Pressemitteilung vom 16. März 2007

Völkerwanderung nach Norden

Schmetterlinge als Indikatoren für Klimawandel und Artenvielfalt

Leipzig. Wanderungsbewegungen bei Schmetterlingen sind Indikatoren für den Klimawandel. Darauf haben Experten am Rande einer Tagung am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ hingewiesen. So gäbe es Anzeichen dafür, dass sich die Artenzusammensetzung in den kommenden Jahren deutlich verändern könne. Kälte liebende Arten seien bedroht. Wärme liebende Arten würden dagegen immer weiter nach Norden vordringen. Darauf deuten erste Tendenzen der Beobachtungen von 500 ehrenamtlichen Mitarbeitern hin, die regelmäßig und nach einer standardisierten Methode Schmetterlinge zählen.

Das Tagpfauenauge

Das Tagpfauenauge (Inachis io) bildet eine 2. Generation nicht mehr nur in den wärmsten Lagen Südwestdeutschlands aus, sondern mittlerweile verbreitet bis in die Niederlausitz.
Foto: Dr. Josef Settele/UFZ

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Seit 2005 gibt es das Tagfalter-Monitoring Deutschland, das Bestandteil eines europäischen Netzwerkes ist. Das langfristig angelegte Beobachtungsprogramm ist eine vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ koordinierte Aktion, die zur Umsetzung der UN-Biodiversitätskonvention beiträgt.

Gewinner und Verlierer

Derzeit verzeichnen Experten in Europa so etwas wie eine Völkerwanderung der Schmetterlinge. Die warmen Winter ermöglichen es zahlreichen, vor allem Wärme liebenden Arten, ihr Areal nach Norden auszudehnen. Der Grosse Fuchs, vor 10 Jahren noch auf einige Reststandorte zurückgedrängt, ist wieder in vielen Teilen Süddeutschlands zu finden. Ähnliche Beobachtungen kommen aus anderen europäischen Regionen wie Schottland. Dort tauchen jetzt der so genannte Braunkolbige Braun-Dickkopffalter und das Rotbraune Ochsenauge auf, denen es in diesen Breiten bisher zu kühl war.
Was für eine Reihe von Arten gut zu sein scheint, ist schlecht für andere. Vor allem Arten die kühlere klimatische Ansprüche aufweisen und beispielsweise in Mooren sowie Gebirgen vorkommen, geraten in Schwierigkeiten. In Großbritannien wird der Graubindige Mohrenfalter allmählich Richtung Norden verdrängt. Außerhalb der Alpen ist in Deutschland mit einem Verschwinden bisher bereits seltener Arten zu rechnen. Dazu sind zu zählen: der Hochmoorgelbling, der Randring-Perlmutterfalter, der Hochmoorbläuling und der Natterwurz-Perlmutterfalter.
Bei weiteren Arten sind die Angaben widersprüchlich: Der Trauermantel z.B. scheint in einigen Teilen Europas Winter wie den letzten kaum überleben, während z.B. in Norddeutschland und den Niederlanden im letzten Jahr ein starkes Auftreten vermutlich aus dem Osten zugewanderter Tiere registriert werden konnte.

Zu früh oder zu spät?

Nicht nur die Verbreitungsgebiete der Schmetterlinge sind in Bewegung, auch der Zeitpunkt, wann im Jahr sie erscheinen, ändert sich. Beim Tagpfauenauge führt das veränderte Klima dazu, dass inzwischen in vielen Regionen Deutschlands eine zweite Generation auftritt, was bislang nur in wärmsten Lagen Südwestdeutschlands der Fall war. Der Admiral gilt als klassischer Wanderfalter, der jedes Jahr aus dem Mittelmeerraum neu bei uns einwandert. Inzwischen sind die Winter so mild, dass der Falter seit 10-20 Jahren auch bei uns überwintert und zudem überwinternde Raupen und Puppen auftreten. So vermischen sich im Frühjahr die Nachkommen der Falter, die sich bei uns fortgepflanzt haben mit den Neuzugängen aus dem Süden.

