Standpunkt vom 18. Dezember 2008

Die Pendlerpauschale und der Umweltschutz

von Wolfgang Köck*

Am 9. Dezember 2008 hat das BVerfG entschieden, dass die Reform der sog. "Pendlerpauschale" durch das Steueränderungsgesetz aus dem Jahre 2007 mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist und dass der Gesetzgeber § 9 Abs. 2 S. 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) rückwirkend verfassungsgemäß umzugestalten hat. In Politik und Gesellschaft ist dieses Urteil größtenteils mit Freude und Genugtuung aufgenommen worden. Selbst in Kreisen der Großen Koalition, die vor gar nicht langer Zeit beschlossen hatte, zu Zwecken der Haushaltsentlastung die Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte und für Familienheimfahrten nicht mehr als Werbungskosten anzuerkennen, und zur Begegnung von Härten erst ab dem 21. Entfernungskilometer für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale von 0,30 € zu gewähren, überwogen zustimmende Kommentare.

Prof. Wolfgang Köck, UFZ

Prof. Dr. Wolfgang Köck leitet seit 2004 das Department Umwelt- und Planungsrecht am UFZ in Leipzig, lehrt Umwelt- und Planungsrecht an der Universität Leipzig und ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Umwelt- und Planungsrecht der Juristenfakultät der Universität Leipzig.
Foto: André Künzelmann/UFZ

Bundeswirtschaftsminister Glos sprach vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Rezession von einem "ersten steuerlichen Konjunkturimpuls", da für die Jahre 2007 bis 2009 mit Rückzahlungen von 7,5 Mrd. € zu rechnen sei. Ähnlich äußerten sich Bundeskanzlerin Merkel und Bundesaußenminister Steinmeier. Der ehemalige CSU-Chef Huber, der seinen Wahlkampf maßgeblich mit der vermeintlichen Gerechtigkeitslücke der kupierten Entfernungspauschale bestritten hatte, sah sich bestätigt in seinem "Kampf für die Arbeitnehmer und fleißigen Menschen". Jubel auch beim ADAC: "Die Pendler in Deutschland können aufatmen". Die "30-Cent-Republik" (DER SPIEGEL) ist zunächst wiederhergestellt - vom ersten Kilometer an. Eine Sorge weniger für die Automobilindustrie, aber eine Sorge mehr für die Umwelt.

Wer das Karlsruher Urteil durch die Brille seiner Umweltauswirkungen sieht, kommt nicht umhin, festzustellen, dass der 9. Dezember 2008 kein guter Tag für den Umweltschutz gewesen ist. Das Steueränderungsgesetz 2007 war gewiss, wie der ehemalige Bundesumweltminister Trittin es ausdrückte, "Murks", weil die Durchbrechung des Nettoprinzips einzig mit vermehrter staatlicher Einnahmeerzielung begründet und Härtelagen nicht systemgerecht erarbeitet, sondern willkürlich festgelegt worden sind, aber für den Umweltschutz war das Steueränderungsgesetz 2007 ein Schritt in die richtige Richtung. Denn wer erst vom 21. Kilometer an Fahrtaufwendungen wie Werbungskosten ansetzen darf (nach den Zahlen der Bundesregierung legen nur 17% der Pendler eine Wegstrecke von mehr als 26 km zu ihrer Arbeitsstätte zurück), muss sich überlegen, ob es sich weiterhin lohnt, in die sog. "Speckgürtel" der Städte zu ziehen und damit die Zersiedelung voranzutreiben. Wie Heuschrecken haben sich die Neusiedlungen am Stadtrand immer weiter in die Landschaft gefressen. Für viele Städte bedeuten diese "Speckgürtel", dass die innerstädtische Infrastruktur der umweltbezogenen Daseinsvorsorge zunehmend nicht mehr ausgelastet wird, dass teure Infrastrukturen nach außen gebaut werden müssen, dass Verkehre ansteigen, dass die Häuser an den Einfallstraßen in die Städte wegen zunehmender Umweltbelastungen gemieden werden und dass eine Politik der kompakten Stadt, die sich um Revitalisierung ihrer Brachen bemüht, auf der Stelle tritt, weil diese Flächen nicht zuletzt auch wegen der Subventionierung der Fahrtwege ökonomisch nicht mit dem Außenbereich konkurrieren können.

All diese ökologischen, ökonomischen und sozialen Verwerfungen sind der Politik bekannt und haben die Bundesregierung schon Anfang des Jahrtausends - und bekräftigend zu Beginn der Großen Koalition - dazu veranlasst, das Nachhaltigkeitsziel zu formulieren, den Flächenneuverbrauch für Siedlung und Verkehr bis zum Jahre 2020 von ca. 120 ha/d auf 30 ha/d zu reduzieren. Zur Zielerreichung getan wurde allerdings bisher wenig, sieht man von der Einführung des "Bebauungsplans der Innenentwicklung" (§ 13a BauGB) ab, der Verfahrenserleichterungen vorsieht, damit aber allenfalls Mitnahmeeffekte erzeugt und keinesfalls der Überplanung des Außenbereichs wirksam begegnen kann.

