„Es geht darum Nahrung gerecht zu verteilen und Verluste zu reduzieren“

Interview aus Anlass des Welternährungstages mit Prof. Dr. Ralf Seppelt, Leiter des Departments Landschaftsökologie am UFZ


Der Welternährungstag am 16. Oktober erinnert nicht nur daran, dass die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations) im Jahr 1945 mit der Aufgabe gegründet wurde, die weltweite Ernährung sicherzustellen. Der Gedenktag mahnt auch, dass laut Welthungerbericht 2015 weltweit rund 800 Millionen Menschen Hunger leiden. „Den Hunger in der Welt zu beseitigen, heißt aber nicht unbedingt noch mehr zu produzieren. Es geht darum Nahrung gerecht zu verteilen, allen zugänglich zu machen und Verluste zu reduzieren“, sagt Ralf Seppelt, Leiter des Departments Landschaftsökologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Er forscht unter anderem zu Fragen der nachhaltigen Landnutzung.


Vielfalt der Reissorten auf einem Markt auf den Philippinen. Foto: André Künzelmann/UFZ Vielfalt der Reissorten auf einem Markt auf den Philippinen. Foto: André Künzelmann/UFZ Die Weltbevölkerung wächst rasant: Knapp zehn Milliarden Menschen sollen Schätzungen zufolge im Jahr 2050 auf der Erde leben. Wird es in Zukunft möglich sein, deren Ernährung zu gewährleisten?

Ja, im Prinzip schon. Der Mensch baut momentan etwa 5.000 Kilokalorien pro Person an Erträgen in der Landwirtschaft an, braucht aber eigentlich durchschnittlich nur 2.500 Kilokalorien. Wir produzieren also doppelt so viel wie wir benötigen.


Die Menschheit erzeugt schon heute Lebensmittel für 12 Milliarden Menschen. Das Problem: Mindestens 1,3 Milliarden Tonnen Nahrungsmittel kommen entlang der globalen Wertschöpfungskette bis zum Verbraucher abhanden, gab die FAO bekannt. Woran liegt das?

Viele Nahrungsmittel gehen verloren, weil sie nicht ausreichend gut gelagert und dann weggeschmissen werden. In Afrika beispielsweise werden sehr viele Nahrungsmittel etwa durch Schädlinge in Mitleidenschaft gezogen. Werden Lebensmittel nicht sachgemäß gelagert, kommen Ernteverluste dazu. In Europa und Nordamerika ist der Überfluss an Nahrung dagegen groß, es wird sehr viel weggeworfen. Wir haben also kein Problem der Menge, sondern ein Problem der Verteilung und der Nutzung. Wenn die FAO nun sagt, wir müssen mehr produzieren, dann deswegen, weil sie prognostiziert, dass sich mit einer wachsenden Bevölkerung nicht nur der Verbrauch, sondern auch die Konsumgewohnheiten ändern. Ein Trend ist, mehr Fleisch und proteinhaltige Nahrung zu sich zu nehmen.

Wo finden sich weltweit Flächen, um Nahrungsmittel für diese zehn Milliarden Menschen anzubauen?

Diese Flächen finden sich etwa in Osteuropa, in den Steppen Sibiriens oder südlich der Sahara, wo man potenziell höhere Erträge bekommen könnte. In dem von uns koordinierten Forschungsförderprogramm „Nachhaltiges Landmanagement“ konnten wir zeigen, dass man dort landwirtschaftliche Erträge steigern kann, in dem man die Gegebenheiten vor Ort berücksichtigt. In der Regel sind Infrastrukturen nicht so gut ausgebaut und auch der Technologisierungsgrad der Landwirtschaft und die politischen Verhältnisse sind anders. Lösungsansätze aus der westlichen Welt lassen sich aber nicht eins zu eins umsetzen, man muss sie anpassen. Auch in Indien und China verändert sich die Landnutzung rasant, das geht dort aber oft einher mit einer intensiven Bewässerung.

Worauf ist bei der Landnutzungsänderung zu achten?

