UFZ-Thema des Monats November

Biodiversität und Gesundheit

Biodiversität und Gesundheit - Spontan denkt man an die Apotheke der Natur. Viele Substanzen, die zur Stärkung des menschlichen Wohlbefindens beitragen, verdanken wir Menschen der Tier- und Pflanzenwelt. Deren genetische Vielfalt ist ein unermesslicher Schatz für unsere Gesundheit. Aber auch Viren, Bakterien, Pilze und Würmer gehören mit ihrer riesigen Vielfalt in jedes gesunde Ökosystem. Erscheinungen, die der Mensch als Krankheitsausbruch wahrnimmt, sind oft dadurch verursacht, dass ökologische Gefüge verändert werden - durch den Menschen, durch klimatische Verschiebung oder zufällige Verkettung von Ursachen. Die komplexen Konsequenzen illustrieren, warum Biodiversität mehr bedeutet als Artenzahl. Und - gemäß WHO -Definition - Gesundheit mehr ist als das Fehlen von Krankheit.

Grasfrosch

Der Chytridpilz verhindert die Hautatmung bei Fröschen - wie hier bei einem Grasfrosch. Die Erkrankung gefährdet das Fortbestehen ganzer Amphibienarten.
Foto: André Künzelmann/UFZ

Borkenkäferbefall

Borkenkäferbefall im Bayerischen Wald. Monokulturen von Wirtschaftswäldern sind anfälliger als Mischwälder mit unterschiedlich alten Bäumen.
Foto: André Künzelmann/UFZ

Schweizer Forscher haben nachgewiesen, dass die Milch artenreicher Alpenwiesen und der damit produzierte Käse besonders viele jener Fettsäuren enthält, die wichtig für die Entwicklung des kindlichen Gehirns sind und bei Erwachsenen das Risiko von Herzkreislauferkrankungen vermindern. Alte Apfelsorten sind Jenen zu empfehlen, die unter einer Sorbitunverträglichkeit leiden. Die Teufelskralle lindert Schmerzen, Salbei lässt Entzündungen abklingen, die Ringelblume beschleunigt die Wundheilung. Tatsächlich ist die Natur die Apotheke des Menschen.

Auch die scheinbar unerschöpfliche Vielfalt der Amphibienarten ist ein Fundus der Gesundheitsforschung. Beispielsweise produzieren manche Frösche eine chemische Substanz, die zur Bekämpfung des HI-Virus, das AIDS verursacht, nützlich sein könnte. Die Absonderung einer anderen Art könnte ein Schmerzmittel für Menschen sein, und in Deutschland versuchen Forscher die hochgefährlichen Absonderungen eines quakenden Vierbeiners synthetisch nachzubauen, um in Zukunft schwere Hirn-Erkrankungen wie etwa Alzheimer zu behandeln. Doch die amphibische Artenpracht ist selbst gefährdet: durch den Chytridpilz. Er verhindert die Hautatmung von Amphibien und damit deren optimale Leistungsfähigkeit. Das Fortbestehen ganzer Amphibienarten steht weltweit auf dem Spiel. Zehn Arten, so schätzt die Wissenschaft, sterben pro Jahr durch die Pilzinfektion aus.

Krankheitserreger

Dieser Pilz ist einer der vielen Organismen, denen der Mensch skeptisch gegenübersteht, weil er sie als gefährliche Krankheitserreger erlebt. Einer der bekanntesten ist das Tollwutvirus. Ihm verdankt eine ganze Organismengruppe - nämlich die Viren - ihren Namen. Im ersten Jahrhundert v. Chr. bezeichnete man den Speichel, durch den Tollwut übertragen wurde, als "Gift" (lateinisch virus). Die Verbindung zwischen Tollwutvirus und Gesundheit ist offenkundig. Auch beim Biodiversitätsschutz spielt es eine prominente Rolle. Erst vor zwei Jahren sorgte ein Ausbruch der tödlichen Tollwut unter den letzten 500 Vertretern des Äthiopischen Wolfs für öffentliches Interesse. Britische Wissenschaftler und äthiopische Behörden verhinderten mit einer Impfkampagne die krankheitsbedingte Ausrottung der Raubsäuger. Angesteckt haben sich die bedrohten Wölfe durch den Kontakt mit Hunden der umliegenden Dörfer.

