Pressemitteilung vom 15. Juni 2009
Nachhaltigkeit statt Romantik: 80 Prozent der Deutschen befürworten die Nutzung des Waldes - wenn nicht mehr Holz entnommen wird als nachwächst
Achtes Laborgespräch informiert über die Einstellung der Deutschen zu ihrem Wald
Leipzig/Hannover. Verklärt durch die siegreiche Schlacht der Germanen gegen die Römer im Teutoburger Wald, beeindruckt vom Märchenwald der Gebrüder Grimm, verzaubert von den Landschaftsbildern des Malers Caspar David Friedrich - so romantisch und mythisch sehen die Deutschen ihren Wald. Zumindest nahm man das bisher an. Doch diese Sicht ist längst nicht so weit verbreitet. Das belegen Ergebnisse aus dem Verbundprojekt "Mensch und Wald", das über drei Jahre vom Bundesforschungsministerium (BMBF) gefördert wurde. Für die Analyse nutzten die Forscher/innen das Lebenswelt-Modell der sozialen Milieus des Instituts Sinus Sociovision Heidelberg. "Das Modell ermöglicht eine nach sozialem Status, Werten und Lebensstilen differenzierte Sicht auf die Einstellungen zu Wald, Forstwirtschaft und Holz", erläutert Peter Neitzke, der als Geschäftsführer des Hannoveraner Ecolog-Institutes zugleich Leiter des Forschungsverbundes war.
Der Wald als Ort der Ruhe und Idylle
Foto: Kathleen Rothe, Leipzig
Solange die Holzentnahme nicht zum Raubbau führt, haben vier Fünftel der Deutschen kein Problem damit, dass der Wald - der Ort der Ruhe - wirtschaftlich genutzt wird.
Foto: Hanne Gössl, Donaueschingen
Nach der Befragung von 3756 Personen stand für Kulturwissenschaftlerin Silke Kleinhückelkotten vom Ecolog-Institut
fest: "Das romantische Bild vom Wald, diese emotionale Nähe, ist nicht überall in der Gesellschaft so verhaftet wie
bisher angenommen." Die Studie räumt zudem mit den Klischees vom Waldbewusstsein der Deutschen auf. Wer dachte,
dass in dem Land, in dem Anfang der 1980er Jahre der Begriff des Waldsterbens geprägt wurde, das Wissen um ökologische
Funktionen des Waldes weit verbreitet ist, der irrt. Dass Bäume Sauerstoff liefern, Luft filtern oder Tier- und
Pflanzenarten beherbergen, ist nur einem Drittel der Befragten bekannt. Noch weniger geläufig ist die Rolle,
die der Wald für Wasserhaushalt, Klima und Bodenschutz hat. Weitgehend unbekannt ist, welche Arbeit der Förster
im Wald tatsächlich leistet: 78 Prozent der Befragten gaben an, nur wenig über die Forstwirtschaft zu wissen. "Die
Forstwirtschaft ist von der Lebenswelt der meisten Menschen weit weg", analysiert Kleinhückelkotten.
Allerdings dokumentieren die Forschungsergebnisse auch, dass die Forstwirtschaft keinen schlechten Ruf hat: In der
Person des Försters sehen fast 90 Prozent der Befragten den traditionellen Hüter des Waldes. Deutlich mehr als 80
Prozent haben kein Problem damit, den Wald wirtschaftlich zu nutzen. Voraussetzung: Es darf nicht mehr Holz entnommen
werden als nachwächst. Immerhin 69 Prozent attestieren der Forstwirtschaft, dass in den Wäldern heute ökologischer
als vor zehn Jahren gearbeitet wird. Nachvollziehbar wird damit das positive Image von Holz.
Die unterschiedlichen Einstellungen der sozialen Milieus stellen für alle, die das Thema Wald und Holz oder das Leitbild der nachhaltigen Waldwirtschaft bekannt machen wollen, eine Herausforderung dar. Denn: Wer soll eigentlich die Zielgruppe für die Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit sein? Das Problem: "Mit dem Standardprogramm wie Führungen, Ausstellungen oder Infomaterialien werden die immer gleichen Naturinteressierten, die Waldromantiker und die Waldfreunde, erreicht", stellt Neitzke fest.
Um erfolgreich in einer Landesforstverwaltung, einem Forstamt oder einer waldpädagogischen Einrichtung Bildungsarbeit zu leisten, ist deshalb eine Analyse nötig, welche Zielgruppen angesprochen werden sollen. Es kann durchaus ein Ziel sein, sich ausdrücklich an die gesellschaftlichen Leitmilieus zu wenden. Wesentlich ist es aber, dass für die jeweilige Zielgruppe geeignete Kommunikationskanäle genutzt werden. Kleinhückelkotten: "Die Angebote müssen den Erwartungen der Zielgruppen gerecht werden."
