Pressemitteilung vom 19. Mai 2021

Empfehlungen für die künftige Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union

Wissenschaftler*innen stellen "Grüne Architektur" auf dem Prüfstand

Ein Team aus 300 europäischen Wissenschaftler*innen hat in Abstimmung mit der EU-Kommission Empfehlungen erarbeitet, wie die künftige Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union mit den bereits beschlossenen Instrumenten einen substanziellen Beitrag zum Schutz der Artenvielfalt leisten kann. Der Bericht, verfasst von Forschenden des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), des Thünen-Instituts für Ländliche Räume und der Universität Rostock, ist der EU-Kommission am 19. Mai in einem Online-Symposium vorgestellt worden.

Strukturreiche Landschaft bei Hemeln/Niedersachsen Foto: Sebastian Lakner
Strukturreiche Landschaft bei Hemeln/Niedersachsen
Foto: Sebastian Lakner

Bis Ende Mai will die Europäische Union klären, nach welchen Regeln die Landwirte im Rahmen einer Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) künftig gefördert werden sollen. In einem abschließenden "Super-Trilog" sollen die bislang zähen Verhandlungen zwischen Europäischem Parlament, Ministerrat und EU-Kommission zu Ende geführt werden. Immerhin geht es um 365 Milliarden Euro für die Jahre 2021 bis 2027.

Im Zentrum der Verhandlungen steht die konkrete Ausgestaltung der Grünen Architektur der GAP. Sie ist die Antwort der EU auf das bisher verfehlte Ziel, die Umweltbilanz der europäischen Landwirtschaft zu verbessern und insbesondere den Verlust der biologischen Vielfalt auf landwirtschaftlichen Flächen aufzuhalten. Sie umfasst im Wesentlichen drei Instrumente: 

  1. Erweiterte Konditionalität: Um GAP-Zahlungen zu erhalten, müssen Landwirte fortan höhere Umweltauflagen verpflichtend einhalten. So muss etwa ein Teil der Fläche aus der Produktion genommen und der Natur zur Entfaltung zur Verfügung gestellt werden.
  2. Dazu kommen wie bisher Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen (AUKM).
  3. Als neues Instrument kommen freiwillige "Öko-Regelungen" (Eco-Schemes) hinzu.

"Ob die Grüne Architektur wirkungsvoll die biologische Vielfalt schützen und fördern kann, hängt sehr von den Details ab - also, wie viel Schlagkraft ihren Instrumenten beigemessen wird", sagt Dr. Guy Pe’er, Wissenschaftler bei iDiv und UFZ. "Bei der Konditionalität ist beispielsweise entscheidend, wie hoch der Prozentsatz der nicht produktiven Fläche sein muss, worauf sich diese Zahl bezieht und welche Maßnahmen auf diesen Flächen erlaubt sind." 
Pe’er ist Erstautor eines aktuellen Berichtes, in dem über 300 Wissenschaftler*innen aus 22 EU-Mitgliedstaaten Empfehlungen zur spezifischen Ausgestaltung der aktuell vorgeschlagenen GAP geben. So geben sie etwa Hinweise, wie die entsprechenden Instrumente definiert, finanziell ausgestattet und aufeinander abgestimmt werden müssen, um effektiv zu sein. Der Bericht entstand in Abstimmung mit der EU-Kommission und ist das Ergebnis von 13 Workshops und einer Online-Expertenbefragung. Er richtet sich vorrangig an politische Entscheidungsträger der EU-Mitgliedstaaten wie etwa Ministerialbeamte, die in der neuen GAP wesentlich größere Spielräume bei der Gestaltung von Umweltmaßnahmen haben werden.