Krankheitsausbrüche als Ergebnis ökologischer Veränderung

Blauzungenkrankheit

Schafe

Das Virus der Blauzungenkrankheit wird von Stechmücken übetragen und befällt Wiederkäuer, wie beispielsweise Schafe.
Foto: André Künzelmann/UFZ

Das Virus der Blauzungenkrankheit liefert einen Baustein in diesem Mosaik. Ursprünglich nur in Afrika verbreitet, befällt es Wiederkäuer. Zwischen denen wird es von Stechmücken, so genannten Gnitzen, übertragen. Mücken verdriften über weite Strecken. So können sie das Mittelmeer überwinden und im Zuge der Klimaerwärmung ihren Lebensraum nach Norden ausweiten. Nehmen die Mücken das Blauzungenvirus huckepack, passiert, womit Wissenschaftler und Seuchenexperten rechnen: Das kontinuierliche Vorrücken der Seuche nach Nordwesten. Der größte Ausbruch in Europa hat sich jedoch unabhängig von diesem klimagetriebenen Geschehen ereignet. Und hier fungiert eindeutig der Mensch als Transportmittel. Eine Virusvariante, die im Südlichen Afrika beobachtet worden war, tauchte plötzlich in den Niederlanden auf. Auf welchem Wege diese nach Mitteleuropa kam, ist unklar. Fakt ist, dass sich das Virus vor Ort eine passende einheimische Stechmückenart als Vektor zunutze gemacht hat. Mit rasanter Geschwindigkeit ging es dann weiter in Richtung Nordosten. Innerhalb von zwei Jahren hatte die Seuche Schweden erreicht. Keiner der betroffenen Wiederkäuer war bisher in Kontakt mit dem Erreger. Es gab also, im Unterschied zur Ursprungsregion, keine immunen Wirtstiere. Durch flächige Impfkampagnen hat der Mensch versucht, diesen "ungewachsenen" Zustand zu korrigieren.

Im Falle der Blauzungenkrankheit und nach deren derzeitiger Befallslage scheint diese Kompensationsmaßnahme das veränderte Artengefüge wieder ausgeglichen zu haben. Das Blauzungenvirus tangiert uns Menschen nur wirtschaftlich. Aber in einigen Fällen kann sich auch der Mensch den Folgen des veränderten Gefüges im Ökosystem nicht entziehen.

Im Unterschied dazu konnte die Tollwut die Rotfuchspopulation in Europa nicht gefährden, obwohl die Seuchenzüge der Vergangenheit mehr als die Hälfte aller Rotröcke dahinrafften. Das unterstreicht einen neuen Aspekt von "Biodiversität und Gesundheit". Viren, aber auch Bakterien, Pilze und Würmer gehören mit ihrer Vielfalt in jedes Ökosystem. Der Mensch nimmt deren Wirken dann als "Krankheit" wahr, wenn durch drastische Veränderungen der ökologischen Struktur die Folgen dramatisch werden oder die Vermehrung der "Erreger" überhand nimmt. Die Monokultur eines Wirtschaftswaldes mit seinen gleichartigen und gemeinsam gealterten Bäumen führt in trockenen Jahren zu riesigen Flächen anfälliger Bäume, so dass sich Borkenkäfer explosionsartig vermehren. In der Folge erkrankt der Wald, wie Bilder aus dem Bayrischen Nationalpark auf drastische Weise veranschaulichen. In gemischten Baumbeständen wären tausende der geflügelten Holzbohrer unverrichteter Dinge im Jungholz stecken geblieben.

Aus dieser Perspektive ergibt sich ein überraschender Blickwinkel: Oft verändert der Mensch durch Eingriffe in die Natur das Beziehungsgeflecht zwischen den Arten. Dadurch entsteht ein neues Gefüge im Ökosystem. Das wiederum macht bisher erfolgreiche Arten zu Verlierern und andere Arten zu Gewinnern. Für einige Tiere haben diese Veränderungen extreme Folgen. Jeder kennt die kleinen rotbraunen Schattenschwänze (griechisch), die Eichhörnchen. Mit bezaubernder Leichtigkeit eilen die Kleinsäuger durch die Wipfel europäischer Parkanlagen auf steter Suche nach Nüssen und Samen. Nein, nicht die eventuelle Eignung als Tollwutüberträger ist hier relevant. Die Eichhörnchen erleiden aktuell in Großbritannien, Irland und Italien einen dramatischen Bestandsrückgang, der durch die Einbürgerung des nordamerikanischen Grauhörnchens verursacht wird. Der Neuzugang ist erfolgreicher als die heimische Art, unter anderem, weil die Grauen zwar selbst nicht an Parapocken erkranken, deren Virus aber an die Roten weitergeben. Für unser heimisches Eichhörnchen verläuft die Infektion tödlich.

Der Krankheiterreger bedroht die Tierart in ihrer angestammten Region, wenn zusammenkommt, was nicht zusammengehört. Das Beispiel illustriert, dass Veränderung des ökologischen Gefüges für den Moment mit einer Zunahme der Artenvielfalt einhergehen kann.

