Langfristig ist die Energiewende nicht aufzuhalten

Interview mit Prof.Claudia Kemfert


Seit dem Ausstieg Donald Trumps aus dem Pariser Klimaabkommen hat die Diskussion um den Klimaschutz international wie national eine neue Dynamik erfasst. Die Ökonomin Prof. Claudia Kemfert zählt zu den profiliertesten Verfechtern einer Energiewende hin zu erneuerbaren Ressourcen. Anlässlich ihres Vortrages zur Helmholtz Environmental Lecture am UFZ sprach sie mit der UmweltPerspektiven-Redaktion über die Aufgaben, vor denen Politik, Wissenschaft und Gesellschaft stehen, um einer klugen Energiewende zum Durchbruch zu verhelfen und aktuelle Hemmnisse.

Claudia Kemfert Prof. Claudia Kemfert, Foto: André Künzelmann

Frau Kemfert, bis 2050 soll in Deutschland 80 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen kommen. Diese entwickeln sich sehr dynamisch. Kann das Ziel deshalb noch nennenswert verfehlt werden?

Claudia Kemfert: Wenn die jetzige Politik den Zubau weiter so stark drosselt, ist das Ziel tatsächlich in Gefahr. Denn die Politik gibt mittels Ausschreibungen maximale Ausbaumengen vor. Man darf sich auch nicht nur auf den Strom konzentrieren, sondern es geht auch um die so genannte Sektorkopplung. Das heißt, wir brauchen auch erneuerbare Energien in den Sektoren Gebäudeenergie und Verkehr. Dort hat man noch nicht angefangen, die erneuerbaren Energien in dem erforderlichen Maße auszubauen.

Die Energiewende hat im Stromsektor bislang zu keinem nennenswerten Rückgang der Kohleverbrennung geführt. Immer stärker wird nun daher auch ein Kohleausstieg gefordert. Wie kann der gelingen?

Claudia Kemfert: Der Kohleausstieg muss jetzt so schnell wie möglich eingeleitet werden. Was nicht bedeutet, dass man alle Kohlekraftwerke sofort abschaltet, sondern einen Abschaltungsplan erarbeitet, der sich am Klimaziel und den vereinbarten Emissionsminderungen orientiert. Dieser muss zum Ziel haben, bis spätestens 2030 das letzte Kohlekraftwerk vom Netz zu nehmen. Wichtig ist, dass man diesen Kohleausstieg gemeinsam plant, wie man es beim Atomausstieg gemacht hat. Allerdings: Der CO2-Preis gibt hier nicht ausreichende klimapolitische Signale. Das muss jetzt gemeinsam im Rahmen der Kohlekommission mit der Bundespolitik, der Landespolitik, den Gewerkschaften und auch anderen gesellschaftlichen Gruppen besprochen und erarbeitet werden. Es müssen politische Zielvereinbarungen und Gesetzestexte überarbeitet oder eingeführt werden, so dass man dann am Ende tatsächlich einen Kohleausstieg hinbekommt. Dies bedarf regulatorischer Maßnahmen. Ein CO2-Preis allein, wie manche Ökonomen fordern, wird kaum ausreichen, da die Politik sich kaum auf einen ausreichend hohen CO2-Preis – von mindestens 40 bis 60 Euro pro Tonne CO2 – wird einigen können.

In Ihrem neusten Buch warnen Sie vor einem Angriff des „fossilen Imperiums“ auf die Energiewende. Ist das nicht übertrieben?

Claudia Kemfert: Überhaupt nicht, wenn man betrachtet, dass Donald Trump mit großem Getöse aus dem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen ist und eine Politik rein für die fossilen Industrien betreibt. In der Tat ist es so, dass seit über einem Jahrzehnt mit dem zunehmenden Erfolg der Klimapolitik und erneuerbaren Energien eine Gegenbewegung zum Ziel hat, die Vergangenheit möglichst lange zu konservieren. Die Kosten der Erneuerbaren sinken massiv, mehr Investitionen fließen weltweit Jahr für Jahr in die erneuerbaren Energien, die fossilen Energien verlieren Marktanteile und Bedeutung. Kohle- und Atomindustrie tun alles, um die Energiewende aufzuhalten, den Klimaschutz zu stoppen oder zu verlangsamen. Und sie haben aktuell ihren prominentesten Handlanger in der US-amerikanischen Politik gefunden. Aber man sieht es auch in Deutschland, wo man plötzlich eine Ausbaubremse für erneuerbare Energien eingeführt hat, man für „Kohle-Abwrackpämien“ und überdimensionierte Stromnetze bezahlen muss. Weil der Klimaschutz so erfolgreich ist, wird er auch in Zukunft die Gegner auf den Plan rufen.

Steht der Klimaschutz für Sie auf der Kippe?

