- Gastbeitrag Februar 2023 -

Kann die neue globale Agenda für Biologische Vielfalt ein weiteres Scheitern bei der Umsetzung vermeiden?

Der neue Montreal-Kunming-GBF wirft mehr Fragen auf als er beantwortet

Von Yves Zinngrebe, Ioannis Agapakis, Elsa Tsioumani, Sylvia Karlsson-Vinkhuyzen, Joanna Smallwood, Johannes Förster, Ulrike Tröger, Ina Lehmann

Nach vierjährigen Verhandlungen wurde das Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF) von der COP-15 des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD) in Montreal Ende Dezember 2022 angenommen. Während die Vertragsstaaten und viele Beobachter*innen diese Errungenschaft eines globalen Übereinkommens feierten, weist das verabschiedete Abkommen erhebliche Limitationen auf.

Die Verhandlungen auf der COP-15 waren mühsam, und ein Konsens war nur schwer zu erreichen. Die Vorschläge wurden verwässert und ein großer Teil des Textes blieb während der Verhandlungen in eckigen Klammern. So mussten die Minister*innen im Treffen der Delegationsleitungen am Ende der COP 15 eine Lösung für die zentralen Streitfragen finden. Einige der wesentlichen Konfliktpunkte waren: (i) das Ziel von 30 % geschützter Gebiete bis 2030, (ii) die internationale Finanzierung der biologischen Vielfalt, (iii) digitale Sequenzinformationen und (iv) die Umsetzungsmechanismen. Die Schwierigkeiten einer Einigung in diesen Fragen waren zu erwarten. Entsprechend hatte die Entscheidung, das hochrangige Segment bis zum Ende des Prozesses zu verschieben, zur Folge, dass sich die früheren Verhandlungen auf technische Debatten beschränken mussten. Bis zu den Verhandlungen der Delegationleitungen kreisten die Verhandlungen entsprechend um diese ungelösten Fragen. Darüber hinaus wiesen einige Länder des Globalen Südens am Ende der Verhandlungen auf eine Reihe ungelöster Probleme hin, die im Zusammenhang mit der Nord-Süd-Spaltung und dem kolonialen Erbe stehen.

Skyline von Montreal
Die einmalige Skyline von Montreal diente den Verhandlungen als Kulisse. Bild: Y. Zinngrebe

Im Ergebnis war der Prozess der COP 15 langsam und ineffektiv, was zu Spannungen und Frustrationen führte. Dies trübte die Stimmung des Prozesses, der eigentlich ein motivierender Startpunkt für ein weiteres Jahrzehnt des Schutzes der Biologischen Vielfalt sein sollte. Ähnlich wie beim "Pariser Abkommen" auf der COP21 des UNFCCC war das Ergebnis zwar ein unerwarteter und allgemein gefeierter Durchbruch, der jedoch mit einer gewissen Unzufriedenheit und Unsicherheit bezüglich der Umsetzung verbunden war. Die Erleichterung darüber, dass endlich ein Ergebnis angenommen wurde, war bei allen Vertragsstaaten und Beobachter*innen groß. Am Ende wurde ein Paket von sechs wichtigen Beschlüssen angenommen, welches das GBF selbst, sowie damit eng verbundene Themen wie Ressourcenmobilisierung, digitale Sequenzinformationen sowie Planung, Monitoring, Berichterstattung und Review. Obwohl die Ergebnisse in vielen Medien recht positiv aufgenommen wurden, gab es auch Vorbehalte und Bedenken.

Hier ist unsere Einschätzung der Ergebnisse als eine Gruppe von Wissenschaftler*innen, die im Earth System Governance Netzwerk zusammenarbeiten und die globalen Verhandlungen zur biologischen Vielfalt begleiten.

