- Gastbeitrag August 2022 -

Bunte Biomasse als Vielfalt-fördernder Energieträger

Ein Gastbeitrag von Simon Hein & Dr. Andreas Kinser (Deutsche Wildtier Stiftung)



Der Verlust der Biologischen Vielfalt hat in unserer Feldflur dramatische Ausmaße angenommen. Seit dem Frühjahr 2019 setzen die Veolia Stiftung, der Deutsche Jagdverband und die Deutsche Wildtier Stiftung deswegen das Kooperationsprojekt „Bunte Biomasse“ zum Schutz der Biodiversität in der Agrarlandschaft um: Durch das Projekt soll deutschlandweit Mais, der zur Vergärung in Biogasanlagen angebaut wird, durch mehrjährige, blühende Wildpflanzenmischungen ersetzt werden. Landwirte erhalten über das Projekt „Bunte Biomasse“ und mit Hilfe regionaler Unterstützer einen Ausgleich für monetäre Verluste und werden kostenlos beim Anbau, Pflege und Ernte der Kulturen beraten. Ein deutliches Plus an Biologischer Vielfalt, ein Gewinn für den Boden und einen bedeutenden Imagegewinn für die Landwirtschaft und ihre lokalen Akteure bietet das Projekt „Bunte Biomasse“ zum Nulltarif.

Bunte Biomasse als Vielfalt- fördernder Energieträger
Projektschild in Bunter Biomasse. Bild: Christian Kemnade

Auf jedem fünften Hektar der landwirtschaftlichen Fläche werden inzwischen nachwachsende Rohstoffe angebaut – hauptsächlich zur Energieproduktion. Für die Biogasproduktion werden derzeit in erster Linie Mais, Zuckerrüben und Getreide als Ganzpflanzensilage angebaut. Diese einjährigen und mit hohem Produktionsmitteleinsatz geführten Monokulturen haben leider vielfach negative Folgen für die Artenvielfalt in unserer Kulturlandschaft, in der Wildtiere kaum noch Nahrung oder Versteckmöglichkeiten vor ihren Feinden finden.

Blühende Wiese
Bunte Biomasse im ersten Standjahr. Bild: Johann Högemann

In den Agrarlandschaften ist daher ein massiver Verlust an Biologischer Vielfalt längst zur Tatsache geworden. Um die Artenvielfalt in den intensiv genutzten Agrarlandschaften wieder zu erhöhen, ist eine Vielfalt von Kulturen und Strukturen unverzichtbar. Die Biomasseproduktion bietet dabei eine Chance. Denn anders als bei der Nahrungs- und Futtermitteln können unterschiedliche Pflanzenarten in Reinsaat und Mischung angebaut und der gesamte Aufwuchs zur Vergärung in der Biogasanlage genutzt werden.

Saatgutmischungen aus ertrag- und blütenreichen ein- und mehrjährigen heimischen Wild- und Kulturpflanzen bieten innovative Ansätze, mit denen die Energieerzeugung aus Biomasse gleichzeitig die Ziele des Landschafts-, Natur- und Artenschutzes verfolgen kann. Die Vorteile sind dabei vielfältig:

  • Das vielfältige Blütenangebot und die für landwirtschaftliche Kulturen lange Blühzeit bis Ende Juli/ Mitte August verbessern das Habitatangebot und die Nahrungssituation für eine Vielzahl von Insekten, inklusive Wildbienen und Schmetterlingen.
  • Mehrjährige Mischungen bieten im Sommer wie im Winter Nahrung und Deckung für Niederwild, Singvögel und Wintergäste.
  • Auf chemische Pflanzenschutzmittel kann weitestgehend verzichtet werden.
  • Ab dem 2. Standjahr findet keine mechanische Bodenbearbeitung mehr statt wodurch Bodenbrüter und Jungtiere geschützt werden.
  • Die ganzjährige Bewurzelung des Oberbodens verbessert die Humusbilanz, vermindert den Bodenabtrag durch Erosion, erhält die Bodenfeuchte und beugt der Bodenverdichtung vor.
  • Mehrjährige Wildpflanzenkulturen bieten ein hohes Potential zur Stickstoffbindung und tragen dadurch vor allem in den Veredelungsregionen zum Gewässerschutz bei.
  • Blühmischungen werten das Landschaftsbild auf, erhöhen den Erholungswert einer Region und ermöglichen einen Imagegewinn für die Landwirtschaft und ihre Akteure.

