Pressemitteilung vom 09. Januar 2019

Mütterlicher Stress führt zu Übergewicht bei Kindern

498 Mutter-Kind-Paare der LiNA-Studie geben Aufschluss

Übergewicht ist nicht gesund. Doch immer mehr Menschen in Deutschland sind übergewichtig, vor allem auch Kinder. Im Rahmen der Mutter-Kind-Studie LiNA, die am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) koordiniert wird, konnten Forscher den empfundenen Stress der Mutter im ersten Lebensjahr des Kindes als einen Risikofaktor für Übergewichtsentwicklung im Kleinkindalter ausmachen. Dieser wirke sich vor allem auf die Gewichtsentwicklung von Mädchen aus und führe zu einer langfristigen Prägung, schreiben Forscher des UFZ, der Universität Bristol und des Berliner Instituts für Gesundheitsforschung in ihrer gemeinsamen im Fachmagazin BMC Public Health erschienenen Studie.

 Foto: © Nomad_Soul_fotolia

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In Deutschland sind fast zehn Prozent der Kinder zwischen zwei und sechs Jahren übergewichtig, davon rund drei Prozent sogar fettleibig. Hochkalorische Ernährung und zu wenig Bewegung sind bekannte Risikofaktoren für Übergewicht. "Mütterlicher Stress steht ebenfalls im Verdacht, zu einer Entwicklung von Übergewicht bei Kindern beizutragen", sagt Ernährungswissenschaftlerin Dr. Kristin Junge vom Department Umweltimmunologie am UFZ. "Gerade das Zeitfenster während der Schwangerschaft und in den ersten Lebensjahren ist in der kindlichen Entwicklung sehr sensibel für äußere Einflüsse, die zu Krankheiten oder auch Übergewicht führen können." Und dazu können auch psychologische Einflüsse gehören, wie beispielsweise mütterlicher Stress. In ihrer aktuellen Studie untersuchten die UFZ-Wissenschaftlerinnen, ob und wie sich mütterliches Stressempfinden während der Schwangerschaft sowie in den ersten beiden Lebensjahren auf die Gewichtsentwicklung des Kindes bis zum fünften Lebensjahr auswirkt. Dafür analysierten sie vorhandene Daten aus der Mutter-Kind-Studie LiNA.

LiNA ist eine Langzeitstudie, in der sensible kindliche Entwicklungsphasen unter besonderer Berücksichtigung von Lebensstil, Umweltbelastungen und dem späteren Auftreten von Allergien, Atemwegserkrankungen und Übergewicht untersucht werden. Seit 2006 begleiten UFZ-Forscher in Kooperation mit dem Städtischen Klinikum St. Georg in Leipzig sowie seit kurzem auch mit dem Universitätsklinikum Leipzig mehrere hundert Mutter-Kind-Paare von der Schwangerschaft an, um Auswirkungen von Umwelteinflüssen und Lebensgewohnheiten auf Gesundheit und Wohlbefinden zu erforschen. Dabei werden regelmäßig Befragungen, Schadstoffmessungen im Wohnumfeld sowie Labor- und ärztliche Untersuchungen von Müttern und Kindern durchgeführt. Die aktuelle UFZ-Studie basiert auf Daten von 498 Mutter-Kind-Paaren der LiNA-Studie. Aus den Zahlen zu Größe und Gewicht ermittelten die Forscher den Body Mass Index (BMI) der Kinder und normierten ihn auf Alter und Geschlecht. Der empfundene Stress der Mütter wurde mithilfe validierter Fragebögen erhoben und umfasste die Themen Sorgen und Ängste, Gefühle von Anspannung, allgemeine Zufriedenheit sowie den Umgang mit täglichen Anforderungen. "Die Daten zum empfundenen Stress der Mütter während der Schwangerschaft sowie in den ersten beiden Lebensjahren des Kindes haben wir mit der Entwicklung des BMI der Kinder bis zu ihrem fünften Lebensjahr ins Verhältnis gesetzt und geschaut, ob es einen Zusammenhang gibt", erklärt Biochemikerin Dr. Beate Leppert, Erstautorin der Studie, die mittlerweile an der Universität Bristol arbeitet.

