebensgrundlagen der Menschen erhalten und sogar verbessert werden. Helmholtz besteht aus 19 naturwissenschaftlich-technologischen und medizinisch-biologischen Forschungszentren.

www.helmholtz.de
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