Pressemitteilung vom 02. Februar 2022

Geothermie unverzichtbar für eine Wärmewende

Gemeinsame Roadmap von Helmholtz-Zentren und Fraunhofer-Instituten zeigt Handlungsfelder einer nachhaltigen Wärmeversorgung auf

Die Hälfte der kommunalen Wärme soll bis 2030 aus klimaneutralen Quellen kommen. Zu diesem Ziel der Bundesregierung kann die Tiefe Geothermie einen großen Beitrag leisten, weil sie beständig und witterungsunabhängig lokal Energie liefert und wenig Fläche in Siedlungen belegt. Eine gemeinsame Roadmap von Forschenden der Helmholtz-Gemeinschaft und der Fraunhofer-Gesellschaft zeigt, dass Tiefe Geothermie ein Marktpotenzial in Deutschland besitzt, welches Ausbauziele von mehr als einem Viertel des jährlichen deutschen Wärmebedarfes (über 300 TWh) eröffnet. Das Papier gibt Handlungsempfehlungen, um dieses Ziel zu erreichen - so brauche es klare Ausbauziele, großflächige, geologische Erkundung, Investitionen in Schlüsseltechnologien und Fachkräfteaufbau.

Geothermiebohrung im Oberrheingraben nahe der Ortschaft Trebur. Foto: Ingo Sass / GFZ
Geothermiebohrung im Oberrheingraben nahe der Ortschaft Trebur.
Foto: Ingo Sass / GFZ

"Ohne Geothermie wird eine Dekarbonisierung des Wärmesektors in Deutschland nicht möglich sein. Die natürlichen Wärmepotenziale im Untergrund sind hierfür in den meisten urbanen Räumen vorhanden. Der nachhaltige Ausbau von Geothermie ist eine Investition in die Städte unserer Zukunft", sagt Prof. Ingo Sass, Leiter der Sektion "Geoenergie" am Helmholtz-Zentrum Potsdam - Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ. "Die Forschungseinrichtungen der Helmholtz-Gemeinschaft tragen mit ihren strategisch ausgerichteten Arbeitsprogrammen und ihren einzigartigen Forschungsinfrastrukturen wie z.B. dem zukünftigen Untertage-Forschungslabor GeoLAB maßgeblich zum Gelingen der Transformation bei", so Sass weiter. "Um das Ausbauziel von mehr als 300 Terawattstunden erreichen zu können, brauchen wir Technologieentwicklung", sagt Prof. Thomas Kohl vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Koordinator des GeoLaB, einer gemeinsamen Initiative von KIT, Helmholtz-Zentrum Potsdam - Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ und Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). "Die Anwendung und Entwicklung modernster Monitoring- und Analysewerkzeuge im GeoLaB werden die Erkenntnisse liefern, die für eine sichere und ökologisch nachhaltige Nutzung der Geothermie und weiterer unterirdischer Ressourcen von großer Bedeutung sind. Ganz wesentlich ist dabei auch die transparente Interaktion mit der Öffentlichkeit und den Entscheidungsträgern", erläutert Kohl. 

"Untertage-Forschungslabore wie das GeoLab besitzen Sass zufolge eine zentrale Bedeutung, "weil sie das grundlegende physikalisch-chemisch-biologische Verständnis für Standorte mit ähnlichen geologischen Eigenschaften beleuchten. Ingo Sass fügt hinzu: "Wir setzen unsere Forschungsergebnisse in angewandten, industriellen und demonstrativen Vorhaben um und zeigen damit der Gesellschaft die sichere und großmaßstäbliche Anwendbarkeit geothermaler Energiebereitstellung."

"Die Beiträge des UFZ konzentrieren sich insbesondere auf den Digitalisierungsprozess und geothermische Systemanalysen", sagt Mitautor Prof. Olaf Kolditz, der am UFZ das Department Umweltinformatik leitet. "Wir verfolgen unter anderem Konzepte 'Digitaler Zwillinge’ und Virtualisierung, um die natürlichen und technischen Systeme (Reallabore) so realistisch wie möglich digital nachzubilden. So können geothermische Systeme technisch optimiert, deren effiziente Einbindung in das gesamte Energiesystem simuliert und Umweltwirkungen langfristig abgeschätzt werden", so Kolditz weiter.