Wir beobachten die folgenden Fortschritte und positiven Entwicklungen des GBF:

  • Die Aichi-Ziele wurden um neue Themen erweitert, z. B. um Ziele zur Anpassung an den Klimawandel, zu Wertschöpfungsketten und zur Gerechtigkeit;
  • Einige Ziele sind relativ spezifisch, wie z. B. die Ziele zur Ressourcenmobilisierung und zu umweltschädlichen Anreizen einschließlich Subventionen;
  • Es wurden erste Schritte für Planungs- und Überarbeitungsprozess festgelegt, um die Transparenz und Verantwortung zu stärken;
  • Wichtige Treiber, einschließlich indirekter Treiber, darunter Wertschöpfungsketten (die Rolle von Unternehmen/Produktion und Konsum), Landwirtschaft, Fischerei, Forstwirtschaft und schädliche Subventionen werden direkt angesprochen;
  • Von großen Unternehmen und Finanzinstitutionen wird mehr Transparenz in Bezug auf ihre Auswirkungen und Abhängigkeiten von der biologischen Vielfalt gefordert;
  • Unterschiedliche Wertesysteme und die Anerkennung des Wertes der biologischen Vielfalt in allen gesellschaftlichen Interaktionen werden anerkannt;
  • Die Erhaltung der biologischen Vielfalt und die Politik zur Erhaltung der biologischen Vielfalt als eine Frage der globalen Gerechtigkeit verstärkt in den Vordergrund zu rücken
  • Die Anerkennung der Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften (IPLC) sowohl auf ihr Land als auch auf die Einbeziehung in die Steuerung der biologischen Vielfalt werden ausdrücklich formuliert.

Es bleiben jedoch einige Fragen offen:

die Excutive Secretary der Konvention für Biologische Vielfalt Elizabeth Marum Mrema sprechend auf Großleinwand
Die Excutive Secretary der Konvention für Biologische Vielfalt Elizabeth Marum Mrema moderiert die Eröffnungszeremonie. Bild: Y. Zinngrebe

  • Viele Ziele bestehen aus unterschiedlichen Bestandteilen, sind konzeptionell nicht kohärent, nicht fokussiert, unpräzise und es fehlt an einer Umsetzungsstrategie;
  • Der Umsetzungsmechanismus des GBF ist schwach und es fehlen die Instrumente für eine solide Rechenschaftspflicht (Accountability);
  • Einige der gewählten Begriffe und Formulierungen lassen so viel Spielraum, dass sie ein „weiter-so“ von bisherigen Praktiken der Ressourcennutzung und damit verbundenen Auswirkungen auf die biologische Vielfalt aufrechterhalten;
  • Das Fehlen einer klaren Bezugnahme auf das Vorsorgeprinzip und das schwache Ziel für Biotechnologie zeigen das Risiko auf, dass die Konvention nicht in der Lage ist, auf technologische Fortschritte und damit Verbundene Gefahren zu reagieren;
  • Nur eine begrenzte Anzahl von Zielen weisen quantitative Zielwerte auf und können gemessen und somit überprüft werden;
  • Es fehlen klarer Verpflichtungen zur Abwehr von Bedrohungen der biologischen Vielfalt wie Entwaldung, Übernutzung von Ökosystemen (wie Überfischung oder intensiver Landwirtschaft) oder anderen Landnutzungsänderungen;
  • Der Rahmen weist eine unzureichende Berücksichtigung der Ursachen des Biodiversitätsverlustes auf, die über die Transparenz in Wertschöpfungsketten (Ziel 15), nachhaltige Produktion (Ziel 16) und schädliche Anreize (Ziel 17) hinausgeht. Zugrunde liegende Probleme für nicht-nachhaltige Ressourcennutzung, wie die Dominanz von Nutzungsinteressen in politischen Entscheidungsprozessen, werden nicht thematisiert.
  • Mangel an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit für institutionelles Lernen.

Im Folgenden gehen wir auf einige zentrale Inhalte des GBF ein:

Elsa Tsioumani (University of Trento) über neue Technologien und DSI:

"Die Beschlüsse zur Biosicherheit sind weniger ehrgeizig und konzentrieren sich eher auf die Verteilung des potenziellen Nutzens der neuen Biotechnologien als auf das Risikomanagement. Angesichts der rasanten Entwicklung der Biotechnologien und ihrer potenziell globalen Auswirkungen sind weitere Überlegungen und Leitlinien der CBD von entscheidender Bedeutung, insbesondere für Länder, denen es an Bewertungskapazitäten fehlt."