Beleuchtet wird vor allem das neue Instrument, die Öko-Regelungen. Diese sollen das sogenannte "Greening" ablösen, das sich in der bisherigen GAP als weitgehend wirkungslos erwiesen hatte. Statt einen starren Maßnahmenkatalog der EU zu bekommen sollen die Mitgliedstaaten künftig selbst entscheiden dürfen, was sie fördern wollen. Die Öko-Regelungen sollen zudem freiwillig sein. Das heißt, die Landwirte können selbst entscheiden, ob sie weitere Maßnahmen umsetzen und dafür bezahlt werden oder nicht. Wie viel Einfluss die EU-Kommission bei der Umsetzung haben wird, ist Teil der aktuellen Verhandlungen.
Die Öko-Regelungen sollen einen Teil des Geldes aus der so genannten ersten Säule der kommenden GAP, die 70 Prozent des Gesamtbudgets ausmacht, an zusätzliche Umweltmaßnahmen knüpfen. "Die Öko-Regelungen können zu einem sehr wirksamen Instrument werden", sagt Guy Pe’er. "Je nachdem wie hier das Verhandlungsergebnis ausfällt, kann sich das Budget für diese Maßnahmen sogar verdoppeln. Allerdings nur, wenn es mit effektiven Maßnahmen verknüpft wird." Derzeit fordert das Europäische Parlament 30 Prozent der ersten Säule für die Öko-Regelungen, der Ministerrat will sie auf 20 Prozent begrenzen. 
Welche Maßnahmen die Öko-Regelungen umfassen, ist auch noch offen. Eine Vorgabe der EU an die Mitgliedstaaten wird es nicht geben. "Es kommt nun also darauf an, ob und in welchem Maße die Staaten wirklich den Naturschutz fördern wollen", sagt Co-Autor Prof. Sebastian Lakner von der Universität Rostock. "In den Mitgliedsländern werden aktuell Maßnahmen diskutiert, die aus Sicht der Workshop-Teilnehmenden nicht immer sinnvoll sind: Die Maßnahme "Precision Farming" etwa erzielt zwar positive Umwelteffekte, ist aber de facto Technologieförderung für große Agrarbetriebe, die diese Technologie eigentlich aus wirtschaftlichem Eigeninteresse einsetzen. Das Beispiel zeigt, dass es dringend notwendig ist, knappe GAP-Mittel auf effektive und förderwürdige Maßnahmen zu konzentrieren." 

Die Forscher betonen, es sei wichtig, dass sich die Instrumente gegenseitig ergänzten. Sie empfehlen:

  • an die GAP-Förderung hohe Grundanforderungen (durch Konditionalität) zu stellen, etwa mindestens 5 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebsflächen aus der Bewirtschaftung zu nehmen und dem Naturschutz zur Verfügung zu stellen;
  • ein Rückschrittsverbot, also keine Verschlechterung des ökologischen Zustandes von Lebensräumen wie etwa Grünland zuzulassen;
  • Agrarumweltprogrammen als nachweislich effektivste Maßnahmen zum Schutz der Biodiversität eine hohe Priorität bei der Budgetierung agrarumweltpolitischer Förderinstrumente der GAP einzuräumen;
  • als Öko-Regelungen nur Maßnahmen zu fördern, die sich nachweislich als wirksam erwiesen haben, und solche auszuschließen, die von den Landwirten ohnehin umgesetzt werden;
  • ein Punktesystem, um den Nutzen und Wirksamkeit von Maßnahmen zu vergüten;
  • eine großräumige Planung der Maßnahmen und die Zusammenarbeit der Landwirte zu fördern. 

Was diese Punkte konkret für die einzelnen Mitgliedstaaten bedeuten, ist sehr unterschiedlich. "In unserem Bericht geben Expert*innen aus den verschiedensten EU-Staaten konkrete und erprobte Empfehlungen, wie die Gemeinsame Agrarpolitik von allen Beteiligten nachhaltig und effizient gestaltet werden kann", meint Co-Autorin Maren Birkenstock, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Thünen Institut für Ländliche Räume. "Es wäre wünschenswert, wenn dieses Wissen genutzt und die GAP auf Grundlage wissenschaftlicher Empfehlungen entwickelt würde."

Am 19. Mai stellen die Autoren den Bericht der EU-Kommission in einem öffentlichen Online-Symposium vor. 

Der Bericht entstand im Rahmen des Projektes iCAP-BES und wurde u. a. gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG; FZT-118).

Publikation
Pe’er, G., Birkenstock, M., Lakner, S. & Röder, N. (2021): The Common Agricultural Policy post-2020: Views and recommendations from scientists to improve performance for biodiversity. DOI: 10.3220/WP1620647816000 


Weitere Informationen

Dr. Guy Pe’er
Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) / Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
guy.peer@idiv.de

Prof. Dr. Sebastian Lakner
Universität Rostock
agecon@uni-rostock.de

Maren Birkenstock
Thünen-Institut für Ländliche Räume
maren.birkenstock@thuenen.de

UFZ-Pressestelle

Susanne Hufe
Telefon: +49 341 235-1630
presse@ufz.de


Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt und erarbeiten Lösungsoptionen. In sechs Themenbereichen befassen sie sich mit Wasserressourcen, Ökosystemen der Zukunft, Umwelt- und Biotechnologien, Chemikalien in der Umwelt, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg circa 1.100 Mitarbeitende. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

www.ufz.de

Die Helmholtz-Gemeinschaft identifiziert und bearbeitet große und vor allem drängende Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Ihre Aufgabe ist es, langfristige Forschungsziele von Staat und Gesellschaft zu erreichen. Damit sollen die Lebensgrundlagen der Menschen erhalten und sogar verbessert werden. Helmholtz besteht aus 19 naturwissenschaftlich-technologischen und medizinisch-biologischen Forschungszentren.

www.helmholtz.de
« zurück