Wie schwierig ein konzeptionelles Vorgehen in der forstlichen Umweltkommunikation ist, zeigt der BMBF-Verbund "Waldwissen" der Universitäten Lüneburg und Freiburg. "Die forstliche Umweltbildung liegt in einem konfliktträchtigen Spannungsfeld", sagt Biologin Christine Katz, die das drei Jahre dauernde Projekt leitete. Auf der einen Seite wurde infolge der Forstreformen die Verwaltung umgebaut, Aufgaben gebündelt und Stellen verschoben. Langfristig, so prognostiziert Katz, sei eher von einer sukzessiven personellen Austrocknung auszugehen, da sich die waldbezogene Umweltbildungsarbeit betriebswirtschaftlich nicht rechne. Auf der anderen Seite mangelt es der waldbezogenen Umweltbildung an einer konsequenten organisatorischen Zuordnung in den Bundesländern. Schon häufen sich die Klagen: Vielen Umweltbildnern/innen werde über geringere Bezahlung, ungenügende Karrieremöglichkeiten, niedrigere Wertschätzung innerhalb des Forstapparats und mickrige Personalausstattung vermittelt, dass ihre Tätigkeit im Vergleich zu anderen weniger wert sei.
Eine Professionalisierung der forstlichen Umweltbildung tut deshalb Not. Was Forscherin Katz in der Diskussion aber vor allem vermisst, ist ein klares Bekenntnis der Politik. "Die Politik muss den gesellschaftlichen Auftrag des Forstes genauer benennen: Soll der Forst Öffentlichkeitsarbeit machen oder soll er moderne Bildungsarbeit im Sinne einer Bildung für nachhaltige Entwicklung leisten?" Die Frage bleibt unbeantwortet, noch. Die Wertschätzung der meisten Deutschen für den Wald dürfte die andauernde Diskussion aber nicht schmälern. Für 93 Prozent von ihnen gehören laut der oben zitierten Umfrage Wald und Natur zu einem guten Leben einfach dazu.
Die Forschungsverbünde "Mensch & Wald - Social Marketing und Bildung für eine nachhaltige Waldwirtschaft" sowie "Waldwissen - Waldwissen und Naturerfahrungewn auf dem Prüfstand" gehören als zwei von 25 Verbundprojekten zum Förderschwerpunkt "Nachhaltige Waldwirtschaft" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Das BMBF finanziert den Förderschwerpunkt im Zeitraum 2004 bis 2009 mit rund 30 Millionen Euro. Am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ ist die Wissenschaftliche Begleitung und Koordinierung des Förderschwerpunktes angesiedelt. Aufgabe der Wissenschaftlichen Begleitung ist es, auf nationaler und europäischer Ebene ein Netzwerk für Wissenschaft und Praxis zu schaffen und zu koordinieren; von hier aus wird auch die Öffentlichkeitsarbeit für den Förderschwerpunkt gesteuert. In seiner Gesamtheit befasst sich der Förderschwerpunkt vor allem mit drei Fragestellungen: Wie kann die Wertschöpfungskette Forst-Holz sowohl gewinnorientiert als auch ökologisch verträglich und sozial gerecht optimiert werden? Wie können Waldlandschaften so genutzt werden, dass die Lebensqualität der Menschen verbessert wird und gleichzeitig die Ressourcen langfristig gewährleistet sind? Wie sieht der Wald der Zukunft aus?
Weitere Informationen:
Daniela Weber
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Telefon: 0341-235-1791
daniela.weber@ufz.de
Dr. Silke Kleinhückelkotten
ECOLOG-Institut für sozial-ökologische Forschung und Bildung gGmbH
Nieschlagstr. 26, 30449 Hannover
Tel.: 0511-473915-13
silke.kleinhueckelkotten@ecolog-institut.de
oder
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Pressestelle
Tilo Arnhold
Telefon: (0341) 235 1269
presse@ufz.de
Links
Das vollständige Laborgespräch ist auf der Website des Förderschwerpunktes nachzulesen:
Das vollständige Laborgespräch....
BMBF-Förderschwerpunkt "Nachhaltige Waldwirtschaft":
www.nachhaltige-waldwirtschaft.de
Forschungsverbund "Mensch & Wald"
www.menschwald.de
Forschungsverbund "Waldwissen"
www.wa-gen.de
Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg 900 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.
Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie, Verkehr und Weltraum. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit 25.700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 15 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 2,3 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des großen Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894).