Statement vom 04. November 2025
Die Natur zur Verbündeten machen
Warum Waldschutz auf dem Klimagipfel eine wichtige Rolle spielen sollte
Um das 1,5 Grad-Ziel zu halten, braucht es mehr als die Senkung des Energieverbrauchs, den Ersatz fossiler Rohstoffe oder technologische Lösungen im Umgang mit CO2. Denn der Klimawandel ist nur ein Phänomen eines größeren Problems: Der Mensch übernutzt den Planeten. Entsprechend muss sich der Blick weiten – auf unseren Umgang mit Land, Wäldern, Flüssen und Meeren. Er ist Teil des Problems – und gleichzeitig ein großer Teil der Lösung, schreibt Prof. Katrin Böhning-Gaese in ihrem Statement.
Am 10. November beginnt die Klima-COP sehr symbolträchtig im brasilianischen Belém – einer Stadt, die als Tor zum Amazonas gilt. Entsprechend hat Brasiliens Präsident Lula da Silva die Konferenz zur "Wald-COP" erklärt. Wieder wird es dort um Emissionen, Vereinbarungen und Ziele gehen, wie bei den 29 COPs davor. Und immer drängender wird auch die Frage gestellt werden, ob das 1,5-Grad-Ziel noch zu halten ist. Schließlich war 2024 der Weltorganisation für Meteorologie zufolge das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen; die globale Jahresdurchschnittstemperatur lag das erste mal 1,5 Grad über dem langjährigen Mittel. Doch was haben Wälder damit zu tun?
Bei den vergangenen Klimakonferenzen konzentrierte sich die Staatengemeinschaft auf Ziele zum Senken von klimaschädlichen Treibhausgasen in der Luft. Idealerweise sollten sich durch einen niedrigeren Verbrauch an fossilen Energien wie Öl und Gas die Emissionen so verringern, dass die Erdtemperatur nicht weiter steigt, sondern bei 1,5 Grad verharrt. Eine globale Energiewende mit einem starken Anteil erneuerbarer Energien sollte dafür den Durchbruch bringen. Flankierend fanden – auch kontroverse – Debatten über technologische Lösungen statt, etwa über das Abscheiden und Speichern von CO2 (Carbon Capture and Storage).
Technik allein reicht nicht
Doch inzwischen zeigt sich immer deutlicher: Dieser eher technisch orientierte Ansatz reicht nicht. Damit lässt sich die Erderwärmung nicht auf ein für den Menschen erträgliches Maß begrenzen. Denn der Klimawandel ist lediglich ein Phänomen eines größeren Problems, das lautet: Der Mensch übernutzt den Planeten. Die Folgen sind vielfältig und drastisch, und wir spüren sie immer deutlicher. Nicht nur der Klimawandel zeigt Wirkung, auch der rasante Verlust an Biodiversität stellt uns vor Herausforderungen. Dazu kommen gestörte biogeochemische Kreisläufe und zunehmende Umweltverschmutzung. Entsprechend muss sich der Blick weiten, die Lösungen müssen breiter angelegt sein. Es geht um mehr als neue Technologien, es geht auch um Land- und Forstwirtschaft, Ernährungssysteme, Kreislaufwirtschaft und unsere Haltung zum Planeten Erde. Besonders die Landnutzung, also die Art und Weise, wie wir Landwirtschaft betreiben, wie wir mit Wäldern, Flüssen und Meere umgehen, ist Teil des Problems – und gleichzeitig ein großer Teil der Lösung.
Das Zusammenspiel von Klima und Biodiversität ist gut erforscht; die beiden Phänomene sind eng miteinander verbunden. Der Klimawandel bildet eine der wichtigsten Ursachen für den Schwund an Natur, auch wenn er derzeit noch hinter Landnutzungswandel und Ausbeutung der Arten, beispielsweise durch Fischfang, auf Platz drei der direkten treibenden Faktoren liegt. Umgekehrt heizt der Verlust an Biodiversität den Klimawandel an. Wie das funktioniert, zeigt ein Beispiel umittelbar vor unserer Haustür: Im vergangenen Jahrhundert wurden in Deutschland massenhaft Fichten und Kiefern angepflanzt: Schnell wachsendes Holz für schnellen Verbrauch. Doch diese Wälder sind nicht sehr vielfältig und deshalb auch empfindlich. Die Dürreperioden der vergangenen Jahre haben viele dieser Bäume geschwächt; der Borkenkäfer und andere Schädlinge hatten leichtes Spiel. Mischwälder kommen besser durch Trockenperioden, weil sich verschiedene Baumarten gegenseitig ergänzen in ihren Kronen- und Wurzelsystemen. Nicht so die Monokulturen: Zwischen 2017 und 2024 gingen 9.000 qkm Wald verloren, mehr als das Dreifache der Fläche des Saarlands. Eine Folge dieser Entwicklung ist, dass die hiesigen Wälder in den letzten Jahren zu Quellen – statt Senken – für CO2 wurden und damit den Klimawandel beschleunigen.
