Pressemitteilung vom 05. November 2024
COP29: Nur mit mehr Geld gibt es global mehr Klimaschutz
UFZ-Klimaökonom Reimund Schwarze analysiert die Ausgangslage im Vorfeld
Beim Klimagipfel im Baku geht es vor allem um eine Vervielfachung der internationalen Klimafinanzierung. Gelingt dies nicht, wird auch die nötige schnelle Absenkung der Treibhausgas-Emissionen scheitern und das 1,5-Grad-Ziel endgültig außer Reichweite geraten, sagt Prof. Reimund Schwarze vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). So wie in den vergangenen Jahren ist der Klimaökonom auch 2024 als Beobachter vor Ort. Im folgenden Statement analysiert er die Ausgangslage.
Für die COP29, die am Montag beginnende 29. UN-Klimakonferenz in Baku, kursiert eine neue Abkürzung: NCQG, ausgeschrieben New Collective Quantified Goal. Bei diesem "neuen gemeinsamen quantifizierbaren Ziel" geht um ein langfristiges Regelwerk für die internationale Klimafinanzierung bis in die 2030er Jahre hinein.
Dessen Kern wiederum ist ein langfristiges und ehrgeiziges Ziel für die Beiträge, mit denen Industrieländer die Entwicklungsländer unterstützen. Das NCQG soll zudem sämtliche Förderaufgaben der UN-Klimarahmenkonvention zusammenfassen, also Klimaschutz, Klimaanpassung und Kompensation von Klimaschäden.
Neu austariert werden müssen in Baku auch die unterschiedlichen Finanzbedarfe und -kapazitäten von Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern. Das ganze Regelwerk muss dabei gemeinschaftlich von allen Staaten entwickelt und nicht mehr von den Geberländern diktiert werden - wie einst beim Klimagipfel 2009 in Kopenhagen.
Das neue Finanzziel muss klar und messbar sein, nicht vage und unkonkret. Eine Einigung bei den Finanzfragen gilt als entscheidend für den Erfolg des Bakuer Gipfels - dies betont auch der Leiter des UN-Klimasekretariats, Simon Stiell.
Warum ist das NCQG so wichtig? Das Finanzierungsziel stellt zunächst ein zentrales Arbeitsprogramm der Klimarahmenkonvention dar. Über dieses wurde übrigens seit 2022 bei drei Treffen der politischen Spitzen und elf Expertentreffen beraten.
Wichtiger noch: Eine ausreichende Klimafinanzierung gilt als sogenanntes "conditional target" - als essenziell für den Erfolg des globalen Klimaschutzes. Die nationalen Klimaziele der Entwicklungsländer sind praktisch alle von den Finanzhilfen abhängig. Selbst Schwellenländer wie Mexiko und Argentinien rechnen bei ihren Klimazielen mit Geldern aus der Klimafinanzierung. Bei den ärmsten Ländern der Welt hängen sogar sämtliche Klimaziele von der Finanzierung durch das neue NCQG ab.
Deswegen gilt: Ohne eine Lösung des Finanzknotens wird es den meisten Staaten gar nicht möglich sein, für den Klimagipfel 2025 in Brasilien strengere nationale Klimaziele vorzulegen.
Wo liegen die größten Probleme auf dem Weg zu einem neuen NCQG? Klimafinanzierung ist zunächst immer noch ein vielschichtiges, schwer zu bestimmendes Konzept. So kann der Geldbedarf ermittelt werden, indem die Länder einfach ihre Bedarfe anmelden ("bottom-up"). Möglich sind auch wissenschaftliche Modellierung ("top-down") oder eine Kombination aus beiden. Je nach Methode fällt das Ergebnis sehr unterschiedlich aus.
In jedem Fall steht eins aber fest: Die internationale Klimafinanzierung braucht einen Quantensprung - von Milliarden zu Billionen. Das zeigt auch ein Hintergrundpapier des Deutschen Klima-Konsortiums (DKK), in dem rund 30 Forschungseinrichtungen vertreten sind. Weitere Expertisen bestimmen den internationalen Finanzbedarf in den 2030er Jahren auf mindestens das Zehnfache dessen, was die Industrieländer der OECD derzeit bereitstellen.
