Standpunkt vom 29. Juni 2011

"Simplify your life"- die tiefere Weisheit von Ramsauers neuer Binnenschifffahrtspolitik

Von Dr. Bernd Klauer

Kann man Arbeitsplätze eigentlich herbei betonieren? Jahrzehntelang hörten wir von den Lobbyisten der Binnenschifffahrt, wie dem Verein zur Hebung der Saaleschifffahrt, dass der Ausbau der Schifffahrtsstraßen ein wichtiger Motor für die Gewinnung von Investoren und die Entwicklung der Wirtschaft in den neuen Bundesländern sei. So könnten vorhandene Arbeitsplätze gesichert, neue geschaffen und die Lebensqualität und Zukunftsperspektiven der Region gesteigert werden. Fakt ist aber, dass seit 1991 3,7 Milliarden Euro in die Bundeswasserstraßen in Ostdeutschland investiert wurden, ohne dass sich die erhofften und prognostizierten Zuwachsraten im Güterverkehr auf den Flüssen realisiert haben. Zudem steht der Flussausbau oft dem Erreichen guter ökologischer Qualität der Flüsse im Wege.

Lastkahn auf Elbe

Lastschiff auf der Elbe. Die Diskussion um den Ausbau der Saale- und Elbe wurde in den letzten Jahren kontrovers geführt.
Foto: André Künzelmann/UFZ

Nun hat Bundesverkehrsminister Ramsauer die Notbremse gezogen. Anstatt die aktuell anstehenden Investitionsentscheidungen in Wasserstraßen auf der Basis elaborierter Prognosen und Nutzen-Kosten-Abwägungen zu fällen, hat sein Ministerium im Rahmen der Umstrukturierung der Bundeswasserstraßenverwaltung eine neue Kategorisierung der Bundeswasserstraßen und ein simples Priorisierungsverfahren für Infrastrukturausgaben in Aussicht gestellt. Die Investitionen für den Ausbau von Wasserstraßen sollen nur noch in das sogenannte Vorrangnetz - Flüsse und Kanäle mit einem Verkehrsaufkommen von mehr als 10 Millionen Tonnen - und in ein Hauptnetz - mit einem Aufkommen von 5-10 Millionen Tonnen - fließen. Verkehrsarme Wasserstraßen, wie die Elbe südlich von Magdeburg und die Saale, sollen überhaupt nicht mehr ausgebaut, sondern höchstens noch "unterhalten" werden.

Die Gegner des Saale- und Elbeausbaus fühlen sich bestätigt, denn schon seit Jahren ziehen sie dessen Wirtschaftlichkeit in Zweifel und weisen auf die schwerwiegenden ökologischen Folgen des Ausbaus hin. Das sachsen-anhaltinische und das brandenburgische Verkehrsministerium hingegen laufen gegen die neue Kategorisierung der Bundeswasserstraßen Sturm und behaupten, Ostdeutschland werde damit faktisch vom Wasserstraßennetz abgeschnitten.

Dass sich die bisherigen Investitionen in die ostdeutschen Wasserstraßen nicht ausgezahlt haben, ist offensichtlich. Es fahren auf ihnen einfach viel zu wenige Güterschiffe. Könnten sich die Investitionen aber nicht doch noch in Zukunft auszahlen? Schließlich wurde etwa einem Saaleausbau im aktuellen Bundesverkehrswegeplan bescheinigt, dass der zukünftige Nutzen die Kosten um das 2,3-fache übersteigen werde. Offensichtlich glaubt nun auch der Bundesverkehrsminister Ramsauer nicht mehr an die Bewertungsergebnisse der Bundesverkehrswegeplanung.

In Zukunft sollen also die Investitionsentscheidungen nicht mehr allein auf der Grundlage von Prognosen für zukünftige Nutzen und Kosten, sondern auf der Basis der derzeitigen und erwarteten Transportmengen getroffen werden. Obwohl dies zunächst wie ein Rückschritt klingt, steckt dahinter eine tiefere Weisheit. Die Erfahrung lehrt nämlich, dass Verkehrsprognosen und Bewertungen in der Vergangenheit oft unrealistisch waren. In unserer Studie zur Bewertungsmethodik der Bundesverkehrswegeplanung (erschienen 2005 im Metropolis-Verlag, Marburg) zeigten wir für das Beispiel des Ausbaus der Saale, wie die Prognosen und Bewertungen im Laufe der Jahre immer wieder nach unten korrigiert wurden. Kritiker halten auch die aktuellen Nutzen-Kosten-Bewertungen immer noch für deutlich überhöht.

Rein methodisch gesehen sollten selbstverständlich allein die zukünftigen Nutzen und Kosten und nicht die Gütermengen für die Wirtschaftlichkeit einer Verkehrsinvestition ausschlaggebend sein. Allerdings müssen die Prognosen und Bewertungen verlässlich sein, was in der zurückliegenden Zeit häufig nicht der Fall war. Warum ist das so?

Verkehrsprognosen werden mit komplexen Modellen erzeugt, Nutzen und Kosten mit Hilfe von ausgefeilten Bewertungsverfahren ermittelt. Was aus den Modellen und Bewertungsverfahren herauskommt, hängt entscheidend davon ab, was man hineinsteckt. Gefüttert werden sie allerdings nicht nur mit empirischen Daten, sondern auch mit strukturellen Annahmen über zukünftige Entwicklungen, und diese sind oft ausschlaggebend für die Prognosen und Bewertungen. Die Modelle und Annahmen werden nun leider nicht offengelegt, weshalb ihre Ergebnisse auch nicht nachvollziehbar und überprüfbar sind. Damit sind sie anfällig für interessengeleitete Einflussnahme. Die Mitglieder der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, die Lobbyisten der Binnenschifffahrt und die Bauindustrie haben alle Interesse an "optimistischen" Transportmengenvorhersagen und Bewertungen. Welchen Einfluss sie tatsächlich ausgeübt haben, kann niemand kontrollieren.

Diese Intransparenz hat Ramsauer nun beseitigt, der Einflussnahme einen Riegel vorgeschoben. Die lobbyismusanfälligen Prognosen und Bewertungen werden einem Realitätscheck unterzogen und dem tatsächlichen Verkehr gegenübergestellt. Das ist zu loben, denn vermutlich können so Fehlinvestitionen in einer Größenordnung von mehreren Hundert Millionen verhindert werden. Für hunderte Kilometer unbenutzter Wasserstraßen wird außerdem der Weg zur Renaturierung frei gemacht, was es leichter macht, den Verpflichtungen der europäischen Wasserrahmenrichtlinie nachzukommen. Besser Investitionsentscheidungen auf der Basis gesicherter Zahlen fällen, als sich Prognosen und Bewertungen auszuliefern, die zwar wirtschaftstheoretisch besser fundiert sind, aber leicht manipuliert werden können. Brisant für die ökonomische Zunft: Die Bundesverkehrswegeplanung wendet sich hier von der Nutzen-Kosten-Analyse ab.