- Gastbeitrag Februar 2023 -

Montreals „Paris-Moment light“ - Hausaufgaben für Politik und Wissenschaft

Ein Gastbeitrag von Julian Taffner


Am 19. Dezember 2022 einigten sich Vertreter*innen von 196 Mitgliedsstaaten der UN-Biodiversitätskonvention bei der Weltnaturkonferenz auf ein globales Rahmenwerk zum Schutz der Biodiversität – trotz inhaltlicher Abschwächungen und Streichungen sind die 23 festgelegten Ziele ambitioniert. Jetzt liegt es an den Mitgliedsstaaten, diese Ziele bis 2030 erfolgreich umzusetzen. Auch die Forschung ist in der Verantwortung. Sie muss bestehende Wissenslücken schließen und eng mit allen Akteuren zusammenarbeiten – vor allem, wenn es darum geht, naturbasierte Lösungen zu finden, vertretbare Offset-Lösungen zu definieren und verlässliche Kriterien zum Schutz vor Greenwashing zu etablieren.

Eine von acht Millionen Arten ist weltweit vom Aussterben bedroht. Dabei geht es auch um den Verlust ganzer Ökosysteme und damit um die menschliche Lebensgrundlage. Neben der Klimakrise zählt der Biodiversitätsverlust zu den größten globalen und ökonomischen Risiken (Global Risk Report 2023). Das ambitionierte Ziel der COP15 war nicht weniger, als ein Rahmenwerk für die Trendwende beim Biodiversitätsverlust zu schaffen: Nicht nur sollte der Artenverlust gestoppt, sondern auch die Erholung der Natur ermöglicht werden.
Menschengroße Buchstaben "COP-15" im Schnee vor einem Gebäude in Montreal
Nach zähen Verhandlungen stand am Ende der CBD COP-15 tatsächlich eine Einigung, wenn auch mit abgeschwächten Zielen - ein „Paris-Moment light“. Bild: J. Taffner

„Paris-Moment light“ - 23 Ziele zum Erhalt der Biodiversität

Dies schürte die Hoffnung auf einen „Montreal-Moment“, einen Durchbruch wie bei der Klimakonferenz 2015 in Paris. Trotz zäher Verhandlungen stand am Ende eine Einigung, wenn auch mit abgeschwächten Zielen - ein „Paris-Moment light“. Mit 23 Zielen, die auch soziale Aspekte einbeziehen, soll die Biodiversität erhalten werden. Dies soll einerseits dadurch erreicht werden, dass je 30 % der Land- und Meeresfläche bis 2030 unter Schutz gestellt werden (Target 3) – allerdings wird nicht gesagt, was „Schutz“ dabei genau bedeutet. Zum anderen sollen 30 % der geschädigten Ökosysteme bis 2030 durch Maßnahmen wie Flussrenaturierungen oder Wiedervernässung regeneriert werden (Target 2). Als größter Landnutzer und somit einer der größten Einflussfaktoren gilt die Landwirtschaft. Deshalb lag hier die Hoffnung auf einer klaren Quote zur naturverträglichen Nutzung, doch eine konkrete Zielsetzung blieb aus (Target 10). Außerdem soll die chemische Verschmutzung verringert werden, indem z.B. die Schadensrisiken durch Pestizide um 50 % reduziert werden sollen (Target 7). Ein weiteres, wichtiges Ziel ist es, dass Politik, Gesellschaft und Wirtschaft die Biodiversität bei allen Prozessen mitdenken („Biodiversity Mainstreaming“; Target 14).

Eine große Hebelwirkung verspricht die Umsetzung des vereinbarten Ziels, mindestens 500 Milliarden Dollar an biodiversitätsschädlichen Subventionen pro Jahr abzubauen und in Anreize für den Erhalt und die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt umzuwandeln (Target 18). Dies wird allerdings davon abhängig sein, wie konsequent die Politik die Abschaffung schädlicher Subventionen gegen den Widerstand verschiedener Interessengruppen durchsetzt.

Xi Jinping auf großer Leinwand
Die Zielsetzungen der CBD COP-15 sind in der Tat ambitioniert und zu begrüßen. Es besteht allerdings für die Staaten keine überprüfbare Verpflichtung zur Umsetzung, zum Monitoring und Reporting. Bild: J. Taffner

Eine Kontrolle der Umsetzung und der Zielerreichung ist nicht verpflichtend, bleibt für die Staaten also freiwillig. Dies gilt leider auch für das Reporting von Firmen und transnationalen Konzernen zu deren Einfluss auf die Natur (Target 15) - obwohl große Unternehmen dies unterstützt hatten.

