Pressemitteilung vom 15. August 2025
UN-Plastikabkommen: Was wurde mit den Verhandlungen in Genf erreicht?
Zwei Stimmen aus der Wissenschaft
Vom 5. bis 15. August haben in Genf 1.400 Delegierte aus 183 Ländern sowie knapp 1.200 Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft verhandelt, um im Rahmen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) ein Abkommen gegen die globale Plastikverschmutzung zu beschließen. Denn diese schadet nicht nur der Umwelt und der Gesundheit des Menschen, sondern auch dem Klima. Was in Genf erreicht wurde und wie es nun weitergeht, schätzen die Meeresbiologin Dr. Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und die Umweltchemikerin Prof. Annika Jahnke vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) ein, die in der Schweiz dabei waren. Sie haben die "Scientists' Coalition for an Effective Plastics Treaty" und die deutsche Delegation bei den Verhandlungen unterstützt.

V.l.n.r.: Melanie Bergmann und Annika Jahnke im Verhandlungssaal in Genf
Foto: Laurianne Trimoulla / Gallifrey Foundation

Öffentliche Aktionen wie diese machen in Genf auf die Verhandlungen aufmerksam.
Foto: Annika Jahnke / UFZ
Was sind die wesentlichen Ergebnisse der Konferenz?
Melanie Bergmann: Das wesentliche Ergebnis ist, dass es leider wieder zu keiner Einigung gekommen ist. Auch der zweite Textentwurf des Vorsitzenden fand keinen Konsens. Aus wissenschaftlicher Sicht war dieser zu schwach, um das Plastikproblem – die Verschmutzung, die Klimafolgen und die Auswirkungen auf die Gesundheit – wirksam zu bekämpfen. Zudem blieb der Text deutlich hinter dem ursprünglichen Mandat der UN-Umweltversammlung zurück. Gescheitert sind die Verhandlungen deshalb jedoch nicht. Es ist besser, weiter zu verhandeln, um ein starkes Abkommen zu erreichen, das dem Problem gerecht wird.
Was wurde erreicht, und was wurde nicht erreicht?
Annika Jahnke: Positiv ist, dass wir in Genf relativ konstruktive inhaltliche Verhandlungen gesehen haben. Zudem hat man kein starres, schwaches Abkommen geschlossen, das die Umwelt und die menschliche Gesundheit nicht umfassend schützen kann. Die Verschmutzung mit Plastik und den darin enthaltenen Chemikalien ist ein globales Problem, das nicht an Ländergrenzen Halt macht. Stattdessen werden Plastikgegenstände sowie das durch Verwitterung entstehende Mikro- und noch kleinere Nanoplastik über Flüsse, Meeresströmungen und die Luft weiträumig verteilt und somit weltweit gefunden. Daher ist ein globales Abkommen unerlässlich. Die Vertagung des Abschlusses der Verhandlungen bietet nun die Möglichkeit, in der Zwischenzeit die konstruktiven Gespräche fortzuführen, starke Allianzen zu schmieden und sich hoffentlich in den wiederaufgenommenen Verhandlungen auf ein ambitioniertes und wirksames Plastikabkommen zu verständigen. Das sollte dann über die Zeit dem Stand von Wissenschaft und Technik angepasst werden.
Warum waren die Verhandlungen so schwierig?
Bergmann: Letztlich lagen die Positionen immer noch zu weit auseinander. Besondere Knackpunkte waren die Begrenzung der Plastikproduktion und die Regelungen zu den Inhaltsstoffen von Kunststoffen. Es scheint auch, als hätte man erst in den letzten Stunden in Genf angefangen, wirklich inhaltlich zu verhandeln, statt nur rote Linien aufzuzeigen. Die Mitgliedsstaaten sollten jetzt am Ball und auch zwischen den Verhandlungsrunden im Gespräch bleiben. Wir brauchen dringend neue Gesprächsformate, um in den Verhandlungsrunden voranzukommen, da das bisherige Vorgehen nicht den gewünschten Erfolg bringt. Dabei würde ein starkes globales Abkommen ein einheitliches Regelwerk für alle schaffen. Das würde Vieles vereinfachen, einen fairen Wettbewerb sicherstellen und Raum für Innovationen und neue Technologien öffnen.
