Kurzinformation vom 11. November 2022

Klimaschäden und Verluste als Gegenstand von Wissenschaft und Politik

erklärt von UFZ-Klimaökonom Prof. Dr. Reimund Schwarze

Klimaschäden und Verluste oder "Loss and Damage" in der Sprache der UN-Klimaverhandlungen (kurz: L&D) beschäftigen die Wissenschaft und die internationale Rechtsentwicklung seit den 1990er Jahren. Trotz über 30 Jahren stehen wir immer noch am Anfang bei einer genauen Definition und Bereichsbestimmung sowie in der Entwicklung von geeigneten Finanzierungsinstrumenten zur Bewältigung von L&D. Auf der Konferenz in Scharm El-Sheikh steht das Thema L&D-Finanzierung überraschend hoch auf der Tagesordnung. Drei Leitlinien aus der wissenschaftlichen Befassung können Stillstand und Blockaden bei der Ausgestaltung eines L&D-Pilotfonds in den Verhandlungen vermeiden.

Der Dialog über L&D-Fragen ist alt. Er begann 1991 mit einem Vorschlag der Alliance of Small Island States (AOSIS) für Versicherungen und Entschädigungszahlungen an die am stärksten von Klimaschäden betroffenen Länder. Im Fokus standen damals die Inselstaaten des Pazifik sowie die tiefliegenden Küstennationen am indischen Ozean, Bangladesch und Pakistan. In der Form eines Kompensationsfonds für L&D wurde der Vorschlag vor allem auf Drängen der USA wiederkehrend in der UN abgelehnt und als "zwischenstaatliche Haftungslösung" abschließend im Pariser Übereinkommen (Art. 8) im Jahr 2015 ausgeschlossen. Stattdessen wurde der schon auf der 19. Konferenz der Vertragsparteien (COP19) in 2013 beschlossene Warschauer Internationale Mechanismus (WIM), der allein zur besseren Verständigung über die Möglichkeiten der Bewältigung von L&D dient, verstetigt und auf der COP25 in Madrid im sog. Santiago Netzwerk für L&D (SNLD) dauerhaft institutionalisiert. Im Mittelpunkt des WIM wie des SNLD stehen allerdings die Ziele: Risikovermeidung, Risikominimierung und Risikoreaktion ("Avert, Minimize, Address") von L&D; Geld oder geldwerter Schadensersatz für L&D ist darin nicht vorgesehen. Auf der letztjährigen Konferenz in Glasgow kam das Thema L&D genau unter diesem Blickwinkel auf den Druck der Zivilgesellschaft auf die Tagungsordnung, wurde aber vertagt bis 2024. In einem Dialogprozess, dem sog. "Glasgower Dialog", soll stattdessen ergebnisoffen nach einer Einbettung des Problems L&D in die internationale Klimafinanzierung gesucht werden. Nach der verheerenden Flutkatastrophe in Pakistan im letzten Jahr und zur Profilierung der aktuellen COP wurde das Thema von Pakistan mit diplomatischer Unterstützung der ägyptischen Präsidentschaft überraschend auf die Tagesordnung auch der laufenden Konferenz "gepusht".  

Stand der Wissenschaft zu L&D

Der Weltklimarat (IPCC) hat sich erstmals mit dem Thema L&D im 5. Sachstandsbericht (AR5) der Arbeitsgruppe II im Jahr 2018 befasst. Das zentrale Ergebnis lautet: Die Restrisiken und damit die Wichtigkeit von L&D werden bei weiterer globaler Erwärmung wachsen, die Grenzen der Anpassung werden früher erreicht. Der AR5 stellt allerdings auch übereinstimmend fest, dass es "bisher keine einheitliche Definition von L&D" gibt. Diese Unklarheit besteht nach wie vor. Im neuen Sachstandsbericht aus 2022 (AR6) wurde im Gegenteil eine neue Strategie entwickelt, wie die Grenzen der Anpassung durch sogenannte "transformatorische Resilienzstrategien" nach außen verschoben werden können. Die Unterscheidung zwischen weichen und harten Grenzen der Anpassung im AR6 verkompliziert das Bild. Aber es wird konkreter. Denn seither zählen vor allem konzertierte Maßnahmen der UN zur Bewältigung globaler systemischer Risiken zu L&D - z.B. Ernährungssicherheitskrisen, die wir akut nach dem Angriffskrieg von Russland in der Ukraine erlebt haben und die beim Klimawandel vermehrt auftreten, und der Verlust von einzigartigen Natur- und Kulturgütern wie z.B. nach der Gletscherschmelze in den Hochgebirgen. Drei Leitlinien haben sich im AR6 dabei herauskristallisiert, die jetzt in der Ausgestaltung eines L&D-Sonderfonds von Bedeutung sein können.