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Elsa Tsioumani: Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) hat - gemessen an völkerrechtlichen Maßstäben - schnell auf wissenschaftliche und technologische Fortschritte reagiert. Die beiden Protokolle zur Umgang mit genetisch modifizierten Organismen (Cartagena) und zum Zugang und Vorteilsausgleich (ABS, Nagoya) als Teil der CBD zeugen davon. Die Ergebnisse der COP 15 zeichnen jedoch ein gemischtes Bild in Bezug auf den Umgang mit neuen Technologien.

Einerseits wurden die notorisch kontroversen Verhandlungen über den Vorteilsausgleich bei der Nutzung digitaler Sequenzinformationen (DSI) (der Informationsgehalt genetischer Ressourcen) zufriedenstellend und unerwartet abgeschlossen: Die GBF erkennt die Notwendigkeit an, den Vorteilsausgleich bei DSI zu gewährleisten. Ein separater COP-Beschluss richtet einen multilateralen Mechanismus für den Vorteilsausgleich ein, der von einer Arbeitsgruppe umgesetzt werden soll.

Andererseits sind die Beschlüsse zur Biosicherheit weniger ehrgeizig und konzentrieren sich eher auf die Verteilung des potenziellen Nutzens der neuen Biotechnologien als auf das Risikomanagement. Neben einem schwachen GBF-Ziel gibt es einen Beschluss über die synthetische Biologie. Es wird ein Prozess für das Horizon Scanning, die Überwachung und die Bewertung der jüngsten technologischen Entwicklungen einführt. Dieser ist jedoch auf einen Zeitraum zwischen zwei Sitzungen begrenzt. Ein Beschluss über die Risikobewertung und das Risikomanagement bei lebenden veränderten Organismen im Rahmen des Cartagena-Protokolls über die biologische Sicherheit leitet die Entwicklung von Richtlinien zur Risikobewertung von Gene Drives ein. Dabei liegt der Schwerpunkt auf gentechnisch veränderten Mücken, nicht aber auf lebenden veränderten Fischen, da diese als weniger vorrangig angesehen werden. Angesichts der rasanten Entwicklung der Biotechnologien und ihrer potenziell globalen Auswirkungen sind weitere Überlegungen und Leitlinien der CBD von entscheidender Bedeutung, insbesondere für Länder, denen es an Bewertungskapazitäten fehlt.


Sylvia Karlsson-Vinkhuyzen (Wageningen University) über die Beteiligung indigener Völker:

"Einer der positivsten Aspekte des GBF ist seine Verankerung in einem auf den Menschenrechten basierenden Ansatz und die konsequente und deutliche Formulierung der Rolle, der Rechte und der Territorien indigener Völker und lokaler Gemeinschaften (IPLC)."

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Sylvia Karlsson-Vinkhuyzen: Einer der positivsten Aspekte des GBF ist seine Verankerung in einem auf den Menschenrechten basierenden Ansatz und die konsequente und deutliche Formulierung der Rolle, der Rechte und der Territorien indigener Völker und lokaler Gemeinschaften (IPLC). Die Vertreter*innen dieser Gruppen sahen die meisten ihrer Vorschläge berücksichtigt und waren besonders zufrieden, dass das Ziel 3 zum Schutz von 30 Prozent des Landes und der Gewässer eine sehr deutliche Formulierung zu den Rechten von IPLC enthält. Dadurch wird sichergestellt, dass der historische Missbrauch ihrer Rechte im Namen des Naturschutzes der Vergangenheit angehört. Bemerkenswert ist auch die Formulierung von Ziel 21, dass der Zugang zu traditionellem Wissen nur mit freier, vorheriger und informierter Zustimmung erfolgen dar. In Ziel 22 bezüglich des Zugangs zu Informationen und Gerechtigkeit für IPLC und anderer Gruppen wird außerdem der Schutz von Menschenrechtsaktivist*innen festgelegt.

