- CBD-Kolumne Juni 2022 - 

Der Weltbiodiversitätsrat und die Frage nach dem „wie“ der Transformation

Bericht zu einem IPBES-Autorentreffen von Dr. Yves Zinngrebe. Unter Mitwirkung von Dr. Axel Paulsch.

Der Weltbiodiversitätsrat (Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services, IPBES) ist ein globales, zwischenstaatliches Wissenschaftsgremium, was – ähnlich wie der IPCC im Klimabereich – über den Wissensstand im Themenbereich biologische Vielfalt und Ökosystemleistungen informieren soll. Neben Öffentlichkeitsarbeit, Politikberatung und Kapazitätenentwicklung steht besonders im Mittelpunkt, Wissenschaftler und andere Wissensträger mit der Beantwortung konkreter Fragestellungen zu beauftragen. Anfragen kommen z.B. von Umweltabkommen wie der CBD, der UNCCD oder CITES, die Entscheidung, welche Assessments tatsächlich durchgeführt werden, obliegt aber dem Plenum der IPBES-Mitgliedsstaaten. Im Mai 2022 fanden die ersten Autorentreffen für zwei aktuelle Assessmentprozesse in Montpellier und Frankfurt (Main) statt, und zwar für das „Transformations-Assessment“ und das „NEXUS-Assessment“. Nachdem die bisherigen thematischen und regionalen Assessments sowie das globale Assessment nachdrücklich auf die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Transformation hingewiesen haben, soll nun das „wie“ dieser Transformation im Zentrum der Wissensprozesse stehen.

IPBES-Logo und Symbolabbildungen
IPBES ist der umfassendste Prozess der Wissensdarstellung zu biologischer Vielfalt und Ökosystemleistungen, den es je gab. Bild: IPBES
Die Stimmung beim Autorentreffen zum „Transformations-Assessment“ war sehr enthusiastisch und kooperativ, was nicht zuletzt am positiven Spirit der Co-chairs, Karen O’Brian, Lucas Garibaldi und Arun Agrawal, aber auch an der „Rundum-sorglos“-Betreuung durch das IPBES-Sekretariat und die Task Forces lag. In den fünf Tagen entstand ein Bewusstsein dafür, dass wir als Autoren auch bereit sein müssen, unsere eigenen wissenschaftlichen Zugänge und Sichtweisen zu hinterfragen und „zu transformieren“. Die Bereitschaft dazu nahm ich persönlich deutlich wahr und wir diskutierten bereits morgens beim Frühstück über Konzepte und Elemente von Transformation. Eine Herausforderung war lediglich der Bustransport, der uns in wildesten Routen jegliche Ecken Montpelliers erkunden ließ und zu Verspätungen führte. Aber weder die Busrouten, die Baustelle mit schwerem Gerät neben dem Konferenzgebäude noch die Herausforderung der Hybridsitzungen konnten uns wirklich von den Diskussionen bis in die Abende hinein abbringen. Für die Autoren, die nicht persönlich an dem Treffen teilnehmen konnten, war es bestimmt schwieriger, gleichermaßen involviert zu sein. Die Kollegen aus China beispielsweise konnten aufgrund anhaltender COVID-Lock-downs nicht nach Frankreich reisen. Für die große Mehrheit der Autoren, die vor Ort waren, ist aber ein wichtiger Schritt getan: das vorgegebene „Scoping-dokument“ (Vorgabe vom IPBES-Plenum mit Kapiteln und zu beantwortenden Fragen) für unseren Schreibprozess in konkrete Fragestellungen und Teilbereiche übersetzt, um eine Bearbeitung zu ermöglichen und in der Autorengruppe zu bearbeiten. Eine zentrale Herausforderung wird es bleiben, auf der einen Seite pluralistische Sichtweisen zuzulassen und nicht zu vorschreibend („policy-prescriptive“) zu sein, und gleichzeitig dennoch konkrete Schlussfolgerungen und Empfehlungen zu erarbeiten, die über eine „shoping-list“ hinausgehen. Ein erster detaillierter Strukturaufschlag („Zero-Draft“) ist erstellt und wird nun in einer Periode von insgesamt drei Jahren zu einem Assessment-Bericht ausgearbeitet, überarbeitet und Review-Prozessen unterzogen, bevor die Zusammenfassung für politische Entscheider (Summary for policy makers) dann bei einer Plenarsitzung von IPBES angenommen werden muss.
IPBES-Autorentreffen in Montpellier Mai 2022
Gute Stimmung beim IPBES-Autorentreffen zum „Transformations-Assessment“. Bild: IPBES
Kurz vor der Fertigstellung sind zur Zeit das methodische Assessment zu „Wertenvorstellung von biologischerer Vielfalt“ und das thematische Assessment zur „nachhaltigen Nutzung von wildlebenden Arten“. Hier werden die Kernerkenntnisse in der neunten IPBES-Plenarsitzung (vom 3.-9.7. in Bonn) verhandelt. Auch hier wird spannend sein zu verfolgen, wie Erkenntnisse zu gesellschaftlichen und politischen Fragen aufgenommen werden. An der Reaktion der IPBES-Mitgliedsstaaten wird sich ablesen lassen, welches kritische Punkte und „unbequeme Wahrheiten“ sind. Oft gibt es aber auch lediglich Missverständnisse, die sich durch Anpassung des Wortlautes umgehen lassen. Insgesamt muss aber berücksichtigt werden, dass IPBES ein unabhängiges Gremium ist, und beispielsweise nicht direkt institutionell mit der Konvention über Biologische Vielfalt (CBD) verbunden ist. Beispielsweise sind die USA Teil der 140 IPBES-Mitgliedsstaaten, aber nicht der 196 CBD-Mitgliedsstaaten. Wenn die CBD also Ziele für Biodiversitätsschutz festlegt, die Umsetzung plant und Fortschritte überwacht, so sind nicht alle CBD-Mitgliedstaaten gleichzeitig daran gebunden, zu Erkenntnissen der IPBES-Reports Stellung zu beziehen. Formal ist es vielmehr so, dass das Mandat von IPBES damit endet, seine Erkenntnisse und Empfehlungen öffentlich zu machen und es dann den politischen Abkommen und Nationalstaaten überlassen bleibt, wie sie auf diese Erkenntnisse reagieren wollen. In den Evaluierungsprozessen und dem anvisierten „Global-Stocktake“ des zukünftigen GBF sollen auch IPBES Erkenntnisse einfließen (siehe auch den aktuellen Gastbeitrag). Es bleibt aber offen, wie das genau geschehen soll (siehe auch den NeFo-Sonderbeitrag zu den CBD-Vorverhandlungen in Genf).

