- CBD-Kolumne Dezember 2022 -
Noch keine großen Fortschritte in Montreal
Bericht von Dr. Axel Paulsch und Dr. Yves Zinngrebe
Die Weltnaturkonferenz (CBD-COP15) wurde am 6.12. von dem kanadischen Ministerpräsidenten Trudeau, dem UN-Generalsekretär Guterres, dem chinesischen Umweltminister Runqiu und der Exekutivsekretärin der CBD Maruma Mrema eröffnet. Während einige – zum großen Teil technische - Entscheidungen bereits verabschiedet werden konnten, sind zentrale Fragen zur Entwicklung und Umsetzung der globalen Ziele weiter offen.
Bereits nach der fünften Sitzung der Arbeitsgruppe zu den 2030-Zielen vom 3.-5.12. (OEWG-5) war die Stimmung nicht sonderlich optimistisch. Es wurde versucht, die Eingangspapiere für die Vertragsstaatenkonferenz noch zu verbessern. Leider haben die drei Verhandlungs-Tage wenig bis keine Annährung in wesentlichen Punkten gebracht. Die Staaten bestehen weiterhin (wie schon in den vorausgegangenen vier Sitzungen der OEWG seit 2019) auf ihren unterschiedlichen Standpunkten und zeigen wenig Bereitschaft, einander auf der Suche nach Kompromissen entgegen zu kommen. Dabei wurde sogar versucht, sich zunächst auf die am wenigsten strittigen Punkte zu konzentrieren und am ersten Tag gelang es immerhin, sich bei drei Zielen auf den Text der Beschlussvorlage zu einigen, also alle Klammern zu beseitigen. Diese Ziele befassen sich mit der Berücksichtigung indigener Völker und lokaler Gemeinschaften in Entscheidungsprozessen, mit der Gender-Gerechtigkeit und mit der besonderen Berücksichtigung der Belange von Frauen und Mädchen. Im letzten Moment hat ein Land jedoch auch diesen Teilerfolg noch geschmälert, da es von „gender-sensitiv“ (also der Anerkennung des Gender-Problems) anstatt von „gender-responsiv“ (also der Adressierung der Gender-Probleme) sprechen wollte.
Nachdem jetzt die offiziellen COP-Verhandlungen laufen, bleiben zentrale Fragen weiter offen, und man diskutiert bis spät in die Nacht und am Wochenende über die Elemente des zukünftigen globalen Rahmens. Bei den substantielleren Zielen, z.B. zu Schutzgebieten, zur Wiederherstellung von degradierten Ökosystemen, zum „In-Ruhe-Lassen“ (retaining) noch intakter Ökosysteme oder gar zur Finanzierung des weltweiten Biodiversitätsschutzes gibt es wenig Annäherung. Es ist frustrierend mitanzuhören, dass man nach vier Jahren Verhandlung beim Thema Wiederherstellung von Ökosystemen immer noch über die wissenschaftliche Referenzgröße – also das Maß, in dem das Ziel ausgedrückt werden soll – diskutiert. Nachdem es ja zu diesem Thema umfangreiche Vorarbeiten auch der UN-Konventionen für Klima (UNFCCC) oder Degradation (UNCCD) gibt, mutet dies eher als politisches Kalkül denn als fehlendes wissenschaftliches Wissen an.
Auch die Positionen zum Umgang mit noch intakten Ökosystemen liegen weit auseinander, je nachdem, wie viele solche Systeme ein Land noch hat und wie es diese bewirtschaftet. Ein Land wie Deutschland (bzw. die EU) tut sich mit der Forderung der Erhaltung leichter, da wir ohnehin kaum noch unberührte Ökosysteme haben, während Länder des globalen Südens (oder auch Russland), die noch in großen Landesteilen intakte Natur haben und diese in Zukunft womöglich nutzen wollen.
Auch der Umgang mit den Chancen und Risiken moderner gentechnischer Verfahren und der sog. synthetischen Biologie ist weiterhin kontrovers, weil diejenigen, die diese Verfahren einsetzen oder zumindest damit forschen, die Vorteile betonen (z.B. Entwicklung der COVID-Impfstoffe), während andere eher die Risiken betonen, die freigesetzte genetisch veränderte Organismen für die biologische Vielfalt und auch den Menschen darstellen könnten und die schlecht abzuschätzen sind. Die Verhandlungen zu diesen Punkten finden in einer kleinen Gruppe („Friends of the chair“) statt, in der es besonders darum geht, einen ersten Kompromiss-Vorschlag zwischen den unterschiedlichsten Konfliktparteien auf den Tisch zu legen.
Eine wesentliche und bisher ungeklärte Frage ist jedoch nach wie vor, wie mögliche Ziele umgesetzt und überprüft werden sollen. Zwei Sitzungen der Arbeitsgruppe zu „Planung, Monitoring, Reporting und Review“ haben aufgezeigt, wie schwierig hier der Verhandlungsstand ist. Die Schweiz und die EU haben ausgegeben, dass für sie die Verabschiedung eines Rahmens für die Umsetzung eine genauso wichtige Voraussetzung zur Zustimmung zum GBF ist, wie für andere eine Einigung zu Digitalen Sequenzinformationen. Allerdings sind hier die Ideen und Ansprüche schon sehr reduziert worden. Es sieht danach aus, dass die Entscheidung zu diesem Thema Vorgaben für Nationale Strategien und Berichte der Länder an die CBD beinhalten soll. In Anbetracht der Tatsache, dass diese Formen des Reportings ohnehin bereits verankert sind und die einzigen verbindlichen Auflagen an die Staaten darstellen, ist das sehr wenig Neues. Es geht lediglich darum, diese Strategien und Berichte mit den globalen Zielen abzustimmen. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein, aber selbst dieser kleine Schritt bedarf erheblicher Energie und Geduld in den Verhandlungen. Der ursprünglich anvisierte Plan, Maßnahmen für die Umsetzung regelmäßig zu sichten und nachzusteuern, um ein erneutes Scheitern globaler Ziele zu verhindern, wurde auf die nächste COP (16) in der Türkei verschoben. Selbst wenn ein Mechanismus dort 2024 beschlossen wird, bleiben dann nur mehr sechs Jahre bis 2030 und wenig Raum um nachzusteuern. Es ist somit wahrscheinlich, dass die CBD hier in Montreal erneut Ziele verabschiedet und dann bei negativen Trends unfähig ist, darauf zu reagieren. Da bisherige Entscheidungen keinerlei Überlegungen für die Zeit nach 2030 beinhalten, droht sogar das Horror-Szenario, dass dann erneut ein Zielrahmen verhandelt wird.
Anstatt also aus vergangenen Fehlern zu lernen, scheint es für die COP sehr schwer, Mechanismen für die Umsetzung ihrer eigenen Ziele zu verabschieden. Es ist ohne Frage schwierig, mit 196 unterschiedlichen Ländern im Konsens Entscheidungen zum Umgang mit der Natur zu fällen. Aber wenn das beim dritten strategischen Plan erneut nicht funktioniert, muss man sich entscheiden, ob man den Verlust der Biodiversität hinnehmen will, oder ob man andere Entscheidungsprozesse oder Koalitionen für die Zusammenarbeit wählt. Handelsverträge, wie sie von Deutschland gerade mit Kanada, Indien oder den MERCOSUR-Ländern verhandelt werden, bieten dazu erhebliches, bislang ungenutztes Potenzial. Und auch die EU gerät zunehmend unter Druck, darzustellen, wie sie ihre bereits vor drei Jahren verabschiedete Biodiversitätsstrategie umzusetzen gedenkt.