 Es ist jedoch nur vage festgelegt, wie die Schutzstandards für indigene Gebiete aussehen und bewertet werden sollen. Anstatt indigene Gemeinschaften als eine einheitliche Gruppe zu behandeln, unterscheiden sie sich stark in ihren Wertesystemen, und nicht alle von ihnen leben im Einklang mit der Natur. Um traditionelle und lokale Wissenssysteme anzuerkennen, sind partizipative Planungsprozesse zur Mitgestaltung und Bewertung dieser Kriterien wichtig.


Joana Smallwood (University of Sussex) über Mutter Erde und intrinsische Werte:

"Die Vertragsstaaten können also weiterhin selbst entscheiden, welche Werte der Natur sie bei den Umsetzungen priorisieren, was wahrscheinlich dazu beiträgt, dass alles wie gewohnt weiterläuft."

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Joana Smallwood: Eine wesentliche Verbesserung ist die Feststellung, dass der GBF "gehandelt, umgesetzt, berichtet und evaluiert" werden soll, wobei unterschiedliche Wertesysteme anerkannt werden. Dies lenkt den Blick der Vertragsstaaten zurück auf die intrinsischen Werte der Natur, die in der Präambel des GBF CBD zum ersten Mal erwähnt werden. Allerdings wurden diese Werte durch die überwiegende Berücksichtigung ökonomischer Ansätze wie Naturkapital und Ökosystemleistungen in den Hintergrund gedrängt.

Die Anerkennung der „Mother Earth“ und der Rechte der Natur in der GBF stellt eine ökozentrische Perspektive dar, die nicht nur von vielen indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften, sondern auch von einigen Menschen im Globalen Norden geteilt wird. Diese Werte können den neoliberalen Ideologien entgegenwirken und starke Auswirkungen auf Entscheidungsfindungen haben. Vor dem Hintergrund fortschreibenden Zerstörung von Ökosystemen und Verlust der biologischen Vielfalt hat die CBD als wichtigstes internationales Umweltrecht eine zentrale Rolle darin, ökozentrische Ansätze anzuerkennen.

Trotz dieses Fortschritts hätte die GBF die „Mother Earth“ und die Rechte der Natur stärker einbeziehen können. Während die „Mother Earth“ nur am Rande erwähnt wird, wurde der Text, der sich auf die Einbeziehung von Naturrechtsansätzen bezieht, in Aktionsziel 11 (Beitrag der Natur für die Menschen) und in Aktionsziel 15 (wirtschaftliche und finanzielle Verantwortung) gestrichen. Es gibt zudem keinen Hinweis auf solche Ansätze in den Monitoring-Mechanismen. Die Vertragsstaaten können also weiterhin selbst entscheiden, welche Werte der Natur sie bei den Umsetzungen priorisieren, was wahrscheinlich dazu beiträgt, dass alles wie gewohnt weiterläuft.


Ioannis Agapakis (Client Earth) über den Umsetzungs- und Überprüfungsmechanismus:

"Die 'Planungs-, Umsetzungs-, Monitoring-, Berichts- und Review- Mechanismen' des GBFs für die Zeit nach 2020 (Abschnitt J) stellen eine bedeutende, wenn auch noch immer schrittweise Verbesserung im Vergleich der Aichi-Ära dar."

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Ioannis Agapakis: Die "Planungs-, Umsetzungs-, Monitoring-, Berichts- und Review- Mechanismen" des GBFs für die Zeit nach 2020 (Abschnitt J) stellen eine bedeutenden und doch begrenzte Verbesserung im Vergleich der Aichi-Ära dar.

Als besondere Highlights des vereinbarten "Pakets" sind die Standardisierung (und gemeinsame Einreichungsfristen) der nationalen Berichte zu betonen, die die Vergleichbarkeit der Fortschritte der Vertragsstaaten verbessern und Wissenslücken schließen soll. Gleichzeitig wird der neue Mechanismus zur Überprüfung der kollektiven Fortschritte bei der Umsetzung des Rahmens (der auf der CoP17 und CoP19 stattfindet) als globale "Bestandsaufnahme" der biologischen Vielfalt dienen. Die globale Bestandsaufnahme soll aufzeigen, bei welchen Zielen und Vorgaben die Vertragsstaaten ihre Anstrengungen verstärken müssen.

