- NGO-Beitrag April 2022 -
Wie kann Deutschland ein Scheitern des neuen globalen Biodiversitätsabkommens verhindern?
Ein Gastbeitrag von Magdalene Trapp (NABU Bundesverband) & Friedrich Wulf (Pro Natura)
Am 29. März ist eine weitere Verhandlungsrunde zu dem neuen globalen Biodiversitätsabkommen in Genf zu Ende gegangen – leider nur mit einem Zwischenergebnis. Für Ende Juni ist ein Anschlusstreffen in Nairobi angesetzt, auf dem man sich hoffentlich auf Ziele einigt, die den Verlust von Arten und Lebensräumen global zu stoppen und umzukehren vermögen. Deutschland und die EU sollten als Vorbild auftreten, indem sie ambitionierte Zielen einfordern, finanzielle Ressourcen bereitstellen und dem Schutz der Biodiversität zu Hause die gleiche Priorität einräumen, die sie global fordern. Ansonsten droht ein Scheitern des gesamten Abkommens.
Was sind die Ergebnisse und wo stehen wir jetzt?
Trotz langwieriger Verhandlungen hat man in Genf kaum Fortschritte gemacht. Der aktuelle Text ist voller eckiger Klammern, also Formulierungsvorschlägen und Positionen, für die es noch keinen Konsens gibt.
Bei dem Ziel zur Renaturierung stimmt die grobe Richtung. Viele Länder sind dafür, global 20 % der degradierten Ökosysteme wiederherzustellen. Manche wollen sogar mehr. Die Konnektivität von Ökosystemen, also deren Vernetzung, um einen Austausch der Populationen verschiedenster Arten zu ermöglichen, hat als ein wichtiges Element viel Zuspruch gefunden. Aber am Ende liegt der Teufel im Detail: Was sind „degradierte Standorte”, wo liegen sie, was ist die Baseline – 2020 oder vor der industriellen Revolution? Hier gehen die Meinungen weit auseinander.
Bei dem populären Ziel, 30 % der Land- und Meeresflächen global zu Schutzgebieten zu erklären, bleiben viele Fragen ungeklärt (NeFo-Beitrag zu Meeresschutzgebieten). Etwa, ob dies auch jeweils auf nationaler Ebene gelten sollte. Besonders kritische Punkte in den Verhandlungen waren das wirksame Management und die Rechte von indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften in Schutzgebieten. Während beides im Entwurf steht, fehlen noch die nötigen Indikatoren für die Einhaltung dieser wichtigen Kriterien.
In den Zielsetzungen zur Verschmutzung (Plastik, Nährstoffeinträge und Pestizide) und nachhaltiger Landwirtschaft verhindern einige Länder bislang konkrete Zahlen. Außerdem versuchen manche Länder wie z.B. Brasilien, den Begriff der nachhaltigen Intensivierung („sustainable intensification“) zu integrieren, welcher für biodiversitätsschädigende Praktiken missbraucht werden könnte. Eine andere Gruppe, zu der auch die EU gehört, setzt sich hingegen dafür ein, Nährstoffeinträge um die Hälfte und Pestizide um zwei Drittel zu reduzieren und Anwendung agrarökologischer Methoden auf mindestens 25 % der landwirtschaftlich genutzten Flächen festzuschreiben. Einige Länder und NGOs fordern im Einklang mit UNEP zusätzlich die völlige Abschaffung besonders schädlicher Pestizide („Highly hazardous Pesticides“, HHP).
Auch das Ziel zu umweltschädigenden Subventionen (NeFo-Beitrag zu diesem Thema) geht bisher kaum über das Niveau des bisherigen Ziels von 2010 hinaus. Hier setzt sich die EU dafür ein, solche zuerst einmal alle zu identifizieren (bis 2025), um sie dann vollständig abzubauen. Dabei solle zunächst mit den „schädlichsten” Subventionen begonnen werden.
Die bisherigen, für 2010 bis 2020 gültigen, sog. „Aichi“-Ziele sind vor allem deswegen gescheitert, weil sie nicht ausreichend umgesetzt wurden. Ein starker Umsetzungsmechanismus wäre also von zentraler Bedeutung für ein gutes Abkommen. Doch viele relevante Passagen aus dem aktuellen Entwurf für das Abkommen (First Draft) wurden in Genf nicht einmal diskutiert. Und auch bei den technischen Dokumenten ist man lange nicht so weit gekommen wie geplant. Offen bleiben z.B. die Fragen, wie und bis wann die Anpassung der nationalen Biodiversitätsstrategien an die neue Biodiversitätsziele erfolgen soll, wie standardisierte Vorlagen für die Berichte aussehen werden und bis wann berichtet werden muss.
