- Themenschwerpunkt Dezember 2022 -

„Wir müssen endlich in die Umsetzung kommen“

Von Sebastian Tilch


Am Sonntag endet offiziell die 15. Vertragsstaatenkonferenz des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD COP15). Bisher laufen die Verhandlungen so zäh, dass noch nicht absehbar ist, ob man am Ende tatsächlich zu einem Konsens findet. Sollte es aber gelingen, wird dieser Konsens medienwirksam gefeiert werden. Wer nun denkt, die Biodiversität sei gerettet, hat sich schwer getäuscht, denn jetzt gehen die zähen Verhandlungen erst richtig los. Nun gilt es, die neuen Beschlüsse im eigenen Land umzusetzen. Daran waren die vorherigen Ziele – auch in Deutschland – bislang immer gescheitert. Und darauf hat die Bundesregierung nur begrenzt Einfluss.

Wenn alles gut geht, wird der Vorsitzende der CBD COP15, Chinas Umweltminister Huang Runqiu, am Sonntag vor die Presse treten und verkünden, dass ein Konsens erzielt werden konnte – und damit ein Erfolg. Das neue Global Biodiversity Framework (GBF) wird voraussichtlich 22 Aktionsziele enthalten, die bis 2030 erreicht werden sollen, darunter eines, das verlangt, 30 % der Landes- und Meeresfläche unter Schutz zu stellen. Bundesumweltministerin Steffi Lemke wird vermutlich verhandlungs-erschöpft aber glücklich vor die Kameras treten und sagen, dass man sich zwar mehr versprochen hätte, aber dennoch einiges erreicht werden konnte, und dass man nun aber auch endlich ins Handeln kommen müsse. Dann steigt sie mit dem neuen Abkommen in der Tasche ins Flugzeug nach Hause nach Berlin, überführt die globalen Ziele in eine neue Nationale Biodiversitätsstrategie und ordnet dann an, diese im ganzen Land umzusetzen.

Blick in einen Verhandlungssaal bei CBD COP-15 in Montreal
Blick in einen Verhandlungssaal während der CBD COP-15 in Montreal. Bild: Y. Zinngrebe

Letzteres wird so ganz sicher nicht laufen. „Das ist ein völlig unrealistisches Bild. UN-Abkommen sind keine hierarchischen Gebilde, wo man international pfeift und lokal spurt“, sagt Magnus Wessel, Leiter Naturschutzpolitik und –koordination des BUND Deutschland. „Es ist eher anders herum: Die Bundesregierung vertritt zwar Deutschland auf internationaler Ebene, dort wird aber nur dem zugestimmt, was schon zuvor auf nationalstaatlicher Ebene als durchsetzbar gilt“, sagt Wessel.

„Ich werbe aufgrund meiner Forschung dafür, dass man diese top-down Perspektive komplett umdreht und vom Kopf auf die Füße stellt“, sagt auch Lukas Giessen, Professor für tropische und internationale Forstwirtschaft an der Technischen Universität Dresden, der sich in seiner Forschung u.a. mit der Umsetzung internationaler Abkommen im Forstsektor beschäftigt. „In der medialen Berichterstattung wird fälschlicherweise das quasi-hierarchische Bild gemalt, die UN sei der König, der seine Entscheidungen nun über den Minister, Stallmeister, Stallburschen an den Bauern weiterreicht, der das dann umsetzen muss. Als ausgebildeter Förster kann ich sagen, dass zumindest im Wald mein Berufsstand derjenige ist, der am Ende entscheidet, ob ein Baum einer Fledermaus als Nistbaum zur Verfügung steht oder zu einem Tisch verarbeitet wird. Die größte Verfügungsgewalt hat die zuständige Person vor Ort. Dort liegt eigentlich der Anfang der Kette.“

Eine politikwissenschaftliche Gewissheit, so Giessen weiter, sei zudem, dass nur Instanzen mit der nötigen politischen Kompetenz, also Zuständigkeit, politische Zielsetzungen tatsächlich umsetzen können. Und beim Naturschutz seien dies nach dem Grundgesetz in den allermeisten Fällen nicht die UN, EU oder der Bund, sondern die Bundesländer. Hier ist also de facto das „Oben“.