Claudia Kemfert: Ich denke, langfristig ist die Energiewende nicht aufzuhalten. Man muss aber vor Überheblichkeit warnen, weil kurzfristig diese Störmanöver zumindest Verzögerungen auslösen. Dies kann man derzeit sehr gut in den USA beobachten. Andere Länder halten zwar noch an den Klimaschutzvereinbarungen fest. Aber diese Verzögerungen sind genau dazu da, um der Energiewende Steine in den Weg zu legen. Ich vermute, dass dieses Störfeuer noch zunehmen wird.

Welches Szenario sehen Sie in den nächsten Monaten und Jahren als wahrscheinlich an?

Claudia Kemfert:Trumps Klimapolitik wird kurzfristig sehr isoliert sein. Andere wie die G6 haben ja schnell deutlich gemacht, dass sie eng zusammenstehen wollen. Der Großteil der Staaten geht also weiter in Richtung Klimaschutz. Vermutlich wird es durchaus mehr Stimmen ähnlich wie die von Donald Trump geben, die so wie er argumentieren und versuchen werden, den Klimaschutz zu behindern. Aber es gibt auch gegenteilige Bewegungen: Viele Städte, Kommunen oder auch Regionen, die sich nach dem Motto „jetzt erst recht“ dem Klimaschutz verschreiben. Nach der Trump-Ankündigung hat Kalifornien beispielsweise die Klimaschutzziele sogar noch verschärft. Auch die Stadt Pittsburgh hat sich den anderen 200 Großstädten angeschlossen, die Klimaschutz und eine nachhaltige Energiewende konsequent umsetzen.

Selbst in den USA hat man aber erkannt, dass die Kohle keine Zukunft hat!

Claudia Kemfert: Wenn Donald Trump diese alte Kohle- und Schwerindustrie samt Arbeitsplätzen erhalten will, wird er massive Subventionen zahlen müssen, weil die einfach nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Die jüngsten großen Ausschreibungen haben alle die erneuerbare Energien gewonnen. Diese Bewegung wird Herr Trump auch nur sehr schwer aufhalten können. Dennoch kann er Störmanöver fahren und den ganzen Prozess des Ausbaus massiv behindern.

Schauen wir nach Deutschland. Sind der grüne Anstrich und die grünen Themen im Marketing der deutschen Stromkonzerne nur Potemkinsche Dörfer?

Claudia Kemfert: Die Geschäftsmodelle der großen Energieversorgungsunternehmen funktionieren nicht mehr. Das wird ja schon daran erkennbar, dass sie aufgrund eines rückwärtsgewandten Managements erhebliche finanzielle Probleme bekommen haben. Insofern war es ein folgerichtiger Schritt, dass sieversuchen, ihre Geschäftsmodelle zu verändern. Nur kommt das sehr spät und sehr zögerlich. In der Zukunft sind neue Geschäftsmodelle gefragt, die dezentral und flexibel, intelligent und kleinteiliger sind. Da braucht man die behäbigen Großkonzerne sowieso nicht mehr. Zukünftig sind smarte Lösungen gefragt, nicht alte fossile Strukturen.

Ein wichtiger Kritikpunkt an der Energiewende sind die Kosten. Bis zu zwei Billionen Euro könnten dafür bis zum Jahr 2050 anfallen, haben Wissenschaftler kürzlich berechnet. Das ist eine Summe, die auch der Wiedervereinigung zugeschrieben wird. Wie kann das finanziert werden?

Claudia Kemfert: Auch ohne Energiewende muss in den Umbau des Kraftwerksparks investiert werden, zudem zahlen wir noch immer große Mengen an fossilen Subventionen und haben auch den Bau von Atomkraftwerken finanziell gefördert. Wenn man die Kosten der Atomenergie und des Klimawandels und der fossilen Energien fair mitberücksichtigen würde, ist die Energiewende geradezu billig zu haben. In der Tat sind Investitionen für den Umbau hin zu mehr erneuerbare Energien, smart grids und künftig mehr Speicher notwendig, die wiederum aber zu technologischen Innovationen, Wettbewerbsvorteilen, Wertschöpfung und Arbeitsplätzen führen werden. Daher sind die kurz- und langfristig verlässlichen Rahmenbedingungen für die Investoren so wichtig. Dazu gehören verbindliche Klimaziele sowie finanzielle Anreize für Investitionen.

Schon jetzt werden Mehrkosten zum großen Teil auf die Bürger umgelegt. Für die Industrie gibt es dagegen immer wieder vermeintlich großzügige Ausnahmen. Stimmt dieses Bild?

Claudia Kemfert: Es stimmt, dass die Verbraucher indirekt die Industrie subventionieren, weil es sehr viele Ausnahmen gibt – und dort die Lobby offensichtlich viel größer ist als bei den Privathaushalten. Dieser Umverteilungsmechanismus der EEG-Umlage ist politisch so gewollt: Privathaushalte sollen stärker belastet werden, Industrie entlastet werden. Solange man das so beibehält, wird man immer wieder die erneuerbaren Energien als Sündenbock benutzen, um völlig überhöhte Strompreise zu verlangen und um dann zu behaupten, die Energiewende sei teuer. Man jubelt aber den Verbrauchern gleichzeitig Kohleabwrackprämien und Kosten für überdimensionierte Netze unter, ohne das zu benennen. Und das macht es dann sehr viel teurer, als es ursprünglich mal gedacht war oder sein müsste.