Einer der beiden größten Knackpunkte in den Verhandlungen ist allerdings die Finanzierung. Länder aus dem globalen Süden werden sich ohne Finanzzusagen aus dem globalen Norden nicht zu einem Abkommen mit starken Zielformulierungen und Umsetzungsmechanismen verpflichten. Sie fordern dafür mindestens 100 Milliarden USD pro Jahr und geben sich nicht mit einer Umwidmung umweltschädigender Subventionen zufrieden.
Wie ist der aktuelle Stand zu bewerten?
Die Ergebnisse der Diskussionen reflektieren nicht die Dringlichkeit, mit der hinsichtlich des globalen Verlusts von Arten und Lebensräumen gehandelt werden müsste. In den weiteren Verhandlungen müssen endlich gemeinsame Lösungen entwickelt werden. Dies betrifft ganz besonders auch die Treiber des Biodiversitätsverlustes. Die Ausweitung und Intensivierung der Landnutzung, Jagd und Fischerei, Umweltverschmutzung und Klimawandel stellen ganz direkte Bedrohungen für die Biodiversität dar. Diese werden durch indirekte Treiber wie den Überkonsum der Industrieländer und falsche Anreize in Handel und Wirtschaft vorangetrieben.
Zentrale Hebel zur Lösung der Krise liegen, außer in der Renaturierung von bereits zerstörten Bereichen und der Ausweitung von Schutzgebieten, vor allem in einer nachhaltigen Land- und Meeresnutzung. Ebenso wichtig für zu eine kohärente, biodiversitätsfreundliche Politik ist die Umgestaltung der Regeln für Innen- und Außenwirtschaft sowie den Finanzbereich, damit Unternehmen innerhalb ökologischer Grenzen wirtschaften, und sich die Ausbeutung der Natur nicht mehr lohnt (NeFo-Interview zur Rolle der Finanzwirtschaft).
Was müssen Deutschland und die EU jetzt tun?
Deutschland und die EU setzen sich in den Verhandlungen für ambitionierte und messbare Ziele sowie starke Umsetzungsmechanismen ein. Das ist sehr zu begrüßen und sollte auch so bleiben. Allerdings hat man in Deutschland der Biodiversität in politischen Entscheidungen bisher nicht die Priorität eingeräumt, die es bräuchte, um die Ziele zu erreichen. Das muss sich ändern. Das Kabinett von Olaf Scholz muss anerkennen, dass intakte Ökosysteme unsere Lebensgrundlage darstellen. Die Biodiversitätsziele gilt es in allen Politikbereichen umsetzen. Die konsequente Umsetzung des Green Deals der EU und der dazugehörenden EU-Biodiversitätsstrategie würde Deutschland bereits einen erheblichen Schritt weiterbringen (NeFo-Interview zur EU-Biodiversitätsstrategie).
1. Für ausreichende Finanzierung sorgen
Ohne ausreichende Finanzzusagen an die Länder des globalen Südens zur Umsetzung der Biodiversitätsziele könnte das gesamte Abkommen scheitern. Im ersten Schritt sollte die Bundesregierung in den aktuell laufenden Haushaltsverhandlungen daher deutlich mehr Geld für den Erhalt der globalen Biodiversität reservieren. Im Koalitionsvertrag hatte sie dies bereits versprochen. Dieses Versprechen gilt es nun einzulösen. Den G7-Gipfel Ende Juni in Elmau sollte Deutschland nutzen, um das Thema auf höchster politischer Ebene zu verankern und gemeinsam mit den anderen Industrienationen für eine Lösung der Finanzierungsfrage zu sorgen.
2. Mehr Anstrengungen bei Schutz und Wiederherstellung der Natur leisten
Das von der Bundesregierung jüngst vorgestellte Aktionsprogramm für den natürlichen Klimaschutz ist ein guter erster Schritt in die richtige Richtung. Damit sollen Ökosysteme, die eine wichtige Rolle für die Biodiversität und die Klimaschutz spielen, wie Moore, Auen, Wälder, Grünland oder Seegraswiesen im Meer, geschützt und wieder hergestellt werden. Die angekündigten vier Milliarden Euro bieten endlich Spielraum, tatsächlich etwas zu bewegen. Nun ist es wichtig, gemeinsam mit den Ländern und Akteuren vor Ort schnell mit der Umsetzung zu beginnen. Die Verschiebung der EU-Gesetzgebung zu Renaturierung ist hingegen ein falsches Signal. Hier sollte sich die Bundesregierung für eine schnelle Veröffentlichung einsetzen.
Bei der Formulierung des Ziels, 30 % der Landes- und Meeresfläche unter Schutz zu stellen, ist unbedingt darauf zu achten, dass effektiver Schutz die Achtung der Rechte von Grundbesitzern und der lokalen Bevölkerung beinhaltet sowie eine echte Beteiligung der Öffentlichkeit, Management und Konnektivität der Gebiete – auf globaler und nationaler Ebene – sichergestellt werden müssen. Vor der eigenen Haustür bleibt viel zu tun. Derzeit droht Deutschland zum wiederholten Mal durch den Europäischen Gerichtshof wegen nicht ausreichender Umsetzung der Fauna- Flora-Habitat Richtlinie der EU (FFH-Richtlinie) verurteilt zu werden. Wir sind hier international gesehen also alles andere als ein Vorbild.
