Pressemitteilung vom 16. Juni 2022

Führende Klimawissenschaftler:innen fordern globale Partnerschaft, um zukünftige Regenfälle vorherzusagen und dem Klimawandel wirksamer entgegenzutreten

Neun der weltweit führenden Klimawissenschaftler:innen rufen zu umfangreichen internationalen Investitionen auf, um eine neue Generation von Klimamodellen zu entwickeln, die grundlegende Fragen über die Vorhersagbarkeit zukünftiger Niederschläge und damit verbundenen Extremereignissen beantworten können.

Visualisierung einer hochauflösenden globalen Simulation, die veranschaulicht, wie kleinskalige Prozesse explizit auf globaler Skala simuliert werden können. Foto: MPI-M/DKRZ
Visualisierung einer hochauflösenden globalen Simulation, die veranschaulicht, wie kleinskalige Prozesse explizit auf globaler Skala simuliert werden können.
Foto: MPI-M/DKRZ

Trotz jahrzehntelanger Forschung ist nicht bekannt, wie sich die Niederschläge in den kommenden Jahren entwickeln werden. Schwere Überschwemmungen sowie lang anhaltende Dürreperioden fallen bereits jetzt anders aus als erwartet. In einer Veröffentlichung, die heute in der Fachzeitschrift Nature Climate Change veröffentlicht wurde, argumentieren die Wissenschaftler:innen, dass Lösungen zwar vorhanden sind, aber eine verstärkte und strategische internationale Zusammenarbeit erforderlich ist, um Durchbrüche in der Datenverarbeitung wirksam einsetzen zu können und wesentlich fortschrittlichere Klimamodelle zu entwickeln. 

Hauptautorin Julia Slingo vom Cabot Institute for the Environment der Universität Bristol sagt: "Die Grundlage, auf der die Klimamodelle in den letzten 30 Jahren aufgebaut wurden, vereinfacht die wasserführenden Systeme stark und lässt einige grundlegende physikalische Aspekte außer Acht, von denen wir heute wissen, dass sie für zuverlässige Vorhersagen unerlässlich sind. Die Lösung liegt in greifbarer Nähe; wir müssen einen Quantensprung von unseren derzeitigen globalen Klimamodellen auf der 100-Kilometer-Skala zu Modellen auf der 1-Kilometer-Skala machen."

Co-Autor Prof. Bjorn Stevens vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg, ein Pionier globaler Modelle im Kilometermaßstab, betont, dass die wissenschaftliche Grundlage hierfür unbestreitbar ist: "Auf diesen Skalen wird die komplexe Physik von regenführenden Systemen zum ersten Mal richtig dargestellt - mit Folgen, die weit über die Zukunft unseres Wassers hinausgehen und viele Aspekte des Klimawandels betreffen."

Das internationale Team plädiert für die Schaffung und Bereitstellung von Mitteln für einen Zusammenschluss führender Modellierungszentren, die hochmoderne Exascale-Rechenkapazität nutzen können und eine passende Infrastruktur aufweisen, um die enormen Datenmengen weiterzuverarbeiten. Ziel ist es, ein einsatzfähiges Klimavorhersagesystem im Kilometermaßstab aufzubauen, das allen Nationen dient und ihnen zuverlässige Erkenntnisse über alle Aspekte des Klimawandels liefert.

"Die große Vision ist die Schaffung eines digitalen Zwillings der Erde, der sich auf diese Vorhersagen stützt. Die europäische Initiative Destination Earth (DestinE) weist hierfür den Weg, aber die Dringlichkeit und die internationale Dimension des Vorhabens erfordern eine noch größere Mobilisierung von Ressourcen und Kollaboration, um zu erreichen, was nötig ist", sagt Co-Autor Dr. Peter Bauer, ein Leiter von DestinE und leitender Wissenschaftler am ECMWF.

Prof. Stephen Belcher, leitender Wissenschaftler des britischen Met Office und Co-Autor, stellt fest: "Die Aufgabe ist gewaltig. Auch wenn sich unser wissenschaftliches Verständnis und die technologischen Entwicklungen im Bereich der Datenverarbeitung und -speicherung weiterentwickelt haben, erfordert das Ausmaß dieses Unterfangens eine internationale Anstrengung."

Überschwemmungen und Dürren gehören zu den kostspieligsten Auswirkungen des Klimawandels, und Veränderungen in der saisonalen Niederschlagsverteilung und natürlichen Variabilität der Niederschläge können tiefgreifende Auswirkungen auf viele Lebensräume haben, die wiederum unsere Ernährungssicherheit, Wassersicherheit, Gesundheit und Infrastrukturinvestitionen bedrohen. Wie wenig wir jedoch über die Zukunft unseres Wassers wissen, wurde im jüngsten Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC deutlich. Dieser zeigte einmal mehr, dass es erhebliche Unsicherheiten in Bezug auf die Veränderungen der Niederschläge gibt, insbesondere auf regionaler und lokaler Ebene.

Professor Tim Palmer Co-Autor von der Universität Oxford sagt: "Es ist dringend. Was wir jetzt brauchen, ist eine 'Mission für den Planeten Erde’, die sich mit den Gefahren des Klimawandels befasst und entsprechend gefördert ist. Die Welt erlebt schon jetzt Extreme, die außerhalb dessen liegen, was uns die derzeitigen Modelle zeigen können, und unsere sozialen und wirtschaftlichen Strukturen sind bereits massiv gefährdet."

Professor Thomas Stocker, Universität Bern, Co-Autor und ehemaliger Vorsitzender der Arbeitsgruppe I des Weltklimaberichts IPCC AR5, schließt sich dieser Ansicht an. "Die doppelte Zielsetzung von 'Netto-Null’ und Klimaresilienz erfordert eine erhebliche Beschleunigung bei der Bereitstellung zuverlässiger und umsetzbarer Klimainformationen, insbesondere für die am stärksten gefährdeten Regionen. Die derzeitigen Klimamodelle können dies nicht leisten, aber durch weltweite Investitionen und wissenschaftliche Partnerschaften im Bereich der globalen Modellierung im Kilometermaßstab wird dies Realität werden."

Co-Autor Prof. Georg Teutsch vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig, der eine der größten Forschungsinitiativen zur Klimaanpassung in Europa leitet, ist sich dieser Problematik äußerst bewusst. "Wir verfügen heute über sehr detaillierte und ausgefeilte Klimafolgen-Modelle, aber uns fehlen die detaillierten Wetter- und Wasserinformationen, um sie anzutreiben. Solange diese Lücke nicht geschlossen ist, können wir keine verlässlichen Anpassungsentscheidungen treffen", sagt Teutsch. 

Der führende Hydrologe und Co-Autor Prof. Paul Bates, ebenfalls Cabot Institut, stellt fest: "Die vorgeschlagene Investition verblasst im Vergleich zu den klimabedingten Verlusten, die auch heute schon auftreten. Sie macht etwa 0,1 Prozent der geschätzten jährlichen Kosten hydrologischer Extremereignisse aus - ohne dabei die verlorenen Menschenleben zu berücksichtigen. Diese Kosten werden mit dem fortschreitenden Klimawandel noch weiter steigen."

Publikation:
Slingo, J., P. Bates, P. Bauer, S. Belcher, T. Palmer, G. Stephens, B. Stevens, T. Stocker, G. Teutsch, 2022, Ambitious partnership needed for reliable climate prediction. Nature Climate Change, doi: 10.1038/s41558-022-01384-8

 


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Prof. Dr. Georg Teutsch
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