Jahnke: Neben diesen Punkten ging es auch um Regelungen zu problematischen Plastikprodukten wie Einwegverpackungen, die weltweit fast die Hälfte des Plastikmülls ausmachen. Außerdem ist die Finanzierung der globalen Maßnahmen ein wichtiges Thema. Das bisherige Verfahren, in Untergruppen einzelne Artikel zu diskutieren, wurde erst kurz vor Abschluss der Konferenz geändert, so dass die Verhandler:innen aller Mitgliedsstaaten im kleinen Kreis am letzten Tag zu wenig Zeit hatten, das “Gesamtpaket” umfassend zu diskutieren und Konsens zu den wichtigsten Punkten zu finden. In diesem Gesprächsformat könnte jedoch eine Lösung für die Fortsetzung der Verhandlungen an einer noch festzulegenden INC5.3 liegen, da jede Seite von ihren Idealen abrücken und Zugeständnisse machen muss, was sicher leichter fällt, wenn andere Aspekte gleichzeitig eingeräumt werden.
Bergmann: Die geopolitische Lage erschwert zunehmend internationale Einigungen. Hinzu kommt der steigende Druck auf die öl- und gasproduzierenden Länder: Da künftig weniger fossile Brennstoffe verbrannt werden dürfen, um die Pariser Klimaziele einzuhalten, sollen diese vermehrt als Rohstoff für Kunststoffe eingesetzt werden. Diesen Plan B werden diese Länder – verständlicherweise – nicht ohne Weiteres aufgeben, auch wenn dies die Klimakrise weiter befeuern und zu Lasten der Umwelt und unserer Gesundheit gehen wird. Das erschwert den Verhandlungsprozess sehr.
Wie könnte eine Lösung aussehen?
Jahnke: Aufgrund der globalen Verschmutzung durch Plastik und die zugehörigen Chemikalien ist ein globales Abkommen unerlässlich. Nationale oder regionale Maßnahmen wären nicht weitreichend genug. Vorstellbar wäre, dass man einen weltweit gültigen Sockel an Maßnahmen für alle Mitgliedsstaaten festlegt und diesen durch optionale zusätzliche Maßnahmen ergänzt, die den weitreichenden Ansprüchen der ambitionierteren Staaten entspricht. Dies sind immerhin deutlich mehr als 100 in der 'Koalition der Willigen' mit ihren Unterstützern. Dieses zweistufige System würde auch einen Flickenteppich verhindern, der aus nationalen und regionalen Maßnahmen entstehen würde und Innovation und Planungssicherheit für die Industrie behindert.
Wie geht es nun weiter?
Bergmann: Es soll eine weitere Verhandlungsrunde geben. Grundlage ist allerdings der Text aus der vorherigen Verhandlungsrunde in Busan, da einige Staaten die zwei neuen Entwürfe aus den letzten Tagen nicht anerkannt haben. Somit sind wir inhaltlich leider nicht viel weitergekommen, aber die Textbestandteile aus den in Genf verhandelten Artikeln sollen zumindest einbezogen werden. Der genaue Prozess ist bislang jedoch noch unklar und muss in den nächsten Wochen konkretisiert werden. Momentan zeichnet sich noch kein Vorstoß für eine 'Koalition der Willigen' ab, die außerhalb des UN-Prozesses ein eigenes ambitioniertes Abkommen auf den Weg bringen möchte. Wir werden sehen, ob sich das in Zukunft ändert.
Weitere Informationen
Prof. Dr. Annika Jahnke
Umweltchemikerin und Leiterin UFZ-Departments Exposure Science
annika.jahnke@ufz.de
Dr. Melanie Bergmann
Meeresökologin in der AWI-Sektion Tiefsee-Ökologie und -Technologie
Melanie.Bergmann@awi.de
UFZ-Pressestelle
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Telefon: +49 341 6025-1630
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Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt und erarbeiten Lösungsoptionen. In sechs Themenbereichen befassen sie sich mit Wasserressourcen, Ökosystemen der Zukunft, Umwelt- und Biotechnologien, Chemikalien in der Umwelt, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg circa 1.100 Mitarbeitende. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.
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