Deutschland braucht eine Pestizid-Abgabe

Ein Standpunkt des UFZ-Umweltökonom Prof. Dr. Erik Gawel

Erik Gawel Prof. Dr. Erik Gawel, Foto: Sebastian Wiedling


Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (PSM) birgt neben den erwünschten Wirkungen zahlreiche Risiken für die Umwelt und die menschliche Gesundheit. Während in Deutschland der Absatz von PSM in den vergangenen Jahren weiter gestiegen ist, nimmt die Biodiversität in der Agrarlandschaft besorgniserregend ab. Pestizide beeinträchtigen die Artenvielfalt an Land und in Gewässern, sie reichern sich im Boden an, lassen sich zum Teil in Lebensmitteln und im Trinkwasser nachweisen und wirken beim Menschen unter Umständen hormonell oder zellschädigend. In Europa sind rund 30 Prozent der Gewässer in einem ökologisch schlechten Zustand – auch aufgrund eines zu hohen Pestizideinsatzes. Es besteht also Handlungsbedarf. Die Bundesregierung hatte sich in der Biodiversitätsstrategie im Jahr 2007 das politische Ziel gesetzt, bis 2015 den Eintrag von PSM in Böden und Gewässer signifikant zu reduzieren. Dies gelang jedoch nicht. Aufgrund der EU-Pestizidrahmen-Richtlinie formulierte die Bundesregierung im „Nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln“ im Jahr 2014 konkretere Ziele. Unter anderem sollen die Risiken der PSM-Anwendung für den Naturhaushalt bis zum Jahre 2023 um 30 Prozent reduziert und die Risiken für Verbraucher, Anwender und Anwohner weiter minimiert werden. Bislang ist davon freilich wenig erkennbar.

Dass trotz dieser Ziele und rechtlichen Vorgaben in Deutschland weiterhin ein Einsatz von PSM auf hohem Niveau erfolgt, offenbart die Schwächen des bisherigen Instrumenteneinsatzes aus kontrollierendem Ordnungsrecht und Fördermaßnahmen, etwa zugunsten des ökologischen Landbaus. Oft sind es ganz praktische Probleme der Kontrolle, da PSM von fast 300.000 Landwirten auf 17 Mio. Hektar Landwirtschaftsfläche sowie auch auf Forstflächen, in Haus- und Kleingärten, auf Bahntrassen und kommunalen Flächen eingesetzt werden. Die Kontrollquote bei den anwendenden land- und forstwirtschaftlichen Betrieben liegt bei beklagenswert niedrigen 1,8 Prozent.

Deutschland sollte daher dem Beispiel anderer EU-Länder folgen und eine ergänzende Abgabe auf Pflanzenschutzmittel einführen. In der EU erheben bereits Dänemark, Schweden und Frankreich eine besondere Steuer oder Abgabe auf PSM. Außerhalb der EU besteuert Norwegen seit 1998 Pestizide.

Ökonomisch ist eine solche Abgabe in besonderer Weise angezeigt, denn es gilt der Grundsatz: Wer zum eigenen Vorteil anderen wie etwa der Allgemeinheit Lasten auferlegt, die nicht bereits in Marktpreisen abgebildet sind, sollte diese externen Lasten selbst auferlegt bekommen. Der europäische Gesetzgeber spricht hier in Artikel 9 der EU-Wasserrahmenrichtlinie von „Umwelt- und Ressourcenkosten“. Es sind dies die bislang in Marktpreisen nicht abgegoltenen Folgekosten des Pestizideinsatzes für Mensch und Umwelt – Kosten, die bislang kein Pestizid-Anwender übernehmen muss. Die Verantwortung für derartige Folgelasten vom Verursacher tragen zu lassen, ist nicht nur ein Gebot der Gerechtigkeit, sondern auch ein Gebot der Effizienz. Denn seine Beachtung trägt gerade dazu bei, dass die PSM-Anwender „informierte“ Entscheidungen treffen, nämlich unter Berücksichtigung aller Nutzen und Kosten, die ihr Einsatz für die Gesellschaft bedeuten.