Mobilität des Menschen

Die tierische Fracht, die ein Passagier aus Nigeria in Frankfurt im Koffer durch den Zoll schmuggeln will, sieht auf den ersten Blick harmlos aus: Zehn Meerkatzenbabys. Der Schein trügt. Die Affen sind Überträger von Ebola. Ebola-Infektionen enden fast immer tödlich. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn eines der Tiere das gefährliche Virus in sich getragen hätte. Oft ist es der moderne Mensch, der mit seinem Unterwegssein als Transporteur auftritt. Seine scheinbar unscheinbare Fracht kann ganze Artengefüge durcheinanderwirbeln und sie anfällig für Krankheitsausbrüche werden lassen. Viele Erreger, die der Mensch verschleppt hat, peinigen ihn selbst. Das West-Nil-Virus zum Beispiel ist inzwischen in seinem Vorkommen nicht mehr auf die Tropen beschränkt, sondern hat ganz Nordamerika erobert. Zumeist werden Vögel mit dem Virus infiziert, die daraufhin verenden. Die übertragende Mücke saugt Blut nicht nur vom Vogel, sondern auch von Mensch und Pferd. Es wird spekuliert, dass Alexander der Große am West-Nil-Fieber gestorben ist, denn Chronisten wissen von einem zeitgleichen Krähensterben. 1999 wurde der Erreger erstmals in den USA identifiziert. Es wird vermutet, dass das Virus durch globalen Handel eingeschleppt wurde. Hinzu kamen ein milder Winter und ein trockener Sommer, die die Vermehrung der übertragenden Stechmücken begünstigen. In den folgenden Jahren breitete sich die Infektion explosionsartig über dem nordamerikanischen Kontinent aus. Neben tausenden Krähen starben über 1.000 Menschen. Die Krankheitsfälle gingen zurück, nachdem das Virus quer von Ost nach West gereist war. Solche Ausbrüche sind in anderen gemäßigten Breiten auch möglich. Ein Verwandter des West-Nil-Virus, das aus Afrika stammende Usuto-Virus, ließ 2003, wie in einem bösen Märchen, Amseln in Wien scharenweise vom Himmel fallen.

Klimawandel und Handel

Stechmückenlarven

Larven der Gemeinen Stechmücke (Culex pipiens)
Foto: André Künzelmann/UFZ

Globaler Handel und Klimaveränderung begünstigen auch das Denguefieber, das sich im Schlepptau invasiver Mückenarten ankündigt. Das Denguefieber ist die sich am schnellsten ausbreitende, von Moskitos übertragene, virale Erkrankung. Es befällt Primaten und gefährdet damit in Europa den Menschen. Die Hauptvektoren sind wieder Mücken. Diese können sich einer ganz besonderen Reiseform bedienen. Die Larven von Aedes aegypti und Aedes albopictus leben nämlich in kleinsten Wasserlachen. Um sich zu vermehren, legen die Mückenweibchen ihre Eier in Eimern, Blumen oder Reifen ab. Faszinierender Weise können die Eier mit der Wasserlache austrocknen und Monate überleben. Auf diese Weise können sie mit dem Reifen um die Welt reisen. Wenn Regen die Eier nässt, schlüpfen die Larven und können fern der Heimat eine neue Population begründen. So hat sich Aedes albopictus in den letzten Jahren in Europa etabliert (Albanien, Italien). Gerade hat man sie auch in Frankreich entdeckt - ein weiterer Schritt gen Norden. Das Überwinden höhere Breitengrade wurde auch aus Japan bestätigt. Dort hat man beobachtet, dass die Eier einiger Varianten der Mücke sogar Frost überstehen. Ideal also, um den hohen Norden zu erobern.

Sowohl das Vordringen der Mückenart als auch die gefrierresistenten Varianten des Überträgers des Denguefiebers stimmen bedenklich. Die Einschleppung von Aedes albopictus nach Deutschland ist erfolgt, doch bisher konnte sich bei uns offensichtlich noch keine endemische Population entwickeln - vermutlich aufgrund niedriger Temperaturen. Damit schützt uns nur noch das Fehlen einer kälteresistenten Mücke in unserem heimischen Artengefüge vor dem Denguefieber.

Helfer Biodiversität

Es gibt einen überraschenden Helfer, um eine gefährliche Vermehrung der Mücken zu verhindern: Biodiversität. Zumindest im beschränkten Maßstab lassen sich bestehende Artengefüge in Kleingewässern bewusst zu Ungunsten der Mückenlarven verschieben. Am UFZ entwickelt man erfolgreich Ansätze, um die Diversität von Feinden der Mosquitolarven zu erhöhen und so das Vorkommen der Larvenstadien einzuschränken. Durch aktive Managementmaßnahmen wird der Natur "geholfen", die übermäßige Vermehrung von Mücken zu verhindern. Das testen UFZ-Forscher bereits erfolgreich in Afrika und Deutschland.

Die Forschung hat viel zu tun: Erst müssen wir das Zusammenspiel zwischen gestörter Biodiversität und beeinträchtigter Gesundheit begreifen, um dann die komplexen Konsequenzen von Veränderungen - gewollt oder ungewollt - in ökologischen Gefügen zu verstehen. Dieses Verständnis ermöglicht es - wie obiges Beispiel zeigt - Gesundheit unmittelbar durch Biodiversität zu befördern.

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Referenzen

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www.scottishsquirrelsurvey.co.uk

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Patent: "Verfahren zum Bekämpfen von pathogenen Kleinlebewesen in einem wässrigen System" Aktenzeichen 10 2008 043 715.8