Details zur Publikation

Kategorie Textpublikation
Referenztyp Bücher
DOI 10.19217/skr679
Lizenz creative commons licence
Titel (primär) Streuobstbestände in Deutschland: Naturschutzfachliche Bedeutung, Bestandssituation und Handlungsempfehlungen
Autor Henle, K.; Hüttner, M.-L.; Kasperidus, H.D.; Krämer, J.; Rösler, M.; Bartelt, S.; Brümmer, A.; Clauß, B.; Clauß, J.; Délétroz, C.; Sattler, C.; Rumiantceva, N.; Scherfose, V.
Quelle BfN-Schriften
Erscheinungsjahr 2024
Department NSF
Band/Volume 679
Seite bis 155
Sprache deutsch
Topic T5 Future Landscapes
Abstract German Abstract:
Streuobstwiesen gehören in ihren unterschiedlichen Anbauformen zu den prägenden Elementen der mitteleuropäischen Kulturlandschaften. Als Folge der Technisierung und Intensivierung der Landwirtschaft im 20. Jahrhundert, dem Bauwesen, internationaler und ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch nationaler Konkurrenz durch den niederstämmigen Plantagenobstbau, entsprechend ausgerichteter Agrarpolitik sowie verändertem Verbraucherund Freizeitverhalten der Menschen wurden Streuobstwiesen zunehmend unwirtschaftlich und gerodet. Die verbleibenden Bestände wurden schlechter gepflegt. Ziel des Projektes „Streuobstbestände in Deutschland: naturschutzfachliche Bedeutung, Bestandssituation und Handlungserfordernisse“ war es, die aktuelle Situation der Streuobstbestände in Deutschland anhand von landes- und bundesweiten Daten übersichtsmäßig zusammenzutragen, mit 12 ausgewählten Modellgebieten zu vergleichen und zu bewerten. Weiterhin sollte eine Empfehlung für eine einheitliche Definition von Streuobstbeständen sowie eine Übersicht über die ökologische und naturschutzfachliche Bedeutung von Streuobstwiesen erarbeitet werden. Gefährdungsanalysen und daraus ableitbare Handlungserfordernisse sollten aus diesen Übersichten, Literaturanalysen und Befragungen abgeleitet werden. Die erarbeitete allgemeine Definition sowie eine Legaldefinition für den gesetzlichen Schutz sollen aus naturschutzfachlicher Sicht Streuobstbestände klar und umfassend definieren. Dazu wurden Definitionen aus der Literatur, den Gesetzestexten und Förderprogrammen der Länder sowie der Streuobst-Vermarktung genutzt. Streuobstflächen bieten viele Ökosystemleistungen an. Ihre primäre Versorgungsleistung in der mitteleuropäischen Kulturlandschaft besteht in der Jahrhunderte alten Bereitstellung von Obst. Das hohe Blühangebot der Streuobstbestände fungiert als indirekte Versorgungsleistung für die Honigherstellung und trägt zur Artenvielfalt der Streuobstbestände bei. Streuobstbestände weisen eine signifikant geringere Nährstoffauswaschung auf als von Äckern dominierte Landschaften und haben eine positive Wirkung auf den Wasserhaushalt. Sie sind attraktive Landschaften für Naherholung und Tourismus. Streuobstbestände gehören zu den arten- und sortenreichsten Kulturlandschaften und damit zu den Hot Spots der Biodiversität Europas nördlich der Alpen. Für Deutschland wird der Artenreichtum auf über 5000 Arten (ohne Pilzarten) geschätzt. Alleine in Sachsen-Anhalt wurden auf zehn Streuobstwiesen aktuell 3623 Arten nachgewiesen, davon auch 359 gefährdete Arten, in Rheinland-Pfalz schon vor rund 30 Jahren 2378 Arten in vier Streuobstgebieten. Das hohe Alter der Hochstamm-Obstbäume mit Totholz, Rindenstrukturen und Höhlenangeboten sowie das Blütenangebot des oft extensiv genutzten Grünlands ermöglichen diesen Artenreichtum. Auch die Größe der Streuobstwiesen und ihre Isolation beeinflussen die