Allerdings wird die Qualität der Bewertung von den Indikatoren und Maßnahmen des Monitoring-Frameworks abhängen, der noch unvollständig ist. Das Fehlen eines eingehenden Monitorings für alle Vertragsstaaten, entweder in Form eines technischen Sachverständigen oder eines Peer-Review-Prozesses, behindert das transformative Potenzial des Übereinkommens. Es stellt eine verpasste Gelegenheit dar, länderspezifische Umsetzungslücken und -mängel zu beheben. Es bleibt daher unklar, wie Handlungsempfehlungen für negative Trends gestaltet werden sollen. Der SBI-Mechanismus (Subsidiary Body for Implementation) wird die Antworten der COP auf die Bestandsaufnahme vorbereiten, hat aber kein klares Mandat erhalten, verbleibende Handlungslücken zu identifizieren. Gleichzeitig ist die schrittweise Verstärkung von Maßnahmen auf nationaler Ebene derzeit nur als freiwillige Option für die Vertragsstaaten formuliert (es wird der Ausdruck "Die Vertragsstaaten können..." verwendet). Dies verringert die Chancen auf eine rechtzeitige Kurskorrektur erheblich, sollten sich die kollektiven Anstrengungen der Vertragsstaaten als unzureichend erweisen.


Yves Zinngrebe (Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ) über Mainstreaming und Nationale Biodiversitätsstrategien und Aktionspläne (NBSAPs):

"Die NBSAP-Leitlinien im Anhang des GBF erscheinen wie ein zahnloser Tiger, der die Parteien anfleht, die NBSAPs als "Schirm" zu positionieren, um den Schutz der biologischen Vielfalt horizontal und vertikal in alle Sektoren und politischen Ebenen zu integrieren. Trotz fast 20-jähriger wissenschaftlicher Debatten über Mainstreaming und politische Integration wurde keine spezifische Maßnahme zur Förderung des Mainstreaming angenommen."

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Yves Zinngrebe: Nach der Verabschiedung des GBF müssen die Vertragsstaaten die neu vereinbarten internationalen Ziele in nationale Ziele übersetzen und umsetzen. Im letzten Jahrzehnt war der Prozess der nationalen Strategien eher lose mit den Aichi-Zielen verbunden.

Als Teil des Planungs-, Umsetzungs-, Monitoring-, Berichts- und Review- Prozesses sollen die Vertragsstaaten jetzt bei diesem Prozess angeleitet werden und die Fortschritte regelmäßig bewerten. In einem ersten Schritt müssen die Vertragsstaaten vor der COP16 in einem standardisierten Format über ihre nationalen Ziele berichten und darlegen, wie sie den GBF umsetzen wollen. Während der COP16 und den folgenden COPs sollen die Fortschritte bei der Entwicklung und Umsetzung der Ziele kontinuierlich bewertet und gemonitort werden. Es ist jedoch noch unklar, wie streng diese Bewertung sein wird und welche Kriterien und Indikatoren herangezogen werden. Zwar ist ausdrücklich von einem "Global Review" die Rede, der sich auf veröffentlichte Ziele und standardisierte Leitindikatoren stützt, aber die Qualität der Indikatoren und die Art des Monitorings sind noch ungewiss.

Das Mainstreaming, die Idee, die biologische Vielfalt in allen Politiken und Plänen zu berücksichtigen, ist seit der Verabschiedung des Konventionstextes in Absatz 6 eine zentrale Herausforderung für die Umsetzung. Die COP-Beschlüsse ermutigen die Vertragsstaaten, die NBSAPs mit nationalen Entwicklungs-, Nachhaltigkeits- oder Armutsbekämpfungsstrategien zu verknüpfen, um die biologische Vielfalt im Hinblick auf die Umsetzung von Ziel 14 (Mainstreaming) zu berücksichtigen. Die NBSAP-Leitlinien im Anhang des GBF erscheinen allerdings wie ein zahnloser Tiger, der die Parteien anfleht, die NBSAPs als "Schirm" zu positionieren, um den Schutz der biologischen Vielfalt horizontal und vertikal in alle Sektoren und politischen Ebenen zu integrieren.