Das Steueränderungsgesetz 2007 konnte vor diesem Hintergrund als erster effektiver Schritt zur Umsetzung des Ziels 30 ha. verstanden werden, als eine globalsteuernde Grundvoraussetzung dafür, dass planungsrechtliche Initiativen zur Senkung der Flächenverbrauchsrate überhaupt mit Aussicht auf Erfolg betrieben werden können, weil keine Planung sich dauerhaft gegen gegenteilige Anreize behaupten kann (dazu näher: Köck et.al., Effktivierung des raumbezogenen Planungsrechts zur Reduzierung der Flächeninanspruchnahme, UBA-Berichte 1/07). Bei dieser Einschätzung stört es wenig, dass dem Steueränderungsgesetz 2007 ganz andere Motive zugrunde lagen. Reale Umweltpolitik ist eben zumeist ein unbeabsichtigtes Nebenprodukt konventioneller Politik und Gesetzgebung (McNeill, Blue Planet. Die Geschichte der Umwelt im 20. Jahrhundert, 2000, S. 374).

Vorwerfen konnte man dem Steueränderungsgesetz 2007 aus einem umweltpolitischen Blickwinkel allenfalls, dass es das sogenannte "Werkstorprinzip" nicht konsequent umgesetzt hatte, dass es letztlich die Fernpendler immer noch belohnt hat und diejenigen, die ökologisch korrekt (und in der Regel teurer) in der Nähe ihrer Arbeitsstätte und damit zumeist in den Städten wohnen, leer ausgehen ließ. Bei genauerem Hinsehen ist das Gesetz dann auch gerade an dieser Widersprüchlichkeit und Inkonsequenz gescheitert; denn das BVerfG hat zwar entschieden, dass § 9 Abs. 2 S. 1 und 2 EStG verfassungswidrig sind, es hat aber nicht entschieden, dass die sogenannte "Pendlerpauschale" ein unantastbares Menschenrecht sei. Das Gericht hat im Gegenteil deutlich gemacht, dass der Wohnort eines Arbeitnehmers auch privat veranlasst ist und dass folglich die Aufwendungen für die Fahrten von der Wohnung zur Arbeitsstätte nicht ausschließlich beruflich bedingt sein können (Urteil v. 9.12.2008, Rn. 72 ff.). Ausdrücklich wird dem Gesetzgeber für die nun fällige Neugestaltung bestätigt, dass er berechtigt ist, "im Interesse eines praktikablen Gesetzesvollzugs mit generalisierenden, typisierenden und pauschalierenden Regelungen die `typische’ private Mitveranlassung von Wegekosten bei der Bestimmung abzugsfähigen Aufwands zu berücksichtigen und solche Regelungen unter verkehrs-, siedlungs- und umweltpolitischen Aspekten auszugestalten" (Urteil, Rn. 75). Und an anderer Stelle im Urteil heißt es unmissverständlich, dass der Steuergesetzgeber "grundsätzlich nicht gehindert (ist), außerfiskalische Förderungs- und Lenkungsziele aus Gründen des Gemeinwohls zu verfolgen" (Urteil, Rn. 59). Der Gesetzgeber hat daher auch nach dem Urteil des BVerfG Möglichkeiten, die Pendlerpauschale abzuschaffen, weil dafür wichtige Gründe des Gemeinwohls, insbesondere nachhaltigkeits- und umweltpolitische Gründe, geltend gemacht werden können. Gegenwärtig sieht es allerdings nicht so aus, als würde der Gesetzgeber die Kraft aufbringen, Erwägungen der Nachhaltigkeitspolitik zu nutzen. Die nächste Bundestagswahl steht vor der Tür, da dürfen die Auto liebenden Wähler nicht verschreckt werden, und das "kleine Konjunkturprogramm" der Steuerrückzahlung wird auch gerne mitgenommen. Nachhaltigkeitspolitik scheint nur als Politik in Schönwetterzeiten zumutbar zu sein.

Ein letztes Wort noch zu den ländlichen Räumen, die ja neben der Entlastung des einzelnen gern als Allgemeinwohlargument für die Pendlerpauschale angeführt werden. Sicherlich hilft die Pendlerpauschale den ländlichen Räumen, weil sie es denen, die schon immer auf dem Lande lebten, ermöglicht, weiterhin dort zu leben. Damit wird allerdings nicht die ursprüngliche Funktion des Dorfes als Wirtschaftseinheit aufrechterhalten oder belebt, sondern allein die moderne Funktion des Dorfes als Schlafstadt. Das ist eine traurige Perspektive. Wem an der Erhaltung und Entwicklung ländlicher Räume gelegen ist, sollte mehr gezielte Mittel für Regionalpolitik zur Verfügung stellen, die sich aus dem Einsparen der Entfernungspauschale aufbringen ließen. Das ist allemal besser, als unsinnige Verkehre zu subventionieren. Für die Menschen und für die Umwelt.

* Prof. Dr. Wolfgang Köck ist Schriftleiter der ZUR; er leitet seit 2004 das Department Umwelt- und Planungsrecht am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ in Leipzig, lehrt Umwelt- und Planungsrecht an der Universität Leipzig und ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Umwelt- und Planungsrecht der Juristenfakultät der Universität Leipzig. Mit planungsrechtlichen Steuerungsmöglichkeiten der Siedlungs- und Verkehrsentwicklung hat er sich zuletzt in einer Studie für das UBA "Effektivierung des raumbezogenen Planungsrechts zur Reduzierung der Flächeninanspruchnahme für Siedlung und Verkehr" (UBA-Berichte 1/07) und in einem Beitrag für eine gemeinsame Veranstaltung des UBA und des Bad-Württ. Umweltministeriums [Troge/Gönner (Hrsg.), Was kann das Planungsrecht für die Umwelt tun? 2008] befasst.