Insgesamt sind die Zielsetzungen der COP 15 in der Tat ambitioniert und zu begrüßen. Dass allerdings für die Staaten keine überprüfbare Verpflichtung zur Umsetzung, zum Monitoring und Reporting besteht, macht deutlich, dass keine Lehren aus den gescheiterten Aichi-Zielen der COP 10 gezogen wurden. Das ist leider weit mehr als ein Wermutstropfen. Jetzt müssen die Staaten zeigen, wie engagiert sie tatsächlich an die Umsetzung gehen, denn bis 2030 sind es nur noch acht Jahre!

Interessant ist ferner, dass die COP mit ihrem wachsenden Einbezug von Entwicklungsthemen zunehmend auch ein Forum zur Behandlung sozialer Ungerechtigkeiten wird. Positiv zu bewerten ist hierbei der Schritt, indigenen und lokalen Gemeinschaften wie auch der jungen Generation mehr Aufmerksamkeit zu geben, ein weiterer wäre, sie verstärkt in Entscheidungsprozesse einzubinden.

Hausaufgaben für die Wissenschaft

Die COP 15 hat mit ihren 23 Zielen auch der Wissenschaft eine ganze Reihe von Hausaufgaben mitgegeben. So fordert z.B. Target 19 die Förderung innovativer Systeme wie „Payments for Ecosystem Services“, „Green Bonds“ oder „Biodiversity Offsets“ und „Benefit-Sharing-Mechanisms“. Hier ist in der Tat viel Forschung erforderlich, nicht zuletzt auch um „Greenwashing“ auszuschließen. In diesem Sinne bedürfen auch die in Wirtschaft und Politik bei der Offenlegung ihrer Zielsetzungen viel verwendeten Begrifflichkeiten „nature positive economy“ und „nature-based solutions“ dringend der weiteren Schärfung und Klärung, außerdem bedarf es der Setzung von Standards. Hier kann die BMBF-Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt (FEdA) mit ihrem transdisziplinären Forschungsansatz, der auch die Stakeholder aus Gesellschaft, Wirtschaft und Politik einbindet, einen substantiellen Beitrag leisten.

Deutschland will mit dem „Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz“ mit insgesamt vier Milliarden Euro Ökosysteme wiederherstellen und das Klima schützen; hierbei muss der Biodiversitätsschutz aktiv mitgedacht werden. Wie schon im Conference Statement der europäischen FEdA-Konferenz gefordert, müssen darüber hinaus die traditionelle Nachhaltigkeitsforschung und die Forschungsfinanzierung entsprechend angepasst werden. Nur dann können relevante politische Prozesse wie die Umsetzung des European Green Deal und der EU Biodiversitätsstrategie effektiv begleitet werden (die konkreten Forderungen dazu finden sich hier).

Die COP15 hat sicher nicht alle an sie gestellten Erwartungen erfüllt, aber dieser „Paris-Moment light“ in Montreal gibt durchaus Hoffnung und definiert den ambitionierten Rahmen für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft hin zu einer Trendwende beim Verlust der Biodiversität. Gemeinsam mit der Wissenschaft müssen diese 23 Ziele nun erfolgreich umgesetzt werden; die Hausaufgaben sind klar.


Dr. Julian Taffner
Dr. Julian Taffner

Dr. Julian Taffner

Dr. Julian Taffner ist Leiter der Koordinierungsstelle der BMBF-Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt (FEdA), mit Sitz bei der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung in Frankfurt. Zuvor war er als Universitätsassistent am Institut für Umweltbiotechnologie an der Technischen Universität Graz (Österreich) tätig und promovierte zu Wechselwirkungen zwischen Mikroorganismen und Pflanzen. Als Makrofotograf lenkt er den Fokus auf die Schönheit und den notwendigen Schutz der heimischen Natur (IG: @terra_aliens).
FEdA soll neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu Umfang, Ursachen und Folgen des Verlustes der Biodiversität liefern und gemeinsam mit Vertreter*innen aus Gesellschaft, Wirtschaft und Politik konkrete Lösungsansätze erarbeiten.




Blick in einen Verhandlungssaal während der CBD COP-15 in Montreal
Blick in einen Verhandlungssaal während der CBD COP-15 in Montreal. Bild: Y. Zinngrebe

Lesetipp:

Die 15. Vertragsstaatenkonferenz des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD COP15) hat neue globale Biodiversitätsziele beschlossen. Wer nun denkt, die Biodiversität sei gerettet, hat sich schwer getäuscht, denn dann gilt es, die neuen Beschlüsse im eigenen Land umzusetzen. Und darauf hat die Bundesregierung nur begrenzt Einfluss.

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Themenschwerpunkt: „Wir müssen endlich in die Umsetzung kommen“