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Kategorie Textpublikation
Referenztyp Berichte
URL http://www.energy-trans.de/925_1454.php
Titel (primär) Kapazitätsmechanismen als Rettungsschirm der Energiewende? Zur Versorgungssicherheit bei hohen Anteilen fluktuierender erneuerbarer Energien im Stromsystem
Autor Reeg, M.; Brandt, R.; Gawel, E.; Heim, S.; Korte, K. ORCID logo ; Lehmann, P.; Massier, P.; Schober, D.; Wassermann, S.
Quelle Discussion Paper
Erscheinungsjahr 2015
Department OEKON
Band/Volume 1/2015
Seite bis 50
Sprache deutsch
Abstract

Die Frage, ob Liberalisierung und Energiewende die Schaffung eines Kapazitätsmarkts zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit notwendig machen, ist seit einigen Jahren Gegenstand kontroverser wissenschaftlicher und öffentlicher Debatten. Hintergrund hierbei ist zum einen, dass der Anteil der staatlich geförderten fluktuierenden erneuerbaren Energieträger Wind und Sonne an der Gesamtstromerzeugung kontinuierlich ansteigt, was sich negativ auf die Einsatzzeiten und Fahrweise einiger konventioneller Kraftwerke auswirkt und die Anforderungen an die Zusammensetzung und den Betrieb des konventionellen Kraftwerksparks grundlegend ändert. Zum anderen sind die Großhandelspreise an den Strombörsen in den letzten Jahren aus verschiedenen Gründen gesunken. Infolgedessen sehen sich die Betreiber fossiler Kraftwerke mit Wirtschaftlichkeitsproblemen konfrontiert, und es steht die Befürchtung von Kraftwerksstilllegungen und mangelnden Neuinvestitionen im Raum, wodurch die Versorgungssicherheit in Gefahr geraten könnte.

Als Reaktion auf diese Befürchtung hat sich sehr schnell eine Diskussion um Kapazitätsmechanismen als Absicherungsinstrument entsponnen. Diese sehen zusätzliche Zahlungen an Kraftwerksbetreiber für die Vorhaltung von gesicherten Stromerzeugungskapazitäten vor. Bislang erhalten Kraftwerksbetreiber explizite Vergütungen vorrangig für die eingespeiste elektrische Arbeit. Die Forderung nach solchen Zahlungen erscheint jedoch aus mehrerlei Gründen vorschnell. Einerseits ist bislang nur unzureichend untersucht, ob angesichts von Überkapazitäten und des weiteren Fortschreitens der Energiewende tatsächlich eine Knappheit an gesicherter Erzeugungskapazität in Deutschland zu erwarten ist. Andererseits blendet die Diskussion durch die Fokussierung auf Kapazitätsmechanismen die Frage aus, ob es nicht bessere Alternativen zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit gibt. An diesen beiden Punkten knüpft das vorliegende Papier an.

Zum einen wird analysiert, ob das derzeitige Marktdesign geeignet ist, auch zukünftig und unter den Vorzeichen der Energiewende Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Dabei wird deutlich, dass das Strommarktdesign in Deutschland hierzu theoretisch grundsätzlich in der Lage ist. Gleichwohl gibt es in der Praxis marktlich und staatlich getriebene Faktoren, die die Funktionalität des Marktes einschränken und auf diese Weise die Versorgungssicherheit gefährden könnten. Durch die Energiewende droht dabei die Verstärkung bzw. Beschleunigung einiger dieser Faktoren.

Zum anderen wird untersucht, ob Kapazitätsmechanismen ein adäquates Mittel sind, dieser Versorgungssicherheitsproblematik entgegenzuwirken. Hierzu werden Kapazitätsmechanismen auch mit möglichen instrumentellen Alternativen verglichen. Zu diesen zählen insbesondere Maßnahmen zur Ertüchtigung des derzeitigen Marktdesigns, sowohl im Großhandel als auch im Regelleistungsmarkt, die Anpassung der Energiewendeinstrumente sowie weitere systemische Maßnahmen, welche direkt bei Stromnetzen, Stromspeichern und Nachfragemanagement ansetzen. Die in der Debatte vorgeschlagenen Kapazitätsmechanismen sowie die instrumentellen Alternativen werden dazu einer ganzheitlichen, multikriteriellen Bewertung unterzogen. Die klassische ökonomische Perspektive wird dazu um institutionenökonomische Aspekte, etwa die Transaktionskosteneffizienz und die adaptive Effizienz, erweitert. Zudem fokussiert die Bewertung nicht allein auf eine effiziente Sicherstellung der Versorgungssicherheit, sondern berücksichtigt auch die Umwelt und Sozialverträglichkeit der Maßnahmen. Daraus ergeben sich wesentlich komplexere Anforderungen an energiepolitische Maßnahmen als die bloße Sicherstellung der Versorgungssicherheit zu möglichst geringen Kosten.

Auf Basis dieser Bewertung kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass derzeit von schwer revidierbare Maßnahmen wie einem Kapazitätsmarkt abzuraten ist und stattdessen ein Instrumentenmix der vorgeschlagenen Alternativen Anwendung finden sollte, um Versorgungssicherheit auch zukünftig sicherzustellen. Ein solches Maßnahmenportfolio kann einerseits helfen, die diversen Ursachen möglicher Kapazitätsengpässe gezielter und kostengünstiger anzugehen. Andererseits wird es der hohen Komplexität und den vielfältigen Unsicherheiten, die mit der Energiewende verbunden sind, besser gerecht, da die einzelnen Maßnahmen einfacher an sich ändernde Rahmenbedingungen anzupassen sind.

Trotz erheblicher wissenschaftlicher Bedenken an der Notwendigkeit und Eignung eines Kapazitätsmechanismus ist zu beobachten, dass diese Thematik im bisherigen Politikformulierungsprozess sehr prominent auf der politischen Agenda platziert werden konnte und politische Vorfestlegungen auf eine Einführung stattgefunden haben. Das Papier liefert abschließend mithilfe politökonomischer sowie marktsoziologischer Ansätze Erklärungen hierfür und fordert einen transparenten und ergebnisoffenen Diskussionsprozess über das „Ob“ und „Wie“ kapazitätssichernder Maßnahmen unter Einbezug aller betroffenen Akteure.

dauerhafte UFZ-Verlinkung https://www.ufz.de/index.php?en=20939&ufzPublicationIdentifier=15772
Reeg, M., Brandt, R., Gawel, E., Heim, S., Korte, K., Lehmann, P., Massier, P., Schober, D., Wassermann, S. (2015):
Kapazitätsmechanismen als Rettungsschirm der Energiewende? Zur Versorgungssicherheit bei hohen Anteilen fluktuierender erneuerbarer Energien im Stromsystem
Discussion Paper 1/2015
Helmholtz-Allianz ENERGY- TRANS, 50 S.