In Zahlen heißt das: Wir müssen bei den Finanzbeiträgen zur Unterstützung der Entwicklungsländer vom derzeitigen 100-Milliarden-Dollar-Ziel zu einem 1.000-Milliarden-Ziel kommen, sprich zu einer Billion US-Dollar - pro Jahr. Nur so können wir in Reichweite des 1,5-Grad-Ziels bleiben, bei dem die Erderwärmung noch beherrschbar ist.
Der Klimagipfel in Baku ist so gesehen keine, wie es mitunter heißt, unbedeutende "Zwischenkonferenz", sondern ein entscheidender Meilenstein für die internationale Klimapolitik.
Die Frage ist natürlich, wie so ein "Quantensprung" möglich wird in einer Welt, in der über knapper werdende Budgets für die Entwicklungshilfe diskutiert wird.
Die erste Gegenstrategie besteht darin, die Zahl der Beitragszahler zu erhöhen. Bislang bringen 24 Länder der Klimakonvention die Mittel für 168 andere Länder auf. Bei den 24 handelt es sich noch immer um die Mitgliedsländer der OECD aus den 1990er Jahren. So sind beispielsweise China und Südkorea noch nicht unter den zahlenden Ländern.
Beide Staaten investieren dennoch viel in den Klimaschutz, so über die chinesisch kontrollierten asiatischen Entwicklungs- und Infrastrukturbanken. China will darüber aber weder berichten noch sich international dazu verpflichten.
Deshalb schließt die Strategie für mehr Beitragszahler, die vor allem von der EU und den USA verfolgt wird, die Forderung nach mehr Transparenz in der internationalen klimabezogenen Entwicklungs- und Investitionsfinanzierung ein.
Bei der zweiten Strategie werden Klimafinanzierung und Klimagerechtigkeit miteinander verknüpft. Diese Strategie wird häufig von Nichtregierungsorganisationen vertreten, aber auch von einzelnen Ländern wie der Schweiz.
Dazu gibt es komplizierte Beitragsberechnungen, die sich danach richten, wie leistungsfähig die Länder sind oder inwieweit sie das Gemeinschaftsgut Klima nutzen, oder nach bestimmten Fairness-Kriterien. Diese Ideen sind aber kaum verhandlungstauglich.
Eine größere Rolle spielt ein politischer Vorschlag, der den Quantensprung ermöglichen würde. Das wäre eine Klima-Vermögenssteuer oder eine andere Form von Reichen- und Superreichensteuern. Diese könnten durch geeignete Ausgestaltung wie eine Steuerbefreiung bei "grünen" Anlagen zudem als indirekte Bepreisung von "braunem", klimaschädlichem Vermögen wirken.
Die dritte Strategie ist eine Reform des internationalen Finanzsystems mit dem Ziel, in großem Maßstab Klima-Investitionen in den Entwicklungsländern zu begünstigen. Das soll besonders hoch verschuldeten Ländern helfen und zudem möglichst viele private Mittel mitziehen oder "hebeln", wie es im Finanzsprech heißt. Dies führt sogar, was wenigen klar ist, zu einer indirekten Ausweitung der Beitragszahler.
Denn Länder wie Südkorea und China sind bereits Mitglied der Weltbank und sitzen in Führungspositionen internationaler und regionaler Finanzorganisationen. Sie werden dort auch nicht austreten, wenn diese verstärkt auf Klimaschutz und Klimaanpassung verpflichtet werden.
Egal, welche Strategie zum Zug kommt, die Frage einer gerechteren Aufteilung der finanziellen Lasten ("burden-sharing and contributors") wird auf der COP29 in Baku eine zentrale Rolle spielen. Auf die Verhandlungen in Baku kommt im Kern die schwierige Aufgabe zu, eine mit dem Pariser Klimavertrag kompatible Formel zu finden, um die Basis der Beitragszahler zu verbreitern - ob nun auf direktem oder indirektem Wege.
Mehr Beitragszahler zu mobilisieren, kommt einer "tektonischen" Veränderung im internationalen Verhandlungsgeschehen gleich. Auch wenn viele Schwellenländer bereits heute aktiv zur internationalen Klimafinanzierung beitragen, wollen sie dies zumeist nicht als Änderung ihres Rechtsstatus nach der Klimarahmenkonvention gewertet wissen.