3. Die Landnutzung naturgerecht umgestalten
Über die Direktzahlungen der EU-Agrarpolitik fließen jedes Jahr enorme Summen umweltschädigender Subventionen. Diese gilt es schnellstmöglich abzubauen. Stattdessen sollten Anreize für eine naturverträgliche Landwirtschaft geschaffen und Landnutzer*innen für biodiversitätsfördernde Maßnahmen honoriert werden. Der Einsatz von Pestiziden sollte bis 2030 um mindestens 50 % reduziert werden, wie es die EU in ihrer Biodiversitätsstrategie vorsieht. Neben der Menge sollte auch die Giftigkeit der Produkte reduziert und hochgiftige Pestizide verboten werden. Ebenso ist die Anbaufläche des Ökolandbaus auf mindestens 25% der Fläche auszuweiten. Ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt sind Biodiversitätsstandards in Lieferketten sowie Handelsabkommen (NeFo-Beitrag zu Telecoupling). Für solch ein Modell sollte die Bundesregierung auch bei den G7 und anderen Partnern werben.
Fatale Signale sind die derzeitige Verschiebung des Rechtsaktes zu Pestiziden auf EU-Ebene sowie die (temporäre) Freigabe ökologischer Vorrangflächen für die Produktion. Die aktuelle Ernährungskrise sollte nicht als Begründung dienen, um die Biodiversitätskrise zu verschärfen. Gemeinsame Lösungen müssen gefunden werden. Die Flächen, die derzeit zum Anbau von Tierfutter und Biokraftstoffen genutzt werden, bieten weitaus größeres Potenzial, tatsächlich einen relevanten Beitrag zur Ernährung von Menschen zu leisten als die aktuell ausgewiesenen ökologischen Vorrangflächen.
Fazit: Der Biodiversität größere Priorität einräumen
Nach der Verhandlungsrunde in Genf ist leider immer noch offen, ob die Welt diesen Herbst neue ambitionierte globale Ziele und die nötigen Umsetzungsvoraussetzungen haben wird, welche es der Weltgemeinschaft ermöglichen, den Verlust der Biodiversität bis 2030 zu stoppen und umzukehren. Doch bereits jetzt ist klar, an welchen Punkten sich die Länder der Welt und auch die EU und Deutschland bewegen müssen, um diesem Ziel näher zu kommen. Dabei geht es neben der Klärung der Finanzierungsfrage und einen funktionierenden Umsetzungsmechanismus um vermehrte Anstrengungen bei Schutz und Wiederherstellung der Natur, der naturverträglichen Nutzung von Land und Meer sowie Weichenstellungen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Diese muss in Einklang mit der Bewahrung der Biodiversität gebracht werden - um der Biodiversität selbst willen und um die Lebensgrundlage für uns Menschen zu erhalten. Die Bundesregierung sollte dem Schutz der Biodiversität deshalb größere Priorität einräumen!
Magdalene Trapp
Magdalene Trapp ist Referentin für Biodiversitätspolitik beim NABU Bundesverband. Während und nach ihrem Studium in „Ökosystemmanagement (BSc.)“ und „Sustainable International Agriculture (MSc.)“ an den Universitäten Göttingen und Kassel widmete sie sich zunächst der EU-Agrarpolitik mit ihren sozialen und ökologischen Folgen. Seit 2020 gehört die UN-Biodiversitätskonvention und ihre Umsetzung über die nationale Biodiversitätsstrategie zu ihren Arbeitsschwerpunkten.
Friedrich Wulf
Friedrich Wulf ist Biologe und seit 2008 beim Schweizerischen Bund für Naturschutz Pro Natura für internationale Biodiversitätspolitik zuständig. Die Biodiversitätskonvention ist seit 2007 eines seiner wichtigsten Arbeitsfelder. Bereits 2010 hat er an der Verabschiedung der Aichi-Ziele mitgewirkt. Er koordiniert sowohl die Arbeit von Friends of the Earth Europe als auch die AG Biodiversität des Forums Umwelt und Entwicklung, in der die deutschen Naturschutz- und Entwicklungsverbände zur CBD zusammenarbeiten.Lesetipp:
Die deutsche Jugenddelegation „Voice for Biodiv“ setzt sich bei den Verhandlungen zum neuen Biodiversitätsabkommengemeinsam mit Jugendlichen der ganzen Welt für ein ambitioniertes Abkommen ein. Doch in Genf haben die Jugendlichen ein starkes Signal an unsere und kommende Generationen vermisst. Es wurden zu viele zentrale Textpassagen in Klammern gesetzt. Das bedeutet, dass sie umstritten sind und später verhandelt werden.
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Gastbeitrag: Unsere Zukunft gehört nicht in Klammern!
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