Artenzahl und/oder die Abundanz einzelner Arten. Ebenso wirkt sich die Landschaftsstruktur der Umgebung und die Art und Intensität der Unternutzung auf die Artenvielfalt aus. Dabei reagieren unterschiedliche Artengruppen und auch Arten innerhalb von Gruppen zum Teil gegensätzlich auf die genannten Faktoren, so dass wir ein heterogenes Management empfehlen, das sich an den Zielarten einer bestimmten Region orientiert. Sämtliche Artengruppen, die bisher in Streuobstflächen untersucht wurden, werden kurz besprochen. Arten, die besonders stark auf Streuobstwiesen angewiesen sind, stehen dabei im Fokus. Die Auswertung der deutschlandweiten Datensätze der Digitalen Landschaftsmodelle (DLM) und des Digitalen Landbedeckungsmodells für Deutschland (LBM) ergab erhebliche Unterschiede in den Streuobstbeständen zwischen den beiden Datensätzen. Außerdem wurden in einem von uns kartierten Modellgebiet (Rutesheim) viele Abweichungen der DLM- und LBMDaten von den realen Verhältnissen entdeckt. Verlässliche Schätzungen der Gesamtfläche von Streuobstbeständen in Deutschland waren daher auf deren Basis nicht möglich. Die anhand der Stichprobenflächen des HNV-Farmland-Monitoring auf ganz Deutschland extrapolierte Fläche liegt in ähnlicher Höhe wie die der DLM- und LBM-Daten, beziehen sich im Gegensatz zu den DLM- und LBM-Daten aber nur auf die Agrarlandschaft. Zwar liegen deutschlandweit relativ viele historische Erfassungen von Obstbäumen und Streuobstflächen vor, die mehr als 100 Jahre zurückreichen, allerdings sind diese für quantitative Trendanalysen aufgrund wechselnder Methodik nur sehr eingeschränkt geeignet. Lokale Untersuchungen implizieren einen leichten bis meistens sehr starken Rückgang von Streuobstbeständen seit den 1950er Jahren. Der qualitative Zustand wurde in den Modellgebieten generell als unzureichend eingeschätzt. Literaturanalysen und Befragungen zu den Hauptgefährdungen jenseits von Agrarpolitik und sonstigen politischen Rahmenbedingungen, Verbraucherverhalten sowie Freizeitverhalten identifizierten fehlende Pflege, Änderung der Flächennutzung (inklusive Überbauung und intensiv genutzte Freizeitgrundstücke), Klimaveränderungen und Krankheiten als die wichtigsten Gefährdungen. Außerdem stellt die fehlende betriebswirtschaftliche Rentabilität einen Hauptgrund für die Aufgabe von Streuobstbeständen dar. Aus den Analysen zum Status von Streuobstbeständen, deren ökologischer und naturschutzfachlicher Bedeutung und den Gefährdungen leitet sich umfangreicher Handlungsbedarf ab. Grundsätzlich braucht es für den Erhalt der Streuobstbestände in Deutschland und Europa einen umfassenden Ansatz. Dies bedeutet, dass man sowohl ökologische (Vielfalt, inklusive Obstsorten) als auch ökonomische (faire Preise und Kostenkalkulation) und soziale Aspekte (Kultur und regionale Tradition) bei allen Handlungen für die Förderung des Streuobstbaus bedenkt und die vielen natürlichen Synergien innerhalb des Streuobstbaus aktiv miteinbezieht. Wir beschreiben politisch-administrative Ansätze zur Stärkung des Streuobstbaus für die EU und auf nationaler Ebene und geben Empfehlungen zur wirtschaftlichen Stärkung des Streuobstbaus, für die Erhaltung und Neuschaffung von Beständen sowie für die regionale und kostendeckende Verwertung und Vermarktung von Streuobst. Wichtig ist hierbei insbesondere auch der Begriffsschutz für Streuobst. Schließlich geben wir Empfehlungen für die Öffentlichkeitsarbeit, für Aus- und Weiterbildung und leiten den Forschungsbedarf ab.  
