Pressemitteilung vom 21. März 2022
Volkszählung für Blütenbesucher
Das Projekt SPRING soll bei der Etablierung eines EU-weiten Monitorings für Bestäuber helfen
Insekten leisten sowohl für die Ökosysteme als auch für die Wirtschaft einen wichtigen Dienst: Weltweit sind fast 90 Prozent der blühenden Wildpflanzen zumindest teilweise auf eine Bestäubung durch Tiere angewiesen. Und auch mehr als drei Viertel aller Nutzpflanzen brauchen Blütenbesucher, wenn sie einen hohen Ertrag und eine gute Qualität liefern sollen. Wie aber steht es um diese wichtigen Helfer? Wo sind ihre Bestände bedroht, und was lässt sich dagegen tun? Um das zu beurteilen, fehlt es in Europa bisher an systematischen Bestandsaufnahmen. Ein neues Projekt namens SPRING ("Strengthening Pollinator Recovery through Indicators and monitoring") soll nun Abhilfe schaffen: Koordiniert vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) sowie dem britischen Centre for Ecology and Hydrology (UKCEH) arbeitet ein internationales Forschungsteam aus zunächst 19 Partnern an einer EU-weiten Volkszählung der Bestäuber.
Außer Honigbienen und vielleicht noch ein paar Schmetterlingen gibt es nur wenige Insekten mit Prominenten-Status. Auch wenn viele Arten als Bestäuber eine wichtige Rolle spielen, fliegen sie weitgehend unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung. Inzwischen aber ist das Interesse an diesen Tieren auch in Gesellschaft und Politik deutlich gestiegen. Denn immer klarer wird, dass ohne diese Arten Ökosystemen und Wirtschaft massive Schäden drohen. Als Reaktion darauf hat sich die EU-Bestäuberinitiative verpflichtet, ein EU-weites Monitoring zu entwickeln, das qualitativ hochwertige Daten bereitstellt, um den Zustand und die Entwicklung von Bestäubern zu bewerten.
"Auf EU-Ebene hat man parteiübergreifend den Eindruck, dass wir in Europa bessere Indikatoren für den Zustand der Biodiversität brauchen", sagt der UFZ-Biodiversitätsforscher Prof. Josef Settele. Wie steht es um die biologische Vielfalt einer Region? Sind dort schon schleichende Verluste im Gange, die zu ernsthaften Problemen etwa in der Nahrungsmittelproduktion führen könnten? Bisher lässt sich das nur an wenigen, gut untersuchten Gruppen von Pflanzen und Tieren wie etwa Vögeln oder Tagfaltern festmachen. Mit SPRING wird dieses bisher noch recht unvollständige Bild neue Facetten bekommen. Denn das Projekt soll dazu beitragen, eine EU-weite Volkszählung der Bestäuber zu etablieren.
Das Konzept für ein "EU-Programm zum Bestäuber-Monitoring" (EU Pollinator Monitoring Scheme) hat eine internationale Gruppe von Fachleuten entwickelt und im Jahr 2020 veröffentlicht. Mit einem Budget von fünf Millionen Euro ausgestattet, wird das SPRING-Projekt bis 2023 einen Teil davon umsetzen. Insgesamt 19 Forschungsinstitutionen werden daran mitarbeiten, Josef Settele vom UFZ und Dr. David Roy vom UK Centre for Ecology & Hydrology im britischen Wallingford haben die Koordination übernommen.
"Als Blaupause für die Erfassung der Bestäuber werden wir auch das Tagfalter-Monitoring verwenden, das es in vielen europäischen Ländern schon gibt", erklärt UFZ-Biologin Elisabeth Kühn, die das deutsche Tagfalter-Monitoring koordiniert. Dieses Citizen Science-Projekt hat das UFZ im Jahr 2005 zusammen mit der Gesellschaft für Schmetterlingsschutz (GfS) ins Leben gerufen. Seither laufen Freiwillige im Sommerhalbjahr bundesweit immer wieder festgelegte Strecken ab und zählen die dabei gesichteten Schmetterlinge. Nach dem gleichen Prinzip werden inzwischen auch in zahlreichen anderen Ländern Europas jedes Jahr die Tagfaltervorkommen erfasst.
Dänemark, Griechenland, Lettland, Litauen, Rumänien und die Slowakei haben bisher allerdings noch kein solches Programm. Das wird sich nun im Rahmen von SPRING ändern. Zusammen mit Naturschutzorganisationen vor Ort sucht das Projektteam zunächst Freiwillige und Koordinatoren und entwickelt neue oder übersetzt vorhandene Bestimmungshilfen für die dort vorkommenden Arten. So kann mit dem Beginn des Frühlings die Falter-Fahndung richtig losgehen.