Um Erträge zu steigern, muss man nicht notwendigerweise immer auf technische Lösungen setzen. Es geht nicht immer darum, mehr Pestizide und mineralische Dünger einzusetzen, landwirtschaftliche Anbauflächen noch größer zu machen oder noch leistungsstärkere Maschinen aufzufahren. In manchen Gebieten lässt sich auch die Artenvielfalt gewinnbringend einsetzen. So konnten wir zeigen, dass die Leistung, die Insekten und Vögel weltweit erbringen, um beispielsweise Blüten zu bestäuben, einen erheblichen Teil des landwirtschaftlichen Bruttosozialproduktes ausmacht. Auf diese natürlich vorhandenen „Dienstleistungen“ der Artenvielfalt können wir nicht verzichten, sie sind unsere Lebensgrundlage.

Sie forschen zu einer nachhaltigeren Nutzung der Ressource Fläche. Wie müsste Landnutzung aussehen, um einer steigenden Weltbevölkerung Genüge zu tun?

Global betrachtet gibt es kein einheitliches Schema, was nachhaltige Landnutzung ausmachen sollte. Die Gesellschaft hat oft eine romantisierende Sicht einer traditionellen Landwirtschaft, die hilft uns aber nicht immer weiter – zumindest nicht überall. Beispielsweise muss man im Mittleren Westen der USA nicht Ökolandbau propagieren, weil dort die Ökosysteme dafür gar nicht mehr ausgelegt sind. Umgekehrt heißt es aber auch nicht, dass eine zunehmende Technologisierung und Intensivierung der Landwirtschaft in Gebieten in Afrika, China oder Indien optimale Lösungen sind, um möglichst große Ertragssteigerungen zu erzielen. Biologische Vielfalt ist die Grundlage für eine stabile Produktion von Nahrungsmitteln und letztlich unsere Lebensgrundlage. Eine technische Substitution kann dazu führen, dass unsere Ökosystem eher anfälliger für Störungen werden können. Das konnten wir zum Beispiel für den Reisanbau in den Philippinen zeigen.

Mais, Reis, Weizen oder Soja sind wichtige Nahrungsgüter. Wird weltweit genug davon angebaut, um die Menschen zu ernähren?

Auch wenn es noch Flächen gibt, die landwirtschaftlich genutzt werden können: Die Ressource Fläche ist beschränkt. Und wenn man mal akzeptiert, dass auf einer beschränkten Fläche die Erträge nicht ins Unermessliche steigen können, dann geht es tatsächlich darum, mit limitierter Fläche sinnvoll und nachhaltig umzugehen. Wir konnten zeigen, dass die Spitzenwerte der jährlichen Zuwachsraten bei nachwachsenden Ressourcen wie Mais, Weizen oder Reis schon Jahre zurückliegen. Die Zuwachsraten werden also kleiner. Der Mensch wird das nicht ändern können, indem er noch mehr Dünger ausbringt, noch bessere Sorten züchtet oder noch mehr bewässert.

Und wie sieht es bei tierischen Produkten aus?

Kaum anders: Auch dort sind die Topwerte der jährlichen Zuwachsraten bei der Produktion zum Beispiel von Fleisch oder Milch beziehungsweise beim Fang von Fisch schon einige Jahre her.

Was kann denn jeder Einzelne zu einer nachhaltigeren Landnutzung beitragen?

Es muss sich nicht jeder vegan oder vegetarisch ernähren. Man kann sich aber den Verbrauch der Ressourcen bewusster vor Augen halten und mehr auf die Ernährung achten. Wenn jeder wüsste, dass in den Tropen Regenwälder geschlagen werden, um Weideland für Rinder zu schaffen, oder dass Rinder mit Soja gefüttert werden, für das wiederum riesige Agrarflächen in Anspruch genommen werden und das eigentlich auch vom Menschen verzehrt werden kann, wäre schon viel gewonnen. In den USA ist der Fleischverbrauch schon seit ein paar Jahren rückläufig. Das ist ein erstaunlich und vielleicht gutes Zeichen. Niemand muss komplett auf Fleisch verzichten, aber man sollte es sowohl in der Herstellung als auch im Konsum wertschätzen und akzeptieren, dass dies auch seinen Preis hat.

 

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