Woher kommt die Diskrepanz, dass zwar die meisten Deutschen für die Energiewende sind, aber bei konkreten Maßnahmen vor der eigenen Haustür dagegen protestieren?

Claudia Kemfert: Es gibt sicherlich bestimmte Vorbehalte gegen überdimensionierte Netzausbauten oder in manchen Gegenden, wo der Landschaftsschutz tatsächlich eine große Rolle einnimmt. Vorbehalte sollte man auch grundsätzlich ernst nehmen. Allerdings ist es so, dass den Bürgern auch regelrecht eingeredet wird, dass die Energiewende schlecht und teuer sei, dass sie jede Menge Nachteile mit sich bringe. Es gibt Kampagnen gegen die Energiewende. Und Naturschützer, die sich plötzlich so nennen, weil sie vermeintliche Argumente gegen die Energiewende ins Feld führen. Wenn man genauer hinschaut, sind es oft gar keine Naturschützer, sondern bezahlte Lobbyisten. Man muss sehr viel genauer hinschauen und die Bürger warnen. Die Mythen und Gespensterdebatten werden wie Graffitis an die Wände der Stadt gesprüht, und man schenkt ihnen immer mehr Glauben. Die Kampagnen der Energiewendegegner sind enorm erfolgreich.

Es gibt ja zahlreiche Kommunen und Regionen, die sich Ziele gesetzt haben, 100 Prozent erneuerbare Energien zu erreichen, manche haben es sogar schon geschafft. Nur leider wird darüber seltener berichtet als über die negativen Stimmen.

Wie kann man dagegen angehen?

Claudia Kemfert: Da sind wir alle gefordert: Wissenschaftler, die Fakten öffentlich machen müssen. Die Kosten einer Nicht-Energiewende sind ungleich höher, da atomarer Müll und Klima-, Gesundheits- und Umweltkosten durch fossile Energien enorme Belastungen verursachen. Bürger sind gefordert, Informationen zu hinterfragen und für die Energiewende zu kämpfen. Auch Unternehmen müssen sich deutlicher für die Energiewende einsetzen. Und natürlich die Politik, die Gespensterdebatten entlarven muss und nicht einseitig Politik für die fossile Industrie und Atomunternehmen machen darf. Jeder kann jede Menge tun!

Haben Sie manchmal Angst, dass die gewinnen, die uns erzählen, der Himmel sei grün?

Claudia Kemfert: Dass die gewinnen können, sieht man derzeit an Donald Trump. Er trifft ja seine Entscheidungen wie etwa zum Ausstieg aus dem Pariser Abkommen auf Grundlage von Studien, von denen belegt ist, dass sie nicht wissenschaftlich fundiert sind. Die hat er per Internet den Leuten im Wahlkampf zugänglich gemacht, sie befeuert. Und er hat die Wahl trotzdem gewonnen. Er ist seit mehr als einem Jahr der Präsident der USA. Trump hat damit derzeit eine große Macht über unseren Planeten. Das ist schon besorgniserregend.

Dieses Beispiel kann leider Schule machen. Ich hoffe nicht in Deutschland. Aber zumindest gibt es in vielen anderen Ländern Tendenzen, wo Populisten Debatten führen und manchmal gewinnen, wenn sie den Menschen erzählen, der Himmel sei grün. Es gibt da einen Abnutzungseffekt, es wird den Menschen zunehmend egal – und da muss die Wissenschaft laut werden und eben sagen, der Himmel ist nicht grün.
Die Wissenschaft ist gefordert, das an Erkenntnissen stärker in die Gesellschaft einzubringen, was die Gesellschaft wie schon seit der Aufklärung vorwärtsbringt. Es war in der Vergangenheit selbstverständlich, dass das immer so geht. Jetzt kommt eine Zeit, in der man merkt, dass das nicht automatisch der Fall ist. Die Wissenschaft ist hier sehr gefordert, eine aktive Rolle einzunehmen.

 Prof. Claudia Kemfert

Prof. Claudia Kemfert, geboren 1968 in Delmenhorst, leitet die Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und ist zugleich Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance in Berlin. Claudia Kemfert studierte Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Bielefeld und Oldenburg. Dort schloss sie 1998 ihre Promotion ab. Danach lehrte sie an der Universität Stuttgart, als Gastprofessorin auch an den Universitäten von St. Petersburg, Moskau und Siena. 2004 bis 2009 war sie Professorin für Umweltökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2016 ist Claudia Kemfert im Sachverständigenrat für Umweltfragen tätig. Zudem ist sie Gutachterin des Weltklimarates IPCC.