Pressemitteilung vom 25. Januar 2019

Trickreiche Methode im Nachbarschaftsstreit

Pflanzen des Wilden Tabaks verschaffen sich einen Vorteil, indem sie hungrige Raupen kurzerhand zur Konkurrenz schicken

Ihren Fraßfeinden davonrennen können Pflanzen nicht. Doch viele Arten haben ihre ganz eigene Methode, sich zu verteidigen: Sie produzieren chemische Substanzen, die hungrigen Krabbeltieren nicht gut bekommen. Auf diese Weise setzt sich auch der Wilde Tabak gegen die Raupen des Tabakschwärmers zur Wehr. Dass es sich dabei für eine Pflanze lohnen kann, die Plagegeister einige Tage lang zu ertragen bevor sie die Abwehr startet, zeigt eine Studie unter der Leitung von Wissenschaftlern des Forschungszentrums iDiv, der Universität Jena und des UFZ. Denn auf diese Weise wechseln die Raupen genau dann zu einer benachbarten Pflanze, wenn sie so richtig Appetit bekommen - was Pflanze Nummer eins einen Vorteil im innerartlichen Konkurrenzkampf verschafft.

Nachdem eine Pflanze des Wilden Tabaks (Nicotiana attenuata) von einer Raupe des Tabakschwärmers befallen wurde, wartet sie einige Tage ab – erst dann setzt sie ihre chemische Verteidigung in Gang. Foto: Pia Backmann
Nachdem eine Pflanze des Wilden Tabaks (Nicotiana attenuata) von einer Raupe des Tabakschwärmers befallen wurde, wartet sie einige Tage ab – erst dann setzt sie ihre chemische Verteidigung in Gang.
Foto: Pia Backmann

Eigentlich würde man vermuten, dass Pflanzen Nachteile entstehen, wenn sie sich erst gegen Fraßfeinde wehren, wenn diese bereits erste Schäden hinterlassen haben. Je schneller eine Pflanze reagiert, umso besser, sollte man meinen. Doch warum stellen manche Pflanzenarten ihre Abwehrstoffe erst nach mehreren Tagen her, nachdem sie etwa von Schmetterlingsraupen befallen werden?

Eine Erklärung liefert jetzt ein Forscherteam des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) im Fachmagazin The American Naturalist. Die Wissenschaftler haben sich mit dem Wilden Tabak (Nicotiana attenuata) beschäftigt, an dem die Raupen des Tabakschwärmers (Manduca sexta) mit Vorliebe fressen. Um sich dagegen zu wehren, produzieren die Pflanzen chemische Abwehrstoffe, die für die Raupen giftig sind. Warum die Pflanzen damit aber einige Tage lang warten, nachdem eine Raupe aus ihrem Ei geschlüpft ist, konnten die Forscher nun mithilfe eines Computermodells auf Basis von Beobachtungsdaten klären.

Der Schlüssel liegt in der besonderen Ökologie des Wilden Tabaks. Die Art wächst in Wüstengebieten in den Vereinigten Staaten, wo Samen jahrelang im Boden auf ein Feuer warten, um dann alle gemeinsam zu keimen. Entsprechend hoch ist so die Konkurrenz zwischen den vielen gleich alten Tabakpflanzen um Wasser und Nährstoffe. Muss sich eine Pflanze dann auch noch mit Fraßfeinden herumschlagen, bringt ihr dies große Nachteile. "Der Wilde Tabak hat allerdings eine trickreiche Möglichkeit gefunden, den 'Schwarzen Peter' weiterzureichen: Die Pflanze schickt die Raupen kurzerhand zu ihren Nachbarn", sagt Dr. Pia Backmann vom Forschungszentrum iDiv und dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ).