Eine Rechtsverbindlichkeit von globalen Abkommen auf UN-Ebene gibt es, bis auf wenige Ausnahmen im Weltsicherheitsrat, nicht. Bundesländer müssen sich also an Abkommen, die der Bund auf internationaler Ebene eingeht, nicht halten. Und auch die Kommunen haben aufgrund ihres Selbstbestimmungsrechts in ihrer Planung weitestgehende Freiheiten. „Wegen der CBD wird kein einziges Baugebiet weniger im Landschaftsschutzgebiet geplant. So funktioniert das nicht“, sagt Magnus Wessel. Die CBD dient aber als Legitimation für die Verhandlungen des Bundes mit den Ländern im Rahmen derer konkurrierender Gesetzgebungszuständigkeit.

Und auch für die Verhandlungen der Länder mit den Kommunen und privaten Landeignern sind sie nützlich. „Jemand, der beim Land mit Naturschutzaufgaben beauftragt ist, braucht gute Argumente und Verbündete“, meint Giessen. Die kriegt er z.B. von seinem Finanzministerium, die kann er oder sie aber eben auch bei der Bundesregierung und seit der Riokonferenz 1992 auch bei der UN suchen.“

„Mit der Annahme des neuen globalen Rahmens für biologische Vielfalt und der Abreise aus Montreal muss die Umsetzung der Ziele beginnen”, lässt das BMUV über eine Sprecherin wissen. “Wir haben hier keine Zeit zu verlieren. Da Naturschutzfragen in Deutschland Ländersache und die Umsetzung der Ziele vor Ort in den Städten, Landkreisen und Kommunen stattfindet, ist uns eine Zusammenarbeit hier besonders wichtig.”

Aus Sicht des Bundes läuft der Prozess, die Ziele nach unten weiterzureichen, über die Neuauflage der Nationalen Biodiversitätsstrategie, kurz NBS, die bereits seit einigen Monaten im Rahmen eines breit angelegten Dialogprozesses vorbereitet wird. Kommunen würden dabei speziell in einem eigenen Handlungsfeld zur Stadtnatur angesprochen und bei konkreten Maßnahmen zum Schutz von Biodiversität unterstützt, bspw. durch das Bundesprogramm Biologische Vielfalt, durch Aktivitäten des Bündnis „Kommunen für biologische Vielfalt e.V.” sowie Maßnahmen, die die Entwicklung kommunaler Biodiversitätsstrategien fördern. Für letztere dient dann die NBS als Vorbild. Bisher hat allerdings kaum eine Stadt eine solche Strategie. In Deutschland sind es gerade mal knapp 40 Kommunen. Entsprechend sieht die EU-Biodiversitätsstrategie, die schon vor dem neuen Globalen Rahmenwerk der CBD verabschiedet worden war, vor, dass sich alle Kommunen in der EU über 20.000 Einwohner eine eigene Biodiversitätsstrategie zulegen.

Was allerdings von den bei der COP15 beschlossenen Zielen in den Strategien auf Landes- und Kommunalebene am Ende noch übrig bleibt, ist sehr unterschiedlich. Lukas Giessen nutzt für den Vorgang des politischen Weiterreichens und Anpassens über unterschiedliche Ebenen hinweg den Begriff „Customising“, den er dem Softwareriesen Microsoft entliehen hat. Ähnlich wie jeder lokale Nutzer seine Windowsoberfläche individuell gestalten kann, etwa mit Farbvarianten, Hintergrundbildern usw., passt jede Verwaltungsebene die Vorgaben den eigenen Gegebenheiten an. Und dies folgt allen möglichen Interessen, die in der Regel nicht den größtmöglichen Schutz der Biodiversität im Blick haben.

Selbst eine grüne Bundesregierung bedeutet noch lange keine Zeitenwende im Naturschutz

„Fortschritte im Umweltschutz stehen und fallen mit dem politischen Willen“, sagt Magnus Wessel vom BUND. „In der westlichen Gesellschaft ist Geld nicht der limitierende Faktor, das wird für alles Mögliche ausgegeben. Naturschutz hat nur einfach immer noch keine hohe Priorität.“ Wenn wir nun aber eine handlungswillige Bundesregierung haben, wovon man bei einer grünen Umwelt- und einem grünen Landwirtschaftsminister ausgehen können sollte, diese aber keine Kompetenz hat, die selbsterkämpften Ziele umzusetzen, ist denn dann ein Scheitern Deutschlands bezüglich der neuen post2020-Ziele der CBD vorprogrammiert?