Allerdings werden Europas Blüten bei weitem nicht nur von Schmetterlingen bestäubt, andere Insektengruppen wie etwa Bienen und Schwebfliegen spielen in der Hinsicht sogar eine deutlich größere Rolle. Welche Sechsbeiner also müssen mindestens erfasst werden, um aussagekräftige Daten zur Lage der Bestäuber zu gewinnen? Welche Methoden bieten sich dazu an, wie viele Flächen muss man mindestens untersuchen? Und was kostet das Ganze dann? "Um das alles besser einschätzen zu können, werden wir im Rahmen des Projekts eine Art Basisprogramm für ein aussagekräftiges Monitoring entwickeln und testen", sagt David Roy.
In bis zu 24 Testgebieten pro Land werden die Projektmitarbeiter:innen mit verschiedenen Methoden der Vielfalt und der Anzahl der Bestäuber nachspüren. Ähnlich wie beim Tagfalter-Monitoring sollen Freiwillige beispielsweise Wildbienen und Schwebfliegen auf festgelegten Strecken zählen. Parallel wird untersucht, wie effektiv sich die Vielfalt der Bestäuber mit verschiedenen Fallen erfassen lässt. "Aus unseren Erfahrungen werden wir dann Empfehlungen entwickeln, wie die einzelnen Länder ihr Monitoring am besten fortführen können", erklärt der britische Forscher.
Damit das alles klappt, braucht die Volkszählung der Bestäuber allerdings genügend kompetente Mitstreiter. "Wer Initiativen kennt, die sich schon mit der Erfassung von bestäubenden Insekten beschäftigen, kann sich gern bei uns melden", sagt Josef Settele. Nach seinen Erfahrungen mit dem Tagfalter-Monitoring ist er optimistisch, dass auch Laien mit einer gewissen Grundausbildung und etwas Übung lernen können, viele der Arten auseinanderzuhalten. In einigen Fällen könnte das allerdings auch schwierig werden. So gibt es allein in Deutschland rund 560 Wildbienenarten, zu denen auch die Hummeln zählen. Und nur sehr wenige Menschen können einen Großteil dieser Arten sicher identifizieren. Um das zu ändern, wird das Projektteam nicht nur Online-Materialien und Trainingskurse zur Bienen- und Schwebfliegenbestimmung anbieten. Geplant ist auch eine App, die zunächst einem gewissen Teil der Tiere per Bilderkennung den richtigen Namen zuordnen kann.
Außer dem Ausbau des Tagfalter-Monitorings und dem Entwickeln und Testen eines Basisprogramms für das Bestäubermonitoring insgesamt stehen bei SPRING auch noch eine Reihe von Spezialfahndungen an. Aus den Niederlanden kommt zum Beispiel eine Initiative, die sich mit einer Kombination aus einfachen Fallen und ausgefeilter Bilderkennungstechnik auf die Spur der Nachtfalter setzen wird. "Dies wollen wir auch in Deutschland unter aktiver Beteiligung der Bevölkerung testen", betont Josef Settele. "Unsere niederländischen Nachbarn haben damit schon sehr gute erste Erfahrungen gemacht."
Nach Abschluss des SPRING-Projekts wird Europa dann gute Chancen haben, einen besseren Überblick über seine Dienstleister auf sechs Beinen zu bekommen. "Wir hoffen, dass wir die meisten europäischen Staaten zu einem solchen Monitoring bewegen können", sagt Josef Settele. "Nur so können wir beurteilen, wo wir in Sachen Bestäuberschutz gut vorankommen und wo wir uns noch mehr anstrengen müssen."
Weitere Informationen: www.spring-pollination.eu
Weitere Informationen
Prof. Dr. Josef Settele
Leiter UFZ-Department Naturschutzforschung
josef.settele@ufz.de
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Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt und erarbeiten Lösungsoptionen. In sechs Themenbereichen befassen sie sich mit Wasserressourcen, Ökosystemen der Zukunft, Umwelt- und Biotechnologien, Chemikalien in der Umwelt, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg circa 1.100 Mitarbeitende. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.
www.ufz.deDie Helmholtz-Gemeinschaft identifiziert und bearbeitet große und vor allem drängende Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Ihre Aufgabe ist es, langfristige Forschungsziele von Staat und Gesellschaft zu erreichen. Damit sollen die Lebensgrundlagen der Menschen erhalten und sogar verbessert werden. Helmholtz besteht aus 19 naturwissenschaftlich-technologischen und medizinisch-biologischen Forschungszentren.
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