Pressemitteilung vom 14. Juni 2019

Grünes Licht für Systemforschung in Görlitz

Bund und Land Sachsen investieren in die Gestaltung des Strukturwandels in der Lausitz

Mit CASUS - Center for Advanced Systems Understanding (Zentrum für fortgeschrittenes Systemverständnis) erhält die Lausitz ein neues Wissenschaftszentrum. Die Vision: ein systematisches Verständnis der komplexen Phänomene unserer Umwelt mit neuen digitalen Methoden zu entwickeln. Fachleute aus so unterschiedlichen Disziplinen wie Klima- und Umweltforschung, Systembiologie oder Astrophysik sollen dort gemeinsam an umfassenden digitalen Lösungen arbeiten - damit nimmt CASUS eine Vorreiterrolle in Deutschland ein. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat vor kurzem Mittel in Höhe von rund zehn Millionen Euro für die nächsten drei Jahre in Aussicht gestellt; der Freistaat Sachsen übernimmt im Rahmen dieses Projektes zusätzlich rund eine Million Euro.

Am Untermarkt 20 in Görlitz (1. Gebäude v.l.) findet CASUS sein Domizil. Foto: Sabine Wenzel / Europastadt GörlitzZgorzelec GmbH
Am Untermarkt 20 in Görlitz (1. Gebäude v.l.) findet CASUS sein Domizil.
Foto: Sabine Wenzel / Europastadt GörlitzZgorzelec GmbH

"Wir unterstützen den Strukturwandel in der Region. Deshalb gründen wir - gemeinsam mit dem Land Sachsen - in Görlitz die Forschungseinrichtung CASUS. Es soll ein Leuchtturm der interdisziplinären Forschung im Bereich Digitalisierung werden. Mit neuen digitalen Methoden werden dort Fragestellungen zu komplexen Themen wie der Energiewende oder dem Klimawandel bearbeitet. Denn nur, wenn wir die komplexen Zusammenhänge besser verstehen, können wir nachhaltige Lösungen entwickeln. Görlitz soll so zu einem Magneten für Wissenschaftler aus aller Welt werden", so die Bundesforschungsministerin Anja Karliczek.

Die Gestaltung der Zukunft in den Braunkohleregionen ist ein zentrales Anliegen für die Bundesregierung. Dies zeigt sich in den am 22. Mai 2019 im Bundeskabinett verabschiedeten Eckpunkten zur Strukturförderung der Kohleregionen. Ein Baustein dieser Strukturförderung sind die Forschungsinitiativen im Sofortprogramm; hierzu zählt auch das Projekt CASUS.

Die CASUS-Forscher setzen, wie viele Arbeitsgruppen weltweit, den Fokus auf den Einsatz von Hochleistungsrechnern sowie auf die Methoden des maschinellen Lernens und der Künstlichen Intelligenz (KI) zur Bewältigung großer Datenmengen. Allerdings lassen sich wichtige Fragestellungen, etwa aus der Klima- und Umweltforschung, mit den bisherigen Methoden noch nicht zufriedenstellend beantworten, insbesondere dann, wenn enorme Mengen komplexer Daten entstehen. Diese Lücke will CASUS schließen.

Komplexe Systeme: mehr als die Summe der einzelnen Teile

So soll sich CASUS zu einem international sichtbaren Institut für die datenintensive Systemforschung entwickeln. Teams aus Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachrichtungen sowie aus Mathematikern und Hochleistungsrechner- und KI-Experten treten gemeinsam an, die Komplexität der realen Welt abzubilden und zu verstehen. Dies kann gelingen, indem die Teams bislang isoliert untersuchte Phänomene als Teil größerer Systeme betrachten. Zugleich werden die neu entwickelten Methoden auch Grundlagen dafür schaffen, zuverlässige Vorhersagen für komplexe Systeme zu treffen. Auf diese Weise ließe sich etwa anhand konkreter Zahlen untersuchen, wie sich der globale Klimawandel sozio-ökonomisch auf Deutschland oder beispielsweise auf Sachsen auswirkt.

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer betont die Bedeutung von CASUS für die Region: "Görlitz liegt zentral an der Nahtstelle der Wissenschafts- und Technologieregionen Sachsen und Niederschlesien. Als gemeinsamer Standort für grenzübergreifende Forschung wird CASUS neue Möglichkeiten für Studenten und Arbeitskräfte im Bereich digitaler Technologien schaffen und so die Attraktivität des Forschungsstandorts Görlitz stärken. Mit der Ansiedlung von CASUS in der Lausitz will Sachsen auch gezielt die Attraktivität und Wirtschaftskraft der Region fördern."

Sachsens Wissenschaftsministerin Dr. Eva-Maria Stange erklärt: "Wegweisend sind bei CASUS der interdisziplinäre Ansatz der Forschung und die sich daraus ergebende, systemische Kooperation diverser Fachrichtungen. Ich bin sehr froh, dass die Initiative für dieses Vorhaben aus renommierten sächsischen Einrichtungen selbst hervorgegangen ist, die sich bewusst abseits der sogenannten großen Zentren zusammenfinden wollten. Wissenschaftler brauchen solche Orte des Austauschs, der Begegnung, aber auch des Rückzugs."

Start der Aufbauphase

Der offizielle Startschuss für die dreijährige Aufbauphase von CASUS ist für den 27. August 2019 geplant. Das Institut geht auf die Initiative der vier sächsischen Forschungseinrichtungen Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) Leipzig, Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR), Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) und Technische Universität Dresden zurück. Zu den wichtigsten Partnern auf polnischer Seite gehört die Uniwersytet Wroc?awski (Universität Breslau). "Mit ihrer Expertise werden diese Einrichtungen maßgeblich zu den Forschungsschwerpunkten der Aufbauphase beitragen", ist sich Dr. Michael Bussmann, Leiter der Abteilung "CASUS" am HZDR sicher.