Projekt „Bunte Biomasse“

Seit dem Frühjahr 2019 setzen die Veolia Stiftung, der Deutsche Jagdverband und die Deutsche Wildtier Stiftung diese Idee in die Praxis um. Mit ihrem Kooperationsprojekt „Bunte Biomasse“ soll deutschlandweit das Anbausystem der ertragreichen, mehrjährigen Wildpflanzenmischungen zur Biomasseproduktion in der landwirtschaftlichen Praxis verankert werden. Ob Wilde Möhre, Natternkopf, Fenchel, Lichtnelke, Königskerze oder 20 andere teils mehrjährige Wildpflanzen: Ihr Anbau auf heimischen Äckern soll die Biologische Vielfalt stärken, indem sie als Nahrungsquelle für Insekten dienen, in allen Jahreszeiten Nahrung und Deckung für Wildtiere bieten und gleichzeitig das Grundwasser und den Boden schützen. Ihr Aufwuchs wird analog zum Mais in Biogasanlagen zu Biogas verarbeitet. Weil Bunte Biomasse im Vergleich zum Mais einen etwa 40 % geringeren Energieertrag je Hektar liefert, werden die Landwirte im Rahmen des Projektes finanziell unterstützt - pro Hektar erhalten Landwirte 250 Euro für den Anbau von Bunter Biomasse. In sehr trockenen Jahren erreichen Wildpflanzenmischung aber sogar eine vergleichbare Energieausbeute wie mit Mais. Denn: Wildpflanzenstauden durchwurzeln durch ihre Mehrjährigkeit den Oberboden intensiv und schützen so a) den Boden ganzjährig besser vor Austrocknung und Erosion z.B. nach Starkregenereignissen und können b) die verbliebene Winterfeuchte in trockenen Frühjahren besser nutzen.

Landmaschiene beim Ernten von Biomasse
Ernte von Bunter Biomasse. Bild: M.Bischoff

Im Rahmen des Projektes Bunte Biomasse, erblühen mittlerweile in zehn Bundesländern insgesamt über 500 Hektar mehrjährige Wildpflanzenkulturen zur Biomasseproduktion. Schwerpunktregionen sind dabei vor allem in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bayern. Mehr als 90 engagierte Landwirte schaffen so einen Lebensraum für kleine und große Wildtiere.

Und das Projekt ist auf dem Weg vom Modellprojekt in den Mainstream: Nach vielen Jahren der politischen und praktischen Überzeugungsarbeit des Netzwerks Lebensraum Feldflur, dass sich bereits seit 2008 für den Anbau von mehrjährigen Wildpflanzenkulturen zur Biomasseproduktion einsetzt, werden mit der neuen Förderperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU ab 2023 die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Niedersachen und Baden-Württemberg entsprechende öffentliche Agrarförderprogramme für Landwirte anbieten. Dies ist ein bedeutsamer Schritt, um in den intensiv zur Biogasproduktion genutzten Landschaften den Verlust an Biologischer Vielfalt zu stoppen und mittelfristig wieder mehr Artenvielfalt zu ermöglichen.

Wenn Sie mehr über das Projekt Bunte Biomasse erfahren möchten, besuchen Sie uns unter https://www.energie-aus-wildpflanzen.de/projekte/bunte-biomasse/


Simon Hein
Simon Hein. Bild: Deutsche Wildtier Stiftung

Simon Hein

Simon Hein studierte Umwelt- und Nachhaltigkeitswissenschaften an der Leuphana Universität Lüneburg. In seinen Abschlussarbeiten befasste er sich mit dem Einfluss von Stickstoffemissionen auf Kulturlandschaften. Neben seiner Tätigkeit als Referent für Natur- und Artenschutz im Projekt Bunte Biomasse koordiniert Hein das Projekt Feldhamsterland bei der Deutschen Wildtier Stiftung und beschäftigt sich mit dem Artenschutz in der Feldflur sowie mit Blühstreifen als Verbundkorridore in der Agrarlandschaft.


Dr. Andreas Kinser
Dr. Andreas Kinser. Bild: Deutsche Wildtier Stiftung

Dr. Andreas Kinser

Dr. Andreas Kinser ist stellvertretender Leiter Natur- und Artenschutz bei der Deutschen Wildtier Stiftung. Neben jagd- und agrarpolitischen Initiativen wie dem Netzwerk Lebensraum Feldflur koordiniert er diverse Artenschutzprojekte zum Schutz der Biodiversität in Offenland- und Wald-Lebensräumen.


Moorlandschaft
Bild: Marisa/pixabay

Lesetipp:

Jährlich eine zusätzliche Milliarde Euros für die kommenden vier Jahre - alleine für den Naturschutz. Das hat die Bundesregierung im März in ihrem Aktionsplan Natürlicher Klimaschutz versprochen. So viel Geld stand noch nie für den Naturschutz in Deutschland bereit. Die Frage ist jetzt: Wie und wo setzen wir das Geld am sinnvollsten ein? Und wer soll das koordinieren? Nötig ist nichts geringeres als ein neues Verständnis der Landnutzung – eine Transformation ähnlich dem Kohleausstieg.

Weiterlesen im...

Themenspezial zum Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz: Schleusen auf für den Naturschutz