Erstes Lebensjahr besonders prägend

Und die Ergebnisse der Studie zeigen: Den Zusammenhang gibt es tatsächlich. Hatten Mütter im ersten Lebensjahr ihres Kindes ein hohes Stressempfinden, so war die Wahrscheinlichkeit groß, dass ihre Kinder in den ersten fünf Lebensjahren einen erhöhten BMI entwickeln. "Die Auswirkungen durch mütterlichen Stress scheinen langfristig prägend zu sein", sagt Kristin Junge. Der Zusammenhang zwischen mütterlichem Stressempfinden im ersten Lebensjahr des Kindes und erhöhtem BMI war besonders deutlich bei Mädchen zu sehen. "Es scheint, dass vor allem Töchter gestresster Mütter ein erhöhtes Risiko haben, übergewichtig zu werden", sagt Dr. Saskia Trump, Letztautorin der aktuellen Studie, die mittlerweile am Berliner Institut für Gesundheitsforschung arbeitet. "Es gibt Studien, die zeigen, dass solche psychologischen Faktoren wie das Stressempfinden der Mutter von Jungen möglicherweise weniger intensiv wahrgenommen oder besser kompensiert werden". Keine signifikanten Auswirkungen auf die Gewichtsentwicklung beider Geschlechter hatte der empfundene Stress der Mütter während der Schwangerschaft sowie während des zweiten Lebensjahres des Kindes. "Das erste Lebensjahr scheint eine sensible Phase und für die Neigung zu Übergewicht prägend zu sein", sagt Junge. Schließlich verbringen Mutter und Kind meist das gesamte erste Jahr gemeinsam - viel Zeit, in der das mütterliche Stressempfinden oder damit verbundene Verhaltensweisen vom Kind wahrgenommen werden. "In dieser Zeit sollte dem Befinden der Mutter daher besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden", ergänzt Trump.

Stressoren identifizieren

Doch wodurch wird der empfundene Stress der Mütter überhaupt verursacht? Um diese Frage zu beantworten, haben die Forscher weitere Daten der Mutter-Kind-Befragungen untersucht und nach möglichen Einflussfaktoren wie Haushaltseinkommen, Bildungsstatus sowie Qualität des Lebensumfeldes gefahndet. Die Ergebnisse zeigen, dass Mütter mit einem deutlich erhöhten empfundenen Stresslevel häufig viel Verkehr oder Lärm ausgesetzt waren, in einem einfachen Wohnumfeld lebten oder ein niedriges Haushaltseinkommen hatten. Mütterlicher Stress, verursacht durch schwierige Lebensbedingungen oder ein ungünstiges Wohnumfeld, kann bei Kindern langfristig zu Übergewicht führen. "Der von Müttern empfundene Stress sollte ernstgenommen werden", sagt Junge. "Hebammen, Frauen-, Kinder- und Hausärzte sollten im ersten Jahr nach der Geburt des Kindes besonders aufmerksam sein für Anzeichen von Stress." Denn wenn man den Müttern frühzeitig hilft oder Unterstützung anbietet, könnte man vielleicht gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Das mütterliche Wohlbefinden verbessern und damit auch der Übergewichtsentwicklung ihrer Kinder vorbeugen. In zukünftigen Forschungsarbeiten will das UFZ-Team untersuchen, ob die Auswirkungen mütterlichen Stressempfindens auch über das fünfte Lebensjahr der Kinder hinausgehen.

Publikation:
Leppert B, Junge KM, Röder S, Borte M, Stangl GI, Wright RJ, Hilbert A, Lehmann I, Trump S.: Early maternal perceived stress and children's BMI: longitudinal impact and influencing factors. BMC Public Health. 2018 Oct 30; 18(1):1211. doi: 10.1186/s12889-018-6110-5.


Weitere Informationen

Dr. Kristin Junge
UFZ-Department Umweltimmunologie
Telefon: ++49341 235 1550
kristin.junge@ufz.de

Dr. Beate Leppert
University of Bristol, Bristol Medical School, Population Health Sciences
beate.leppert@bristol.ac.uk

Dr. Saskia Trump
Charité - Universitätsmedizin Berlin und Berliner Institut für Gesundheitsforschung
saskia.trump@charite.de

UFZ-Pressestelle

Susanne Hufe
Telefon: +49 341 235-1630
presse@ufz.de


Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt und erarbeiten Lösungsoptionen. In sechs Themenbereichen befassen sie sich mit Wasserressourcen, Ökosystemen der Zukunft, Umwelt- und Biotechnologien, Chemikalien in der Umwelt, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg circa 1.100 Mitarbeitende. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

www.ufz.de

Die Helmholtz-Gemeinschaft identifiziert und bearbeitet große und vor allem drängende Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Ihre Aufgabe ist es, langfristige Forschungsziele von Staat und Gesellschaft zu erreichen. Damit sollen die Lebensgrundlagen der Menschen erhalten und sogar verbessert werden. Helmholtz besteht aus 19 naturwissenschaftlich-technologischen und medizinisch-biologischen Forschungszentren.

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