Beim Transformations-Assessment fiel erneut die ungleiche Repräsentation der Autoren ins Auge. Ein wirklicher Fortschritt im Vergleich zu den Autorenteams früherer IPBES-Assessments konnte hinsichtlich der Gender-Parität (es sind nun gleichermaßen Frauen und Männer) und der disziplinären Hintergründe (etwa gleichmäßig Sozial- und Naturwissenschaftler) erreicht werden. Es fällt allerdings nach wie vor auf, dass einige Länder stark repräsentiert sind, und andere ganz fehlen. Das liegt wohl zum einen daran, dass die Arbeit der beitragenden Wissenschaftler grundsätzlich pro bono erfolgt und dass nur einige Autoren (wie ich) von ihren Arbeitsgebern für die Arbeit im Gremium freigestellt werden, während es für andere eine Freizeitbeschäftigung an Abenden und Wochenenden ist. Zum anderen wird in den Ländern unterschiedlich intensiv zu IPBES berichtet. Das Auswahlgremium, das die Autorenteams zusammenstellt, kann nur aus der Liste derjenigen auswählen, die durch die nationalen Ansprechstellen ihrer jeweiligen Länder nominiert wurden. Der Nominierungsprozess wird in verschiedenen Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich beworben und gehandhabt. In Deutschland gibt es die Nationale IPBES-Koordinierungsstelle, die über Ausschreibungen und andere IPBES-Prozesse informiert, den Nominierungsprozess für die Bundesregierung begleitet und vor den Plenumstreffen von IPBES ein Nationales IPBES-Forum ausrichtet. Dieses wird auch dieses Jahr Anfang Juni in Bonn stattfinden. Um diese nationalen Prozesse zu stärken, informiert IPBES nun gezielter die verantwortlichen Ansprechpartner auf nationaler Ebene über Hintergründe und Möglichkeiten der IPBES-Prozesse.
Trotz dieser Schwächen in der globalen Repräsentanz ist IPBES dennoch der umfassendste Prozess der Wissensdarstellung zu biologischer Vielfalt und Ökosystemleistungen, den es je gab, und kein politischer Entscheider kann sich mehr auf ein „das haben wir nicht gewusst“ rausreden.