„Man sollte nicht der Vorstellung verfallen, dass der Staat alles regelt“, sagt Magnus Wessel. „Da entlehne ich mal einen Satz vom französischen König Ludwig XIV: ‚L’état, c’est moi!‘ Gemeingüter sind für alle da, also sind auch alle dafür verantwortlich, sie zu erhalten. Das sei eine der starken Rollen der Zivilgesellschaft, gerade auf kommunaler Ebene, da die kommunale Selbstverwaltung Bund und Länder in der Fläche weitgehend ausschließt. Hier helfen nur viele individuelle Diskussionen, die häufig die Verbände leisten. „Es braucht Kümmerer vor Ort, die hauptamtlich arbeiten können, und zwar dauerhaft, nicht nur temporär“, sagt Wessel. „Leute von außen einzufliegen, die sagen, wie es geht, das hat noch nie funktioniert. Genauso wenig wie Kommunikationskampagnen, die sagen: ‘deine bisherige Meinung stimmt nicht, wir wissen, wie es sein muss’.“

Es steht und fällt mit fähigen Leuten vor Ort

Zu diesem Schluss kommt auch Peter Gaffert. Der gelernte Forstwissenschaftler war 1994 bis 2004 Leiter des Nationalparks Hochharz und 2008 bis Sommer 2022 Oberbürgermeister der Stadt Wernigerode am Harz. „Wenn der Kopf, also der verantwortliche Regierende, nicht will, ist beim Naturschutz kaum etwas möglich“. Der damals parteilose Bürgermeister hatte zeit seines Amtes mit einer starken konservativen Opposition zu kämpfen. Und doch gilt die Stadt in Sachsen-Anhalt als eine der Vorreiterinnen in Natur- und Umweltschutzbelangen.

Tote Bäume im Harz
Bereitschaft zu Handeln entsteht v.a. durch direkte Betroffenheit. Seitdem die Bewohner des Harzes den Klimawandel hautnah im Wald erleben können, sei die Akzeptanz nachhaltiger Lösungen laut OB Gaffert stark gestiegen. Bild: Sebastian Tilch

„Ich denke nicht, dass sich aktuell im Stadtrat jemand ernsthaft für die Verhandlungen in Montréal interessiert, das muss ich leider so sagen“, meint Gaffert. Beschlüsse auf UN-Ebene hätten für die kommunale Ebene keinerlei Relevanz. Sie hätten eher deklaratorischen Charakter. Entscheidend sind hier Beschlüsse des Stadtrates, die Wirkung auf die Bevölkerung haben und mit Kosten verbunden sind. Da brauche man gute Argumente, um etwas durchzusetzen, und die lieferten zwar die übergeordneten Politikebenen, also die UN, EU, Bund und Länder mit ihren Richtlinien und Zielen. Die seien allerdings noch lange kein Erfolgsgarant. Trotz entsprechender Vorgaben vom Bund, erinnert sich Gaffert, sei es ein unheimlich dickes Brett gewesen, Nachhaltigkeitskriterien im öffentlichen Beschaffungswesen zu verankern. „Und so ist das auch mit der Biodiversität.“

Um den Menschen die Relevanz des Themas und auch der politischen Beschlüsse auf höherer Ebene plausibel zu machen, sei Kommunikation das A&O. „Man muss die Menschen mitnehmen, und man braucht gute Argumente, um in die persönlichen Freiheiten der Menschen einzugreifen.“ Sich aber einfach auf UN-Beschlüsse zu berufen, also die ganz große Keule zu schwingen, erzeuge nur Widerstände. „Die Ziele sind ja meist unheimlich abstrakt. Die müssten zuerst einmal für die Bedarfe vor Ort übersetzt werden“, meint der Ex-Bürgermeister. „Wovon sind wir unmittelbar betroffen, was bedeutet das für welche Politikbereiche etc.? Wenn die Leute vor Ort sehen, dass die Themen, die da auf höherer politischer Ebene besprochen werden, sie auch direkt betreffen, wird plötzlich einiges möglich.“ Das sähe man aktuell an der enormen Bereitschaft der Leute, sich an der Wiederaufforstung zu beteiligen. „Ganz einfach, weil durch das massive Baumsterben durch Klimawandel und Borkenkäfer offensichtlich geworden ist, dass etwas getan werden muss.“