Gemeinsam mit Helmholtz-Kolleginnen und -Kollegen des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) sowie aus der Fraunhofer-Gesellschaft hat das GFZ die Roadmap erarbeitet. Der GFZ-Forscher Ernst Huenges, Mitherausgeber neben Rolf Bracke von der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie (IEG), sagt: "Die Klimaneutralität des Wärmemarktes zu erreichen, ist eine riesige Herausforderung und erfordert ein ganzes Bündel an Maßnahmen. Die Marktakteure wie Energieversorger, Industrieunternehmen, Wohnungswirtschaft, Finanzwirtschaft, Politik, Verwaltung, Ausbilder und Kommunen brauchen neue Instrumente für diese komplexe Umsetzungsaufgabe." 

Das Strategiepapier soll für alle Akteure die notwendigen Informationen zum geothermischen Wärmeangebot, zur Vielseitigkeit des Wärmemarktes und zur technologischen Realisierung der Wärmewende bereitstellen. Ziel ist es, Handlungsempfehlungen zu geben, um das Potenzial der Geothermie im Sinne der klimaneutralen Wärmeversorgung umzusetzen. 

Die Roadmap identifiziert fünf Handlungsempfehlungen, um die Geothermie zeitnah für den Wärmemarkt in Deutschland auszubauen:

1)      Klare Ausbauziele: Parlamente und Gemeinderäte sollten klare Ausbauziele formulieren und diese durch entsprechende Gesetzgebung und Satzungen flankieren vom Bundesbergbaugesetz bis hin zur kommunalen Raumordnung.

2)      Risikoausgleich für Unternehmen und Kommunen: Im Wärmemarkt sind kleine und mittlere Unternehmen wie Stadtwerke aktiv, die wirtschaftliche Risiken wie die Exploration von Tiefer Geothermie nur begrenzt tragen können. Daher braucht es Finanzinstrumente zum interkommunalen Risikoausgleich wie staatliche Versicherungen oder revolvierende Fonds, die sich an Projekten finanziell beteiligen. Zudem sollten die Länder ein flächendeckendes geowissenschaftliches Erkundungsprogramm aufsetzen, um das Fündigkeitsrisiko für Kommunen und Unternehmen zu senken. 

3)      Investition in Schlüsseltechnologien: Damit aus ein paar Dutzend tiefengeothermischen Anlagen in Deutschland Tausende werden, braucht es Investitionen in die Schlüsseltechnologien, um großindustrielle Maßstäbe zu erreichen. Die Schlüsseltechnologien sind Bohrverfahren, Reservoirmanagement, Bohrlochwasserpumpen, Hochtemperatur-Wärmepumpen, Großwärmespeicher, transkommunale Verbundwärmenetze und sektorübergreifende Systemintegration.

4)      Aus- und Weiterbildung von Fachkräften: Die wachsende Geothermiebranche schafft regionale Arbeitsplätze in Technologieentwicklung, Planung und Produktion sowie bei Errichtung und Betrieb der Anlagen. Man kann von ca. 5 - 10 Vollzeitäquivalentstellen je MW installierter Leistung ausgehen. Um Tausende Fachkräfte fort- und weiterzubilden, braucht es akademische Ausbildung und ergänzende Curricula zu den bestehenden Angeboten der Handwerks-, Industrie und Handelskammern.

5)      Dialog mit Bürger*innen: Die Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen benötigt gesellschaftliche Akzeptanz. Die kommunalen Akteure brauchen daher nicht nur betriebswirtschaftliche und anlagentechnische Strategien. Es ist erforderlich, mit Bürgerenergiemodellen, kommunalen Kommunikationsstrategien und transparenten Projekten alle lokalen Interessengruppen mit auf den Weg zur regionalen Wärmewende zu nehmen.