Schmetterlinge als Indikatoren

Die beobachteten Trends bestätigen, wie sehr Schmetterlinge sich als Indikatoren für die Auswirkungen von Umweltveränderungen eignen. Sie reagieren schnell und empfindlich und lassen so Entwicklungen erkennen, die ganze Lebensgemeinschaften betreffen, die aber in ihrer Gesamtheit nicht abgebildet werden können und zum Teil erst mit starker Verzögerung reagieren.
Nicht zuletzt aufgrund dieser Indikatorfunktion (aber auch aufgrund ihrer Beliebtheit in der Öffentlichkeit) sind Tagfalter zentrale Elemente der internationalen Forschung. So stellen sie auch eine zentrale Komponente des EU-Projektes ALARM dar, das sich die Erforschung der vielfältigen Einflussfaktoren in ihrer kombinierten Wirkung auf die Biodiversität - also die Artenvielfalt - zum Ziel gesetzt hat; ein Projekt in dem über 200 Wissenschaftler von 67 Institutionen aus 35 Ländern zusammenarbeiten.
Im Jahr 2010 müssen die europäischen Staaten gemäß der Biodiversitätskonvention über den Zustand der Artenvielfalt in ihren Ländern Bericht erstatten. Aufgrund der sensiblen Reaktion der Tagfalter auf Umweltveränderungen hat die Europäische Umweltagentur in Kopenhagen (EEA) unter anderem für diesen Zweck die Tagfalter neben den Vögeln als Schlüsselindikatoren auf europäischer Ebene ausgewählt.

Wie sieht es in Deutschland aus? - Das Tagfalter-Monitoring Deutschland TMD

Um beim Erfassen der Falter, dem sog. Monitoring, europaweit standardisiert vorzugehen, wurde 2004 unter Beteiligung des UFZ die Stiftung "Butterfly Conservation Europe" in den Niederlanden gegründet, die gewissermaßen als Dachorganisation die verschiedenen nationalen Initiativen begleiten soll.
In 2005 unterstützte "Butterfly Conservation Europe" dann den Start des Tagfalter-Monitoring Deutschland, als Bestandteil eines europäischen Netzwerkes, das immer mehr Länder erfasst. Das langfristig angelegte Beobachtungsprogramm ist eine gemeinsame Aktion von derzeit ca. 500 ehrenamtlichen Mitarbeitern, die regelmäßig und nach einer standardisierten Methode Schmetterlinge zählen. Um Änderungen der Artenvielfalt und Artenzusammensetzung, wie sie z.B. derzeit durch den Klimawandel ausgelöst werden, wissenschaftlich fundiert nachweisen und die Daten dann auch entsprechend interpretieren zu können, bedarf es aber noch einiger weiterer Jahre kontinuierlicher Beobachtungen. Jedoch bereits für die 2010 fälligen Berichte auf europäischer Ebene sind hier fundierte Aussagen zu erwarten - und Deutschland könnte damit der Erfüllung seiner Verpflichtungen ein Stück näher kommen.
Insgesamt wurden beim Monitoring bisher in 2 Jahren bereits über 50.000 Datensätze gesammelt und ca. 200 Arten tagaktiver Schmetterlinge (darunter etwa 100 Tagfalter) registriert. Am häufigsten begegneten den Schmetterlingszählern der Kleine Kohlweißling, der Grünaderweißling und das Grosse Ochsenauge.

Klimaforschung für alle - die neue Saison startet

In diesem Jahr beginnt die Zählsaison wieder in der ersten Aprilwoche. An verschiedenen Orten in Deutschland werden von zahlreichen Experten mit Unterstützung des UFZ Infoveranstaltungen und Exkursionen organisiert, mit dem Ziel, neue Freiwillige für das Projekt zu gewinnen. Langfristig soll neben der Erfassung der Trends im Rahmen des Monitorings auch eine solide Basis für die Dokumentation der Verbreitung der Schmetterlinge in Deutschland entstehen.

Weitere fachliche Informationen

Elisabeth Kühn / PD Dr. Josef Settele
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ
Telefon: 0345-558- 5263, -5320
www.ufz.de/index.php?en=817

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ
Pressestelle
Tilo Arnhold / Doris Böhme
Telefon: +49 (0)341 235 2278
E-mail: presse@ufz.de

frühere Pressemitteilungen zum Thema:

Risiko-Abschätzung für die Biodiversität: das ALARM-Projekt erreicht globale Dimension
(Pressemitteilung vom 16. Februar 2007)
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www.ufz.de/index.php?de=10111

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www.ufz.de/index.php?de=5118