English abstract:
Meadow orchards, in their various forms of cultivation, are among the defining elements of Central European cultural landscapes. Mechanization and intensification of agriculture and concomitantly international and from the second half of the 20th century also national competition from low-stem plantation fruit growing increased. This process, correspondingly aligned agricultural policy, the construction industry, and changed consumer and leisure behavior of the people resulted in meadow orchards becoming increasingly uneconomical. As a consequence, they were cleared and the remaining stocks were poorly cared for. The aim of the project "Orchard stocks in Germany: nature conservation significance, current status and action requirements" was to compile an overview of the current situation of traditional orchards in Germany using state and national data and to compare and evaluate them with 12 selected model areas. Furthermore, a recommendation for a uniform definition of “Streuobst” (fruits from traditional orchards) and an overview of the ecological and nature conservation importance of traditional orchards had to be developed. Threatening factors had to be identified and recommendations for actions that can be derived from them had to be designed based on these overviews, literature analyzes and surveys. The developed general definition as well as a definition for the legal protection should clearly and comprehensively define orchard stocks from a nature conservation point of view. For this purpose, definitions from the literature, legal texts, and funding programs of the federal states as well as the marketing of orchards were used. Orchards offer many ecosystem services. Their primary supply in the Central European cultural landscape is the centuries-old provision of fruit. The abundance of flowers in the orchards acts as an indirect supply for honey production and contributes to the high species numbers of orchards. Orchard stands show significantly less nutrient leaching than landscapes dominated by fields and have a positive effect on the water balance. They are attractive landscapes for local recreation and tourism. Orchards are among the most species- and variety-rich cultivated landscapes and thus one of the hot spots of biodiversity in Europe north of the Alps. For Germany, species richness is estimated at over 5000 species (not including fungal species). In Saxony-Anhalt alone, 3623 species have been identified on ten meadow orchards, including 359 endangered species. In four regions with orchard stands in Rhineland-Palatinate around 30 years ago, 2378 species were found. The high age of the high-stem fruit trees with dead wood, bark structures and cavities as well as the flowers of the often extensively used grassland make this species richness possible. The size of the orchards and their isolation also influence the number of species and/or the abundance of individual species. The landscape structure of the surrounding area and the type and intensity of understory use also affect biodiversity. Different species groups and also species within groups sometimes react in opposite ways to the factors mentioned. Therefore, we recommend a heterogeneous management oriented towards the target species in a specific region. All species groups that have been studied in traditional orchards so far are presented, with a focus on species that are particularly dependent on orchards. The evaluation of the Germany-wide data sets of the Digital Landscape Model (DLM) and the Digital Land Cover Model for Germany (LBM) revealed significant differences in the orchard stocks between the data sets. In addition, many deviations in the DLM and LBM data from the real conditions were discovered in a model area (Rutesheim) that we mapped. Therefore, reliable estimates of the total area of traditional orchards in Germany were not possible on the basis of these datasets. The area extrapolated from the survey plots of the HNV-farmlandmonitoring to the whole of Germany is at a similar level to that of the DLM and LBM data. In contrast to the DLM and LBM data, HNV data only refer to the agricultural landscape. Although there are relatively many historical records of fruit trees and orchards throughout Germany that go back more than 100 years, these are only suitable to a very limited extent for quantitative trend analyzes due to changing methods. Local studies imply a slight to mostly very strong decline in orchard stocks since the 1950s. The qualitative condition in the model areas was generally assessed as insufficient. Literature analyzes and surveys on the main threats beyond agricultural policy and other political framework conditions, consumer and leisure behavior identified lack of care, change in land use (including overbuilding and intensively used leisure properties), climate change and diseases as the most important threats. In addition, the lack of economic profitability is a main reason for the abandonment of orchards. An extensive need for action is derived from the analyzes of the status of orchards, their ecological and nature conservation significance and their threats. Basically, a comprehensive approach is needed to preserve traditional orchard stocks in Germany and Europe. This means that ecological (diversity, including types of fruit) as well as economic (fair prices and cost calculation) and social aspects (culture and regional tradition) have to be considered in all actions for the promotion of orchards and that the many natural synergies within orchards are actively included. We describe political-administrative approaches to strengthening traditional orchard cultivation at EU and national level. We give recommendations for the economic strengthening of traditional orchards, for the maintenance and creation of stocks as well as for the regional and cost-covering utilization and marketing of traditional orchard products. The protection of the term Streuobst for traditional orchards is particularly important here. Finally, we make recommendations for public relations, for training and further education and derive the needs for research.
dauerhafte UFZ-Verlinkung https://www.ufz.de/index.php?en=20939&ufzPublicationIdentifier=28817
Henle, K., Hüttner, M.-L., Kasperidus, H.D., Krämer, J., Rösler, M., Bartelt, S., Brümmer, A., Clauß, B., Clauß, J., Délétroz, C., Sattler, C., Rumiantceva, N., Scherfose, V. (2024):
Streuobstbestände in Deutschland: Naturschutzfachliche Bedeutung, Bestandssituation und Handlungsempfehlungen
BfN-Schriften 679
Bundesamt für Naturschutz (BfN), Bonn, 155 S. 10.19217/skr679