Der Wärmesektor macht 56 Prozent des nationalen Energiebedarfs aus. Lediglich 15 Prozent der Wärme sind regenerativ. Die nun vorgelegte Roadmap diskutiert den Beitrag der Geothermie zur Wärmewende. Der Schwerpunkt liegt auf den hydrothermalen Reservoiren, also thermalwasserführenden Gesteinen in Tiefenlagen zwischen 400 Metern und 5.000 Metern. Geothermale Wässer können bei Temperaturen zwischen 15 und 180 Grad Celsius aus derart tiefen Brunnenbohrungen gefördert werden. Sie sind Jahres- und Tageszeiten-unabhängig verfügbar und lassen sich insbesondere für Nah-, und Fernwärme und sogar für Niedrigtemperaturprozesse in der Industrie nutzen. Die Technologie ist ausgereift und kommt seit Jahrzehnten in vielen europäischen Städten zur Anwendung, etwa in Paris und München.

Die hydrothermale Geothermie - kombiniert mit Großwärmepumpen - als Wärmequelle für Fernwärmenetze könnte nach den Abschätzungen der Roadmap rund ein Viertel des Gesamtwärmebedarfes Deutschlands decken, theoretisch rund 300 Terawattstunden Jahresarbeit bei 70 Gigawatt installierter Leistung. Zum Vergleich: 2020 lieferten bundesweit 42 Anlagen 359 Megawatt installierte Wärmeleistung und 45 Megawatt elektrische Leistung.

Strategiepapier "GEOTHERMIE-ROADMAP FÜR DEUTSCHLAND Handlungsempfehlungen für Politik, Wirtschaft und Wissenschaft für eine erfolgreiche Wärmewende": https://www.ieg.fraunhofer.de/content/dam/ieg/documents/Roadmap%20Tiefe%20Geothermie%20in%20Deutschland%20FhG%20HGF%2002022022.pdf

Zum Redaktionsteam der "Tiefengeothermie-Roadmap für Deutschland" gehören: 
Herausgeber:
Rolf Bracke, Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie (IEG) 
Ernst Huenges, Helmholtz-Zentrum Potsdam Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ

Ko-Autor:innen:
Daniel Acksel, Helmholtz-Zentrum Potsdam Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ) 
Florian Amann, Fraunhofer IEG
Judith Bremer, Karlsruher Institut für Technologie (KIT) 
David Bruhn, Fraunhofer IEG 
Marcus Budt, Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (UMSICHT) 
Gregor Bussmann, Fraunhofer IEG 
Uwe-Jens Görke, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) 
Gunnar Grün, Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP)
Florian Hahn, Fraunhofer IEG
Anja Hanßke, Fraunhofer IEG
Thomas Kohl, Karlsruher Institut für Technologie (KIT) 
Olaf Kolditz, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) 
Simona Regenspurg, Helmholtz-Zentrum Potsdam Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ
Thomas Reinsch, Fraunhofer IEG
Karsten Rink, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) 
Ingo Sass, Helmholtz-Zentrum Potsdam Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ)
Eva Schill, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Clemens Schneider, Fraunhofer IEG
Haibing Shao, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) 
Dimitra Teza, Fraunhofer IEG
Leo Thien, Fraunhofer IEG
Matthias Utri, Fraunhofer IEG
Harald Will, Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP)


Weitere Informationen

Prof. Dr. Olaf Kolditz
Leiter UFZ-Department Umweltinformatik
olaf.kolditz@ufz.de

UFZ-Pressestelle

Susanne Hufe
Telefon: +49 341 235-1630
presse@ufz.de


Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt und erarbeiten Lösungsoptionen. In sechs Themenbereichen befassen sie sich mit Wasserressourcen, Ökosystemen der Zukunft, Umwelt- und Biotechnologien, Chemikalien in der Umwelt, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg circa 1.100 Mitarbeitende. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

www.ufz.de

Die Helmholtz-Gemeinschaft identifiziert und bearbeitet große und vor allem drängende Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Ihre Aufgabe ist es, langfristige Forschungsziele von Staat und Gesellschaft zu erreichen. Damit sollen die Lebensgrundlagen der Menschen erhalten und sogar verbessert werden. Helmholtz besteht aus 19 naturwissenschaftlich-technologischen und medizinisch-biologischen Forschungszentren.

www.helmholtz.de
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