Trotz fast 20-jähriger wissenschaftlicher Debatten über Mainstreaming und politische Integration wurde keine spezifische Maßnahme zur Förderung des Mainstreaming angenommen. So hätten die Vertragsstaaten aufgefordert werden können, den NBSAPs einen eindeutigen Rechtsstatus zuzuweisen, die Staatshaushalte mit den NBSAPs zu verknüpfen oder sicherzustellen, dass alle staatlichen Förderprogramme mit den Zielen zur biologischen Vielfalt in Einklang stehen. Stattdessen bleiben die Ansätze sehr vage und es bleibt an Nationalregierungen, partizipative Prozesse einzuleiten und Biodiversität mit anderen multi-lateralen Prozessen abzustimmen. Insgesamt wird der aktuelle GBF als Leitfaden für die nationale Umsetzung verabschiedet und als Grundlage für einen sehr flexiblen Evaluierungsprozess festgelegt. Um das Mainstreaming auf nationaler Ebene zu unterstützen, anzuleiten oder zu fördern, müssen die kommenden COPs jedoch spezifischere und verbindlichere Anforderungen annehmen.


Ina Lehmann (Vrije Universiteit Amsterdam) über die Mobilisierung von Ressourcen/Finanzen/Finanzierung:

"Ungeachtet all dieser Bedenken wird die rasche Mobilisierung und Überweisung von Mitteln der Schlüssel sein, um Maßnahmen in Gang zu setzen und die Umsetzung für alle Vertragsstaaten zu ermöglichen."

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Ina Lehmann: Die GBF wird nur so gut sein wie ihre Umsetzung und diese wird kostspielig. Dementsprechend stand die Finanzierung der biologischen Vielfalt ganz oben auf der Tagesordnung der Verhandlungen und war bis zu deren Abschluss ein wesentlicher Streitpunkt.

Die Länder des Globalen Nordens und des Globalen Südens befanden sich in einer Verhandlungssituation, in der erstere darauf abzielten, das Anspruchsniveau des Rahmens zu erhöhen, und letztere auf mehr Finanzhilfe für den Erhalt der biologischen Vielfalt drängten. Der GBF sieht nun die Mobilisierung von mindestens 200 Milliarden US-Dollar pro Jahr bis 2030 (Ziel 19), und die Schließung der globalen Finanzierungslücke im Bereich der biologischen Vielfalt von 700 Milliarden US-Dollar pro Jahr bis 2050 (Ziel D) vor. Konkret soll die internationale finanzielle Unterstützung für Länder des Globalen Südens bis 2030 auf mindestens 30 Milliarden US-Dollar pro Jahr erhöht werden. Weitere Beiträge zur Erreichung der globalen Ziele sollen aus der Mobilisierung inländischer Ressourcen, aus Beiträgen des Privatsektors, sowie aus so genannten "innovativen Systemen" wie Zahlungen für Ökosystemleistungen, Biodiversitätsgutschriften oder anderen Mechanismen bestehen.

Durch die Konkretisierung der zu mobilisierenden Beträge stellt die GBF einen deutlichen Fortschritt gegenüber den früheren Aichi-Zielen dar, in denen nur vage Finanzierungsmittel festgelegt waren. Mit dem GBF gibt es nun eine konkrete Grundlage, anhand derer die Vertragsstaaten ihre tatsächlichen Finanzierungsbemühungen rechtfertigen müssen. Allerdings geht wertvolle Zeit verloren, um den Rückgang der biologischen Vielfalt zu stoppen, wenn die derzeitige Finanzierungslücke erst im Jahr 2050 geschlossen wird. Dieser lange Zeitrahmen für die Schließung der Finanzierungslücke ist umso problematischer, als sich die Vertragsstaaten in Ziel 18 verpflichtet haben, die Anreize zur Schädigung der biologischen Vielfalt bis 2030 schrittweise um mindestens 500 Milliarden US-Dollar pro Jahr zu verringern. Das ist zwar nur ein Bruchteil der geschätzten schädigenden Subventionen, aber könnten diese Reduzierungen nicht für die Umsetzung des GBF verwendet werden?