1)   L&D in Verbindung mit lokaler Risikominderung
Es gibt wissenschaftliche Belege dafür, dass zwischenstaatliche Leistungen zur Bewältigung von Verlusten und Schäden ohne Verbindung zu Maßnahmen zur lokalen Risikominderung bzw. ohne lokale Anpassungsmaßnahmen weiterhin die ärmsten und meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppen treffen. Versicherungen, z.B. für landwirtschaftliche Dürren, sind z.B. für nomadisch wirtschaftende und andere marginalisierte Landwirte in den meisten Ländern schlicht unbezahlbar. Nur Leistungen, die die Lage vor Ort verbessern, helfen effektiv. Im schlimmsten Fall entstehen durch Dürreversicherungen "Armutsfallen", die die ärmsten Bauern ärmer machen, während sie den weniger armen Mittelbauern zu mehr Einkommen verhelfen.  

2)   L&D verknüpft mit den Programmen der UNDRR
Die Forschung arbeitet seit langem in internationalen Programmen der UNDRR (United Nations Office for Disaster Risk Reduction) daran, globale Inventare von Verlusten und Klimaschäden in der Verbindung mit Praxispartnern vor Ort zu erstellen. Diese schließen auch die Erfassung von nichtwirtschaftlichen Verlusten und Schäden ein, z.B. von Schäden und Verlusten an Kultur, Gesundheit und Biodiversität. Aus diesen UNDRR-Berichtsprogrammen wurden bereits die Leitlinien für die Berichterstattung über Verluste und Schäden in den NDCs (Nationally determined contributions) der Länder des Pariser Übereinkommens für UNFCCC (United Nations Framework Convention on Climate Change) entwickelt. Was allerdings auch in diesen Programmen fehlt ist die klare Abgrenzung zu Restrisiken, einschließlich der jetzt vieldiskutierten "weichen" und "harten" Grenzen der Anpassung. Häufig erfolgen die Schadensberichte der UNDRR ohne Bezug zu den ergriffenen Maßnahmen des Risikomanagements. Was wir jetzt dringend brauchen, ist eine Bestandsaufnahme der Technologien und gesellschaftlichen Maßnahmen, um die Grenzen der Anpassung möglichst nach außen zu verschieben und so die residualen Verluste und Schäden zu verringern.

3)   L&D als globaler Just Transition Fund 
Die Rolle der Transformation zur Überwindung der Grenzen der Anpassung erfährt zunehmend Aufmerksamkeit in der Wissenschaft des Klimarisiko-Managements. Die Verlagerung von Siedlungen und von Vermögenswerten aus Regionen, bei denen eine Anpassung in Zukunft als unmöglich erachtet wird, wird zunehmend wissenschaftlich, aber auch von Praktikern in der Katastrophenvorsorge diskutiert. Dies hat Auswirkungen auf die praktische Gestaltung der Finanzierung von L&D. Wenn der Klimawandel z.B. eine Umstellung von Ackerbau auf Viehzucht oder den Umzug landwirtschaftlicher Haushalte in Stadtregionen erzwingt, brauchen wir zum einem rechtliche und politische Schutzmechanismen für die erzwungene Umsiedlung, zum anderen aber auch einen Finanzfonds für die Unterstützung von Mobilität, einschließlich Migration und für die geplante statt einer notgedrungenen Umsiedlung - mit anderen Worten einen "Just Transition Fund", so ähnlich wie er im EU Green Deal für den Strukturwandel eingerichtet wurde, allerdings auf globaler Ebene. 

Fazit
Die Verhandlungen in Sharm El-Shaikh haben sich ein kontroverses Thema zum Themenschwerpunkt gemacht. Eine Lösung der internationalen Kontroverse um "zwischenstaatliche Entschädigungszahlungen" wird auf dieser COP nicht gelingen. Die rechtlichen und politischen Hürden dazu sind zu groß und die diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und China aktuell zu schwach, um zu einer Revision der Grundsätze des Pariser Übereinkommens in dieser Frage zu kommen. Die Grundsätze aus der wissenschaftlichen Befassung mit dem L&D-Problem können helfen, diese mögliche Blockade der Verhandlungen auf der COP27 zu überwinden und konkrete Schritte zur Schaffung eines globalen "Finanzmechanismus für einen gerechten Übergang" in einer Welt zunehmender Klima- und Wetterextreme und enger werdender Grenzen der Klimaanpassung einzuleiten.   

Prof. Dr. Reimund Schwarze ist Klimaökonom am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig und Professor an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Seit über 18 Jahren untersucht er internationale Klimaverhandlungen aus politisch-ökonomischer Perspektive und entwickelt Modelle zur Verbesserung der globalen Klimapolitik. Von den Klimaverhandlungen in Scharm el-Scheich berichtet er via Twitter (@RSchwarze) und steht auch als Ansprechpartner für die Medien zur Verfügung. Er ist direkt erreichbar über reimund.schwarze@ufz.de oder die Pressestelle des UFZ presse@ufz.de.


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