Konfrontation führt nicht zum Ziel

Um die nötige Zustimmung zu Naturschutzmaßnahmen und damit verbundenen Ausgaben im Stadtrat zu bekommen, setzte Gaffert meist auf Synergieeffekte. „Ich habe immer versucht, etwas für das Image der Stadt in der Außenwirkung zu tun. Also habe ich versucht, die positiven Folgen der Maßnahmen für die touristische Attraktivität herauszustellen. Das hat oft gut funktioniert.“ Aber auch Labels können ein vielversprechendes Mittel sein. So war Gaffert 2012 einer der Gründungsväter des Bündnisses „Kommunen für biologische Vielfalt“, dessen Vorsitz er 2014-2018 innehatte. „Die Deklaration soll als freiwillige Selbstverpflichtung Kommunen bundesweit dazu motivieren, den Erhalt der biologischen Vielfalt als Grundlage einer nachhaltigen Stadtentwicklung zu berücksichtigen und entsprechende Anforderungen in kommunale Entscheidungsprozesse einzubeziehen“, heißt es auf deren Webseite. Dem Bündnis gehören aktuell 271 Kommunen in Deutschland an. Außerdem trat Wernigerode dem „kommunalen Klimabündnis“ bei, ist Fair-Trade-Stadt und vieles mehr. „Das sind durchaus wirkungsvolle Instrumente, denn das waren ja alles Beschlüsse des Stadtrates“, so Gaffert, „und das verpflichtet dann auch zum Handeln, da man ja auch von außen beobachtet wird und sich als Stadt nicht lächerlich machen will.“

Ganz wesentlich für seine Erfolge in der Umweltpolitik war laut Gaffert allerdings auch, Geld für Personal in die Hand zu nehmen. Als erste Stadt in Sachsen-Anhalt finanzierte Wernigerode eine Nachhaltigkeitsbeauftragte. „Man braucht einfach jemanden, der die Prozesse im Blick hat, sich auskennt und genau solche Argumente für die Debatten im Stadtrat liefert“, meint Gaffert. Und hier kommt spätestens das Thema Geld ins Spiel. Gaffert würde sich wünschen, dass die Länder solche Stellen zumindest mitfinanzieren würden. „Das müssen ja auch qualifizierte Leute sein, die entsprechend ausgebildet und im Thema sind. Da könnte wiederum der Bund auf die Länder einwirken.“

Um aber Waldbesitzer oder auch die eigene Forstverwaltung zum Verzicht auf Nutzung zu überreden, brauche es vor allem Anreize. „Ein gesundes Klima in 30 Jahren ist für die Leute kein Anreiz“, meint Gaffert. Von daher sollte ein finanzieller Ausgleich für anfallende Kosten oder Verluste zur Verfügung gestellt werden. Das sei v.a. für kleinere Kommunen besonders wichtig, die weniger Geld für Kompensationen haben. „Der Bund gibt so viel Geld aus, da ist es doch nur legitim, wenn eine Kommune, die sich für die Umsetzung von drei oder vier Naturschutzzielen einsetzt, unterstützt wird.“

Den Personalmangel vor Ort sieht auch Magnus Wessel als riesiges Problem an, welches oft die Umsetzung beschlossener Maßnahmen verhindert. „Wenn man sich Länder ansieht, bei denen im Naturschutz einiges passiert, wie etwa Thüringen oder Baden-Württemberg, dann sieht man, dass diese Geld für Personal ausgegeben haben, etwa für die Unterstützung der Pflegeverbände, um Natura2000-Stationen aufzubauen, etc.“

Neubaugebiet auf grüner Wiese
Der Siedlungsbau ist in Deutschland ein wichtiger Faktor für den Rückgang wertvoller Biotope. Ein Bewusstsein dafür in der Stadtplanung steht und fällt mit dem vorhandenen Personal in den Kommunen. © Catkin_Pixabay
„Magnus Wessel warnt jedoch davor, die Verantwortung ausschließlich auf die lokalen Akteure abzuwälzen. Das häufig gerade von NGOs bemühte Bild, lokale und regionale Entscheidungen seien gut, nationalstaatliche schlecht, stimme zumindest in Europa so nicht. Die meisten Schäden an Natur in Deutschland und Europa entstünden neben zu hohem Ressourcenverbrauch und Emissionen eben durch Missmanagement auf lokaler und regionaler Ebene. „Wenn ich einer Bürgermeisterin oder einem Bürgermeister vor Ort mit der Aufgabe alleine lasse, die biologischen Vielfalt zu erhalten und dann denke, es würde alles gut…, dann wissen wir seit über hundert Jahren, dass das so nicht funktioniert“, meint der Naturschützer. Das läge, so Wessel, maßgeblich an den zugrundeliegenden europäischen Werten, die den Menschen ins Zentrum stellten und losgelöst von seiner Umwelt betrachteten. Mit diesem Werteverständnis wiegen ökonomische Ziele meist schwerer als ökologische.

