Pressemitteilung vom 18. Juni 2020

Die Krankheitspyramide: Umwelt, Wirt, Erreger und Mikrobiom

Die körpereigenen Bakterien und Viren beeinflussen Erkrankungen bei Amphibien

Forschende des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), der Université de Toulouse und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) zeigen am Beispiel von Amphibien, wie die körpereigene mikrobielle Besiedlung die Wechselwirkungen zwischen Lebewesen, Umwelt und Krankheitserreger beeinflusst. Dies ist Grundlagenforschung für die Gesundheitsprophylaxe.

Das Mikrobiom ist auch bei Amphibien ist ein wichtiger Teil der Immunantwort. Foto: Dirk Schmeller
Das Mikrobiom ist auch bei Amphibien ist ein wichtiger Teil der Immunantwort.
Foto: Dirk Schmeller

Es gibt einen starken Einfluss belebter und unbelebter Umweltfaktoren auf die Dynamik von Krankheiten bei Mensch und Tier. Die Forschenden rücken in ihrer Studie eine wichtige Komponente in den Fokus: das Mikrobiom. Das individuelle Mikrobiom eines Lebewesens ist ein essenzieller Bestandteil der Immunität. Besonders auf der Haut und im Darm, also direkt an der Schnittstelle zwischen dem Organismus und den Krankheitserregern, sind körpereigene Bakterien und Viren aktiv. 

Das internationale Wissenschaftler-Team stellt das Konzept einer Krankheitspyramide mit den vier Eckpunkten Umwelt, Erreger, Wirt und Mikrobiom vor. Erstmals werden die verschiedenen Funktionen des Mikrobioms berücksichtigt. Die Forschenden veranschaulichen diese anhand der vom Pilzerreger Batrachochochytrium dendrobatidis (Bd) verursachten Krankheit Chytridiomycose bei Amphibien wie z.B. Fröschen. "Das Mikrobiom eines Lebewesens ist sehr variabel. Erst in den letzten Jahren ist es Forschenden gelungen, mittels genetischer Methoden die Gesamtheit der Mikroorganismen zu erfassen. Wir verstehen nun Stück für Stück dessen Rolle für die Gesundheitsprophylaxe - wie es beispielsweise mit den Krankheitserregern, dem Wirt und dem Umweltmikrobiom interagiert", erklärt die IGB-Forscherin Dr. Adeline Loyau, Leiterin der Studie. 

Vielfalt des Mikrobioms und der Lebensräume stärkt Resistenz

Die Autorinnen und Autoren betonen, dass vielfältigere Mikrobiome den Wirt widerstandsfähiger machen können, da sie potenzielle Krankheitserreger besser in Schach halten. Die Studie verdeutlicht auch, dass Individuen, die komplexe und damit artenreiche Lebensräume bewohnen, eine niedrigere Sterblichkeit haben. Das  Mikrobiom kann sehr spezifisch gegen Erreger wirken: Das symbiotische Hautbakterium Janthinobacterium spp. beispielsweise bildet als Stoffwechselprodukt ein Anti-Pilzmittel und verhindert so die Infektion von Amphibien mit dem Pilzerreger Bd. 

Klimawandel verändert das Mikrobiom von Amphibien

Die Anpassungsfähigkeit des Mikrobioms kann wiederum die Anpassungsfähigkeit des Organismus gegenüber Umwelteinflüssen erhöhen. Dafür gibt es im Tierreich einige Beispiele. Umweltveränderungen wie der Klimawandel können das Mikrobiom aber auch aus dem Gleichgewicht bringen: "Ein Mikrobiom im Gleichgewicht kann bei sich ändernden Umweltbedingungen vor einer Infektion schützen", erläutert die Erstautorin der Studie, Adriana P. Bernardo-Cravo von der Université de Toulouse und dem UFZ. "Es zeigt sich aber auch, dass Umweltveränderungen - insbesondere der Temperatur - deutliche Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Mikrobioms haben, und damit auf die Widerstandskraft von Amphibien gegenüber dem Pilzerreger Bd. Der Klimawandel wird die Verbreitung dieser Pilzerkrankung bei Amphibien deutlich verändern", lautet die Prognose der Ökologin.

Axa-Professor Dirk Schmeller von der Université de Toulouse erläutert weiter: "Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass Klimawandel und Biodiversitätsverlust Stressfaktoren für Ökosysteme, Menschen, Tiere und die jeweiligen Mikrobiome sind. Unsere Forschung zeigt, dass bei einer Destabilisierung der verschiedenen Achsen der Krankheitspyramide verstärkt mit neuen Infektionskrankheiten zu rechnen ist, auch für den Menschen." Das vorgestellte Konzept der Krankheitspyramide ist deshalb richtungsweisend für die Erforschung der Interaktionen zwischen Mensch-Tier-Umwelt und der Risiken für die Biodiversität und die menschliche Gesundheit.

Publikation:
Bernardo-Cravo, A., Schmeller, D.S., Chatzinotas, A., Vredenburg, V.T., Loyau, A., 2020. Environmental Factors and Host Microbiomes Shape Host-Pathogen Dynamics. Trends in Parasitology 36, 29-36. https://doi.org/10.1016/j.pt.2020.04.010


Weitere Informationen

Prof. Dr. Antonis Chatzinotas
UFZ-Department Umweltmikrobiologie, Leiter der AG Mikrobielle Interaktionsökologie (Mikrobiom-Experte)
antonis.chatzinotas@ufz.de

Adriana P. Bernardo-Cravo
UFZ-Department Umweltmikrobiologie
adriana-paula.bernardo-cravo@ufz.de

Dr. Adeline Loyau
Leibniz-Institut für Gewässereökologie und Binnenfischerei (IGB)
loyau@igb-berlin.de

Prof. Dr. Dirk Schmeller (Amphibien-Experte)
École Nationale Supérieure Agronomique de Toulouse
dirk.schmeller@toulouse-inp.fr

UFZ-Pressestelle

Susanne Hufe
Telefon: +49 341 235-1630
presse@ufz.de


Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt und erarbeiten Lösungsoptionen. In sechs Themenbereichen befassen sie sich mit Wasserressourcen, Ökosystemen der Zukunft, Umwelt- und Biotechnologien, Chemikalien in der Umwelt, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg circa 1.100 Mitarbeitende. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

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Die Helmholtz-Gemeinschaft identifiziert und bearbeitet große und vor allem drängende Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Ihre Aufgabe ist es, langfristige Forschungsziele von Staat und Gesellschaft zu erreichen. Damit sollen die Lebensgrundlagen der Menschen erhalten und sogar verbessert werden. Helmholtz besteht aus 19 naturwissenschaftlich-technologischen und medizinisch-biologischen Forschungszentren.

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