Pflanzenschutzmittel erhalten so ihren „wahren“ Preis, und auch Agrarprodukte unterscheiden sich preislich danach, ob sie unter Pestizideinsatz zustande gekommen sind oder nicht. Ganz nebenbei kann so der ökologische Landbau den Vorteil umweltfreundlicher Produktion endlich auch im Preis ausdrücken.

Eine an den Risiken von PSM ausgerichtete Abgabe wird dazu beitragen, den Einsatz von Pestiziden von den Anwendern kritisch überprüfen zu lassen, auf weniger schädliche Wirkstoffe umzusteigen oder in Informationen zu investieren, was beim Einsatz wirklich erforderlich ist. Zahlreiche Studien belegen, dass der Pestizideinsatz auch ohne nennenswerte Ertragseinbußen zum Teil erheblich reduziert werden kann. Genau dieses Potenzial sollte marktlich gehoben werden, indem Anwender ein ökonomisches Interesse daran erhalten, diese Möglichkeiten auszuloten.

Eine Abgabe trägt so wirksam zu einer Minderung der PSM-Belastung bei – und zwar auf kosteneffiziente und marktwirtschaftliche Weise sowie mit vergleichsweise geringen Vollzugskosten. Gleichzeitig beteiligt die Abgabe die Verursacher an den durch sie veranlassten sozialen Kosten. Und sie unterstützt über Lenkungsimpulse direkt sowie zusätzlich über die Mittelverwendung die Erreichung der europäischen Vorgaben und nationalen Ziele. Zusätzlich bringt sie Finanzmittel auf, die für weitere Maßnahmen (zum Beispiel Blührandstreifen) eingesetzt werden können. Und im Gegensatz zu harten Zulassungs- beziehungsweise Verbotsentscheidungen (Stichwort Glyphosat) bleibt eine Abgabe das mildere Mittel der Vorsorge, denn sie schreibt niemandem vor, was zu tun oder zu lassen ist – nur die Folgen des eigenen Handelns erhalten jenen Preis, der ökonomisch und ökologisch die Wahrheit sagt. Das ist nicht zu viel verlangt.

Die erwartbar beklagte Überforderung der Landwirtschaft ist aber nicht zu erkennen: Ausgaben für Pestizide machen weniger als zehn Prozent der Produktionsaufwendungen aus. Optimieren Nutzer den PSM-Einsatz, lässt sich die Abgabe sogar ohne nennenswerte Ertragseinbußen teilweise umgehen. Und sollte bei bestimmten Kulturen tatsächlich eine so spürbare Belastung eintreten, die die Wirtschaftlichkeit grundsätzlich gefährdet, lässt sich aus dem Abgabenaufkommen eine anreizneutrale Kompensation organisieren. Eine Pestizid-Abgabe mutet verantwortliche Anpassungsentscheidungen zu, keine Betriebsaufgaben.

Die Pflanzenschutzmittelpolitik braucht dringend neue Impulse, um endlich ihre selbstgesteckten Ziele zu erreichen. Eine Pestizid-Abgabe für Deutschland ist dafür das richtige Instrument. Dies belegt eine vom UFZ bereits 2015 vorgelegte Machbarkeitsstudie für eine solche Abgabe. Der Gesetzgeber muss nur noch zugreifen.

Prof. Dr. Erik Gawel

Der Umweltökonom leitet das UFZ-Department Ökonomie und ist Direktor des Instituts für Infrastruktur und Ressourcenmanagement der Universität Leipzig. Dort hat er den Lehrstuhl für VWL, insbesondere Institutionenökonomische Umweltforschung, inne. Er ist unter anderem Mitglied der European Academy of Sciences and Arts sowie des Ausschusses für Umwelt- und Ressourcenökonomie der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaft. Neben dem Juristen Stefan Möckel, den Ökotoxikologen Matthias Liess und Saskia Knillmann, dem Biotechnologen Matthias Kästner und dem Ökonom Wolfgang Brettschneider hat Erik Gawel eine Machbarkeitsstudie zur Einführung einer Steuer mitverfasst, die den Einsatz von Pestiziden reglementieren soll.