Ein zweites zentrales Hindernis ist die geringe Höhe der internationalen Finanzmittel für die Länder des Globalen Südens im Bereich der biologischen Vielfalt. Auch wenn die reicheren Länder derzeit mit wirtschaftlicher Unsicherheit und Inflation zu kämpfen haben, ist ihr Gesamtbeitrag zur GBF immer noch nur ein sehr kleiner Teil ihrer gemeinsamen Wirtschaftsleistung. Es gibt zudem Bedenken, dass private Finanzierungsmöglichkeiten und die sogenannten innovativen Finanzierungsmodelle eine so wichtige Rolle zugeschrieben wurde. Dies könne die Kommerzialisierung der biologischen Vielfalt weiter vorantreiben und dem Privatsektor zu viel Einfluss auf die Entwicklung der Biodiversitätspolitik geben. Ungeachtet all dieser Bedenken wird die rasche Mobilisierung und Überweisung von Mitteln der Schlüssel sein, um Maßnahmen in Gang zu setzen und die Umsetzung für alle Vertragsstaaten zu ermöglichen.


Johannes Förster (Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ) über Wirtschaft und Finanzen:

"Insgesamt zeigt Target 15 des GBF großen Unternehmen und Finanzinstituten an, dass sie sich darauf einstellen müssen, zukünftig ihre Auswirkungen auf und Abhängigkeiten von Biodiversität zu erfassen und in die Unternehmensberichterstattung zu integrieren."

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Johannes Förster: Im Gegensatz zu früheren CBD-COPs gab es auf der COP15 eine noch nie dagewesene Anzahl von Veranstaltungen und Aktivitäten von Unternehmen und Finanzinstituten. Manchmal schien es, als gäbe es mehr Energie, Inspiration und Tatkraft bei den Unternehmensveranstaltungen als bei den Verhandlungen.

Überraschend waren auch die Zahl der Unternehmen und Finanzinstitutionen, die eine verpflichtende Berichterstattung für Unternehmen forderten, um Auswirkungen und Abhängigkeiten in Bezug auf biologische Vielfalt transparent zu machen (siehe auch Gastbeitrag zu Target 15). Obwohl das Wort "verpflichtend (mandatory)" nicht in den endgültigen Text aufgenommen wurde, weist das Wort "sicherstellen (to ensure)" die Vertragsstaaten auf die Notwendigkeit hin, Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass große und transnationale Unternehmen und Finanzinstitutionen ihre Risiken, Abhängigkeiten und Auswirkungen auf die biologische Vielfalt entlang ihrer Tätigkeiten, Liefer- und Wertschöpfungsketten und Portfolios regelmäßig überwachen, bewerten und transparent machen. Bisher haben nur wenige Vertragsstaaten (wie z.B. die EU) damit begonnen, eine auf dieses Ziel ausgerichtete Politik zu entwickeln. Dennoch wird schon dadurch transnationalen Unternehmen und Finanzinstitutionen deutlich gemacht, dass sie Biodiversität in ihre Berichterstattung einbeziehen müssen, wenn sie weiterhin Zugang zu bestimmten Märkten haben wollen.

Insgesamt zeigt Target 15 des GBF großen Unternehmen und Finanzinstituten an, dass sie sich darauf einstellen müssen, zukünftig ihre Auswirkungen auf und Abhängigkeiten von Biodiversität zu erfassen und in die Unternehmensberichterstattung zu integrieren.
 

Der GBF ist angenommen – nächste Schritte?