Sie sind deshalb auch nicht bereit, ihre Beiträge zur internationalen Klimafinanzierung den Transparenzregeln des Paris-Abkommens zu unterwerfen. Hier ist große Diplomatie gefragt, ähnlich wie 2015 in Paris. Ob dies unter der unerfahrenen Konferenzpräsidentschaft von Aserbaidschan erreicht werden kann, erscheint fraglich.
Auf den Gängen und auf dem Gelände des Konferenzorts, dem Nationalstadion in Baku, dürfte daher der Ruf nach Klimagerechtigkeit laut und deutlich zu vernehmen sein - sofern es nicht zur Unterdrückung der Proteste wie beim Klimagipfel in Sharm el-Sheikh vor zwei Jahren kommt, sondern Freiheitsrechte geschützt werden. Man wird sehen, wie die politische Führung in Aserbaidschan mit dieser neuen, ungewohnten Aufgabe umgeht.
In Baku muss auch ein Verhandlungspaket geschnürt werden, das nicht allein ein neues Mengenziel ("quantum") für die Klimafinanzierung enthält, sondern auch die Art und Weise der Mittelvergabe neu festlegt.
Im Paris-Vertrag ist von einer Ausgewogenheit der Gelder für Klimaschutz und für Klimaanpassung die Rede ("… a balance between adaptation and mitigation"). Mit dem 2022 beschlossenen Fonds für klimabedingte Verluste und Schäden ("Loss and Damage") - besonders für die verletzlichsten Insel- und Küstenregionen - wird diese Forderung noch wichtiger.
Zugleich unterscheiden sich Ziele wie Klimaanpassung und Schadensausgleich deutlich von aktivem Klimaschutz, vor allem der Reduktion von Treibhausgasen. Man zieht keine kurzfristigen Vorteile aus der Anpassung und schon gar nicht aus "Loss and Damage" - nicht politisch und auch nicht ökonomisch. Es handelt sich hierbei auch um lokal sehr unterschiedliche Maßnahmen, die schwer messbar, nicht marktgängig und auch nicht handelbar sind.
Die schiere Differenz zwischen dem 100-Milliarden-Dollar-Ziel des Paris-Abkommens und dem rechnerischen Klimafinanzierungsbedarf der Entwicklungsländer macht auch klar, dass eine andere Lösung gefunden werden muss als eine schlichte Vervielfachung oder "Aufstockung".
So verlangt der wachsende Anteil der Klimaanpassungsfinanzierung mehr, als nur die entsprechenden Mittel pauschal zu steigern. Ein Finanzziel für den "Loss and Damage Fund" muss ohnehin erst noch vereinbart werden. Dies wird auf diesem Gipfel nicht möglich sein.
Die schwachen Ergebnisse beim Petersberger Klimadialog in Berlin und bei anderen Ministertreffen im Vorfeld der diesjährigen Weltklimakonferenz lassen wenig Hoffnung. Auch das geplante zweitägige Treffen der Staats- und Regierungschefs in Baku wird, wie in den allermeisten Jahren zuvor, bereits unter dem Druck des aktuellen Geschehens auf der COP29 stehen. Denn die Präsidentschaft hat sich zum Auftakt bereits zu 29 Zusatzzielen verpflichtet. Eine tiefgreifende Neuordnung der Finanzierungsmechanismen der Klimakonvention, die zweifellos nötig wäre, erscheint zum jetzigen Zeitpunkt fraglich.
Bei der Festlegung des neuen globalen Mengenziels für die internationale Klimafinanzierung sieht es zurzeit eher nach einer Ad-hoc-Lösung aus. Schon vor Beginn der Verhandlungen in Baku kristallisieren sich einige grundsätzliche Verhandlungspositionen heraus, mit denen wichtige Ländergruppen zur COP29 reisen werden. Hierzu einige Beispiele aus dem Vorschlagskanon.
Während die EU-Staaten auf eine Ausweitung der Beitragsparteien und die Nutzung innovativer Quellen wie der CO?-Bepreisung drängen, fordern die afrikanischen Staaten - ohne die Berechnungsgrundlagen offenzulegen - von den Industrieländern bis 2030 direkte Zuschüsse in Höhe von 1.300 Milliarden US-Dollar pro Jahr zu den Klimamaßnahmen der Entwicklungsländer.