Ähnlich wie Gaffert sieht auch Wessel die besten Chancen für eine erfolgreiche Biodiversitätspolitik, die beides zusammendenkt, Naturschutz- oder Renaturierungsmaßnahmen also gleichzeitig mehrere gesellschaftsrelevante Ziele bedienten. „Es gibt da ja viele Berührungspunkte, sei es die Gesundheitsvorsorge vor Ort, lebenswerte Innenstädte oder die Anpassung an die Folgen des Klimawandels.“

Und wenn der Wille unter Regierenden dann da ist, wünscht sich Wessel manchmal auch den politischen Mut, etwas umzusetzen, was zuerst Widerstand erzeugen wird. „Mein Lieblingsbeispiel ist da das Rauchverbot. Da haben sich auch alle drüber aufgeregt, heute kein Mensch mehr.“ Ein Schwellenwert für den Flächenverbrauch könnte so ein Instrument sein, das viel bringen würde. Dann, so zeigt Wessels Erfahrung, würden die Menschen kreativ. Wichtig sei , dass man die Entscheidungen und Notwendigkeiten gut erklärt.

Punktuelle Chancen ergreifen statt den Rundumschlag planen

„Groß angelegte Änderungen in der Gesellschaft brauchen Zeit, das geht nicht über Nacht“, meint der Waldpolitikforscher Giessen. „Ich werbe dafür, mehr Geduld an den Tag zu legen, und für einen sachlichen Blick“. Gerade spezifische Naturschutzakteure träten oft sehr fordernd und kompromisslos auf, was die Fronten in der Regel nur verhärte, statt Lösungen herbeizuführen. So kommt er nach einer Fallstudie zur Umsetzung von CBD-Beschlüssen in der Deutschen Forstpolitik zu dem Ergebnis: „Wenn die Umweltadministration hier ihren zwingenden Anspruch auf ordnungsrechtliche Zuständigkeit aufgeben würde, könnte inhaltlich viel gewonnen werden. Flächenstilllegungen zu verordnen, erzeugt nur Stellungskriege.“

Giessen empfiehlt, kleine, erfolgversprechende Schritte zu gehen. Dabei solle man sich in den betroffenen Ressorts wie Verkehr, Landwirtschaft, Bau, Finanzen, aber dezidiert auch unter den Flächenbesitzenden, die kooperativeren Personen herauszusuchen und punktuelle win-win-Veränderungen anstreben. „Das ist für alle Seiten frustrationsärmer und bringt am Ende mehr inhaltliche Ergebnisse“, so Giessen. Bei Waldbesitzern könnten das etwa Flächen an wenig ertragreichen Standorten wie bspw. Anhöhen sein, die eine dünne Bodenschicht haben und mit Maschinen schwer erreichbar sind. Für den Naturschutz sind genau diese Flächen sehr wertvoll. „Wichtig ist dabei, für eine konstruktive Gesprächsatmosphäre zu sorgen, also niemanden an den Pranger zu stellen“, meint der Waldpolitikforscher.

Dass die 22 Ziele, die jetzt in Montréal verhandelt werden, wie dort formuliert bis in acht Jahren erreicht sein werden, scheint vor diesem Hintergrund sehr fraglich. Zumindest kommt auf die Advokatinnen und Advokaten des Biodiversitätsschutzes eine Menge Überzeugungsarbeit in den kommenden Jahren zu. „Politisches Handeln folgt gesellschaftlichem Druck“, sagt Magnus Wessel. „Wir können nur weiter tun, was wir bisher getan haben: Am Ball bleiben, die Menschen überzeugen, dass wir die Natur brauchen und wir so leben müssen, dass sie uns erhalten bleibt. Vielleicht kann man als einzigen positiven Aspekt der Dürre der letzten Jahre sehen, dass nun wirklich ein größeres Bewusstsein dafür herrscht, dass etwas getan werden muss.“


Wald im Herbst
Kann Wildnis bei höherem Nutzungsdruck durch zunehmende Konsumansprüche noch erhalten werden? Bild: S. Heiland (aufgenommen im Nationalpark Hunsrück-Hochwald)

Lesetipp:

Verzicht, Verbote, Ökodiktatur – mit Vorwürfen und Begriffen wie diesen muss sich auseinandersetzen, wer die Position vertritt, dass technischer Fortschritt, Effizienzsteigerung und ökonomische Instrumente allein nicht ausreichen, die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen zu schützen, sondern dass darüber hinaus auch ein „Weniger“ an Konsum von Flächen, Materialien und Energie – sprich Suffizienz – erforderlich ist. Warum dies auch für den Schutz der biologischen Vielfalt gilt, wollen wir im Folgenden kurz darlegen.

Gastbeitrag: Tabu Suffizienz: Warum Technik, Schutzgebiete und Planung allein die biologische Vielfalt nicht retten werden