Der nächste Schritt nach der Verabschiedung des Kunming-Montreal GBF ist die nationale Umsetzung durch die Vertragsstaaten. In den zwei Jahren bis zur COP16 in Antalya, Türkei, müssen die Vertragsstaaten ihre nationalen Ziele festlegen und Schritte zu deren Umsetzung unternehmen. Gleichzeitig sind viele Fragen zur Umsetzung und Bewertung der Ziele noch offen. Die Sitzungen der technischen Ad-Hoc-Expertengruppe für den Monitoring-Framework werden sich mit der endgültigen Festlegung von Indikatoren befassen. In Sitzungen der Nebenorgane zur Umsetzung („Subsidiary Bodies on Implementation“, SBI)) und des wissenschaftlich-technischen Ausschusses des CBD („Scientific, Technical, Technological Advice“, SBSTTA,) werden COP-Entscheidungen und mögliche Schritte in Richtung stärkerer Verpflichtungen zur Umsetzung vorbereitet.

der chinesische Umweltminister Huang Runqiu klatschend auf Großleinwand
In einer langen Nacht saßen die Delegierten bis nach 2 Uhr morgens im Verhandlungssaal, bis sie die finalen Texte einsehen und wenige Minuten später endgültig beschließen konnten. Der chinesische Umweltminister Huang Runqiu beklatscht bereits die Annahme des GBF, während andere Delegierte noch brauchen, um die Geschehnisse realisieren zu können. Bild: Y. Zinngrebe

Die „accelerator“-Partnerschaft um die NBSAPs und andere Einzelinitiativen bieten das Potenzial, nationale Anstrengungen zu fördern, die über eine minimale Einhaltung der vagen GBF-Ziele hinausgehen könnten. Ein iterativer Prozess der Bewertung und des Monitorings wird von nun an auf den kommenden COPs etabliert. Es bleibt abzuwarten, wie das verfügbare Wissen genutzt werden kann, um Empfehlungen für eine wirksame Umsetzung zu erarbeiten. Die anstehenden Bewertungen der Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES) in Bezug auf einen integrierten Ansatz für die biologische Vielfalt (NEXUS) und Maßnahmen zur Bekämpfung der zugrunde liegenden strukturellen Treiber für den Verlust der biologischen Vielfalt (transformativer Wandel) können hier wichtige Informationsquellen sein. Ihre Relevanz für die CBD-Prozesse bleibt jedoch schwach und wurde in vielen COP-Dokumenten während der Verhandlungen geschmälert.

Mit der Verabschiedung der Montrealer Kunming GBF beginnt ein neues (kurzes) Jahrzehnt der Bemühungen, den Verlust der biologischen Vielfalt aufzuhalten. Auch wenn viele Fragen auf der COP15 nicht beantwortet wurden, können die Vertragsstaaten nun die Flexibilität nutzen, die die GBF für die Umsetzung zulässt, um sinnvolle Maßnahmen zum Schutz und zur Wiederherstellung der biologischen Vielfalt zu ergreifen.
 

Die Autor*innen

Yves Zinngrebe, Ioannis Agapakis, Elsa Tsioumani, Sylvia Karlsson-Vinkhuyzen, Joanna Smallwood, Johannes Förster, Ulrike Tröger, Ina Lehmann arbeiten im „Earth System Governance“-Netzwerk zusammen. Sie sind Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Teilen Europas, die den Prozess der CBD und der nationalen Umsetzung seit Jahren verfolgen. Durch eine interdisziplinäre Zusammensetzung der Gruppe ist es möglich, verschiedene Aspekte der Verhandlungen und den darausresultierenden Konsequenzen zu vertiefen.


Menschengroße Buchstaben "COP-15" im Schnee vor einem Gebäude in Montreal
Nach zähen Verhandlungen stand am Ende der CBD COP-15 tatsächlich eine Einigung, wenn auch mit abgeschwächten Zielen - ein „Paris-Moment light“. Bild: J. Taffner

Lesetipp:

Trotz inhaltlicher Abschwächungen und Streichungen sind die 23 festgelegten Ziele ambitioniert. Jetzt liegt es an den Mitgliedsstaaten, diese Ziele bis 2030 erfolgreich umzusetzen. Auch die Forschung ist in der Verantwortung. Sie muss bestehende Wissenslücken schließen und eng mit allen Akteuren zusammenarbeiten – vor allem, wenn es darum geht, naturbasierte Lösungen zu finden, vertretbare Offset-Lösungen zu definieren und verlässliche Kriterien zum Schutz vor Greenwashing zu etablieren.

Gastbeitrag: Montreals „Paris-Moment light“ - Hausaufgaben für Politik und Wissenschaft