Die arabischen Staaten wiederum beschränken diese Forderung auf 441 Milliarden US-Dollar aus öffentlichen Mitteln, die allerdings auch Kreditlinien zu Vorzugsbedingungen umfassen sollen.
Die "Like-Minded Developing Countries" um China und Indien verlangen hingegen, dass die westlichen Staaten von 2025 bis 2030 jährlich mindestens 1.000 Milliarden US-Dollar bereitstellen. Eine Erweiterung des Kreises der Geldgeber auf wirtschaftsstarke Schwellenländer lehnen sie jedoch ab.
Die USA unterstützen zwar die Forderung nach "deutlich über einer Billion US-Dollar pro Jahr", möchten sich jedoch sämtliche privaten wie öffentlichen Investitionen dafür anrechnen lassen.
Gastgeber Aserbaidschan hatte im Mai dieses Jahres einen "Nord-Süd-Finanzmechanismus" ins Gespräch gebracht, der durch eine Abgabe auf die Produktion von fossilen Brennstoffen finanziert werden sollte. Dieser Vorstoß wurde jedoch kurz darauf wieder zurückgezogen - auf Druck der Golfstaaten, wie es heißt.
Unmittelbar vor der Konferenz von Baku sieht es eher danach aus, als würde das neue Globalziel der Klimafinanzierung nach den Prinzipien eines "Kuhhandels" zwischen Geber- und Nehmer-Interessen gefunden werden - und nicht aufgrund einer neuen, systematischen Architektur für eine globale Klimafinanzierung.
Aufgrund der enormen Interessenunterschiede zwischen den Staaten und der schieren Dimension der künftig nötigen Finanzmittel ist aber auch ein Scheitern nicht gänzlich ausgeschlossen.
Prof. Dr. Reimund Schwarze ist Klimaökonom am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig und Professor an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Seit fast 20 Jahren untersucht er internationale Klimaverhandlungen aus politisch-ökonomischer Perspektive und entwickelt Modelle zur Verbesserung der globalen Klimapolitik.
Folgende UFZ-Wissenschaftler werden auf der COP29 vor Ort sein und auch als Ansprechpartner für die Medien zur Verfügung stehen:
Prof. Reimund Schwarze (Klimaökonom) zu folgenden Themen:
- Climate Finance
- Nationale Anpassungspläne (NAPs)
- Loss and Damage (Verluste und Schäden)
- Internationale Klimapolitik: Langzeitliche Beobachtung der Trends und Entwicklungen, Rolle Deutschlands und der EU
Erreichbarkeit: via e-mail persönlich (reimund.schwarze@ufz.de) oder die Pressestelle des UFZ (presse@ufz.de).
Dr. Friedrich Bohn (Waldmodellierer) zu folgenden Themen:
- Entwaldung / Aufforstung
- Wechselwirkung Extremereignisse und Wald
- Waldüberwachung mit Remote Sensing
- Integration Kohlenstoffsenken Wald in den Zertifikatehandel
Erreichbarkeit: via e-mail persönlich (friedrich.bohn@ufz.de) oder die Pressestelle des UFZ (presse@ufz.de).
Weitere Informationen
UFZ-Pressestelle
Susanne Hufe
Telefon: +49 341 235-1630
presse@ufz.de
Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt und erarbeiten Lösungsoptionen. In sechs Themenbereichen befassen sie sich mit Wasserressourcen, Ökosystemen der Zukunft, Umwelt- und Biotechnologien, Chemikalien in der Umwelt, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg circa 1.100 Mitarbeitende. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.
www.ufz.deDie Helmholtz-Gemeinschaft identifiziert und bearbeitet große und vor allem drängende Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Ihre Aufgabe ist es, langfristige Forschungsziele von Staat und Gesellschaft zu erreichen. Damit sollen die Lebensgrundlagen der Menschen erhalten und sogar verbessert werden. Helmholtz besteht aus 19 naturwissenschaftlich-technologischen und medizinisch-biologischen Forschungszentren.
www.helmholtz.de