Hierzu zählt die Erforschung von Folgen klimatischer Veränderungen auf die Umwelt. Die Wissenschaftler des UFZ analysieren mithilfe von großen Simulatoren und Data-Science-Methoden die Gesamtvielfalt von Ereignisketten und eventueller Rückkopplungen in Umweltsystemen, einschließlich der volkswirtschaftlichen Gesamtkosten und ökologischen Konsequenzen. Nur so lassen sich geeignete Vermeidungs- beziehungsweise Anpassungsmaßnahmen, unter Berücksichtigung der systembedingten Unsicherheiten, für die nächsten Jahre und Jahrzehnte entwickeln und optimieren.

Das HZDR steuert einen zweiten Schwerpunkt bei: das Verhalten von Materie unter extremen Bedingungen, mit dem sich vor allem Plasma- und Astrophysiker beschäftigen. Sie interessieren sich für außergewöhnliche Zustände von Materie, wie sie im Inneren von fernen Planeten und Sternen vermutet werden oder wie sie bei der Beschleunigung von Teilchen mithilfe von Höchstleistungslasern am HZDR entstehen. Plasmaphysikalische Fragestellungen sind zudem für die Energieforschung relevant.

Das Dresdner Max-Planck-Institut MPI-CBG bringt das Thema der Systembiologie in CASUS ein. Bereits heute kann man die Entstehung eines ganzen Organismus aus einer einzelnen Zelle mit höchster räumlicher und zeitlicher Auflösung verfolgen und zugleich mit den elementar ablaufenden, biochemischen Prozessen in Verbindung setzen. Wenn sich Nerven-, Muskel- und Sinneszellen zusammenfinden, bilden sich wiederum funktionelle Gewebe und Organe, die in ihrer Zusammenwirkung den lebenden Organismus formen. "So lässt sich der Organismus als Gesamtsystem anhand der Wechselwirkungen seiner Bestandteile auf vielen verschiedenen Ebenen erforschen", erläutert Bussmann.

Die Uniwersytet Wroc?awski schließlich will an CASUS die Interaktion autonomer Fahrzeuge mit ihrer Umwelt erforschen, also die Vernetzung mit der Umgebung oder die Vorhersage des Verhaltens anderer Verkehrsteilnehmer. Hierbei sollen neue Algorithmen und KI-Methoden helfen.

Unsere komplexe Welt anhand digitaler Abbilder verstehen

Ziel der CASUS-Forscher ist es, ein digitales Abbild von komplexen Umgebungen zu schaffen, und zwar umfassender und realitätsnäher, als es bisher möglich war. Die digitalen Abbilder lassen sich dann nutzen, um tief in die Systeme hineinzublicken und deren Struktur sowie das Zusammenwirken verschiedener Bereiche des Gesamtsystems zu erforschen. Parallel dazu können die Wissenschaftler die zeitliche Entwicklung der Systeme erfassen und untersuchen - das digitale Abbild wird dynamisch und erlaubt mitunter Vorhersagen für die Zukunft.

Digitale Abbilder setzen sich aus Beobachtungsdaten der realen Systeme sowie deren Simulationen zusammen. Daher fallen bei der Erstellung digitaler Abbilder extrem große Datenmengen sowie ein enormer Bedarf an Rechenleistung an. Michael Bussmann: "Mit herkömmlichen rechnerischen Methoden und den verfügbaren Rechenkapazitäten sind diese Datenmengen derzeit kaum zu bewältigen. CASUS wird hier Methoden aus datenintensivem Hochleistungsrechnen und maschinellem Lernen zusammenbringen und zudem das Potenzial unterschiedlicher Fachdisziplinen zusammenführen, um effiziente und in der Praxis anwendbare Lösungen zu entwickeln." Denn nicht zuletzt ist es ein Ziel von CASUS, die neu geschaffenen Methoden und Technologien möglichst unmittelbar der Gesellschaft und Industrie zu Verfügung stellen.

Finanziert wird CASUS in der dreijährigen Aufbauphase zu 90 Prozent aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und zu 10 Prozent aus Mitteln des Sächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst (SMWK). Bisher wurde eine Fördersumme von insgesamt rund elf Millionen Euro für die Aufbauphase eingeplant. Mit dem vor kurzem genehmigten, vorzeitigen Maßnahmenbeginn durch das BMBF und das SMWK können nun die ersten Forschungsgruppen in dem eigens angemieteten Gebäude in Görlitz (Untermarkt 20) aufgebaut werden. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushalts.


Weitere Informationen

Prof. Dr. Sabine Attinger
Leiterin des UFZ-Themenbereichs Smarte Modelle und Monitoring
sabine.attinger@ufz.de

Dr. Michael Bussmann
CASUS-Projektleiter sowie Leiter der Abteilung „CASUS“ am HZDR
m.bussmann@hzdr.de

UFZ-Pressestelle

Susanne Hufe
Telefon: +49 341 235-1630
presse@ufz.de


Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt und erarbeiten Lösungsoptionen. In sechs Themenbereichen befassen sie sich mit Wasserressourcen, Ökosystemen der Zukunft, Umwelt- und Biotechnologien, Chemikalien in der Umwelt, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg circa 1.100 Mitarbeitende. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

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Die Helmholtz-Gemeinschaft identifiziert und bearbeitet große und vor allem drängende Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Ihre Aufgabe ist es, langfristige Forschungsziele von Staat und Gesellschaft zu erreichen. Damit sollen die Lebensgrundlagen der Menschen erhalten und sogar verbessert werden. Helmholtz besteht aus 19 naturwissenschaftlich-technologischen und medizinisch-biologischen Forschungszentren.

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