Und das klappt am besten, wenn die Raupen des Tabakschwärmers bereits einige Tage alt sind, wie das neue Modell von Pia Backmann zeigt. Davor sind sie nämlich noch zu klein und unbeweglich, um den Weg bis zu einer anderen Pflanze zu schaffen. Zudem fressen sie auch noch recht wenig, die entstehenden Schäden sind also gering. Ab einem Alter von etwa zehn Tagen geht das Fressen aber richtig los: Ab jetzt konsumieren die Raupen weit über 90 Prozent der Blattmasse, die sie bis zu ihrer Verpuppung zum Schmetterling in einem Alter von etwa 21 Tagen zu sich nehmen werden. Und sie sind jetzt groß genug, um auf eine andere Pflanze zu wechseln, wenn es ungemütlich wird, sprich: wenn ihre Wirtspflanze die Verteidigung hochgefahren hat. Aus diesem Grund startet die Pflanze optimalerweise erst etwa vier Tage nach dem Raupenbefall mit der Produktion von Giftstoffen. Bis die Abwehr vollständig aktiv ist, dauert es noch ein paar weitere Tage.

"Für die Tabakpflanzen gilt bei der Produktion von Abwehrstoffen also nicht 'je schneller, desto besser'", sagt Prof. Nicole van Dam vom Forschungszentrum iDiv und der Universität Jena. "Stattdessen geht es darum, die Verteidigung zum richtigen Zeitpunkt zu aktivieren: Denn dann krabbelt die Raupe zur Nachbarin und schwächt diese - und die trickreiche Pflanze wird am Ende ihre Konkurrentin überragen." Wehrt sich die Pflanze hingegen zu früh, gelingt es ihr zwar vielleicht, die Raupe nach einigen Tagen zu töten. Doch da die Produktion der Abwehrstoffe Energie kostet, wird die Pflanze letztlich im Wachstum hinter ihren Artgenossen zurückbleiben. Setzt die Abwehr zu spät ein, bleibt die Raupe womöglich bis zur Verpuppung und richtet große Fraßschäden an, wodurch die Pflanze sogar sterben kann.

Dass sich die Raupen unter der Wirkung der Abwehrstoffe langsamer entwickeln und öfter sterben, hatte Prof. Nicole van Dam gemeinsam mit Prof. Ian Baldwin, Forscher am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, MPI-CE, und ein Mitglied von iDiv, bereits in vorangegangenen Laborversuchen herausgefunden. Dabei hatte sich auch gezeigt, dass es sich für Raupen auf Pflanzen mit aktivierter Verteidigung bezahlt macht, auf eine andere Pflanze zu wechseln, die noch keine Abwehrstoffe produziert. Dass es sich aber aus Sicht der Pflanze um eine Strategie zur Bewältigung von innerartlicher Konkurrenz handelt, sich ein paar Tage lang anfressen zu lassen und erst dann zu verteidigen, konnte erst mithilfe des neuen Computermodells geklärt werden.

Erstautorin Pia Backmann hat die Studie am UFZ (Arbeitsgruppe um Modellierer Prof. Volker Grimm) sowie dem Forschungszentrum iDiv sdurchgeführt, die Beobachtungsdaten hat sie während eines Aufenthaltes in der Feldstation des MPI-CE in den USA gesammelt. Mittlerweile arbeitet Pia Backmann als Postdoktorandin an der Technischen Universität Dresden.

Quelle: iDiv

Publikation:

Pia Backmann, Volker Grimm, Gottfried Jetschke, Yue Lin, Matthijs Vos, Ian T. Baldwin, and Nicole M. van Dam (2019): Delayed Chemical Defense: Timely Expulsion of Herbivores Can Reduce Competition with Neighboring Plants. The American Naturalist 193:1, 125-139. https://doi.org/10.1086/700577


Weitere Informationen

Prof. Dr. Volker Grimm
UFZ-Department Ökologische Systemanalyse
volker.grimm@ufz.de

Dr. Pia Backmann
jetzt Technische Universität Dresden
pia.backmann@ufz.de

UFZ-Pressestelle

Susanne Hufe
Telefon: +49 341 235-1630
presse@ufz.de


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