Standpunkt 8. April 2013

Standpunkt: An die Arbeit, aber welche und wer? Der Weltbiodiversitätsrat IPBES startet in sein erstes Jahr

Es war eine schwere Geburt mit Nachwehen: Die internationale Staatengemeinschaft brauchte mehr als fünf Jahre, um im April 2012 die Gründung einer globalen zwischenstaatlichen Plattform für Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen (IPBES) zu beschließen. Demensprechend groß waren die Erwartungen an die erste IPBES-Vollversammlung im Januar 2013 in Bonn. In der Stadt, die zur Freude der Deutschen den Zuschlag für den Sitz des IPBES-Sekretariats erhalten hatte, sollten Zeichen gesetzt werden. Die Arbeit an konkreten Projekten zur Erhaltung der biologischen Vielfalt musste endlich losgehen!

Dr. Carsten Neßhöver, UFZ

Dr. Carsten Neßhöver ist Geoökologe und stellvertretender Leiter des Departments Naturschutzforschung am UFZ. Er ist im Bereich Biodiversität zuständig für die Schnittstelle der Forschung zur Politik und koordiniert in diesem Rahmen u.a. mit dem Netzwerk-Forum zur Biodiversitäts-forschung NeFo ein BMBF-Projekt zur Einbindung der deutschen Wissenschaft in den Weltbiodiversitätsrat IPBES. Zur 1. Vollversammlung des IPBES im Januar 2013 in Bonn war er als Beobachter vor Ort.
e-mail: carsten.nesshoever@ufz.de
Foto: André Künzelmann/UFZ

Schnell wurde jedoch klar, dass das zu optimistisch gedacht war. Zu viele prozedurale Fragen standen bei den politischen Delegierten im Vordergrund: So beschäftigten sie sich damit, die richtige Balance zwischen den Vertretern der fünf UN-Regionen in den Gremien zu finden, die Finanzen zu klären, ein Entscheidungsprozedere festzulegen, die Rolle der Stakeholder zu definieren (den eigentlichen Wissensträgern im ganzen Prozess!) und Konsens hinsichtlich eines Vorsitzenden zu erzielen. Letzteres dauerte bis zum sechsten Tag des Verhandlungsmarathons, dann einigte man sich endlich auf Prof. Abdul Hamid Zakri aus Malaysia.

Und doch – auch wenn die politischen Delegierten nicht aus ihrer Verhandlungshaut konnten – es war auch Zufriedenheit unter den Anwesenden zu spüren, dass die zentralen Gremien besetzt sind und das Baby IPBES nun endlich seine ersten Schritte gehen wird. Die Ansprüche daran sind in jedem Fall hoch. Denn es soll nicht allein um die Entwicklung neuer globaler Studien, etwa zum Zustand von Ökosystemen, Artenvielfalt und Umwelt, gehen. Diese gibt es zu Genüge. Vielmehr sollen gleichberechtigt Ansätze und Methoden der Politik analysiert sowie Handlungsoptionen aufgezeigt werden. Politiker und Wissensträger – das sind neben Wissenschaftlern auch zivilgesellschaftliche Gruppen und indigene Völker – sollen in einem intensiven Dialog miteinander herausfinden, was an Wissen gebraucht wird und wie es für die Politik aufbereitet werden kann.

Auf globaler Ebene wäre dies eine neue Form der Zusammenarbeit, die aus meiner Sicht dringend notwendig ist. In Bonn aber war deutlich zu spüren, dass viele der Delegierten das noch nicht so sehen. Lieber möchte man an etablierten Ansätzen festhalten, bei denen große Assessments zeigen, was alles falsch läuft. Die Einsicht zum Handeln werde dann schon kommen.

Damit IPBES ein Erfolg wird, bedarf es meiner Ansicht nach zwei zentraler Elemente:
Die Einbindung aller Wissensträger ernst nehmen! Bislang sind die Wissensträger in den Verhandlungen und Prozessen stark außen vor geblieben. Es galt zunächst, das zwischenstaatliche Konzept der Plattform festzuzurren – eine Sache vernehmlich der Diplomatie. Nun aber müssen die Wissensträger aus Forschung und Zivilgesellschaft in die Arbeit einbezogen und aus den hinteren Reihen der Beobachter mit gelegentlichem Sprechrecht an den Verhandlungs-, vielmehr den Arbeitstisch, geholt werden. Die Einrichtung des „Multidisziplinären Experten-Rates“ (MEP) innerhalb von IPBES ist hier ein erster wichtiger Schritt. Allerdings ist die Expertise in diesem 25-Personen-Gremium nicht so multidisziplinär wie notwendig, denn es fehlen die Sozialwissenschaften. Das sollte durch eine breite Einbindung externer Wissensträger aus diesen Bereichen ausgeglichen werden.

Die Erarbeitung einer Stakeholder-Engagement-Strategie, wie in Bonn beschlossen, ist dafür ein zentraler Schritt. Die richtigen Fragen gleich zu Beginn stellen! Der Wert von IPBES wird sich erst mit seinen ersten Antworten zeigen. Das heißt, es müssen Fragen diskutiert werden, denen bislang eher wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Solche Fragen wären: Wie können Ökosysteme restauriert werden und wer finanziert diese Maßnahmen? Wie können sektorenübergreifende Themen, wie etwa der Waldschutz, zum Wohle von Klima, Mensch und Biodiversität umgesetzt werden?

Ein Nachfolgeprojekt zum Millennium Ecosystem Assessment von 2005, in dessen Mittelpunkt der Zustand der Natur und ihrer Leistungen für den Menschen allgemein stand, sollte meiner Ansicht nach eher nachrangig behandelt werden. Man wird sich mit IPBES in Bereiche vorwagen müssen, wo Politiken vieler Sektoren angesprochen und verschiedene Verantwortliche und Wissensträger eingebunden werden. Allein in der Ecke der Umweltpolitik zu verharren, wird dem Anspruch von IPBES nicht gerecht – und uns beim Schutz unserer Lebensgrundlagen wenig voran bringen.