Fast alles, was der Natur hilft, nützt auch dem Klima
Doch diesem Phänomen sind wir nicht hilflos ausgeliefert; denn mit gezieltem Naturschutz lässt sich der Klimawandel dämpfen. Fast alle Maßnahmen, die der Natur dienen, helfen auch dem Klima, seien es neue Naturschutzgebiete, die Wiedervernässung von Mooren oder die Umstellung auf eine nachhaltigere Landwirtschaft. Ganz einfach, weil die Natur CO2 auf natürliche Weise speichert. Der mögliche Beitrag durch solche naturbasierten Lösungen liegt weltweit bei 100-200 Gt CO2 bis 2100 und könnte den Temperaturanstieg um etwa 0,3 Grad Celcius (bezogen auf das 2-Grad-Ziel) vermindern. Mit Naturerhalt den Klimawandel zu dämpfen, bedeutet allerdings nicht, dass wir auf die Energiewende verzichten, Öl und Gas weiter nach Lust und Laune verfeuern können. Natürlicher Klimaschutz macht am Ende aber vielleicht genau den Unterschied, den wir brauchen, um gefährliche Kipppunkte zu verhindern.
Was für die eine Richtung so gut wie immer gilt, funktioniert in die andere nur bedingt. Längst nicht alle Maßnahmen zum Schutz des Klimas helfen auch der biologischen Vielfalt. Besonders schädlich sind der Anbau von Energiepflanzen, BECCS-Maßnahmen (Bioenergy with Carbon Capture and Storage) und ein weiterer Ausbau der Wasserkraft. Man könnte jetzt sagen, der Klimawandel ist die Mutter aller Krisen; dieser sollte deshalb zuerst bekämpft werden. In Bezug auf Wälder kann jedoch ohne den Schutz der Biodiversität auch der Klimaschutz nutzlos werden. Zumal der fortgesetzte Verlust an biologischer Vielfalt im schlimmsten Fall das gesamte Ökosystem destabilisiert – auch mit wirtschaftlichen Auswirkungen. So wurden zum Beispiel durch das große Waldsterben im Harz Nährstoffe ausgewaschen, die sonst in Bäumen, Vegetation und Boden gebunden waren; sie verursachten Probleme bei der Wasserqualität mit erheblichen Folgen für die Trinkwasseraufbereitung.
Entsprechend ist die Initiative des brasilianischen Präsidenten zu einem neuen Wald-Fonds aus Sicht der Wissenschaft stringent und sinnvoll: Lula wird auf dem Klimagipfel die "Tropical Forest Forever Facility" (TFFF) vorstellen. In diesen Fonds sollen große Geberländer einzahlen und dadurch private Investoren anlocken. Geplant ist ein Gesamtvolumen von bis zu 125 Milliarden Dollar. Der Fonds soll dieses Geld nachhaltig anlegen und dadurch Erträge erwirtschaften, die dann auch an registrierte Länder mit großen Tropenwaldgebieten gehen und in den Waldschutz fließen müssen. Bis zu 74 Staaten des Globalen Südens können potenzielle Zahlungsempfänger sein. Dazu gehören Länder wie der Kongo, Kolumbien, Kamerun oder Gabun. Sie beherbergen eine besonders hohe Vielfalt an Arten und sind zudem essenzielle Senken für Treibhausgase.
Ein neuer Waldfonds ist aus wissenschaftlicher Sicht sinnvoll
Abgesehen davon, dass noch unklar ist, ob die gewünschten Summen zusammenkommen, gibt es im Einzelnen durchaus Kritik am TFFF, etwa am Finanzierungsmodell, an der Definition von Waldflächen oder am Monitoring. So gibt es eine Debatte darüber, ob nur ungestörte Wälder mit dichtem Kronenschluss angerechnet werden oder auch gestörte Wälder, bei denen die Kronenschicht bereits Lücken aufweist; - und wie man den Unterschied erfasst. Aus wissenschaftlicher Sicht sind diese Punkte lösbar: Man weiß, dass sich auch gestörte Wälder mit geringem Kronenschluss erstaunlich schnell regenerieren können, wenn sie hinreichend geschützt sind. Das bedeutet, die Definition, was als Wald angerechnet wird und was nicht, darf ruhig breit gefasst werden. Wichtig ist jedoch, dass sich der Zustand der Wälder nicht verschlechtert, d.h. die Kronenschicht stabil bleibt oder sich idealerweiße wieder regeneriert/verbessert. Diese Informationen können Satelliten, unterstützt durch KI-basierte Auswertungen der Daten, in der Zwischenzeit rasch und belastbar liefern.
Alles, was dem Erhalt von Wäldern dient, ist sinnvoll und ein Gewinn gegenüber der derzeitigen Praxis, durch die tropische Wälder noch immer in atemberaubender Geschwindigkeit zerstört werden. Insofern ist Lulas Vorstoß ein deutlicher Fortschritt, zumal er die beiden Themen Klima und Waldschutz bzw. Biodiversität endlich so verbindet, wie es aus wissenschaftlicher Sicht richtig ist. Viele Jahre lang wurden Klima- und Biodiversitätsschutz – auch in den internationalen Verhandlungen – weitgehend getrennt behandelt. Hier Brücken zu bauen und beide zueinander zu bringen, ist von großem Vorteil und Nutzen. Denn die Natur mit ihrer Fähigkeit zur Regeneration ist eine kraftvolle Unterstützung für den Klimaschutz und damit für den Menschen. Wir sollten sie als unsere Verbündete betrachten und entsprechend handeln.
Katrin Böhning-Gaese ist Wissenschaftliche Geschäftsführerin des Helmholtz Zentrums für Umweltforschung und Professorin für Biodiversität im Anthropozän an der Universität Leipzig. Sie ist Mitglied des Rats für Nachhaltige Entwicklung und der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Leopoldina.
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